Protocol of the Session on November 12, 2015

Dazu geben wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Landesbeauftragten nicht nur einen neuen Namen, sondern die konkrete Aufgabe. Ich zitiere aus § 3 des Gesetzentwurfes:

„Die Landesbeauftragte hat die Aufgabe, das Gesamtsystem der politischen Verfolgung, insbesondere die Struktur, Methoden, Wirkungsweise und Folgen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt, … aufzuarbeiten und zu vermitteln.“

Die Ausstellung zeigt deutlich, wie spürbar die noch offenen Fragen sind.

Gestern konnten wir auch von Herrn Roland Lange, dem Bundesvorsitzenden der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, hören, wie viele Menschen unter den Folgen noch immer leiden und wie wichtig eine Beratung und auch eine psychosoziale Betreuung sind. Diese

Aufgaben obliegen auch zukünftig der Beauftragten.

Die weiterhin hohe und keineswegs absinkende Anzahl der Beratungen und der Anträge auf Akteneinsicht nach dem Stasi-Unterlagengesetz zeigen, dass das Interesse an der Wahrheit über die eigene Geschichte nicht absinkt.

Ich zitiere den vorgestern verstorbenen Helmut Schmidt aus seinem Buch „Außer Dienst“. Er sagte:

„Eine der Bedingungen dafür, dass wir aus der Geschichte lernen, ist zunächst einmal die Kenntnis der Geschichte - jedenfalls die Kenntnis des für unsere eigenen Lebensumstände, für unsere Arbeit und unseren Verantwortungsbereich wichtigen Teils der Geschichte.“

Ja, die Kenntnisse über die Geschichte der SEDDiktatur sind noch nicht vollständig und noch nicht vollständig aufgearbeitet. Immer wieder werden neue Erkenntnisse hinzukommen; diese müssen wir erfassen und aufarbeiten. Vor allem müssen wir die Öffentlichkeit darüber informieren, wie es die gestern eröffnete Ausstellung zeigt.

Die Ausstellung ist ein Beispiel für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Opfer- und Verfolgtenverbänden, den bürgerschaftlichen Initiativen, in diesem Fall das Bürgerkomitee Magdeburg, und unserer Landeszentrale für politische Bildung. Die Ausstellung ist ein Beispiel für eine gelebte Zusammenarbeit, wie es sie auch der Gesetzentwurf vorsieht.

Wir bekennen uns ausdrücklich zu der Stellung der Beauftragten, zu der Anbindung der Beauftragten an den Landtag unter der Dienst- und Rechtsaufsicht des Präsidenten und zur Wahl durch den Landtag. Denn dadurch bekommt sie die Unabhängigkeit, die sie zur Erfüllung dieser Aufgabe benötigt.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Weigelt, CDU)

Deshalb bitten wir um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. - Vielen Dank

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Kollegin Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun der Abgeordnete Herr Herbst.

Wir können weitere Gäste auf der Besuchertribüne zu diesem Tagesordnungspunkt willkommen heißen: Schülerinnen und Schüler des Dr.-HermannGymnasiums Schönebeck. Willkommen im Landtag!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Kollegen! Dies ist ein besonderer Tagesordnungspunkt und für unser Bundesland ist es ein besonderer Tag. 26 Jahre und wenige Tage nach dem Ende der Teilung Deutschlands und Europas, das durch die Bürgerinnen und Bürger der DDR in einer friedlichen Revolution erzwungen wurde, beschäftigen wir uns heute im Hohen Haus mit der letzten Diktatur auf deutschem Boden.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Wir tun dies heute, weil noch immer viele Fragen unbeantwortet sind, weil immer noch Täter unbekannt und unbehelligt sind, weil Menschen unter den Folgen der SED-Diktatur zu leiden haben, weil wir unser Bundesland und unsere Menschen besser verstehen, wenn wir unsere eigene Geschichte mit all ihren Fassetten beleuchten. Um es mit dem anwesenden Roland Jahn zu sagen: „Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute ein Gesetz, das die Aufarbeitung unserer Vergangenheit in der kommunistischen Diktatur qualitativ auf eine neue Stufe stellen soll. Teilweise wird sich die Arbeit dadurch verbessern; teilweise wird die Aufarbeitung dadurch überhaupt erst möglich gemacht.

Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass wir 26 Jahre nach dem Ende der DDR an dieser Stelle keine Schlussstrichdebatte führen, sondern ganz im Gegenteil an einer weiteren Qualifizierung der Aufarbeitung arbeiten.

Die Einrichtung des Amtes der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen im Jahr 1993 durch den Landtag kann man wirklich eine weise Entscheidung nennen. Die Struktur aus dem Bundesbeauftragten, seinen Außenstellen in den Bundesländern und den mit eigenen Aufgaben versehenen Landesbeauftragten hat sich bewährt. Aber für viele Menschen ist nicht klar erkennbar, wer eigentlich welche Aufgaben übernimmt.

So ist bereits die Bezeichnung Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR irreführend; denn mit Unterlagen verbinden die meisten Menschen heute diejenigen Dokumente, die beim Bundesbeauftragten dazu dienen, Anträge auf Akteneinsicht zu bearbeiten.

Die Landesbeauftragte hingegen hatte bisher ausschließlich den gesetzlichen Auftrag, einen wirkungsvollen Beitrag zur Aufarbeitung und Bewältigung der vom Staatssicherheitsdienst belasteten Vergangenheit zu leisten. Diesen Auftrag haben zumindest unsere beiden weiblichen Landesbeauf

tragten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in hervorragender Weise erfüllt.

(Zustimmung von Minister Herrn Stahlknecht)

Doch der gesetzliche Auftrag setzt Grenzen. Um das Ausmaß des systematischen Unrechts in der DDR aufarbeiten zu können, braucht es einen Blick, der über das MfS hinausreicht. Die Stasi war eben nur Schild und Schwert der Partei. Viele Menschen und ihre Lebensläufe wurden in der DDR durch den Einfluss der DDR in allen Lebensbereichen betroffen und nicht wenige zerstört.

Dies geschah noch in der Ära Ulbricht auch durch offenen Terror. Später wurden andere Mittel gewählt, die nicht weniger Schaden anrichteten. Der Begriff der Zersetzung vermeintlicher politischer Gegner ist nach der friedlichen Revolution durch die Auswertung der Stasi-Akten bekannt geworden.

Doch auch auf anderen Wegen nahm die SED auf Entscheidungen der Justiz, das Handeln der Polizei und anderer sogenannter Organe des Staates Einfluss, ebenso auf Bildungskarrieren, betrieblichen Auf- oder Abstieg, den Zugriff auf Wohnungen, Handelsgüter und die Verteilung von Privilegien, um nur einige Beispiel zu nennen.

Ein besonderer schwerwiegender Aspekt systematischer Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbrüche - übrigens auch des DDR-Rechts - wurde in den vergangenen Jahren in Sachsen-Anhalt durch Wissenschaftler der MLU aufgedeckt und erforscht. Ich spreche von der Zwangseinweisung politisch nicht opportuner Frauen in venerologische Stationen, wo sie unter dem Vorwand angeblicher Geschlechtskrankheiten systematisch gefoltert

wurden.

Mag die Stasi auch an der Auswahl der Opfer beteiligt gewesen sein, so führten doch andere diese Verbrechen aus. Eine Aufarbeitung aller Fassetten des DDR-Unrechts muss unser Ziel sein, auch wenn eine juristische Rehabilitation - das wissen wir - leider nicht mehr für alle Opfer möglich sein wird.

Das Amt der neuen Aufarbeitungsbeauftragten wird mit weiteren Bereichen der SED-Diktatur befasst sein. Sie wird künftig - das ist schon gesagt worden - eine Beauftragte des Landtags sein, sodass ihre Stellung wirklich gestärkt wird. Außerdem wird sie neue wichtige Aufgaben bekommen, die wir in der Vergangenheit immer wieder gefordert haben, wie die wichtige psychosoziale Beratung, die bisher nicht in ihrem Aufgabenfeld lag.

Meine Damen und Herren! Solange es blinde Flecken in unserer deutsch-deutschen Geschichte gibt, so lange ist Aufarbeitung nötig. Ich bin mir sicher, mit dem heutigen Beschluss werden wir

dieser Verpflichtung in unserem Bundesland besser gerecht werden. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Herbst. - Als nächster spricht für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Wunschinski.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die DDR wurde dem selbst gestellten Ideal eines Arbeiter- und Bauernstaates in keiner Weise gerecht. Demokratische Entscheidungsprozesse von unten nach oben waren nicht vorhanden. Ein Staat ohne unabhängige Justiz, ohne demokratisch legitimierte Exekutive und Legislative. Kurz gesagt: Die DDR war ein Unrechtsstaat.

Die Stasi als sogenanntes Schild und Schwert der Partei half, den autoritären Führungsanspruch und die sich daran anschließenden Denkverbote durchzusetzen. Bloße Ansätze von Kritik und Verbesserungsvorschlägen führten zu Verdächtigungen, Benachteiligungen und politischer Verfolgung, wie sie in Rechtsstaaten nicht vorstellbar sind. Eine rechtliche Gegenwehr war für die Betroffenen nicht möglich.

Die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen soll in keiner Weise die Lebensleistung und die Lebensbiografien von Bürgern der DDR abwerten.

(Zustimmung bei der CDU)

Der Begriff Unrechtsstaat gilt vor allem der politischen Wirklichkeit mit allen sich daraus ergebenden Folgen für diejenigen, die sich nicht an die staatlichen Vorgaben halten wollten und konnten.

Die Aufarbeitung des DDR-Unrechtsregimes ist insbesondere aus der Sicht der Opfer längst nicht abgeschlossen. Wir stehen an der Seite der Opfer des DDR-Unrechtsregimes.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Landesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Lande Sachsen-Anhalt mit ihren engagierten Mitarbeitern, der Landesbeauftragten an der Spitze, leistet seit zwei Jahrzehnten eine enorm wichtige Arbeit für die historische und gesellschaftliche Aufarbeitung der DDRDiktatur und der Arbeit der Staatssicherheit. Sie ist ein verlässlicher Ansprechpartner für alle, die unter der DDR-Diktatur und der Staatssicherheit gelitten haben. Sie hat für sehr viele Menschen eine auch persönlich wichtige Beratungshilfe geleistet und für viele Betroffene Wege der Rehabilitierung aufgezeigt.

Durch den Ihnen vorliegenden Entwurf eines Aufarbeitungsbeauftragtengesetzes werden die Koalitionsfraktionen - wohl mit Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - das Aufgabenprofil und die Amtsbezeichnung der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR verändern und das Amt institutionell an den Landtag anbinden.

Zielrichtung des Gesetzentwurfs ist es, das Gesamtsystem staatlicher Repression und Verfolgungspolitik zu erfassen. Die Beschränkung der Aufarbeitung auf die Behörden der Staatssicherheit wird den vielen Erfahrungen mit den anderen Unrechtserfahrungen in der DDR und aus der Zeit nach dem 8. Mai 1945 nicht gerecht. Diese Unrechtserfahrungen, die weit über die Staatssicherheit hinausgehen, gilt es gleichermaßen aufzuarbeiten.

Man muss auch dem Irrglauben vorbeugen, dass die DDR ohne das MfS ein ganz normaler Rechtsstaat gewesen wäre. Das Wirken des Repressionssystems der SED lässt sich nicht allein mit der Fokussierung auf die Stasi und die StasiUnterlagen vermitteln.

Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt für die Landesbeauftragte ist die Opferberatung, die nach wie vor noch nicht abgeschlossen ist. Die Unrechtserfahrungen wirken auch 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur fort. In jüngster Zeit sind auch immer wieder neue Fälle von Unrecht bekannt geworden, die in der DDR mit Billigung oder gar auf Anweisung staatlicher Organe geschehen sind.