Gestatten Sie mir, noch einen Hinweis zu geben: Wenn die Justizministerin dieses Landes auf die Rechtslage, die auch in diesem Haus unstrittig ist, und auf die von uns allen gewollte Resozialisierung hinweist, auf die auch diese Menschen einen Anspruch haben, auch in Sachsen-Anhalt, dann ist das eben nicht als Sonntagsrede abzutun. Auch das will ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen.
„Insgesamt zeigen die Probleme der Resozialisierung in Insel, dass ein schlüssiges und gesellschaftlich akzeptiertes Gesamtkonzept für diesen Bereich noch zu erarbeiten ist.“
Deswegen bleibt die Insel-Lösung zwar eine Lösung, sie ist aber kein Muster für künftige Fälle. Auch daraus zieht diese Entschließung unserer Fraktionen ihren Mehrwert. Wir sollten bei dieser sachlichen Grundlage bleiben, sehr geehrte Frau Kollegin Dalbert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der jetzt schon sehr emotionalisierten Debatte werde ich mich bemühen, sachlich zu bleiben. Aber ich möchte auch das sagen, was zu sagen ist.
Wenn ich heute in der „Mitteldeutschen Zeitung“ lese „Sieg der Straße“, dann kann ich dem schwerlich etwas entgegensetzen. Die Betroffenen haben - das wissen wir jetzt - schriftlich ihre Bereitschaft erklärt wegzuziehen, und zwar gegenüber dem Kirchenmann Kleemann und nicht gegenüber dem
Vernünftig war das, was über Wochen hinweg in Insel geschah, nicht. Ich erlaube mir, aus einem der Leserbriefe von Herrn Tschiche - er ist vielen im Haus noch bekannt - zu zitieren:
„Wer die Spielregeln des freiheitlichen Rechtsstaates nicht beachten will, fordert willentlich oder unwillentlich eine andere Republik, in der Stimmungen und nicht gültiges Recht über das Schicksal von Menschen entscheiden. Die Verweigerungshaltung von Politikern und der Bevölkerung vor Ort zeugt von fehlender Toleranz und fehlender Bereitschaft, ehemaligen Straftätern bei der Reintegration in die Gesellschaft behilflich zu sein.“
Ich bin sehr froh darüber - das ist bereits ausgeführt worden -, dass der vorliegende Entschließungsantrag gestern in diesem Haus in einem breiten Konsens zustande kam.
Es ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar, dass politische Akteure vor Ort zu Äußerungen neigen wie: Das sind nicht die gleichen Menschen wie wir. - Gemeint sind die beiden ehemaligen Sicherungsverwahrten.
Es muss nicht wundern, dass Rechtsextreme das als Aufforderung verstehen, auf diesen Zug aufzuspringen. Wenn diese dann - das ist bereits gesagt worden - auch noch als Gäste begrüßt werden, dann ist das unerhört und rüttelt an den Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Und wenn dann noch Ultimaten an die Landesregierung gerichtet werden in dem Sinne: „Wenn die nicht bis 15. Oktober hier weg sind, marschieren wir durch den Ort“, dann ist das ungehörig.
Meine Damen und Herren! Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Gerade wir im Osten können es nicht hoch genug schätzen. Aber sie findet ihre
Grenze dort, wo sie dazu missbraucht wird, andere auszugrenzen. Dass ein Dorf sich wehrt, wenn am Rand des Dorfes eine Schweinemastanlage gebaut werden soll, mag angehen. Es geht aber nicht an, dass demonstriert wird, weil quasi beschlossen worden ist, diejenigen auszuschließen, deren Nase einem nicht passt.
Meine Damen und Herren! Den Vorwurf, die Justizministerin habe nicht das Notwendige unternommen, möchte ich namens meiner Fraktion zurückweisen.
Man kann darüber streiten, ob es hilfreich gewesen wäre, von Anbeginn die regionalen Akteure zu informieren. Ich habe nach dem, was gelaufen ist, jedoch Zweifel daran, dass eine frühzeitige Information die Abläufe in Insel wirklich anders hätte gestalten können. Einen Willen, etwas für die Integration zu tun, Begegnungen und nicht Demonstrationen zu organisieren, habe ich dort nicht hinreichend wahrnehmen können.
Richtig war auch, dass Frau Ministerin Kolb in dieser Situation zur Besonnenheit gemahnt und für Entgegenkommen geworben hat. Der Versuch, ihr quasi den Schwarzen Peter zuzuschieben und zu sagen, man müsse den Fall noch einmal juristisch prüfen, die Herren stünden unter Führungsaufsicht, der Ort könne verändert werden, das sei eine Sache der Justiz - so sind Sie in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zitiert worden, Herr Stahlknecht -, funktioniert nicht. Wir beide wissen, dass die Justiz unabhängig ist und nicht darauf wartet, von der Politik diesbezüglich Ratschläge zu bekommen.
Wir wissen auch, dass eine andere Entscheidung in der Sache nur hätte ergehen können, wenn die Betreffenden ihre Auflagen nicht erfüllt hätten. Aber sie erfüllen ihre Auflagen. Insoweit wird man gegen ihren Willen - auch mit einer gerichtlichen Entscheidung - die Sache jedenfalls nicht anders lösen können.
Nun haben wir seit gestern Abend diese Erklärung, die Bereitschaft wegzuziehen. Dass es ihre eigene, freiwillige und selbstbestimmte Entscheidung war, daran darf man zumindest zweifeln.
Möge, wenn sie jetzt gehen - Herr Kleemann ist so zitiert worden -, in Insel wieder der Frieden einkehren. Dem Gemeinwesen ist damit jedenfalls ein Bärendienst erwiesen worden.
jahrelang dazu beigetragen hat, dass solche Einstellungen und Haltungen, wie sie in Insel offenkundig wurden, befördert worden sind. Ich nehme meine Partei dabei nicht aus. “Wegschließen, und zwar für immer“, hat mal ein SPD-Bundeskanzler gesagt.
und Politik hat in der Folgezeit gehörig nachvollzogen, was gewissermaßen Volkes Seele war. Der Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung wurde erweitert, ihre zeitliche Geltung wurde ausgeweitet, zu guter Letzt wurde sie sogar für Jugendliche eingeführt.
Es bedurfte erst einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - ich betone: für Menschenrechte -, um der deutschen Rechtspraxis einen Riegel vorzuschieben. Das Bundesverfassungsgericht hat daran anknüpfend das gesamte System der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt und quasi einen Neuanfang gefordert. Es gibt ziemlich klare Vorgaben, was den Vollzug von Strafhaft und auch, soweit erforderlich, der anschließenden Sicherungsverwahrung betrifft, nämlich: Resozialisierung, Behandlungsvollzug. Ich will nur die Stichworte nennen.
Daraus erwachsen für uns zwei Aufgaben. Das eine ist klar: Wir müssen die Gesetze jetzt erarbeiten - das ist auf dem Weg, ist heute aber nicht das Thema -, das Strafvollzugsgesetz und Festlegungen, wie wir die Sicherungsverwahrung künftig handhaben wollen. Zweitens - das scheint mir in der heutigen Debatte das Entscheidende zu sein - müssen wir durch politisches Handeln dazu beitragen, dass in dieser Gesellschaft ein Klima entsteht, in dem diejenigen, die nach der Verbüßung der Haftstrafe wieder auf freiem Fuß sind, auch unsere Mitbürger sind, und wir haben dazu beizutragen, sie zu reintegrieren.
Daher unterstütze ich den Antrag, wie er vorliegt, nachdrücklich. Er setzt die richtigen Schwerpunkte. Er ist aber auch ein Stück Selbstverpflichtung für uns alle. Ich darf Sie bitten, ihm mit großer Einmütigkeit zuzustimmen. - Vielen Dank.
Herr Kollege Dr. Brachmann, vielen Dank für Ihre Rede. Es gibt eine Anfrage. Möchten Sie diese beantworten? - Herr Kollege Weigelt, bitte.
Herr Kollege Brachmann, Sie waren an einer Stelle Ihrer Rede sehr undifferenziert und ich möchte nachfragen.
Würden Sie einer Dorfgemeinschaft für den Fall, es würden sich, wie es geschehen ist, in einem Dorf Rechtsradikale mit einem Schulungsobjekt einnisten wollen, zubilligen, dass die Menschen demonstrieren und laut argumentieren: „Wir wollen euch hier nicht, verschwindet von hier“?
Ich danke für die Nachfrage, da sie ein Problem offenkundig macht. Es sind zwei verschiedene Paar Schuhe, wofür ich das Demonstrationsrecht nutze.