Protocol of the Session on October 6, 2011

Bis dahin müssen wir insbesondere die Tarifparteien weiterhin dabei unterstützen, sich für Branchenmindestlöhne zu engagieren. Nur so können wir sie festlegen. Sie gelten dann für alle Arbeitnehmer, die in dieser Branche tätig sind. Ich glaube, das ist der Weg, den wir zurzeit gehen können. Das Weitere wird die Zukunft bringen.

Was den gesetzlichen Mindestlohn angeht, kennen Sie die Position der SPD. Ich rede an dieser Stelle für die Landesregierung. Wir tun, was machbar ist. - Danke schön.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Minister. - Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Latta.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen den Antrag auf Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen. Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE geht weiter, da sie zusätzlich den gesetzlichen Mindestlohn fordert.

Die Tarifautonomie ist für uns ein hohes Gut. Sie hat sich bewährt bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise und hat dazu beigetragen, dass Gewerkschaften und Betriebsräte gemeinsam mit den Arbeitgebern verantwortbare Lösungen gefunden haben - ein Grund mehr, die schleichende Erosion der Tariflandschaft anzuprangern.

Es ist offenkundig: Die Tarifautonomie funktioniert nicht mehr in allen Branchen. Sie muss nach unserer Überzeugung politisch gestützt werden.

Darüber hinaus wollen wir das Arbeitnehmerentsendegesetz für alle Branchen öffnen, um bürokratische Hürden für Branchenmindestlöhne abzubauen.

Ob solche branchenbezogenen Lohnuntergrenzen notwendig sind oder nicht, sollen die Tarifpartner ganz im Sinne der Tarifautonomie selbst entscheiden. Damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können, fordern wir einen längst überfälligen gesetzlichen Mindestlohn als Lohnuntergrenze.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Zur Stärkung der Tarifautonomie brauchen wir soziale Leitplanken, damit die Löhne entsprechend der Produktivitätsentwicklung wieder steigen und der Trend zu Niedriglöhnen gestoppt wird. Dann können die tariftreuen Betriebe auch wettbewerbsfähig bleiben. Tarifflucht soll sich dagegen nicht mehr lohnen.

Wir stehen dem Änderungsantrag positiv gegenüber und werden sehen, wie sich die Abstimmung entwickelt. - Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rotter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Damit

sich Sachsen-Anhalt zu einem attraktiven Standort für wirtschaftlich starke Unternehmen entwickeln kann, in denen qualifizierte Fachkräfte beschäftigt sind, brauchen wir eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen.

Ich gebe jedem ausdrücklich Recht, der feststellt, dass Lohndumping und unfairer Wettbewerb in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen. Ein gerechter, angemessener, der Würde der Arbeit entsprechender Lohn muss das Ziel jeder Lohnfindung sein. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen einen gerechten Lohn, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien bestreiten zu können.

In der Höhe des Lohnes kommt aber auch - das ist wirklich nicht unerheblich - die Anerkennung und Wertschätzung der geleisteten Arbeit zum Ausdruck. Von Arbeit muss man leben können.

(Frau Rogée, DIE LINKE: Genau!)

Durch einen branchenbezogenen Mindestlohn schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Lohndrückerei und Lohndumping. Damit schützen wir aber auch Unternehmen vor ruinöser Konkurrenz. Wir sichern einen fairen Wettbewerb, der über Qualität, Leistung und Innovation ausgetragen wird. Dabei muss über einen entsprechenden Ordnungsrahmen sichergestellt werden, dass die Lohnhöhe nicht der entscheidende Wettbewerbsparameter zwischen den Unternehmen ist. Nicht derjenige, der die niedrigsten Löhne zahlt, soll sich im Wettbewerb am besten behaupten können, sondern derjenige, der die besten Produkte und die beste Qualität bietet.

(Zustimmung von Frau Rogée, DIE LINKE - Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Völlig richtig, Herr Rotter!)

- Ja. - Schmutzkonkurrenz - darin sind wir uns, glaube ich, einig - darf nicht siegen. Wir brauchen eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf möglichst alle Branchen, damit Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festgelegt werden können.

Diese zwingend zu erfüllenden Arbeitsbedingungen müssen in einem nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes oder durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgelegt worden sein.

Die allgemeinverbindlichen wettbewerbsrelevanten tariflichen Arbeitsbedingungen wie das Mindestentgelt - also der Mindestlohn - einschließlich der Überstundensätze, der Mindestjahresurlaub, die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, die Sicherheit, der Gesundheitsschutz, die Hygiene am Arbeitsplatz, die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerin

nen sowie von Kindern und Jugendlichen, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und die anderen Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung gelten für ausländische Arbeitgeber und ihre in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer und für inländische Arbeitnehmer zwingend.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Steppuhn hat in seinem Redebeitrag einige Branchen erwähnt, in denen Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz vereinbart und umgesetzt worden sind. Es ist bemerkenswert, dass dies in lediglich einer Branche durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfolgt ist, in allen anderen Branchen aber durch Rechtsverordnung. Das sollte zum Nachdenken anregen, da dieser Umstand aus meiner Sicht auf den Organisationsgrad sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber schließen lässt.

Kurz zur Erklärung: Der Bundesminister bzw. die Bundesministerin für Arbeit und Soziales kann die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages durch Rechtsverordnung herstellen, auch wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber weniger als die Hälfte der im Wirkungsbereich des Tarifvertrages tätigen Arbeitnehmer beschäftigen; für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz ist jedoch mindestens die Hälfte erforderlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist in unser aller Interesse, einen möglichst hohen Organisationsgrad sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber zu erreichen. Dafür möchte ich werben. Der Nutzen für beide Seiten liegt auf der Hand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, dass der Staat gänzlich ungeeignet ist als Instanz zur Festlegung von Löhnen ist. Er ist aber durchaus geeignet als Instanz zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Er darf sich auf keinen Fall zum Anwalt derer machen, die den Arbeitsmarkt nur als Teil des Spiels von Angebot und Nachfrage betrachten.

(Zustimmung von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Auch aus diesem Grund bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Rotter. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Rogée.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausweitung des Entsendegesetzes wird von unserer Fraktion selbstverständlich unterstützt; so haben wir es in unserem Änderungsantrag auch formuliert. Wir sind der Meinung, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen einfach zu kurz gesprungen

ist. Das hat die Kollegin von den GRÜNEN schon gesagt.

Der Antrag bezieht sich insbesondere auf die Einführung von Branchenmindestlöhnen, wenn sich die Tarifvertragsparteien darauf verständigt haben - so steht es in dem Antrag. Wir wollen das Augenmerk auch auf den nicht tarifgebundenen Beschäftigtensektor erweitern. Deshalb fordern wir die Landesregierung erneut auf - wir tun das nicht zum ersten Mal -, sich auf der Bundesebene für einen gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

In Deutschland sind knapp 40 % der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen tätig, bei 60 % der Beschäftigten ist dies nicht der Fall. Das ist ein Verhältnis, das man sich immer wieder vergegenwärtigen muss. Darum wollen wir gesetzliche Mindestlöhne haben. Ansonsten bin ich natürlich dafür, den Organisationsgrad zu erhöhen. Ich würde auch gern eine Debatte darüber führen, aber dafür reicht meine Zeit heute garantiert nicht aus.

Die Zahl der Niedriglohnempfänger wächst trotz Fachkräftemangels und trotz Wirtschaftsaufschwungs stetig. Der Chef der Landesarbeitsagentur Herr Senius gibt die Zahl derjenigen, die trotz Erwerbstätigkeit Hartz-IV-Leistungen beziehen, für Sachsen-Anhalt mit 69 000 an. Das ist vergleichsweise hoch. Das sind übrigens 2 000 Personen mehr als im Jahr 2008. Die Zahl dieser Personen ist also weiter gestiegen, obwohl vom Entsendegesetz etwa 3 Millionen Menschen erfasst werden; Herr Steppuhn hat es gesagt. Wenn ich mir vorstelle, dass noch die 7,5 Millionen Menschen hinzukommen, die im Niedriglohnbereich tätig sind, dann wird mir angst und bange. Ich möchte Sie bitten, sich diese Zahlen vor Augen zu halten.

Ja, wir wollen ein attraktives Sachsen-Anhalt. Zu einem attraktiven Sachsen-Anhalt gehört aber auch, dass für qualifizierte und hochwertige Arbeit Löhne und Gehälter gezahlt werden, die es den Beschäftigten ermöglichen, in Würde zu leben und zu arbeiten. Das gehört dazu.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Was bringt das Entsendegesetz uns im Osten? - Ich mache es nicht nur an Sachsen-Anhalt fest; denn es betrifft den Osten insgesamt. In fünf von zehn Branchen - Herr Steppuhn hat es gesagt - wird ein Lohn von weniger als 8 € pro Stunde gezahlt. Im Osten wird im Gebäudereinigerhandwerk, der Innen- und Unterhaltsreinigung, ein Stundenlohn von 7 € gezahlt, in der Geldbearbeitung - inklsive Berlin - 7,50 €, in der Pflegebranche 7,50 €, im Wach- und Sicherheitsgewerbe - inklusive Berlin - 7 € und für Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft 6,75 €.

Das, was die Arbeitnehmer ärgert, ist die Differenz zwischen Ost und West. Herr Bischof hat das angesprochen; auch er kann dies nicht nachvollzie

hen. Ich habe ein gutes Beispiel für diese Differenz mitgebracht: Die Beschäftigten in der Glas- und Fassadenreinigung bekommen im Osten einen Lohn von 8,88 € pro Stunde, im Westen von 11,33 €. Das ist eine Differenz von sage und schreibe 2,45 € beim Stundenlohn. Möglicherweise ist diese Differenz aber dadurch gerechtfertigt, dass die Kollegen im Westen die Fenster einfach klarer putzen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

- Das Beispiel habe ich mir nicht ausgedacht. - An diesem Beispiel wird deutlich, dass das Entsendegesetz nicht wirklich zu einer Beseitigung des Niedriglohnsektors führt. Vielmehr entlarvt es das Entsendegesetz als Feigenblatt zur Vermeidung einer Debatte über den gesetzlichen Mindestlohn. - Das muss ich Ihnen aber nicht erklären. Das wissen Sie genau so gut wie ich.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Rotter, CDU: Sie sind doch von der Gewerkschaft! Sie haben den Tarif doch ausgehandelt!)

Zwei Zahlen noch: 20 % der Menschen in Sachsen-Anhalt sind von Armut bedroht - das denke ich mir nicht aus; all das können Sie nachlesen - und das Einkommen der Menschen in Sachsen-Anhalt ist um 20 % geringer als das Bundesdurchschnittseinkommen.

Eines möchte ich noch loswerden: Ich erinnere Sie daran, dass sich die SPD vor Wahlen - wie in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin - eindeutig für einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € ausgesprochen hat. Wir übersehen auch nicht, dass auch in der CDU diese Stimmen lauter werden. Herr Bruchmüller soll Frau Merkel gesagt haben, dass man sich auch in der CDU um einen gesetzlichen Mindestlohn kümmern müsse; das habe ich heute in der Zeitung lesen können. Selbst die FDP soll das auf dem Plan haben.

(Herr Rotter, CDU: Eine Lohnuntergrenze, bitte!)

- Ja, das kann man sich alles anschauen. - ver.di hat sich auf seinem Kongress vor wenigen Tagen für einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen, und zwar beginnend mit 8,50 € und dann schnell steigend auf 10 €. Der DGB hat sich dafür im Mai ausgesprochen und die IG Metall wird sich auf ihrem Kongress am Ende des Jahres auch dafür aussprechen. 70 % der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wollen einen Mindestlohn. Geben Sie sich einen Ruck und unterstützen Sie unseren Antrag!