Lehrerinnen und Lehrer des Geschwister-SchollGymnasiums Zeitz als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung. Herzlich willkommen!
Ebenfalls begrüßen wir Schülerinnen und Schüler des Norbertusgymnasiums Magdeburg. Herzlich willkommen im Haus!
Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächste hat Frau Kollegin Dirlich, Fraktion DIE LINKE, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, selten ist von der SPD in diesem Hohen Hause so viel Selbstkritik zu hören gewesen.
Denn man muss immer wieder einmal die Frage stellen dürfen: Wer hat’s erfunden? Wer hat denn Hartz IV damals eingeführt? - Wenn ich mich recht erinnere, waren das SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Trotzdem war ich zunächst einmal erstaunt, und zwar über mich selbst; denn offensichtlich kann ich selbst nach so vielen Jahren in der Politik noch immer überrascht werden. Ich war in der Tat überrascht, und zwar von dieser Aktuellen Debatte, umso mehr, als wir in der Juli-Sitzung das Thema auf der Tagesordnung hatten und wir eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Veränderung gemacht und auch Forderungen aufgestellt haben. Der Beschluss, den der Landtag am Ende gefasst hat, hat aber lediglich ein paar wenige Forderungen aufgenommen.
Richtig platt war ich dann aber, als ich die Begründung zu der Aktuellen Debatte und die Pressemitteilung der SPD gelesen habe. Was wird da nicht alles angemahnt: ein stärkeres Augenmerk auf Bildungsaspekte und eine zukunftsträchtige Sicherung von Fachkräften. Die Kürzungen für Eingliederungsleistungen und bei der Trägerpauschale werden beklagt.
Alle diese Forderungen hatten wir in unserem Antrag aufgezeigt. Aber nichts davon hat den Beschluss des Landtages erreicht.
In einer Aktuellen Debatte, die bekanntermaßen keine parlamentarischen Folgen nach sich zieht, kann man sich ja dann wieder einmal richtig ausweinen.
Aber seien wir nachsichtig: Tatsächlich hätten und haben auch noch so starke Argumente keinerlei Erfolg gehabt. Nicht die Erfahrungen der Praktiker, wie zum Beispiel vom Verband Deutscher Privatschulen, nicht die Mahnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und nicht einmal die Beschlüsse des Bundesrates haben zu substanziellen Änderungen geführt.
Völlig benebelt von den sogenannten Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt hat die Arbeitsministerin keinen Einwand gelten lassen. Nicht einmal die Diskrepanz zwischen den Klagen über den Fachkräftemangel und den dennoch sinkenden Mitteln für die Umschulung und Weiterbildung ist den Protagonistinnen und Protagonisten dieses Gesetzes aufgefallen.
Noch immer gibt es keine Lösung des Problems der nicht verkürzbaren Ausbildungen in der Pflege oder anderen Gesundheitsberufen, obwohl die Praxis gezeigt hat, dass gerade solche Ausbildungen auch älteren arbeitslosen Frauen und Männern eine reale Perspektive bieten.
Erstens. Ein erfolgreiches Instrument, nämlich die Unterstützung der frühzeitigen Berufsorientierung und Integration von Jugendlichen, wurde zwar nicht, wie gefordert, in den Instrumentenkatalog aufgenommen, aber immerhin bis 2014 verlängert. Bis dahin haben wir offenbar auch dieses Problem gelöst. Es bleibt spannend.
Zweitens. Bis zu 20 % der Mittel dürfen zur Erprobung innovativer Ansätze oder zur freien Förderung genutzt werden. Na, das ist doch einmal was!
Länger dauert allerdings die Aufzählung aller derjenigen Forderungen, die von der Bundesregierung ignoriert oder sogar strikt abgelehnt worden sind.
Wir haben es im SGB III fast nur noch mit Ermessensleistungen zu tun. Worin dieses Ermessen besteht, wenn immer weniger Mittel zur Verfügung stehen, kann sich jeder selbst ausmalen. Zumindest wird dieses Ermessen zusammen mit den Eingliederungsleistungen um 45 bis 55 % sinken. Wir haben den Minister gerade gehört.
Ortsübliche oder gar tarifliche Entlohnung ist nach wie vor kein Kriterium für die Vermittlung in freie Arbeitsplätze. Öffentlich geförderte Beschäftigung wird immer mehr zur Randnotiz der Arbeitsförderung - ich frage mich, ob das eigentlich noch so heißt; denn diesen Namen verdient es nicht -, obwohl gerade sie sehr wohl einen Beitrag zur Stabilisierung von Arbeitslosen, besonders von Langzeitarbeitslosen, aber auch zur Integration dieser Menschen in die Gesellschaft geleistet hat, auch wenn es nicht oft zu einer Dauerbeschäftigung im ungeförderten Bereich geführt hat - ein Vorwurf übrigens, den sich Lohnkostenzuschüsse oder so
genannte Eingliederungszuschüsse nicht gefallen lassen müssen. Dadurch werden Arbeitsplätze in der Wirtschaft gefördert. Dass aber auch diese Arbeitsplätze in vielen Fällen nicht aus der Hilfsbedürftigkeit herausführen, weil die Betroffenen noch immer aufstockende Leistungen beziehen müssen, bleibt geflissentlich unerwähnt. Auch dass die Arbeit oft genug nur befristet ist und relativ schnell wieder endet, bleibt geflissentlich unerwähnt.
Unbegreiflich ist in diesem Zusammenhang die Neugestaltung des Gründungszuschusses; Herr Steppuhn hat das bereits erwähnt. Das war nachweislich ein durchaus erfolgreiches Instrument, wenn es darum ging, Arbeitslosen zu einer eigenen Existenz zu verhelfen.
Gründungswillige hatten bisher immerhin neun Monate lang Zeit, ihre Existenz zu stabilisieren. Jeder, der sich auch nur im Geringsten einmal damit beschäftigt hat, weiß, wie kurz neun Monate, also ein Dreivierteljahr, für ein solches Vorhaben sind. Jetzt sollen sie innerhalb von sechs Monaten auf die Füße kommen. Danach kann dann zwar weiter gefördert werden und die verlängerte Förderung wurde ausgeweitet. Aber wer zu wenig Erfolge aufweisen kann, wird so schnell wie möglich wieder hinausgekickt.
Und obwohl wohl der Geldmangel die meisten Änderungen des Gesetzes diktiert hat, wird der Vorschlag des Bundesrates, die aktiven und passiven Leistungen wenigstens teilweise deckungsfähig zu machen, das heißt, passive Leistungen des Regelsatzes für die Finanzierung von Maßnahmen der Aktivierung mit heranzuziehen und so den Spielraum des Eingliederungstitels etwas zu erweitern, glatt vom Tisch gewischt.
Den Empfängerinnen der Grundsicherung werden noch weniger Leistungen angeboten. Die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante zum Beispiel, die zumindest noch eine relativ marktnahe Ausgestaltung hatten, fallen ebenfalls weg. Damit wird die Spaltung der Arbeitslosen unter sich weiter vertieft.
Die Spaltung des Arbeitsmarktes selbst - Fachkräftemangel auf der einen Seite und verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit auf der anderen Seite - wird nicht ernsthaft angegangen. Dazu wären sogenannte Förderungsketten notwendig, aber diese werden von der Bundesregierung ausdrücklich kritisiert und abgelehnt.
Auch die zusätzlichen Beschränkungen bei der Ausgestaltung der Arbeitsgelegenheiten werden die Marktferne der geförderten Arbeit noch vertiefen, statt sie zu beseitigen. In Zukunft wird es eine noch strengere Auslegung der Begriffe „Zusätzlichkeit“, „öffentliches Interesse“ und „Wettbewerbsneutralität“ geben, die noch mehr Arbeiten unmöglich machen wird.
Nicht zuletzt sind die viel zu niedrigen Trägerpauschalen zu nennen, die eine qualitativ hochwertige Arbeit mit den Langzeitarbeitslosen verhindern sowie die Betreuung und Begleitung ausschließen werden. Das wird nicht nur zu einem Trägersterben führen, es wird vor allem die erfahrenen Akteure der Arbeitsmarktpolitik regelrecht vertreiben.
Die Landesregierung sieht das übrigens ganz anders. Auf eine entsprechende Kleine Anfrage unserer Fraktion antwortete sie im August 2011:
„Die Landesregierung geht nicht davon aus, dass zukünftig in den Landkreisen und Kommunen keine Erfahrungsträger der Arbeitsmarktpolitik mehr zur Verfügung stehen werden.“
Aber wenn qualifizierte Kräfte bei den Trägern nicht mehr bezahlt werden können, weil es die Trägerpauschalen nicht mehr hergeben, dann werden sie sich wohl ein anderes Betätigungsfeld suchen und eben nicht mehr für Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.
Damit sind wir bei den Folgen. Projekte, die auf geförderte Arbeitnehmerinnen angewiesen sind, werden den Bach hinuntergehen. Das betrifft zum Beispiel die Ökostation Neugattersleben. Sie musste sich jahrelang vorwerfen lassen, dass sie auf geförderte Arbeitnehmerinnen angewiesen ist. Noch ein Vorwurf übrigens, den sich Wirtschaftsunternehmen, die geförderte Arbeitnehmerinnen beschäftigen, nicht gefallen lassen müssen.
Vor allem aber werden die Langzeitarbeitslosen selbst Verliererinnen und Verlierer dieses Gesetzes sein. Ihnen werden noch weniger Chancen für die Eingliederung und für die Teilhabe am Arbeitsleben geboten. Und das, meine Damen und Herren, ist kein guter Tag für Sachsen-Anhalt, schon gar nicht in unserer Situation. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dirlich. - Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Rotter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem der Kollege Steppuhn und auch die Kollegin Dirlich in einem - ich will es einmal so nennen - FastRundumschlag ausgemalt oder prophezeit haben, welche Katastrophe das Gesetz zur Verbesserung
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt für Sachsen-Anhalt sei, will ich aus der Sicht der CDU-Fraktion deutlich machen, wie wir dieses Gesetz bewerten.
Zunächst gilt es, wie das bereits Herr Minister Bischoff getan hat, festzuhalten, dass der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt in einer so guten Verfassung wie schon seit 20 Jahren nicht mehr ist.
Leider haben Sie, hoch verehrter Kollege Steppuhn, dies in Ihrem Redebeitrag aus meiner Sicht völlig ignoriert. Dies gilt auch für Sie, Kollegin Dirlich, wenn Sie von sogenannten Erfolgsmeldungen am Arbeitsmarkt sprechen; denn - Gott sei Dank - sind diese Erfolgsmeldungen real.
Herr Minister Bischoff, es ist aber auch richtig, dass die Perspektiven für die Langzeitarbeitslosen in unserem Bundesland nach wie vor und trotz dieser Erfolgsmeldungen nicht rosig sind.
Nach der Jobcenterreform und der Leistungsrechtsreform handelt es sich bei dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt um das dritte arbeitsmarktpolitische Reformvorhaben der Bundesregierung.
Die Notwendigkeit der Reform ergibt sich unabhängig von Sparanstrengungen und der guten Konjunktur aus der Auswertung der Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente; denn die Prüfung hat ergeben, dass bislang nicht alle vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente den gewünschten Erfolg hatten. Daher teile ich die Einschätzung des Kollegen Steppuhn, diese Reform folge einer reinen Sparlogik, ausdrücklich nicht.