Protocol of the Session on April 19, 2011

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag von Sachsen-Anhalt ist am 20. März 2011 durch die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger des Landes neu gewählt worden. Ich heiße Sie alle zur heutigen konstituierenden Sitzung des Landtages, zu der ich gemäß Artikel 45 Abs. 1 Satz 2 unserer Landesverfassung in meiner Verantwortung als Präsident des Landtages der fünften Wahlperiode eingeladen habe, auf das Herzlichste willkommen.

Meine Damen und Herren! Seitdem sich die Parlamente in Revolutionen aus der Fürsorge der Herrschaftshäuser gelöst haben, benötigen sie nach ihrer Neuwahl einige Starthelfer, damit sie sich im Rahmen ihrer Autonomie ohne Hilfe von außen solide selbst organisieren können. So entstand während der Französischen Revolution das Amt des Alterspräsidenten. Im deutschsprachigen Raum zog es nach der Revolution im Jahr 1848 erstmals in die Frankfurter Paulskirche, in die Nationalversammlung ein und wurde dann zu einer deutschen parlamentarischen Tradition. Mit der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 wurde dieses Amt mit dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes abgeschafft.

Meine Damen und Herren! Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass das Haus wie bisher stets seit 1990 auch in dieser konstituierenden Sitzung zunächst durch das an Lebensjahren älteste Mitglied des Landtages geleitet werden soll.

Die Landtagsverwaltung hat ermittelt, dass ich das älteste Mitglied des Landtages bin. Ich bin am 11. Februar 1944 in Biere bei Schönebeck geboren. Am 20. März 2011 wurde ich im Wahlkreis 13 in Magdeburg zum dritten Mal direkt in den Landtag gewählt. Somit erfülle ich sicherlich alle Voraussetzungen für das Amt des Alterspräsidenten.

Vorsorglich muss ich natürlich in den Raum fragen: Meine Damen und Herren, ist jemand älter als ich?

(Heiterkeit)

Es meldet sich niemand, meine Damen und Herren. Dann ist das offenkundig nicht der Fall und ich habe die ehrenvolle Pflicht, dieses wunderbare Amt zu übernehmen.

Meine Damen und Herren! Ich eröffne damit offiziell die erste Sitzung des Landtages der sechsten Wahlperiode. Mein Gruß gilt zunächst all jenen, die erneut oder zum ersten Mal als Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt gewählt worden sind. Ich spreche Ihnen zu Ihrer Wahl meine herzlichsten Glückwünsche aus.

Mein Blick wendet sich beiden Tribünen zu. Ich begrüße alle Gäste des Landtages, die unserem neu

gewählten Landesparlament durch ihre Anwesenheit Reverenz erweisen.

(Beifall im ganzen Hause)

Stellvertretend für alle begrüße ich Herrn Professor Dr. Adolf Spotka, der diesem Hause von 2002 bis 2006 als Präsident vorstand.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich begrüße sehr herzlich den scheidenden Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Herrn Professor Dr. Böhmer.

(Lebhafter Beifall im ganzen Hause)

Ob in parlamentarischen oder in exekutiven Ämtern - Sie haben dieses Haus auf ganz unverwechselbare Weise geprägt. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass Sie unserem Treiben hier im Parkett mit ein wenig Wehmut zuschauen. Umso mehr freue ich mich, dass Sie meine Einladung angenommen haben und mit Ihrer werten Gattin heute hier sind. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Ich begrüße auch ganz herzlich die Vertreter der dritten Gewalt, unseres Landesverfassungsgerichts.

Den Bischöfen und dem Herrn Kirchenpräsidenten danke ich für den eindrucksvollen ökumenischen Gottesdienst aus Anlass der Konstituierung des Landtages heute Morgen. Manches von dem, was Sie uns mit auf den Weg gegeben haben, hallt sicherlich noch in uns nach.

Ich begrüße weiterhin alle anwesenden Repräsentanten der Gesellschaft Sachsen-Anhalts, die auf Einladung der Fraktionen unter uns weilen.

Schließlich, meine Damen und Herren, begrüße ich die Vertreterinnen und Vertreter der Medien. Wir alle, die wir hier sitzen, wissen, dass wir auch in den vor uns liegenden fünf Jahren fest auf Ihre kritische und in aller Regel auch faire Begleitung unserer Arbeit bauen können. Ihnen, meine Damen und Herren, und allen Gästen unseres Hauses nochmals ein herzliches Willkommen!

Gestatten Sie, dass ich nun vom Recht des Alterspräsidenten Gebrauch mache, mich mit einigen persönlichen Gedanken an das Haus und an die Menschen in unserem Land zu wenden.

Meine Damen und Herren! Aus Alter erwächst ja bekanntlich möglicherweise Erfahrung. Vielleicht baut auch das Institut der Alterspräsidentschaft auf eine mit den Lebensjahren wachsende Weisheit. Ich jedenfalls werde versuchen, dem zu entsprechen.

Mir ist bewusst, dass ich als scheidender Landtagspräsident nicht die Aufgabe habe, eine Grundsatzrede zu halten. Aber auch Adenauers Kurzrede aus dem Jahr 1965 als Alterspräsident des

Deutschen Bundestages - sie soll ganze 68 Worte umfasst haben - wird nicht mein Maßstab sein.

Meine Damen und Herren! Politische Mandate und Ämter werden in der Demokratie immer nur auf Zeit vergeben. Wir alle wissen das. Deshalb gehört es zu den Kernkompetenzen der Profession des Politikers, mit den Auswirkungen von Wahlentscheidungen umzugehen. Auf Zeit vergebene Mandate bringen es mit sich, dass einige unter uns dem Hause seit langem angehören; andere wiederum sind zum ersten, zweiten oder dritten Mal als Abgeordnete gewählt worden. 32 von Ihnen treten heute das Mandat erstmalig an.

Von hier oben in zahlreiche bekannte, aber auch in viele neue Gesichter zu schauen, meine Damen und Herren, das freut mich. Es macht mir Mut, dass sich so viele bereit erklärt haben, für unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung einzutreten.

Ich kann nur darum werben, diese Mischung aus bewährten parlamentarischen Kämpen und den neuen unverbrauchten politischen Talenten ohne allzu langes gegenseitiges Beschnuppern wirksam werden zu lassen. Wir brauchen die reichhaltigen Erfahrungen der einen genauso wie die frischen Ideen und Konzepte der anderen. Ich bitte Sie, dass sich die Erfahrenen unter uns den Kolleginnen und Kollegen gegenüber offen zeigen. Das sollte aber auch umgekehrt der Fall sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vergessen wir nicht: Wir sind für die Bürgerinnen und Bürger da, und nicht umgekehrt. Wir sind letztendlich von ihnen gewählt und in dieses Parlament geschickt worden.

Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr haben wir den 20. Jahrestag der Wiedererrichtung unseres Landesparlaments gefeiert. Von den 106 Männern und Frauen, die am 28. Oktober 1990 in der Dessauer Philipp-Becker-Kaserne dabei waren und die das Land und den Landtag nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes wieder neu aufbauten, sind nur noch sieben Abgeordnete unter uns, die dem Haus seitdem ununterbrochen angehören.

Damals noch nicht in der ersten Reihe stehend haben sich inzwischen etwa Katrin Budde, Jens Bullerjahn oder Jürgen Scharf in herausgehobener parlamentarischer oder exekutiver Verantwortung um unser Gemeinwesen verdient gemacht. Manche stehen - Detlef Gürth wird es erfahren - kurz vor diesem Schritt.

Der Staffelstab der politischen Verantwortung wird nun unaufhaltsam weitergegeben. Nehmen Sie ihn an, halten Sie ihn fest in Ihren Händen, klammern Sie sich allerdings nicht an ihn, wenn der Moment des Loslassens gekommen ist. Dieser Moment, meine Damen und Herren, kommt zwangsläufig. Die Wahl im Land und auch die Richtungsent

scheidungen in Parteien und Fraktionen sorgen für diesen ständigen Wechsel.

Ich möchte noch kurz bei dem Stichwort Wahlen verharren. Zum Wahlergebnis ist vieles gesagt worden. Seine politischen Konsequenzen werden den Landtag heute zu ersten personellen Entscheidungen kommen lassen. Zahlreiche Sachentscheidungen werden dann natürlich folgen.

Dass die Wahlbeteiligung nach dem historischen Tief im Jahr 2006 zumindest wieder über die 50%Marke gestiegen ist, obwohl mancher etwas anderes prophezeit hatte, bleibt eine gute Botschaft, eine gute Nachricht. Trotzdem müssen wir uns immer wieder bewusst machen und mit dem Umstand leben, dass wir fast eine Million Wählerinnen und Wähler nicht zur Teilnahme an dieser Wahl motivieren konnten. Sie werden sicherlich ihre Gründe gehabt haben. Für politisch desinteressiert halte ich sie jedoch nicht. Sie wieder mitzunehmen, meine Damen und Herren, wird eine große Herausforderung für alle und eine Herausforderung für die Zukunft sein.

Meine Damen und Herren! Dass es der rechtsextremen NPD nicht gelungen ist, in den Landtag einzuziehen, begrüßen alle Demokraten.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich denke, dass vor allem die erstmals gemeinsam durch alle Spitzenkandidaten demokratischer Parteien vom Platz vor dem Landtag ausgesandte Botschaft „Wer nicht wählt, wählt rechts!“ beeindruckt und motiviert haben dürfte. Meine Bitte lautet: Bitte bewahren Sie sich diesen grundsätzlichen Konsens und beziehen Sie auch Stellung gegenüber jeglichen anderen extremistischen Bestrebungen.

Meine Damen und Herren! Wir müssen das Wahlergebnis gründlich analysieren und uns fragen, worauf die Gewinne der NPD vor allem bei jungen und bei sozial benachteiligten Menschen sowie die stabilen Werte in den regionalen Schwerpunkten dieser Partei basieren.

Weil Rechtsextremismus aber kein Randphänomen unserer Gesellschaft ist, können wir das Wahlergebnis nicht einfach abhaken und zur Tagesordnung übergehen oder uns etwa auf die Diskussion über ein erneutes Verbotsverfahren zurückziehen. So wichtig diese Verbotsdebatte ist, so wichtig ist es aber auch, den Blick auf die Ursachen der Anziehungskraft des Rechtsextremismus zu lenken.

Rechtsextreme haben die Mängel unserer Gesellschaft und die Räume fest im Blick, die die demokratische Gesellschaft und der Staat freigeben. Gerade dort verfangen die vermeintlichen Konzepte der Rechtsextremisten. Auch als scheidender Schirmherr des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz werbe ich darum, diese Räume immer

fest im Blick zu haben und unseren Blick immer wieder intensiv darauf zu lenken.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir müssen die Ideologie der Neonazis überall dort, wo wir ihr begegnen, mutig und entschlossen als das benennen, was sie ist: Eine Ideologie der Ungleichwertigkeit der Menschen, die ein Klima von Intoleranz, Unfreiheit und Angst erzeugt.

Wir müssen Initiativen und Projekte für Demokratie und Toleranz, in denen die Freiheit und die Würde eines jeden Einzelnen in demokratischer Verantwortung für das Ganze gelebt und erlebt werden können, weiter aktiv unterstützen. Dazu, meine Damen und Herren, rufe ich uns alle auf. Dazu brauchen wir alle Demokraten in unserem Lande.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete, überall entschlossen für unsere Verfassungsordnung Partei zu ergreifen. Wir müssen stets für unsere Werteordnung mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde in ihrem Kern Gesicht zeigen. Wir dürfen uns nicht wegdrehen und wegducken, wo Parteinahme nottut.

Unsere zentrale Verantwortung bleibt jedoch die Ausübung des uns auf Zeit übertragenen politischen Mandats. Natürlich zählt dazu unsere Aufgabe, hier im Parlament je nach dem Verständnis der uns durch die Wählerinnen und Wähler zugewiesenen Rolle in der Koalition oder in der Opposition gerecht zu werden. Wir müssen Entscheidungen fällen und dafür Sorge tragen, dass diese auch transparent und durchschaubar sind und dass es immer nachvollziehbare Verfahren werden.

Meine Damen und Herren! Auch das Verfahren stiftet letztendlich Vertrauen. Das gilt umso mehr, wenn Möglichkeiten der unmittelbaren Beteiligung betroffener Bürgerinnen und Bürger gegeben sind und auch genutzt werden.

Aber das ist längst nicht alles, meine Damen und Herren. Wir haben als Abgeordnete auch eine Vermittlungsaufgabe. Es ist kein ganz neuer Befund, dass wir in der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern womöglich noch besser, erfolgreicher und ganz sicher zeitgemäßer und vielleicht auch ein wenig fleißiger werden müssen.

Doch viele von uns sind bereits jetzt sehr engagiert und machen dies erfolgreich. Ich werbe dennoch dafür, dass sich jede und jeder von uns immer wieder fragt, wie sie oder er in der Kommunikation mit den Menschen unseres Landes besser werden kann. Auf der Beliebtheitsskala - das haben wir heute früh in der Andacht schon gehört - liegt ja der Politikerberuf nicht gerade an erster Stelle.