Protocol of the Session on December 10, 2010

Das würde pro Jahr aus dem Bundeshaushalt mehr kosten, als das so genannte Bildungspäckchen überhaupt an Geld beinhaltet, nämlich 1 Milliarde €.

(Zuruf: Ach nee!)

Wissen Sie, wie viel davon in den Haushalt des Bundes eingestellt ist? - Es sind 112 Millionen €.

Das heißt, man geht davon aus, dass diese Leistungen von fast 90 % der Betroffenen überhaupt nicht in Anspruch genommen werden. Das ist auch bei der Berechnung der Hartz-IV-Sätze die Differenz, die dann wieder zurückschlägt.

Das zweite Beispiel - ganz einfach -: Da sagt man, man nimmt bei dieser Reverenzgruppe einmal das, was die Leute zum Beispiel für den öffentlichen Personennahverkehr ausgeben, und das, was sie für ein Auto ausgeben. Nun wissen wir alle: Wer ein Auto hat, gibt kein Geld oder nur sehr wenig Geld für den ÖPNV aus.

(Zuruf von Herrn Stahlknecht, CDU)

Dann sagt man aber Folgendes: Wir rechnen einmal den Durchschnitt der ÖPNV-Ausgaben in dieser Personengruppe aus. Der ist natürlich niedriger als bei Leuten, die nur mit dem ÖPNV fahren können; denn darunter sind auch Leute, die ein Auto haben. Dann sagt man: Aber Auto fahren sollen Hartz-IV-Empfänger nicht.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Das bedeutet: Man nimmt das Geld für Benzin heraus, aber vergisst, die Dinge bei den ÖPNV-Kosten draufzuschlagen und geht von dem niedrigen Durchschnitt aus. So rechnet man sich die Welt zurecht, so trickst man sich die Welt zurecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dagegen protestieren wir auch an dieser Stelle.

(Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Ich will noch das abschließende Bewertungszitat aus dieser Studie der Diakonie vorlesen:

„Deutlich wird dabei, dass die im Entwurf der Bundesregierung vorgenommenen Abzüge bei der Ermittlung des Regelbedarfes nicht nur methodisch fragwürdig sind, sondern die Grenzen des ethisch Vertretbaren berühren oder überschreiten.“

Das ist die Position der Diakonie. Dieser Position schließen wir uns ausdrücklich an. Deswegen muss dieses Gesetz am 17. Dezember 2010 abgelehnt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

Ich danke Herrn Gallert für die Einführung. - Meine Damen und Herren! Nunmehr erteile ich der Landesregierung das Wort. Bitte schön, Herr Minister Haseloff.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieses Thema war schon mehrfach hier im Landtag auf der Tagesordnung. Deswegen verweise ich bezüglich der vielen einzelnen Fakten und Zahlen auf die vorliegenden Protokolle. Ich will an dieser Stelle bezüglich der ursprünglichen Fragestellung auch in dieser Debatte nur noch auf Folgendes Bezug nehmen:

Erstens. Die SGB-II-Gesetzgebung, weithin auch Hartz-IVReform genannt, ist nicht gescheitert. Das, was damals die rot-grüne Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und was nach den Verfahren im Vermittlungsausschuss auch im Bundesrat Zustimmung gefunden hat, hat sich grundsätzlich bewährt.

Das kann man auch daran festmachen, dass sich, allein wenn wir die letzten drei Jahre zugrunde legen, ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit insbesondere für Langzeitarbeitslose abgezeichnet hat, und zwar in Sachsen-Anhalt um 15,3 %, in Ostdeutschland um 12,9 % und in den alten Bundesländern um 5,1 %. Bei uns ist also der stärkste Rückgang zu verzeichnen. Das ist auch mit den Möglichkeiten und Instrumenten, die diese Gesetzgebung mit sich brachte, verbunden.

Zweitens. Die Reform ist auch deshalb nicht gescheitert, weil das Verfassungsgericht nicht gesagt hat, dass die Grundsätze dieser Sozialgesetzgebung infrage zu stellen sind. Es hat vielmehr lediglich gesagt, dass beim Installieren dieses Gesetzes vor mehr als fünf Jahren eine Komponente nicht ausreichend beachtet wurde, und zwar der zusätzlich erforderliche Bildungsanteil für junge Menschen, für Schülerinnen und Schüler, die in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben.

Dafür werden jetzt zusätzlich 580 Millionen € zur Verfügung gestellt, damit ein Zugang zum Beispiel zu Vereinen, zu Sport, zu Spiel, zu Kultur, zu Geselligkeit, zu Ferienfreizeiten, zu außerschulischen Bildungsangeboten gewährleistet ist, Schulmaterial, warmes Mittagessen und ähnliche Dinge zur Verfügung stehen sowie an Schul- und Kita-Ausflügen teilgenommen werden kann.

Ich denke, das ist so in Ordnung. Auch in der Arbeitsministerkonferenz hat man sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, dafür zu sorgen, dass die Finanzströme, die ab dem 1. Januar 2011 hierfür fließen werden, bei denen ankommen, für die sie gedacht sind, nämlich bei den Kindern selbst. Dafür ist jetzt viel Fantasie gefragt. Es sind durchaus viele Möglichkeiten aufrufbar, die man mit den Kommunen gemeinsam organisieren kann. Ich denke, es ist eine große Chance, einen entscheidenden Schritt weiterzukommen.

Des Weiteren ist an dieser Stelle Folgendes zu sagen: Ziel ist es nicht, dass Menschen, die in Hartz IV stecken, darin verbleiben. Wir wollen sie vielmehr aus der Arbeitslosigkeit herausholen. Das ist das Entscheidende.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der FDP)

Wir wollen diese Menschen aktivieren, qualifizieren und ihnen die Möglichkeit geben, im ersten Arbeitsmarkt Platz zu finden. Hierbei haben wir Erfolge zu verzeich

nen. Der Instrumentenkatalog ist gut geeignet gewesen, das zu unterstützen - neben der wirtschaftlichen Entwicklung, die in den letzten Jahren auch die Aufnahmefähigkeit deutlich erhöht hat.

Wir können auch sagen, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht vorrangig den marktnahen, also in Arbeitslosengeld I stehenden Personen zugute kam, sondern dass fast in gleichem Maße, fast im Verhältnis 1 : 1, auch die Langzeitarbeitslosen daran partizipiert haben. Das heißt, es gab keine Entkoppelung zwischen Arbeitslosengeld-I- und Arbeitslosengeld-II-Empfängern, sondern das ist hier synchron verlaufen.

Es war auch eine Befürchtung, als Rot-Grün dieses Gesetz damals in Gang gesetzt hat, dass es eine Spaltung der Betroffenen gibt. Das ist zumindest für SachsenAnhalt nicht festzustellen. Auch an dieser Stelle ist das, was vor fünf, sechs Jahren an negativen Prognosen abgegeben wurde, nicht eingetroffen. Das ist auch gut so.

Letzte Bemerkung an dieser Stelle. Wir haben eine besondere Zielgruppe identifiziert, bei der es besonders darauf ankommt, die Integrations- und Aktivierungsnotwendigkeit zu sehen und die Zahl der Angebote zu erhöhen. Es sind die 4 000 Bedarfsgemeinschaften, in denen beide Erwachsene in der Arbeitslosigkeit stecken und deren Kinder jeden Tag erleben, dass kein normaler, regulärer Arbeitsalltag stattfindet. Ein normaler Arbeitsalltag soll zumindest für einen der beiden Erwachsenen ermöglicht werden.

Deshalb haben wir mit den optierenden Landkreisen, den Argen, der Bundesagentur und den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, konkret für diese Bedarfsgemeinschaften Angebote vorzuhalten, damit wenigstens einer von ihnen Arbeit und Beschäftigung hat. Wir haben für die 4 000 Bedarfsgemeinschaften auch ausreichend Geld zur Verfügung gestellt, auch Mittel im Eingliederungstitel. Es ist also nicht eine Frage des Angebotes.

Wir merken aber, dass es aufgrund der Qualifikationsmerkmale und der Aktivierungsmöglichkeiten nicht ganz einfach ist, an diesen Stellen etwas zu bewegen. Trotzdem ist es in den letzten vier, fünf Monaten gelungen, immerhin schon 1 200 Bedarfsgemeinschaften in den entsprechenden Status zu heben, dass wenigstens ein Erwachsener in Beschäftigung ist. Das ist eine Absenkung des Betroffenheitsgrades an dieser Stelle um 30 %. Daran werden wir weiter arbeiten.

Unser Ziel ist, diese Zahl im nächsten Jahr noch weiter deutlich zu drücken und dabei auch die Möglichkeiten zu nutzen, die das SGB II mit sich bringt.

Die allerletzte Bemerkung zu der Frage nach dem Stand, wie sich die Landesregierung verhält: Es gibt dazu klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Wenn es unterschiedliche Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen gibt, in denen wir für die A- oder für die B-Seite vertreten sind, dann wird dies im Kabinett zu besprechen und eine Entscheidung für oder gegen das Gesetz zu treffen sein oder die Entscheidung, sich der Stimme zu enthalten, wenn man sich nicht einigt. Ich gehe davon aus, dass wir uns an dieser Stelle der Stimme enthalten werden. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von der Regie- rungsbank)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Wir treten in die Debatte ein. Als erste Debattenrednerin erteile ich für die SPDFraktion der Abgeordneten Frau Hampel das Wort. - Sie nicht? Wer macht es bei euch?

(Frau Grimm-Benne, SPD: Ich!)

- Ach, Frau Grimm-Benne. Ich rufe dann also nicht Frau Hampel, sondern Frau Grimm-Benne auf. Sie haben das Wort. - Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt, Frau Hampel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundespräsidium der SPD hat vor 14 Tagen Folgendes beschlossen:

(Oh! bei der CDU)

Die SPD wird diesem Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung in seiner jetzigen Form nicht zustimmen, weder im Bundestag noch im Bundesrat.

Herr Minister Haseloff hat es ausgeführt: Das führt bei uns, weil wir uns an der Koalitionsvereinbarung orientieren, zu einer Enthaltung im Bundesrat. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass ich im Augenblick sehr skeptisch bin, ob es im Bundesrat tatsächlich keine Mehrheit für das Gesetz geben wird. Sie alle konnten der Presse und den Verhandlungen entnehmen, dass die Grünen im Saarland damit liebäugeln, sich aufkaufen zu lassen und dem Gesetz die Zustimmung im Bundesrat zu erteilen.

(Herr Gürth, CDU: Was kostet denn so ein Grü- ner? - Herr Kosmehl, FDP: Oh! So sind sie!)

Das Ziel, in dieser Sache noch den Vermittlungsausschuss zu erreichen, ist damit in weite Ferne gerückt. Dennoch beabsichtigt die SPD-Bundestagsfraktion, mit der Bundesregierung zu dem Gesetzgebungsverfahren in Verhandlungen zu treten

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

und sich dabei insbesondere von vier Zielen leiten zu lassen:

Erstens sagen wir, dass das angedachte Teilhabepaket, das Bildungspaket, mehr Kindern als bisher geplant zugute kommen muss. Wir sind der Auffassung, dass Kinder von Geringverdienenden gleichermaßen unterstützt werden müssen. Auch sie sollen ein Mittagessen erhalten und die Möglichkeit, in den Sportverein einzutreten oder die Musikschule zu besuchen. Deshalb fordern wir die Ausweitung des Teilhabepakets auf Kinder von Wohngeldempfängern. Das wären immerhin 140 000 Kinder zusätzlich.

Wir sind der Auffassung, dass die Hilfen direkt bei den Kindern ankommen sollen. Die Umsetzung soll deshalb nicht, wie angedacht, von den Agenturen geregelt werden, sondern direkt von den Kommunen organisiert und vom Bund finanziert werden.

Zweitens verfolgen wir das Ziel, Bundesmittel für ein Programm Schulsozialarbeit einzusetzen; das muss man in dem Kontext sehen, dass in dem Beschluss für die gesamte Bundesrepublik gesprochen wird. Wir sind der Auffassung, dass in allen Ländern eine bedarfsgerechte Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur vor Ort sicher

gestellt werden muss, damit die Teilhabe aller Kinder ermöglicht wird.

Vor allem der flächendeckende Ausbau der Schulsozialarbeit kann ein geeignetes Instrument sein, um die Bildungs- und soziokulturelle Teilhabe zu unterstützen; denn wir wissen, dass Schulsozialarbeiterinnen die Kinder und ihre Familien und deren individuellen Unterstützungsbedarf aus dem täglichen Erleben kennen. Deswegen haben wir uns im Land Sachsen-Anhalt so vehement dafür eingesetzt. Das soll jetzt bundesweit ausgedehnt werden. Man schätzt die Kosten für den Bund auf 2 Milliarden € jährlich. Das sind die notwendigen Ausbaukosten, um die Schulsozialarbeit in Gesamtdeutschland zu etablieren.