Jetzt werden Sie sagen: Nicht schon wieder! Das hatten wir doch schon. Die Notwendigkeit besteht nicht. Wir haben ein duales System. Außerdem haben wir das Geld nicht dafür. - Das ist aber so nicht ganz richtig. Das duale System hat bei der Entschädigung durchaus Lücken. Da hilft der soziale Dienst nicht, auch nicht die freien Träger. Man kann auch nicht alles auf Weißen Ring schieben. Auch dieser ist nicht in der Lage, das alles zu schaffen.
Die Begleitung der Opfer nach der Tat mit finanziellen Zuwendungen wäre eine Möglichkeit, die die Opferschutzstiftung abdecken könnte. Deswegen sind wir wei
terhin der Meinung, dass eine solche Opferschutzstiftung gerade in Sachsen-Anhalt eine hervorragende Ergänzung des Opferschutzes ist. Das wäre auch möglich gewesen.
Es ist und bleibt Ziel der FDP, die finanziellen Momente, die im Haushalt für den Opferschutz festgeschrieben werden, aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wir werden alles daransetzen, das durch eine Opferschutzstiftung zu ergänzen, wenn sich wieder finanzielle Möglichkeiten ergeben.
Frau Ministerin, die FDP ist immer bereit, konstruktiv an Lösungen mitzuarbeiten. Dazu müssten Sie aber die Probleme benennen und die Lösung angehen. Das hat in Ihrem heutigen Bericht aber gefehlt. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen ein junges Mädchen zu Wort kommen lassen. Sie ist so alt wie meine Tochter und ist Opfer einer schweren Vergewaltigung geworden.
„Es ist eine lange Geschichte, unter der ich allerdings schon sehr lange leide und sicherlich auch noch leiden werde. Es war wohl das furchtbarste Ereignis meines jungen Lebens. Ich habe versucht, alles zu verdrängen. Ich spreche auch nicht gern darüber. Aber irgendwie muss es einfach raus, teilweise. Ganz gelingt mir das nicht.
Schon beim Gedanken wird mir schlecht. Kein Tag, an dem ich nicht daran denken muss. Ich fühle mich einfach nur noch leer und ausgelaugt, auch wenn ich mir einrede, alles wäre okay. Ich habe seitdem schlichtweg mein Vertrauen für Jungs verloren. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals wieder in einen Mann verlieben kann. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Das sind die Worte einer jungen Frau von nicht einmal 20 Jahren, für die das Leben eigentlich erst beginnt. Die Äußerungen machen deutlich, dass Opferschutz nicht nur ein rechts- und justizpolitisches Thema ist. Opferschutz geht uns alle an, meine Damen und Herren.
Dass die Justizministerin in diesem Hohen Hause eine Regierungserklärung abgibt, kommt nicht allzu häufig vor. Es ist das erste Mal. Dass sie dafür den Opferschutz in Sachsen-Anhalt ausgewählt hat, zeigt den herausgehobenen Stellenwert, den die Landesregierung diesem Thema beimisst.
Das Justizministerium hat erstmalig einen Opferschutzbericht vorgelegt, der umfassend aufzeigt, was die Landesregierung in der zu Ende gehenden Legislaturperiode unternommen hat, um die Situation der Opfer von Straftaten zu verbessern.
Auch mir ist es ein Bedürfnis, mich zunächst bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums der
Justiz und natürlich des Geschäftsbereichs sehr herzlich zu bedanken, nicht nur für die Erstellung des Berichts, sondern auch für das, was sie über viele Jahre hinweg auf dem Gebiet des Opferschutzes geleistet haben.
Selbstverständlich gilt mein Dank ebenso der großen Zahl der in diesem Bereich ehrenamtlich Tätigen. Auch von ihnen war heute schon wiederholt die Rede.
Meine Damen und Herren! In der öffentlichen Wahrnehmung geht es häufig nur um die Täter. Über schwere Gewaltverbrechen und diejenigen, die sie begangen haben, wird gern berichtet. Rein zufällig habe ich vorgestern Abend im MDR-Fernsehen eine Sendung mit dem Titel „Auf den Spuren der Täter“ gesehen.
Auch Opfer hören wir immer wieder sagen: Im Strafverfahren geht es doch nur um den Täter. - Richtig daran ist, dass im Strafverfahren Straftat und Schuld des Täters nach rechtsstaatlichen Maßstäben und Regelungen festgestellt werden müssen.
Unser sozialer Rechtsstaat darf sich aber nicht darauf beschränken, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Rechtsfrieden lässt sich nur erreichen, wenn der Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und das Opfer damit einhergehend Genugtuung und Wiedergutmachung erfährt.
Mit dem Erleben einer Straftat sind Belastungen und Ängste verbunden, die häufig zu einem chronischen Gefühl der Unsicherheit auch lange über den Zeitpunkt der eigentlichen Tat hinaus führen. Opfer bedürfen daher der Unterstützung der Gesellschaft, wenn sie als Geschädigte Nachteile einer Tat erleiden.
In Deutschland wurde daher im Jahr 1986 das erste Opferschutzgesetz verabschiedet. Der Bundesgesetzgeber hat seither einiges unternommen, um die Rechtsstellung der Betroffenen zu verbessern. Das wird auch vom Weißen Ring, der zentralen bundesweiten Hilfsorganisation, anerkannt.
In Sachsen-Anhalt ist die Landesregierung sehr bemüht, das Mögliche zu tun. Ein wichtiger Punkt ist die Koordinierung des Opferschutzes im Sozialen Dienst, der im Ministerium gebündelt und unmittelbar an das Haus angebunden ist.
Damit wurden die Zuständigkeiten für die Aufgaben der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht, aber auch die der Opfer- und Zeugenbetreuung und des TäterOpfer-Ausgleichs zusammengeführt. Somit hat das Ministerium effektive organisatorische Voraussetzungen zur Koordinierung des Opferschutzes geschaffen. Die vorherige organisatorische Zuordnung einzelner Zweige zum Oberlandesgericht, zu den Landgerichten oder den Staatsanwaltschaften entfielen.
Zudem steht mit dem dualen System aus dem staatlichen Sozialen Dienst der Justiz und den freien Trägern der Straffälligen- und Opferhilfe ein wirksames Instrument für eine effektive Opferbetreuung zur Verfügung. Andere Bundesländer, etwa das Land Niedersachsen, folgen bereits dem Modell aus Sachsen-Anhalt.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht legt umfassend die Bilanz des Sozialen Dienstes der Justiz vor und zeigt darüber hinaus auf, wie es in den letzten Jahren gelungen ist, Opfern von Straftaten in Sachsen
Ich möchte und kann hier nicht auf alles eingehen. Vieles ist bereits gesagt worden. Folgendes möchte ich aber noch aufgreifen:
Erstens. Mit sechs Dienststellen und vier Nebenstellen des Sozialen Dienstes der Justiz wird in Sachsen-Anhalt eine flächendeckende staatliche Opferberatung vorgehalten. Als bundesweit einziges Land hat Sachsen-Anhalt Opferberater beim Land angestellt.
Der Soziale Dienst der Justiz versorgt sämtliche Klienten grundsätzlich ohne so genannte Betreuungsbrüche, das heißt ohne den Wechsel von Betreuern aufgrund behördlicher Zuständigkeitswechsel, sodass die Opfer von Straftaten die Tat und die damit verbundenen Gefühlszustände nicht noch einmal durchleben müssen, also durchgehend so genannte Flashbacks vermieden werden.
Das können wir gern anschließend tun. - Opfer schwerer Straftaten werden besonders intensiv begleitet, und das, wenn erforderlich, auch längerfristig.
Mit der Einrichtung des Bachelorstudiengangs „Soziale Arbeit im Sozialen Dienst der Justiz“ konnte in Zusammenarbeit mit der Hochschule Magdeburg/Stendal zudem gesichert werden, dass bis zum Jahr 2015 jährlich sechs Mitarbeiter der Landesverwaltung für den Einsatz im Sozialen Dienst der Justiz fortgebildet werden.
Ich werbe an dieser Stelle ausdrücklich dafür, dass zur personellen Absicherung der hohen Qualität der Arbeit des Sozialen Dienstes der Justiz auch nach dem Jahr 2015 weiterhin gut ausgebildete Mitarbeiter im Sozialen Dienst zur Verfügung stehen und gegebenenfalls das jetzige Angebot dann auch zu verlängern ist.
Zweitens. Strafe muss sein. Dabei geht es den Opfern nicht nur um deren Höhe. Ihnen ist auch wichtig, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt, um Einsicht zu wecken. Wenn erst eine Ewigkeit vergeht, bis der Täter zur Verantwortung gezogen wird, dann ist das auch eine Zumutung für die Opfer.
Zumindest in einfach gelagerten Bagatellfällen kann das Mittel des beschleunigten Verfahrens - Frau Ministerin hat das ausgeführt - Opfern von Straftaten auch aufzeigen, dass der Beschuldigte bzw. der Täter schnell der Strafe zugeführt werden kann. Da aber schwere Gewaltverbrechen nicht im beschleunigten Verfahren zu verhandeln sind, muss es auch hier rechtspolitisches Anliegen sein, dass die Straftat möglichst schnell einem gerechten Urteil zugeführt wird.
Erwähnen möchte ich den im Bericht umfänglich dargestellten Schutz der Opfer als Zeuge vor Gericht im laufenden Strafverfahren. Die Wiederbegegnung mit dem Täter, die Öffentlichkeit und insbesondere die Presse dürfen die Menschen nicht erneut zum Opfer machen. Zeugenaussagen sind im Strafprozess oft unverzichtbar.
Dennoch gibt es Möglichkeiten, die oftmals belastende unmittelbare Begegnung mit dem Täter zu verhindern. Der Opferschutzbericht der Landesregierung zeigt die wesentlichen Schutzregelungen für Zeugen auf.
Der Unmittelbarkeitsgrundsatz kann etwa bei kindlichen Opferzeugen und bei Opfern von Sexual- und Gewalttaten durchbrochen werden, indem die jeweilige Vernehmung im vorangegangenen Ermittlungsverfahren auf Video aufgezeichnet worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Videovernehmung bei Vorliegen der Voraussetzungen auch in Sachsen-Anhalt noch häufiger in gerichtliche Verfahren einbezogen wird.
Eine aus meiner Sicht durchaus ausbaufähige Opfer- bzw. Zeugenschutzregelung besteht bei der bislang grundsätzlich zwingenden Angabe der Personalien in öffentlicher Sitzung des Gerichts. Mit der nochmaligen Identitätsfeststellung bei Gericht ist eine Gefährdung von Zeugen aber nicht auszuschließen. Wer Angst vor Rache haben muss, wird weniger bereit sein auszusagen.
Opfer werden als Zeugen ein Ermittlungsverfahren umso aktiver mitgestalten, je weniger sie befürchten müssen, von Tätern oder von deren Umfeld behelligt zu werden. Gerade für Opfer rechtsextremistischer Straftaten ist das wichtig.
Im Ergebnis der im Opferschutzbericht dargestellten Analyse wird deutlich, dass auf die Abfrage personenbezogener Zeugendaten bei Gericht in der Regel verzichtet werden sollte. Eine derartige Änderung der Strafprozessordnung - das wäre die Voraussetzung - findet auch die Unterstützung meiner Fraktion.
Viertens. Lassen Sie mich auch hier noch einige Anmerkungen zum Täter-Opfer-Ausgleich machen, auch wenn meine Vorredner bereits etwas dazu ausgeführt haben. Kaum ein anderes Instrument des nachsorgenden Opferschutzes kann eine bessere Bilanz aufweisen und kommt den Opferinteressen in vielfältiger Weise entgegen. Von den insgesamt 1 137 Fällen im Jahr 2009 konnten rund zwei Drittel, das sind rund 800 Fälle, im letzten Jahr erfolgreich geschlichtet werden.
Wir haben den Täter-Opfer-Ausgleich in Sachsen-Anhalt bereits seit dem Jahr 1994 flächendeckend und können kontinuierlich auf eine erfolgreiche Arbeit in diesem Bereich zurückblicken. Einen großen Anteil daran hat die Arbeit der freien Träger in Sachsen-Anhalt unter fachlicher und organisatorischer Leitung des Landesverbandes für Straffälligen- und Bewährungshilfe.
Im Jahr 2009 waren insgesamt zwölf Vereine mit den Schlichtungen beauftragt. Mein Dank gilt an dieser Stelle diesen Vereinen und den ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ich kann mich da nur wiederholen.