Protocol of the Session on June 18, 2010

- Vielleicht hat es doch etwas damit zu tun.

Eine weitere Ausnahme bei der Zustimmung ist unser Ministerpräsident, der die Sparvorschläge als wohlausgewogen ansieht.

Dagegen meint der Wirtschaftsminister, dass die politische Glaubwürdigkeit infrage gestellt sei, wenn auf der einen Seite die sozialen Sicherungssysteme angefasst werden, auf der anderen aber die 10 % der Oberschicht keinen steuerlichen Beitrag zur Sanierung des Bundeshaushaltes leisten. Die Finanzkrise sei ja nicht von den Arbeitslosen verursacht worden, sondern von den gesellschaftlichen Eliten der Industriestaaten.

Sie haben völlig Recht, Herr Haseloff.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Haseloff)

- Wie bitte?

(Minister Herr Dr. Haseloff: Das war an Herrn Franke gerichtet!)

- Ach so. - Aber das ist nicht der Tenor des Paketes der Bundesregierung.

Unter der Überschrift „Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken“ wird Arbeitslosen, Alleinerziehenden, Hartz-IVEmpfängern und Rentnern klar gemacht, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt haben und deshalb gespart werden müsse. Rund 30 Milliarden € sollen beim Sozialhaushalt eingespart werden.

Auf der einen Seite hatte diese Bundesregierung Geld, um die Banken mit Milliarden zu unterstützen. 480 Milliarden € umfasst der Rettungsschirm; davon sind 100 Milliarden € schon geflossen. Von den Banken aber erwartet Schwarz-Gelb ganze 2 Milliarden €, die nicht in dieses Sparpaket, sondern in einen Extrafonds fließen sollen, der für den Fall bereitstehen soll, dass Banken wieder in eine Finanzkrise kämen. - Gut, wir werden sehen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn dieses Sparpaket wie angekündigt umgesetzt wird, dann kann sich Sachsen-Anhalt mitsamt seiner Schuldenbremse warm anziehen, denn Sachsen-Anhalt hat einen der höchsten Anteile an Hartz-IV-Empfängern bzw. Langzeitarbeits

losen, einen der höchsten Anteile an Kindern, die in Hartz-IV-Familien geboren werden, und eines der niedrigsten Durchschnittseinkommen.

Dann wird wohl das zur Regel werden, was sich kürzlich in der Lutherstadt Eisleben ereignete: Nach der erneuten Feststellung der finanziellen Notlage der Kommunen wurde kurzerhand - über Nacht - die städtische Zuwendung für das Zuckertütenfest gestrichen. Zwar handelte es sich lediglich um 1 000 €, jedoch wird an dieser Stelle gespart. Zwar gibt es anonyme Spender, meine Fraktion hat gespendet und einige Unternehmen tragen dazu bei, aber das wird dann wahrscheinlich gang und gäbe werden.

Die Wirkungen der geplanten Streichungen im Sozialbereich haben für unser Land und unsere Kommunen andere Dimensionen, als es möglicherweise in Bayern der Fall sein wird, auch wenn der Bund - wie es in einer Finanzausschusssitzung im Bundestag verkündet wurde - der Meinung ist, dass die Länder nicht belastet werden und das schon wegtragen könnten, was auf sie zukommt.

Ich will das an einigen Punkten darstellen. Der erst 2009 eingeführte Heizkostenzuschuss soll schon wieder gestrichen werden, um damit 100 Millionen € einzusparen. Diese Streichung betrifft die Wohngeldempfängerinnen, vor allen Dingen also Rentnerinnen, Geringverdienende, die keine Aufstocker sind, Kinder, für die erst seit 2009 Wohngeld gezahlt wird, und arbeitende Alleinerziehende und Alleinstehende, die keine ergänzenden Hartz-IVLeistungen erhalten.

Die finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen sind noch nicht absehbar, da ein Großteil der Betroffenen möglicherweise wieder in die Grundsicherung zurückfallen könnte. Dann müssen die Kommunen wieder die Kosten der Unterkunft zahlen, wobei der Anteil des Bundes sinkt. In Sachsen-Anhalt erhielten 2008 rund 24 000 Haushalte Wohngeld. 2009 waren es schon mehr. Die Zahlen liegen aber derzeit nur als Bündel für den Osten vor.

Das Elterngeld für Hartz-IV-Empfängerinnen soll ebenfalls gestrichen werden, da nach Aussage der Bundesregierung bei dem Personenkreis sowieso „staatliche Hilfen“ gezahlt werden.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das verstößt nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, sondern es ist auch das Signal an die Betroffenen: Eure Kinder sind nicht gewollt!

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn die Betroffenen ihre Kinder nicht zu Hause behalten, sondern in Kitas geben, zahlen dafür das Land und die Kommunen, wodurch sich ebenfalls Mehrbelastungen ergeben.

1,8 Milliarden € werden gespart, indem die Beiträge für Hartz-IV-Empfängerinnen zur Rentenversicherung gestrichen werden. Zeiten der Erwerbslosigkeit wurden bislang als so genannte Anrechnungszeiten dem Konto zugeschrieben. Das gibt es künftig nicht mehr. Also wird der Anteil der Rentnerinnen und Rentner, die eine Grundsicherung brauchen, größer.

Uns interessiert, ob es erste Berechnungen bezüglich der Mehrkosten für das Land und die Kommunen vonseiten der Landesregierung gibt. Der Schaden, der sich

durch ein solches Vorgehen für die Politik ergibt, ist aber noch nicht berechenbar.

Hektisches Sparen bei den Armen, meine Damen und Herren, führt weder zu einer schnellen noch zu einer nachhaltigen Konsolidierung und auch nicht zu Strukturreformen, die die Binnennachfrage stärken sollen. Denn der eigentliche soziale Skandal ist doch das, was nicht beschlossen wurde. Die Reichen werden nicht zur Kasse gebeten. Großverdiener, reiche Erben, Vermögende werden überhaupt nicht belangt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir würden gern die Haltung der Landesregierung - und auch die der Koalitionsfraktionen - erfahren, wie sie sich bei der Abstimmung im Bundesrat über das so genannte Sparpaket zu verhalten gedenkt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Insofern begrüßen wir den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Einführung einer Transaktionssteuer. Wir fürchten nur, dass es allein mit einer Bitte an die Landesregierung, sich in Berlin dafür einzusetzen, nicht getan ist. Die Kanzlerin und die Bundesregierung lassen verstärkt durchblicken, dass sie zwar gern eine Finanztransaktionssteuer wollten, die anderen europäischen Landesregierungen würden diese jedoch nicht wollen, von den USA ganz zu schweigen.

Angesichts dessen, was möglicherweise auf SachsenAnhalt und die anderen Bundesländer zukommt, wäre es nur angemessen, Sie würden sich unserem Änderungsantrag anschließen. Ich habe in der Begründung dargestellt: Es ist machbar, eine solche Steuer auf Bundesebene mit einem Steuersatz von 0,01 % einzubringen. Das wären 10 bis 13 Milliarden € an Mehreinnahmen für die Bundesrepublik. Es wäre zumindest ein kleiner Anfang, die Kasino-Politik zu bändigen und die Kassen zu füllen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ministerpräsident Böhmer hat darum gebeten, als Vertreter der Landesregierung nach der Antragstellerin sprechen zu dürfen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur weil die Antragsteller in ihrer Begründung ausdrücklich geschrieben haben, dass sie die Position der Landesregierung erfahren möchten, habe ich mich an dieser Stelle gemeldet, jedoch werde ich Sie enttäuschen.

Ich sage ganz deutlich: Wir kennen ein politisches Eckpunktepapier einer Koalitionsregierung auf Bundesebene. Ich sehe keinen Anlass, dass wir, die wir selbst eine Koalitionsregierung sind, zu diesem Papier eine abgestimmte Stellungnahme abgeben müssen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Die Frage, wie wir im Bundesrat abstimmen werden, ist eine völlig andere. Da muss aber erst einmal etwas in Gesetzesform gegossen werden. Ich bin noch bereit, mich zu Kabinettsbeschlüssen zu äußern, jedoch nicht zu politischen Eckpunktepapieren, die die untereinander ausgehandelt haben.

Es ist doch logisch - alles andere wäre unsinnig -, dass wir, die wir auf der Landesebene aus verschiedenen Parteien zusammengesetzt sind - von denen die eine in Berlin zur Regierungskoalition gehört und die andere zur Opposition -, unterschiedliche Positionen haben. Alles

andere wäre schlicht eine lächerliche Forderung an uns selbst. Ich kann doch nicht erwarten, dass die SPD, weil sie in Sachsen-Anhalt zur Landesregierung gehört, in Sachsen-Anhalt eine andere Position vertritt als in Berlin. Umgekehrt werden Sie das nicht von der CDU erwarten.

Deswegen bin ich nicht bereit, solche Mätzchen mitzumachen; das sage ich ganz klipp und klar. Aber dort, wo entschieden werden muss, werden wir uns als Landesregierung äußern, und dort, wo wir parteipolitisch Stellung nehmen, bleibt jeder bei seiner parteipolitischen Zugehörigkeit. Alles andere ist für mich nicht nachvollziehbar. Deswegen habe ich auch Verständnis dafür, wenn die SPD-Kollegen aus der Landesregierung das anders sehen als die CDU-Mitglieder der Landesregierung.

Die Diskussion bezüglich dieser einzelnen Positionen gab es in diesem Landtag schon mehrfach, und die wird es in Zukunft häufiger geben. Wenn gespart werden muss, kann man nicht die paar Belastungen bei Einzelnen belassen; man muss sie verteilen. Etwa eine Dreiviertelstunde, nachdem ich das erste Mal etwas von dieser Pressekonferenz der Bundeskanzlerin im Fernsehen gesehen habe, bin ich gefragt worden, ob ich das für ausgewogen halte.

(Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

- Noch rede ich, Sie können gleich dazu Stellung nehmen. - Da habe ich gesagt: Bei einem Bundeshaushalt von etwa 324 Milliarden € sollten ca. 10 bis 11 Milliarden € herausgestrichen werden. Im Bundeshaushalt werden 55 % der gesamten Ausgaben für sozialpolitische Zielstellungen eingesetzt und werden dafür ausgegeben. Dass man diesen Bereich nicht ausnehmen kann, leuchtet sogar mir ein.

Wenn man dann sagt: Wir nehmen etwa die Hälfte der Sparsumme aus diesem Block, und die andere Hälfte muss woanders aufgebracht werden, dann ist das rein haushaltsmathematisch für mich ausgeglichen.

Die Verteilung der sozialen Belastungen ist ein völlig anderes Thema. Da will ich nur so viel sagen - das stand ja in allen Zeitungen -: An diesem Wochenende, an dem das in Berlin ausgehandelt wurde, hat es erheblichen Zoff gegeben, weil Vertreter der CDU - Minister der CDU - gefordert haben, diese soziale Komponente gleichmäßig zu verteilen, und der Koalitionspartner nicht mitgemacht hat. Dann haben sie sich gesagt: Das ist kein Grund, die Koalition zerbrechen zu lassen. Da wird man eine andere Einigung finden. - Das habe ich auch schon erlebt.

Wer denkt, eine Koalitionsregierung kann so geführt werden, als ob man Herrscher aller Reußen wäre und die anderen haben bloß zuzustimmen, den muss ich enttäuschen: Das existiert nirgends, auch nicht auf Bundesebene. Aber die Diskussion ist innerlich nachvollziehbar. Es gibt auch ganz unterschiedliche Positionen in der Koalition der Bundesregierung. Das ist ganz verständlich. Daran wird auch noch einiges gedreht werden.

Deshalb bin ich bestenfalls bereit, eine Stellungnahme der Landesregierung zu organisieren, wenn wir zu etwas Stellung nehmen müssen, wozu wir kompetent sind. Wenn also ein Gesetzgebungsvorschlag in den Bundesrat kommt, dann müssen wir uns entscheiden. Dann wissen wir auch genau, wie wir das regeln und wie wir uns da verhalten werden.

Sie haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zitiert. Ich bin zwar kein Wirtschaftsfachmann, aber über manche Dinge kann ich mich nicht genug wundern. Ich habe mich zu erkundigen versucht. Das DIW kommt zu dem Schluss: Die Reichen werden immer reicher, die Armen werden immer ärmer und die Mittelschicht bröckelt weg; das heißt, ein Teil der Mittelschicht wird einmal zu den Armen gehören.

Es ist schwierig, den Begriff Mittelschicht zu definieren. Ich habe mich gefragt, wie dieses Institut den Begriff „Mittelschicht“ definiert. Die Antwort auf diese Frage lautet: Zur Mittelschicht gehört, wer über ein Nettoeinkommen zwischen 860 und 1 844 € im Monat verfügt. Das kann man zwar machen, jedoch muss man eines beachten: Ein arbeitsloses Ehepaar - ALG-II-Empfänger - mit zwei Kindern - für eines erhält es Elterngeld in Höhe von 300 € - erhält zusammengerechnet 1 885 € im Monat; sie gehören also schlicht zur Mittelschicht. Wenn von diesem Einkommen etwas wegfällt, dann fallen sie aus der Mittelschicht heraus und gehören zu den Armen. Dazu muss ich sagen: Wer so Politik macht, kann wenigstens nicht überzeugen.

Ich bin ja gefühlsmäßig der Meinung, dass das keine kluge Entscheidung war, aber das Elterngeld ist ein Ersatz für wegfallenden Lohn bei Eltern, die wegen eines Kindes zu Hause bleiben; das kennen Sie alle. Dafür ist ein Mindestsatz von 300 € für alle festgelegt worden, auch für die, die vorher keinen Arbeitsplatz hatten. Das ist dann eine echte Sozialleistung. Obwohl kein Lohn wegfällt, bekommen sie wenigstens 300 €. Das kann man machen.

Dann ist man auf den Gedanken gekommen, dass Lohnbezüge, die ein Hartz-IV-Empfänger - also ALG-II-Empfänger - bekommt, gegengerechnet werden müssen. Es muss also auch die Lohnersatzleistung gegengerechnet werden, weil das ja ein Ersatz für entgangene Löhne ist bei denen, die einige Monate das Arbeitsverhältnis nicht wahrnehmen. Das hat dann dazu geführt, dass gesagt wurde: Diese Summe kann man letztlich einsparen, wenn sie weggerechnet wird.

Ich höre - das kann ich aber auch nur mit nachsagen -, dass die Bundesregierung auf der Grundlage eines Verfassungsgerichtsurteils noch in diesem Jahr etwas für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern machen muss. Das wird auch kommen. Angedacht ist, dass die Summe, wahrscheinlich nicht genau, aber wenigstens angedacht, dann als Bildungszuschuss für die Kinder dieser Hartz-IVEltern eingesetzt werden soll, um deren Bildungschancen zu verbessern. Das halte ich sogar für vernünftig, wenn es denn so kommt.

(Frau Fischer, SPD: Als Sachleistung!)

- Ja, gut. Da gibt es wieder großen Streit. Ich wäre auch für Sachleistung. Ich weiß auch, warum. Aber ich höre auch andere, die anderer Meinung sind. Aber ich halte dies für eine vernünftige Regelung. Wenn das bis Ende des Jahres, bevor also das eine in Kraft tritt, auch geregelt würde, wäre das für mich eine hinnehmbare Regelung. Es wäre auch unter sozialpolitischen Aspekten hinnehmbar.

Eine andere Situation ist der Verzicht auf den Zuschuss für die Rentenversicherungskassen. Das ist etwas, was uns in den neuen Bundesländern wehtut.

(Beifall bei der SPD)