Protocol of the Session on June 18, 2010

Herr Minister, Sie hatten ausgeführt, dass wir am Anfang der Reform eine Vielzahl von Gemeinden in SachsenAnhalt hatten. Um es genau zu nehmen, waren es 1 036 selbständige Gemeinden bei einer Gesamtbevölkerungszahl von ungefähr zwei Millionen Einwohnern.

Ich will - das sage ich ganz bewusst - für meine Fraktion an dieser Stelle, bevor ich auf das eigentliche Gesetz eingehe, denen Dank sagen, die in den 20 Jahren in diesen 1 036 Gemeinden ehrenamtlich als Gemeinderäte in den Gemeinderäten und als Bürgermeister einen maßgeblichen Anteil daran hatten, dass dieses Land so aussieht, wie es heute aussieht. Es ist nämlich wunderschön geworden in den Orten. Dafür möchten wir denen an dieser Stelle zumindest unseren Dank aussprechen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Auch wir als CDU waren am Anfang, auch wenn wir ein anderes Architekturmodell bevorzugt hätten, der Auffassung, dass wir im Hinblick auf die demografische Entwicklung, im Hinblick auf die Verschiebung der finanziellen Situation - Herr Kollege Kosmehl, ich darf nur an die Diskussionen über das FAG erinnern -,

(Herr Kosmehl, FDP: Gutes Beispiel!)

und auch im Hinblick auf den europäischen Vergleich und die Förderpraxis etwas großzügigere Strukturen gebraucht hätten. Das hätte man sicherlich mit einem anderen Architekturmodell machen können. Aber wir haben uns im Rahmen der Koalition gemeinsam - darüber haben wir am Anfang auch untereinander heftig gestritten; das gehört auch zur Wahrheit; aber wir haben auch in diesem Hause gestritten - für das Ihnen vorliegende Modell entschieden.

Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt: Prinzipien gelten an Feiertagen. Der Alltag, meine Damen und Herren, lebt von Kompromissen. Das wiederhole ich an dieser Stelle gern.

(Herr Kosmehl, FDP: Seien Sie dankbar!)

Wir haben im Oktober 2007 zum ersten Mal in diesem Hause über die Begleitgesetze miteinander gestritten. Sie sind im Januar 2008 in der dritten Lesung durch den Landtag beschlossen worden. Wir hatten darin vereinbart, dass es eine freiwillige Phase bis zum 30. Juni 2009 gibt. Innerhalb und nur innerhalb dieser freiwilligen Phase bestand die Möglichkeit - das ist die Handschrift meiner Fraktion; das darf ich schon sagen -, Verbandsgemeinden zu bilden. Davon ist auch Gebrauch gemacht worden.

Meine Damen und Herren! In dieser freiwilligen Phase haben sich immerhin 85 % aller Gemeinden zu neuen Strukturen zusammengefunden. 15 % der Gemeinden müssen wir jetzt per Gesetz zuordnen.

Herr Kollege Kosmehl, ich Ihnen sagen: Unter denen, die sich zusammengefunden haben, gibt es auch einen Liberalen, der einmal im Landtag gesessen hat. Das ist der Bürgermeister der Einheitsgemeinde Gommern Herr Rauls. Er ist davon überzeugt, dass das eine richtige Struktur ist, und hat für das bürgerschaftliche Engage

ment sogar den Verein „Pro Einheitsgemeinde Gommern“ ins Leben gerufen.

(Herr Kosmehl, FDP: Ja, freiwillig!)

Das ist ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass man mit den in Sachsen-Anhalt jetzt gefundenen Strukturen - immerhin 85 % - angefangen hat, gut zu arbeiten, dass es in den Ortschaften gleichwohl bürgerschaftliches Engagement gibt und dass vielleicht auch die Betrachtungsweise des Einheitsgemeinderats in Bezug auf strukturelle Probleme und auf das, was man sich gegenseitig in den neuen Gebilden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zumutet, etwas geschärft worden ist und etwas mehr mit Ausgleich bedacht wird, als wenn es sich um selbständige Gemeinden handelt, in denen jeder, was verständlich ist, nur um seinen Kirchturm kämpft, aber nicht das Ganze sieht. Auch das gehört am Ende zu der Wahrheit dieser Reform.

(Zustimmung von Herrn Barth, SPD)

Nun ist es so gewesen, meine Damen und Herren, dass uns viele sowohl von den Gemeinden, deren Vertreter dort oben sitzen, als auch von der Opposition gesagt haben: Lasst doch die 15 % so, wie sie sind, und ordnet sie nicht zu.

Dazu sage ich zwei Dinge: Erstens. Wer etwas anfängt, bringt es zu Ende.

(Zustimmung von Herrn Miesterfeldt, SPD, und von Frau Fischer, SPD)

Das gehört dazu. Dafür stehen wir auch.

Herr Kosmehl, hätten wir es nicht gemacht, hätte ich Ihnen die Rede schreiben können, die Sie dann gehalten hätten. Der erste Satz wäre gewesen: Den Kameraden der Koalitionsfraktionen geht am Ende des Weges die Luft aus. Das wäre nämlich die Gegenseite dessen gewesen, die Sie uns vorgehalten hätten.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: So etwas sagt nur der Ministerpräsident! - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP - Unruhe)

Nun war die Frage, wie man mit den 15 % der Gemeinden umgeht. Es gab diejenigen, die sich freiwillig gefunden haben. Sie haben uns und mir in vielen Gesprächen gesagt: Wir wollen einen Vorteil. Wir haben es ja freiwillig gemacht. Insofern macht die Reform, löst die Gemeinden auf, löst die Gemeinderäte auf, löst die Bürgermeister ab und wir wählen die Ortschaften neu. Dann haben wir einen graduellen Unterschied zu ihnen, sozusagen einen Bonus dafür, dass wir uns freiwillig gefunden haben.

So haben wir diesen Gesetzentwurf zunächst eingerichtet. Dann kam die Anhörung. Aus dieser Anhörung war Folgendes erkennbar: Hätten wir diesen Weg weiter verfolgt, hätten wir mit der Beendigung dieser Reform weitere Gräben aufgeworfen. Wir hätten nämlich die Freiwilligen gehabt - das wären die Ortschaftsräte und die Bürger erster Klasse gewesen -, und die, die wir zugeordnet hätten, wären die der zweiten Klasse.

Meine Damen und Herren! Niemand, der eine Reform zu Ende bringt, kann, wenn er für dieses Land Verantwortung übernehmen will, ernsthaft wollen, dass wir am Ende einer Reform insbesondere im ländlichen Raum eine gespaltene Gesellschaft haben. Darum haben wir auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, aber eben auch, um einzubinden, gesagt: Wir gewähren den jetzt zuzu

ordnenden Gemeinden die Möglichkeit der Entsendung, damit die dort lebenden Bürgerinnen und Bürger, die politisch in diesem Einheitsgemeinderat nicht vertreten sind, teilhaben können.

Die Entsendung ist auf vier Jahre befristet und sie überspringt das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl. Aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, stattdessen überhaupt keine Teilhabe an der Demokratie zu haben, meine Damen und Herren, dürfte dieses Überspringen - das sagen auch die Verfassungsgerichte - durchaus vertretbar sein.

Wenn wir entsenden, stellt sich die nächste Frage - das betrifft Zerbst -: Was machen wir mit den Ortschaften, die sich nach der Wahl des Einheitsgemeinderats, aber vor der Zuordnung dazu gefunden haben? Sollen die nunmehr keine Entsandten haben?

Diesbezüglich verweise ich nur auf Artikel 3 des Grundgesetzes, den Gleichheitsgrundsatz. So haben sie auch argumentiert. Sie haben gesagt: Wir haben uns noch freiwillig gefunden, zwar nach den Wahlen, aber dafür haben die anderen, die gar nicht mitgemacht haben, jetzt Entsandte und wir - nehmen Sie Zerbst; 9 000 Menschen leben im Gürtel um Zerbst; Zerbst hat 15 000 Einwohner - dürfen nicht teilhaben.

Auch dazu sage ich: Aufeinanderzugehen schafft kommunalen Frieden. Es ist auch dann unter allen Schwierigkeiten der bessere Weg, kurzfristig einen übergebührlichen Aufwuchs der Mitgliederzahl eines Stadtrates in Kauf zu nehmen, damit 9 000 Bürgerinnen und Bürger, für die wir auch die Verantwortung tragen, am Ende am Demokratieprinzip teilhaben können.

Ein weiterer Punkt neben der Entsendung war, dass wir gesagt haben: Wenn die Kommunen, die wir jetzt auflösen müssen, noch den Beschluss fassen, dass sie Ortschaftsräte haben wollen, dann gewähren wir ihnen die gleichen Rechte und Pflichten wie denen in der freiwilligen Phase. Sie werden dann im Verhältnis 1 : 1 in Ortschaftsräte und Ortschaftsbürgermeister umgewandelt.

Viele von denen, die in der Anhörung waren, haben vorgetragen, dass sie sich nahezu ihr halbes Leben lang für den kommunalen Frieden und für die kommunale Gestaltung ihrer Orte eingesetzt haben. Dann wollen wir sie auch weiter daran teilhaben lassen.

Ich bin der Auffassung, wir haben zukunftssichere Strukturen für Sachsen-Anhalt geschaffen. Die Gemeinden werden mehr und mehr zusammenwachsen. Wir haben die Verantwortung - das muss der nächsten Legislaturperiode vorbehalten sein -, diese Kommunen auch finanziell so auszugestalten und auszustatten, dass diese Strukturen auch für die Zukunft ein gutes SachsenAnhalt bringen werden.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch kurz die Änderungsanträge begründen. Ich fange mit dem an, was Sie so heftig kritisiert haben: Stolberg-Südharz, Annaburg-Prettin. Sie haben in diesem Zusammenhang Herrn Brachmann - na ja, sagen wir es einmal so - vors Rohr genommen. Herr Kosmehl, dafür übernehme ich persönlich die Verantwortung in diesem Hause. Ich sage Ihnen auch, warum.

Wir haben in den Anhörungen gut vorgetragen gehört - lassen Sie mich den Südharz nehmen -: Eine Gemein

de Südharz verbindet man vielleicht 200 km weiter westlich mit der Vorstellung, dass es dort viele Tannen gibt und - das setze ich noch hinzu - Eichhörnchen, aber keine Alleinstellungsmerkmale. Deshalb sei dieser Ort Stolberg, der Europa-Dorf und mit erheblichen kommunalen Finanzen ausgestattet sei, ein Leuchtturm in dem Begriff der neuen Gemeinde.

Das haben wir auch unter touristischen Gesichtspunkten für eine sinnvolle Variante gehalten. Uns war klar, dass das vor Ort nur einvernehmlich geht. Aber dieses Risiko haben wir an dieser Stelle billigend und bewusst in Kauf genommen.

Dann ist uns von kommunalen Vertretern nach der Anhörung im Innenausschuss, nach dem Beschluss im Innenausschuss mitgeteilt worden, dass man dafür eine Bürgeranhörung brauchte. Dazu habe ich gesagt: Das weiß ich. Aber ich habe gedacht, dass vielleicht die Weisheit besteht, es anzunehmen, weil es vielleicht langfristig eine bessere Perspektive für die Region habe.

Danach ist mir mitgeteilt worden, dass man eine Normenkontrollklage anstrengen wolle. Daraufhin haben wir gesagt: Dann wollen wir es doch bitte den Betroffenen überlassen, das in eigener Zuständigkeit im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu entscheiden.

Es war von dieser Stelle aus eine gut gemeinte Hilfeleistung. Gelegentlich haben auch wir in diesem Hause Hoffnung. Aber es gehört eben auch dazu, an dieser Stelle etwas zu korrigieren. Dann mögen es die Kommunen am Ende selbständig entscheiden.

Das ist der eine Änderungsantrag, der sowohl AnnaburgPrettin - diesbezüglich gilt der Gleichheitsgrundsatz - als auch die Gemeinde Stolberg-Südharz betrifft, dass man es sozusagen bei dem ursprünglichen Gesetzesvorhaben belässt.

Meine Damen und Herren! Zu Allrode ist Folgendes zu sagen: Wir haben dort ein anhängiges Gerichtsverfahren, den Beschluss eines Verwaltungsgerichtes, der besagt: Der Landkreis wird verpflichtet, den in der freiwilligen Phase getroffenen Beschluss, eine Gebietsänderungsvereinbarung zu unterzeichnen, umzusetzen.

Dazu sagen wir Folgendes: Wir sind ein Teil dieses Staates - nicht: „L’état, c’est moi!“ -, wir sind die Legislative. Da die Exekutive in diesem Fall in der freiwilligen Phase einen Beschluss herbeigeführt hat, der nur deshalb nicht umgesetzt werden konnte, weil ein Entscheidungsträger nicht unterzeichnet hat und erst gerichtlich gezwungen werden musste

(Zuruf von der LINKEN)

und weil Gerichte am Ende möglicherweise in Rechtsmittelverfahren zu entscheiden haben, werden wir, die Legislative, in vornehmer Zurückhaltung die Entscheidung der Judikative abwarten.

Wenn dann, Herr Kosmehl, noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, seien Sie versichert, dann ordnen wir dem Oberharz zu. Aber wenn die Gerichte anders entscheiden, akzeptieren wir als ein Teil dieser Gewalten diese Entscheidung.

Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion möchte ich mich bei all den Beteiligten, insbesondere den kommunalen Vertretern, bedanken. Es war mit Sicherheit für uns alle, auch für meine Fraktion, eine schwierige Phase. Es waren nicht immer Feierstunden,

die dieses Reformvorhaben mit sich gebracht hat. Aber ich glaube, jede Reform, die zu strukturellen Veränderungen führt, ist am Ende ein Kraftakt. Wir wollen hoffen, dass das Beste daraus wird.

Ich zitiere nur den Anfang eines Gedichtes von Hermann Hesse, der gesagt hat: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ - Meine Damen und Herren, ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Es gibt noch eine Nachfrage von Herrn Kosmehl.