Protocol of the Session on June 18, 2010

In einer Vielzahl von Fällen ist dem Bürgerwillen, der in Bürgeranhörungen zum Ausdruck gekommen ist, nicht gefolgt worden. Wir stellen einen Verlust des ehrenamtlichen Engagements vor Ort fest. Dem, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU und der SPD, wollen Sie durch die Einführung des Ortschaftsrechtes und der Erweiterung der Rechte der Ortschaftsräte sowie der Ortsbürgermeister entgegenwirken. „Befriedungsfunktion“ haben Sie das im Zusammenhang mit Ihrem Änderungsantrag einmal genannt.

(Herr Stahlknecht, CDU: So sind wir!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zweitbeschlussverfahren, Antragsrecht und Akteneinsichtrecht für den Ortsbürgermeister führen aber auch zu einer Verlängerung der Abstimmungsverfahren in den Gemeinden. Dies steht der Effizienz entgegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Es gibt weitere Punkte, die der Effizienz entgegenstehen. Es gibt finanziell feststellbar keine Einsparungen durch diese Reform. Sie haben hohe Frustrationskosten. Sie haben die Kosten für die Bürgeranhörungen und die Neuwahl der Stadt- und Ortschaftsräte.

(Zuruf von der SPD)

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben am Ende dieser Reform eine Vielzahl von Ausnahmen von der Einwohnergrenze in Ihrem Leitbild, nämlich 42 Einheitsgemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern, zwölf davon sogar mit weniger als 8 000 Einwohnern.

(Zuruf von Frau Fischer, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein homogenes Bild sieht weiß Gott anders aus.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will vielleicht einen Punkt noch einmal aufgreifen, der ganz am Anfang unserer auch hitzigen Debatten im Landtag stand, nämlich die wissenschaftliche Begleitung. Was ist eigentlich aus den Gutachten der FH Harz und des IWH geworden?

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Gar nichts!)

Die Gutachten, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind auf die jetzt beschlossene Gemeindestruktur überhaupt nicht mehr anwendbar, weil die Gutachter davon ausgingen, dass es in den Ortsteilen eben keine Ortsräte und Ortsvorsteher gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war der einzige Punkt, den Sie aus dem Gutachten herausnehmen konnten, dass es eine finanzielle Einsparung geben würde im Vergleich des neuen Modells zu den Verwaltungsgemeinschaften, weil man da Kosten sparen würde. Genau dieses einzige Argument, das Sie für Ihre Gemeindegebietsreform hätten heranziehen können, haben Sie selbst ad acta gelegt.

(Zuruf von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein Scheitern in der Reform.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was bleibt? - Es bleibt - der Herr Minister hat darauf hingewiesen - die Verringerung der Anzahl der Gemeinden in SachsenAnhalt von 1 036 Städten und Gemeinden vor der Reform auf 368 Städte und Gemeinden am 1. Januar 2010. Schließlich sind es 219 Städte und Gemeinden zum 1. Januar 2011. Es ist eine Demotivation bei der Vielzahl von ehrenamtlichen Kommunalpolitikern festzustellen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben den Gemeinden auch eine finanzielle Last auferlegt. Ich möchte das an zwei Beispielen deutlich machen. Die Stadt Zerbst (Anhalt) wird bis zum Jahr 2014 einen Stadtrat haben, der von jetzt 28 Mitgliedern auf 49 Mit

glieder aufgestockt wird. Das wird Kosten in Höhe von mehr als 100 000 € für die Gemeinde bedeuten.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Beispiel Möckern, wo jetzt eine Fläche von ehemals zwei DDRKreisen entstanden ist, 30 Ortsteile. Der Städte- und Gemeindebund prognostiziert allein für das Beispiel der Versendung von Flächennutzungsplänen Mehrkosten von über 4 000 €.

(Zuruf von Herrn Felke, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben den Gemeinden weiß Gott ein Erbe aufgebürdet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle durchaus noch einige verfassungsrechtliche Bedenken aufführen.

Einen Teil - dazu komme ich gleich - haben Sie selbst noch korrigiert. Einen anderen Teil, nämlich dass der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst dieses Landtages festgestellt hat, dass sie das Konnexitätsprinzip verletzen, wenn Sie für die Bürgeranhörung im Rahmen der Gebietsreform keine Kostenregelung schaffen, haben Sie einfach weggewischt und nehmen es nicht zur Kenntnis. An dieser Stelle, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Konnexitätsprinzip verletzt und damit ein Verfassungsgrundrecht verletzt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ganz kurz zu einzelnen Änderungsanträgen kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Symptomatisch für Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen und deren Haltbarkeit ist beispielsweise die Frage der Änderung von Gemeindenamen, zum Beispiel der Einheitsgemeinde Annaburg in Stadt Annaburg-Prettin bzw. der Einheitsgemeinde Südharz in Stolberg-Südharz.

Diese Anregungen waren wünschenswert und sie waren in den Anhörungen auch zu hören. Aber der gute Wille alleine reicht nicht. Dass Sie, sehr geehrte Koalitionsfraktionen, das heute erst zurücknehmen

(Zuruf von der CDU)

und nicht sozusagen auf eine Verabschiedung und Aufnahme in die Beschlussempfehlung verzichten, zeigt einmal mehr, wie Sie mit dieser Reform umgegangen sind.

Sie wussten bereits in der Innenausschusssitzung, dass es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt und dass es verfassungsrechtliche Bedenken gibt.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Und Sie haben sich damals - Herr Kollege Brachmann, ich schaue Sie an - einfach drüber hinweggesetzt. Heute haben Sie plötzlich eingesehen, dass es doch schwierig ist.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Verlässlichkeit vor Ort - - Herr Kollege Stahlknecht, jetzt komme ich zu Ihnen. Sie haben ja einen netten Brief an alle Gemeinden im Land geschrieben. Darin teilen Sie mit: „Weiterhin sind zwei Namensänderungen vorgesehen.“ - Dann kommen sie und es heißt weiter:

„Auch insoweit sind wir den Bitten der dortigen Gemeinden gerne nachgekommen.“

Ich bin gespannt, wie Sie den Gemeinden jetzt erklären, dass Sie plötzlich von Ihrer Position abweichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Koalition ist angetreten, um effiziente und zukunftsfähige Verwaltungsstrukturen zu schaffen, und, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU und der SPD, Sie sind gescheitert. Deshalb lassen Sie mich zum Abschluss noch einen kleinen Hinweis geben.

Diese Gemeindegebietsreform wird heute formal mit Ihren Stimmen wahrscheinlich beendet. Aber Sie ist nicht zu Ende. Sie ist deshalb nicht zu Ende, weil es weiterhin ein Volksbegehren der Volksinitiative 2011 gibt und weil es die Ankündigung vieler Gemeinden gibt, gegen diese Zuordnung bzw. gegen die Regelungen des Begleitgesetzes zu klagen. Wir werden abwarten müssen, was am Ende von Ihrer Reform übrig bleibt.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, und weil die Koalitionsfraktionäre nicht müde werden, vor Ort in ihrem Wahlkreis, aber auch in anderen Wahlkreisen ein bisschen den Eindruck zu vermitteln, sie wären an der Seite der - ich sage das in Anführungsstrichen - aufmüpfigen gallischen Dörfer - -

(Zuruf von der SDP)

Sie haben heute, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gelegenheit - - Zum Beispiel Frau Kollegin Schindler, die sich vehement für die Zuordnung von Wörlitz/Vockerode nach Dessau eingesetzt hat; im Innenausschuss hat sie das vergessen.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte die FDP-Fraktion Ihnen ans Herz legen, die Gesetze, sowohl das zweite Begleitgesetz als auch die elf Zuordnungsgesetze, heute abzulehnen.

Weil es uns so wichtig ist, dass die Abgeordneten, die heute hier in Magdeburg entscheiden, nicht nur hier entscheiden, sondern dass das Votum auch im Land dokumentiert wird, beantrage ich namens der FDP-Fraktion eine namentliche Abstimmung zu den folgenden Gesetzentwürfen: Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt betreffend den Landkreis Altmarkkreis Salzwedel, betreffend den Landkreis Bördekreis, betreffend den Landkreis Mansfeld-Südharz, betreffend den Landkreis Saalekreis, betreffend den Landkreis Burgenlandkreis, betreffend den Landkreis Wittenberg. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Warum nicht alle?)

Für die Fraktion der CDU spricht der Abgeordnete Herr Stahlknecht. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kosmehl, wir sind Ihnen zunächst einmal zutiefst dankbar, dass Sie eine namentliche Abstimmung nicht für alle Gesetzentwürfe gefordert haben.

(Heiterkeit - Oh! bei der FDP - Zuruf von Herrn Dr. Köck, DIE LINKE - Herr Gallert, DIE LINKE: Herr Stahlknecht, Sie haben es jetzt verspielt! - Unruhe - Herr Gallert, DIE LINKE: Die Vorfreu- de war zu früh!)

Aber ich sehe auf meiner linken Seite, dass ich in dem Punkt möglicherweise enttäuscht werden könnte.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Ja!)

Herr Minister, Sie hatten ausgeführt, dass wir am Anfang der Reform eine Vielzahl von Gemeinden in SachsenAnhalt hatten. Um es genau zu nehmen, waren es 1 036 selbständige Gemeinden bei einer Gesamtbevölkerungszahl von ungefähr zwei Millionen Einwohnern.