Protocol of the Session on September 15, 2006

Nach der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt ist diese Scharnierfunktion zu Recht die Aufgabe der Parteien und der Abgeordneten. Es geht hierbei darum, in die Gesellschaft zu transportieren und dort zu vermitteln, was im Staat passiert und warum Entwicklungen in diese oder jene Richtung gehen. Das ist die Aufgabe der Politik und von den Politikern nicht wegzudelegieren.

Last, but not least, es gibt noch mehrere Gründe. Eines der schwerwiegendsten Argumente kam heute Vormittag von Herrn Bischoff. Er hat völlig zu Recht darauf verwiesen, dass wir keinen Mangel an Arbeitsgremien oder an Arbeitsergebnissen haben. Wir brauchen keine neuen

Arbeitskreise, keine Beiräte und keine Gremien, wenn wir nicht in der Lage sind, bereits gewonnene Erkenntnisse umzusetzen und das, was bereits vorliegt, auch zum Gegenstand unseres täglichen politischen Handelns zu machen. Was nützt uns ein zusätzlicher Beirat, wenn wir noch nicht einmal bewiesen haben, dass bereits bestehende Gremien, wie die Enquetekommission mit anerkannten Wissenschaftlern und deren Ergebnisse, in der Lage sind, sich in die tägliche Arbeit einzubringen und die Ergebnisse umzusetzen.

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

Deswegen muss man abarbeiten, was vorliegt, und nicht auf ein neues Gremium verweisen.

Unter dem letzten Stabstrich steht:

„der Beirat legt dem Landtag dazu mindestens alle zwei Jahre einen Bericht vor.“

Das zielt in der Tat auch auf Nachhaltigkeit, auf ein nachhaltiges Bestehen eines zusätzlichen Gremiums, das wir noch gar nicht haben.

Ich erinnere mich noch gut an die vierte Wahlperiode, in der wir uns in diesem Parlament - zumindest die Mehrheit dieses Hauses - zu Recht angestrengt haben, ein Stück weit zu entrümpeln und zu deregulieren. Wir haben uns beim Investitionserleichterungsgesetz und bei anderen Vorhaben im Parlament angeschaut, wo wir es gesetzlich normiert oder durch Beschluss des Landtages bereits die Verpflichtung haben, einzelnen Ausschüssen oder dem Landtag Berichte vorzulegen. Wenn wir uns einmal anschauen, was insgesamt schon existiert, dann stellen wir fest: Das ist geradezu eine Berichtsflut, von der ich behaupten möchte, dass wir gerade so bzw. kaum noch in der Lage sind, diese ganzen Berichte auszuwerten.

Wir haben nicht zwölf, geschätzter Herr Kollege Franke, sondern wir haben, wie ich es in der Geschäftsordnung nachgelesen habe, elf Fachausschüsse, wenn man die Unterausschüsse nicht mit hinzurechnet. Wenn wir nachhaltig Politik betreiben wollen, dann sollten wir dies mit unseren Fachleuten in diesen Fachausschüssen tun. Dazu lade ich alle ein. Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Nun spricht noch einmal Herr Lüderitz. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sehen mich durchaus nicht verwundert darüber, dass der Kollege Gürth und der Kollege Franke unseren Antrag abgelehnt haben. Das habe ich in gewisser Hinsicht erwartet oder vorhergesehen.

Was mich aber etwas verwundert, ist die Begründung, Herr Gürth. Sie haben hier die Punkte aufgezählt. Sie sollten einmal Ihre Fraktionskollegen in der Bundestagsfraktion fragen, die haben genau diese Punkte ebenfalls festgelegt.

(Herr Gürth, CDU: Warum sollen die nicht mal von uns lernen?)

Herr Franke, noch eine Ergänzung zu dem, was Sie vorhin als Fazit dargestellt haben. Sie sollten auch den Be

schluss in der 16. Legislaturperiode lesen. Darin wurden genau die Punkte, die Sie als Fazit vorgelesen haben aus der 15. Legislaturperiode, verändert. - Das nur dazu.

Zur inhaltlichen Auseinandersetzung: Schade, Herr Bischoff, dass Sie die Chance nicht ergriffen haben, uns die Möglichkeit zu geben, von außen auf die zu Recht genannte Arbeit in den Ausschüssen zu sehen und an das zu erinnern, was in der Enquetekommission richtigerweise festgestellt wurde.

Sie haben aber auch richtigerweise gesagt, dass die Arbeit der Enquetekommission acht Jahre her ist. Es gab eine Vielzahl von Papieren, gerade aus Ihrer Fraktion. Finanzminister Bullerjahn - er ist gerade nicht anwesend - war einer der ersten, der die Frage der Zukunftsfähigkeit in Sachsen-Anhalt zur Disposition gestellt hat und der sehr weitreichende Papiere eingebracht hat, die vielleicht durchaus Inhalt für die Beratungen in einem solchen Beirat hätten sein können, um uns noch einmal auf bestimmte Aufgaben hinzuweisen. Es ist eigentlich schade, dass diese Chance vertan ist.

Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, ich frage Sie: Was ist der Bildungskonvent wesentlich anderes als ein Beirat oder ein Rat für Zukunftsfähigkeit?

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Gal- lert, Linkspartei.PDS: Eine Notlösung!)

Auch darin soll außerhalb des Parlaments in ähnlicher Form über vielleicht - ich hoffe es zumindest - nachhaltige Entscheidungen in der Bildungspolitik unseres Landes beraten werden, um dann in diesem Parlament zu bestimmten Entscheidungen zu kommen.

Das ist auch vor allem deshalb schade, weil die Kollegen Wissenschaftler, die im Rahmen der von mir erwähnten Fachtagung am Mittwoch an der Fachhochschule Magdeburg/Stendal gesprochen haben, eigentlich genau dies eingefordert haben, nämlich dass Politik auch von außen Anstöße bekommen sollte, wie sie künftig mit solchen Themen umgeht, was die Nachhaltigkeit betrifft mit ihrem Dreisäulenkonzept. Diese Chance ist vertan.

Ich könnte jetzt noch mit der Geschäftsordnung kontern und sagen, die Linkspartei.PDS könnte die Einsetzung einer Enquetekommission beantragen - das würde ihr laut Geschäftsordnung zustehen -, aber, ich denke, das wäre vertane Zeit. - Danke.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Lüderitz. - Weitere Wortmeldungen gibt es dazu nicht, sodass wir über den Antrag abstimmen können. Eine Überweisung ist nicht beantragt worden; das hätte auch keinen Sinn ergeben.

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Das ist die PDS-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind die anderen Fraktionen. Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 13 beendet.

(Herr Dr. Köck, Linkspartei.PDS: Enthaltungen!)

- Ja. Wer enthält sich der Stimme? - Niemand. - Es ist übrigens nach unserer Geschäftsordnung - das darf ich einmal sagen - nicht erforderlich, dergleichen Frage zu stellen. Wir machen das zwar meist, aber wenn die Mehrheit festgestellt ist, reicht das.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung

Verabschiedung einer bundeseinheitlichen Bleiberechtsregelung und Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für langjährig in der Bundesrepublik Deutschland lebende ausländische Personen (Altfallregelung)

Antrag der Fraktionen der Linkspartei.PDS - Drs. 5/239

Ich bitte nun Frau Rente, diesen Antrag einzubringen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag der Fraktion der Linkspartei beinhaltet eines der großen humanitären Anliegen in unserem Land, ein Bleiberecht für lange hier lebende Flüchtlinge. Dieses Anliegen hat mittlerweile eine lange Geschichte. In den vergangenen Monaten habe ich viele Menschen kennen gelernt, die sich wie ich die Frage stellen, welchen Sinn die Abschiebung von Menschen hat, von Menschen, die hier seit zehn oder mehr Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben, deren Kinder hier in die Schule gehen und wiederum deren Freunde Deutsche sind und deren Eltern sich um Arbeit bemühen. Welchen Sinn hat das?

Diese Frage stellen sich Rechtsanwälte, die sich für Asylsuchende engagieren, Ärzte, die traumatisierte Frauen betreuen und darum kämpfen, dass diese nicht dorthin zurückmüssen, wo sie vergewaltigt wurden, Flüchtlingsinitiativen und Vereine, Wohlfahrtsverbände, Ausländerbeauftragte und Kirchenvertreter, die Familien Kirchenasyl gewährten und es immer wieder tun würden.

Im Juni 2006 haben sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Huber und der griechische Metropolit Augoustinos für ein humanitäres Bleiberecht ausgesprochen. Die Forderung nach einer humanitären Bleiberechtsregelung kommt mittlerweile aus allen demokratischen Parteien. In jeder Fraktion dieses Hauses gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich in irgendeiner Weise für Probleme von Asylsuchenden eingesetzt haben. Ich möchte hier an Mehmet Arcan erinnern. Diesen Fall hatten wir in der vergangenen Woche im Petitionsausschuss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, die Zeit ist überreif. Wir brauchen jetzt eine Bleiberechtsregelung für lange hier lebende Ausländerinnen und Ausländer. Es darf nicht länger sein, dass Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, fünf, zehn oder mehr Jahre keine gesicherte Lebensperspektive haben, trotz ihrer Integration, trotz ihrer Bemühungen, für ihre Familien aufzukommen und Arbeit zu finden. Heimat gehört nicht nur uns Deutschen in diesem Land.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hören wir also auf mit dieser wirklichkeitsfremden Praxis. Stellen wir uns den Realitäten. Zu denen gehört, dass das Zuwanderungsgesetz keine befriedigenden Regelungen für das Bleiberecht verankert hat. Solange das Asylrecht in Deutschland wesentliche Gründe für Asyl nicht anerkennt, solange brauchen wir die Regelungen für diejenigen, die durch das enge Raster fallen

und trotzdem nicht abgeschoben werden können. Wir brauchen solche Regelungen, weil es ihre persönlichen und andere Gründe verlangen bzw. die Lage in ihren Herkunftsländern über viele Jahre hinweg eine Abschiebung einfach nicht gestattet. Ich denke hier an den Irak, an den Iran, an Syrien, an Afghanistan, an die Türkei und an den Kosovo.

Wir brauchen Regelungen, damit sich diese Menschen eine Lebensperspektive aufbauen können und nicht ständig auf gepackten Koffern sitzen müssen. Das betrifft in Deutschland mehr als 200 000 Geduldete. Von diesen leben rund 150 000 länger als acht Jahre in Deutschland.

Bei den Zuzügen nach Sachsen-Anhalt handelt es sich abgesehen von Studentinnen und Studenten im engeren Sinne um Zuweisungen. Asylbewerberinnen und Asylbewerber werden entsprechend bundesweiter Quoten unserem Bundesland zugewiesen. Gleiches gilt für jüdische Kontingentflüchtlinge sowie für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler.

(Herr Kolze, CDU: Die sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes! Das ist ein Unterschied!)

Ihr Status wird allerdings nicht vom Zuwanderungsgesetz geregelt. Hierfür gelten andere Gesetze.

Nach Angaben des Bündnisses für Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt ist der Anteil ausländischer Mitbürger in Sachsen-Anhalt seit Mitte der 90er-Jahre stagnierend. Er liegt bei 1,8 % der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt. Für die meisten Zugewanderten ist unser Bundesland nur eine Durchgangsstation, bis sie woanders bessere Bedingungen für eine berufliche Entwicklung finden. Es ist also weder mittel- noch langfristig zu befürchten, dass die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Bundesland durch die Aufwendungen für Asylbewerber Schaden nimmt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Linkspartei.PDS unterstützt die Position des Caritasverbandes im Bistum Magdeburg, des DRK-Landesverbandes und des Flüchtlingsrates in Sachsen-Anhalt, dass Ausländerinnen und Ausländer, die sich mindestens fünf Jahre lang rechtmäßig oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten, ein Bleiberecht erhalten sollen. Familien, deren Kinder bei der Einreise minderjährig waren oder in Deutschland geboren wurden, sollten diese Möglichkeit bereits nach drei Jahren erhalten. Gleiches sollte für ältere, schwer kranke und behinderte Menschen gelten.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollten nach zwei Jahren ein Bleiberecht erhalten. Für Traumatisierte sollte es keine Wartezeit geben. Das Bleiberecht sollte weder von der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts noch vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses und vor allem nicht vom Herkunftsland, von der Kultur, der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit abhängig gemacht werden.

Juristisch ist zu klären, welcher Weg für die Regelung eines Bleiberechts geeignet wäre. Unseres Erachtens könnte dabei § 25 des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden. Nach Absatz 5 dieser Regelung werden Aufenthaltserlaubnisse erteilt, wenn die Ausreise aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Gegenwärtig prüft das Bundesverfassungsgericht die Auslegung dieses Paragrafen.

Möglich wäre es auch, einen zusätzlichen Absatz 6 einzufügen. Es ist aber unbedingt notwendig, solche Landeserlasse zu überprüfen und gegebenenfalls abzuschaffen, die dem Wirken insbesondere des § 25 des Aufenthaltsgesetzes entgegenstehen.

Wo und wie auch immer es geregelt wird, in jedem Fall ist eine begleitende Regelung erforderlich. Es ist dringend geboten, zugleich von jeglichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber solchen Personen abzusehen, die gewissermaßen potenziell in eine Bleiberechtsregelung hineinfallen könnten. Bis zu einer Bleiberechtsregelung sollte ein Abschiebestopp gemäß § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes erlassen werden.