Protocol of the Session on September 15, 2006

Umso unverständlicher ist es ebenfalls, dass Großunternehmen wie die Deutsche Bank große Gewinne machen, aber ihre Dienstleister im Sicherheits- und Reinigungsgewerbe mit Dumpingpreise abspeisen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Einführung eines Mindestlohns wäre eine echte Reform des Sozialstaates, um öffentliche Ausgaben zu senken, die Binnennachfrage zu stärken und mehr Steuern einzunehmen. Deswegen sind wir guter Hoffnung, dass die Ideen der SPD, wie gestern in der „Volksstimme“ zu lesen war, in der Konkretisierung zu einem gesetzlichen Mindestlohn führen. Existenzsichernde Einkommen sind für uns als Fraktion der Linkspartei.PDS unverzichtbar für Menschwürde und Demokratie,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

weil Würde ihren Wert und Arbeit ihren Preis hat. Deswegen wollen wir einen gesetzlichen Mindestlohn.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank für die Einführung, Frau Rogée. Sie waren bereit, die Frage von Herrn Kosmehl zu beantworten. - Bitte schön, Herr Kosmehl.

Frau Kollegin Rogée, Sie haben über die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika gesprochen. Ich frage Sie ganz offen, ob Sie auch die anderen arbeitsmarktpolitischen Regelungen in den USA, beispielsweise keinen Kündigungsschutz oder keine Arbeitszeitregelungen, übernehmen wollen?

Herr Kosmehl, wissen Sie, das ist immer so eine Fangfrage. Das kann man für jedes Land feststellen.

(Zurufe von der CDU)

- Lassen Sie mich erst einmal zu Ende reden. - Es ist natürlich so, dass ich das, was in Schweden passiert, nur unterschreiben kann. Aber man muss sich, wenn man das umsetzen will, alles genau angucken. Damit haben Sie völlig Recht. Dennoch - davon sind wir alle nicht frei - suchen wir uns immer Argumente heraus, mit denen man versucht, seine Argumentation zu unterstützen. Das war mein Anliegen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank für die Beantwortung. - Für die Landesregierung hat der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Haseloff das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema wird zurzeit in den Medien und auch in der Öffentlichkeit sehr emotional diskutiert. Auch die Landesregierung hat sich an verschiedenen Stellen zu diesem Themenkomplex geäußert. Ich möchte versuchen, für die Landesregierung Folgendes kurz aufzureißen.

Erstens. Die Lohnfindungsprozesse, die in unserem Staat stattfinden, sind eindeutig Lohnfindungsprozesse, die originär im Bereich der Tarifautonomie zu vollziehen sind. Das heißt, Gewerkschafter und Arbeitgeber - dafür haben sie einen verfassungsmäßigen Schutz - sind beauftragt bzw. verpflichtet, diese Prozesse zu strukturieren und zu entsprechenden Tarifverträgen zu kommen. Diese Tarifverträge sehen in Sachsen-Anhalt so aus, dass von 52 bei uns registrierten Tarifverträgen für die verschiedensten Tätigkeitsgruppen allein 31 dieser Tarifverträge Löhne von unter 5,50 € aufweisen, offiziell mit der Unterschrift beider Seiten sanktioniert und somit auch praktiziert.

(Herr Borgwardt, CDU: So ist das!)

Wir haben eine ganze Reihe von Tarifverträgen, die sogar Löhne von unter 3 € bzw. im Bereich von 3,80 € offiziell vereinbart haben. Damit will ich zur Kenntnis geben, dass es an dieser Stelle einen realen Lohnfindungspro

zess gegeben hat, der die wirtschaftlichen Realitäten der jeweiligen Branche, aber auch die Situation in unserem Lande adäquat abzubilden versucht.

Deswegen ist es für mich schon ein Problem, dass nun politisch aus dieser Richtung die Forderung aufgemacht wird, dass der Staat anstelle der verfassungsmäßig verbrieften Tarifautonomie an dieser Stelle tätig werden soll, die offiziellen, von beiden Tarifpartnern frei geschlossenen Verträge kassieren soll und einen Mindestlohn von beispielsweise 7,50 € oder mehr festlegen soll. Das halte ich für verfassungsrechtlich höchst problematisch und für ordnungspolitisch ebenfalls einen starken Eingriff.

(Beifall bei der CDU)

Trotzdem sollten wir versuchen, die Diskussion sachlich zu führen. Das heißt, am Anfang steht eigentlich erst einmal ein definitorisches Problem. Wir müssen nämlich Klarheit darüber bekommen, was eigentlich zurzeit alles unter dem Thema Mindestlohn läuft. Die Begrifflichkeit ist in der Anwendung oftmals sehr verwirrend. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass zum Thema Mindestlohn drei bis vier Hauptmöglichkeiten existieren, um diesen Begriff überhaupt juristisch zum Tragen zu bringen.

Die erste Möglichkeit besteht darin, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Das ist auf der Basis eines Gesetzes aus dem Jahr 1953 durchaus möglich, setzt aber voraus, dass es überhaupt keine Ordnung am Arbeitsmarkt gibt, dass sich die Tarifpartner außerstande sehen, überhaupt ein strukturiertes Lohnfindungsverfahren zu organisieren und dass die Existenzgrundlagen großer Teile der Bevölkerung nicht gesichert werden können.

Herr Minister, es gibt eine Frage von Frau Rogée.

Ich bitte Sie, diese zurückzustellen. Ich werde sie nachher im Komplex beantworten. - Dieses Gesetz ist in den Jahren seit seinem Bestehen in der Bundesrepublik nie zur Anwendung gekommen, weil die Tarifautonomie griff und weil die entsprechenden Tarifpartner sich durchaus in der Lage sahen, dieses Thema vernünftig anzugehen.

Mir ist natürlich schon bewusst, dass gerade in den neuen Ländern und auch in Sachsen-Anhalt der Organisationsgrad der Gewerkschaften, aber auch der Arbeitgeber sehr gering ausgeprägt ist. Deswegen muss man diese Diskussion auch aus diesem Grunde sehr differenziert führen, weil auf der einen Seite große Teile der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auf diese Weise kaum oder nur wenig abgebildet werden. Auf der anderen Seite konnten auch die Arbeitgeber kein strukturiertes Vorgehen organisieren. Wir hoffen allerdings, dass sich dies in den nächsten Jahren einer besseren Qualität zuführen lässt.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Mindestlohn im Tarifvertrag zu vereinbaren. Diese Möglichkeit ist durch das Grundgesetz sogar verbrieft. Es ist ebenfalls möglich, einen Mindestlohn über die Allgemeinverbindlichkeit auf der Basis von Tarifverträgen festzulegen. Das ist - das gebe ich zu - in den letzten Jahren so gut wie nicht praktiziert worden. Aber ich muss sagen, es ist kein Ausschlusskriterium für Sachsen-Anhalt festzumachen. Darüber ist jederzeit vor dem Hintergrund der realen Branchenstrukturen zu diskutieren.

Es gibt, wie gesagt, die Möglichkeit, einen Mindestlohn über eine Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz festzulegen. Das funktioniert schon im Bauhaupt- und im Baunebengewerbe sowie in verschiedenen anderen Bereichen. Das bringt aber die Diskussion automatisch wieder auf die Regionen. Im Arbeitnehmerentsendegesetz gibt es den Bau betreffend einen Mindestlohn West und einen Mindestlohn Ost. Das heißt, wir haben wieder eine Spaltung in unserem Vaterland zu verzeichnen, die auch vor Ort nicht als unproblematisch angesehen wird.

Was sollten wir als Landesregierung und Sie als Landtagsabgeordnete in diesen Prozess einbringen? - Das Bundeskabinett hat im August dieses Jahres auf der Basis der Koalitionsvereinbarung auf der Bundesebene eine Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt eingesetzt. Hierin arbeiten auch Vertreter der einzelnen Bundesländer mit. Diese Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Ansatz zu schaffen, um eine sinnvolle Ordnung im Niedriglohnbereich herbeizuführen und gegebenenfalls in diesem Zusammenhang auch über Modelle des gesetzlichen Mindestlohns oder über entsprechende andere Alternativen für Mindestlöhne zu diskutieren.

Dieser Prozess läuft und ist sehr produktiv. Wir sind ebenfalls in diesen Prozess mit einbezogen. Ich muss sagen: Wer sich in dieser Arbeitsgruppe befindet, der weiß, welch ein hoher Grad an Komplexität dieser gesamten Thematik innewohnt, dass es hierbei keine Schwarz-Weiß-Malerei geben kann und dass es kein einfaches Patentrezept gibt, sondern dass wir sehr differenziert und branchenbezogen vorgehen müssen.

Fakt ist jedenfalls, dass die praktische Erfahrung in Sachsen-Anhalt zeigt, dass die Mindestlohndebatte zumindest dann sinnvoll ist, wenn es darum geht, den Niedriglohnbereich im Arbeitsmarkt für niedrig qualifizierte Arbeitslose zu implementieren. Hier haben wir mit unserem Einstiegsgeld durchaus Erfolge zu verzeichnen. Mehrere tausend Arbeitsplätze konnten auf diese Weise geschaffen werden. Es ist uns aber bewusst, dass es sich dabei um Beschäftigungen im Niedriglohnbereich handelt, die aber mit dem Qualifikationsniveau dieser Arbeitslosen korrespondieren.

In dem Moment, in dem wir diese Mindestlohndebatte auch im Zusammenhang mit dem Kombilohnmodell Einstiegsgeld aufgegriffen haben, stellten wir schnell fest, dass jede Vergleichsvariante mit anderen Ländern in Europa, aber auch darüber hinaus, an einer Stelle zu hinken beginnt, nämlich dann, wenn es um die Frage geht, in welchen Gesamtkontext die ganze Diskussion über den Mindestlohn in den jeweiligen Nationalstaaten einzuordnen ist und wie das Sozialstaatsprinzip dort aussieht.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Da müssen wir ganz klar feststellen, dass es ein Grundsicherungssystem nach SGB II, wie es in Deutschland praktiziert wird, in keinem anderen dieser Länder gibt und dass wir von der Höhe der finanziellen Leistungen her gesehen das komfortabelste Grundsicherungssystem besitzen. Dies führt letztlich bei den unteren Lohngruppen zu Problemen mit dem Abstandsgebot.

Genau darum drehen sich die aktuellen Diskussionen, wenn Volkswirte Vorschläge bezüglich der Anpassung der Höhe der Leistungen machen, damit auch in diesen Bereichen der Anreiz geschaffen wird, Arbeit aufzuneh

men. Diese Problematik ist allerdings nicht ohne gesellschaftlichen Sprengstoff. Deswegen rate ich an dieser Stelle dazu, diese Diskussion nach hinten zu stellen und zunächst darüber nachzudenken, wie man über kreative Kombilohnmodelle auf der Basis des Grundsicherungssystems und unter Nutzung der Möglichkeiten entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten organisieren kann.

Denn eines steht fest: Wenn wir in Deutschland einen Mindestlohn einführen, egal auf welchem Weg, dann ist das zwar kein Tabubruch, wie es die Beispiele Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Staaten zeigen, aber es ist im Kontext des deutschen Grundsicherungssystems und unseres Sozialstaatssystems ein starker ordnungspolitischer Eingriff, der gut überlegt sein sollte und der durchaus völlig andere Effekte erzielen kann als in den genannten anderen Staaten.

Ein Weiteres. Wenn wir über Mindestlöhne reden, dann muss ganz klar feststehen, dass wir mit diesem Ansatz nicht Arbeit vernichten, sondern Beschäftigung am Arbeitsmarkt generieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Deswegen ist hier ebenfalls ein hohes Maß an Augenmaß an den Tag zu legen. Das ist vor dem Hintergrund der jetzt ablaufenden Prozesse festzustellen. Mindestlöhne im Bereich des Grundsicherungssystems und in der Höhe von Sozialleistungen sind volkswirtschaftlich nicht gefährlich. sie könnten eher ordnungspolitisch dazu beitragen, dass die Kombilohnvarianten verwaltungstechnisch und finanzpolitisch überhaupt durchsetzbar und implementierbar werden.

Sobald wir jedoch der Höhe nach die Struktur der Leistungen des Grundsicherungssystems verlassen, betreten wir Wege, die - das zeigen die Erfahrungen in Großbritannien - zumindest in bestimmten Phasen und für bestimmte Personengruppen zu einer Reduzierung von Beschäftigung führen, allerdings nicht in dem gravierenden Ausmaß, wie es oftmals in volkswirtschaftlichen Berechnungen extrapoliert wurde.

Bei der Diskussion, die zurzeit auf der Bundesebene geführt wird, bringen wir als Landesregierung Folgendes ein: Die Tarifpartner sind gefordert. Die Tarifautonomie hat absolute Priorität. Der Staat sollte sich an dieser Stelle sehr stark zurückhalten. Ein Eingriff in dieses System ist momentan bezüglich der Gesamtwirkung kaum zu kalkulieren. Wir sollten die Experimente und Erfahrungen, die gerade jetzt im Zusammenhang mit den Kombilohnvarianten, die der Bund plant, gesammelt werden, auswerten, evaluieren und dann vor dem Hintergrund einer vernünftigen Datenbasis weitere Entscheidungen treffen.

Auf jeden Fall - das ist auch eine ganz klare Botschaft - ist jeder entsprechende Mindestlohn, der in diesem Staat realisiert werden würde, ein falsches Signal, wenn er - ich sagte es bereits - Arbeit vernichtet. Ein Mindestlohn, der zu hoch ist, muss auf jeden Fall abgelehnt werden. Demzufolge ist der Einstieg in diese Diskussion mit der genannten Vorsicht vorzunehmen. Das heißt, dass wir vor dem Hintergrund dessen, was im Grundgesetz verankert ist, nicht eine Folgediskussion provozieren, die dann darin einmündet, dass sich die freien Partner in dieser offenen Gesellschaft schlicht und einfach nicht mehr in der Lage sehen, ihre Zuständigkeitsbereiche vernünftig zu strukturieren. Nach der Erfahrung von zwei Diktaturen sollten wir nicht wieder nach dem Staat schreien und fordern, dass er etwas organisieren

soll, was wir mit dem Grundgesetz ganz bewusst den Tarifparteien zugeordnet haben.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Deswegen bitte ich darum, Augenmaß zu bewahren, und sage für die Landesregierung, dass wir uns trotzdem all den diskutieren Varianten nicht verschließen werden, wenn sie für Sachsen-Anhalt mehr Arbeit bedeuten.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, vielen Dank. Sie waren bereit, eine Frage von Frau Rogée zu beantworten. Es gibt noch weitere Nachfragen von Herrn Henke, von Herrn Gallert und von Herrn Dr. Köck. Wären Sie bereit, auch diese Fragen zu beantworten?

Wenn es der Zeitplan zulässt, gern.

Bitte schön.

Herr Haseloff, Ihre Aussagen haben natürlich eine ganze Menge Angriffspunkte geboten. Darauf will ich jetzt nicht eingehen. Aber ich hoffe wirklich - das meine ich ernst -, dass wir die Gelegenheit haben, darüber einmal intensiver zu reden und das einmal auseinander zu klamüsern, weil Ihre Aussagen Ansätze enthalten, die wir nicht mittragen. Das ist klar.

Aber ich will mich auf das beschränken, weshalb ich mich gemeldet habe. Sie wissen doch sicherlich, dass ich jahrelang Tarifverhandlungen geführt habe, dass ich eine eingefleischte Gewerkschafterin bin und dass ich auch für die Tarifautonomie stehe. Ich bin die Allerletzte, die sagt, dass der Staat die Tarifautonomie übernehmen soll.