Protocol of the Session on September 15, 2006

Aber ich will mich auf das beschränken, weshalb ich mich gemeldet habe. Sie wissen doch sicherlich, dass ich jahrelang Tarifverhandlungen geführt habe, dass ich eine eingefleischte Gewerkschafterin bin und dass ich auch für die Tarifautonomie stehe. Ich bin die Allerletzte, die sagt, dass der Staat die Tarifautonomie übernehmen soll.

Ich habe vorhin versucht, an dem Modell Großbritanniens deutlich zu machen, welche Wege dort gefunden worden sind. Beteiligt sind dort nämlich genau die die Tarifautonomie ausübenden Parteien, nämlich die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und die Wissenschaft, nicht jedoch die Politik. Die Politik trifft am Ende nur die Entscheidung nach den Vorschlägen. Insofern finde ich es unredlich zu sagen, dort werde die komplette Tarifautonomie außer Kraft gesetzt.

Die Anzahl der Tarifverträge habe ich vorhin genannt.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Ich stelle meine Frage. Lasst mich doch nur einmal - - Jetzt hat er mich wirklich durcheinander gebracht.

Frau Rogée, bitte formulieren Sie Ihre Frage, damit sie beantwortet werden kann.

Meine Frage ist, ob Sie die Summen, die Sie vorhin genannt haben und bei denen Sie sagen, dass man dafür keinen Mindestlohn benötigt, als Höhe für die Einkommen der Beschäftigen akzeptieren.

Frau Rogée, wir befinden uns in einer Marktwirtschaft und in der Marktwirtschaft finden Lohnfindungsprozesse vor dem Hintergrund betriebswirtschaftlicher Kenndaten statt.

Natürlich gebe ich zu, dass die existente Arbeitsmarktsituation, in der es kein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot gibt, in der die hohe Zahl an Arbeitslosen einfach nicht in adäquate Beschäftigung gebracht werden kann, dazu führen kann, dass Arbeitgeber auch unterhalb von betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten versuchen, Lohnabschlüsse bzw. Lohnfindungsprozesse zu realisieren. Das wissen wir.

Deshalb hat der Staat, der das hohe Gut der Tarifautonomie dem Grunde nach akzeptiert, ein Grundsicherungssystem implementiert, das sicherstellt, dass jeder ein verbrieftes existenzsicherndes Minimum erhält. Dieses Existenzminimum ist im SGB II verankert. Dies bedeutet konkret, dass jedem, heruntergerechnet auf den Stundenlohn in einer 37,5-Stunden-Woche, ein Nettolohn von mindestens 4 € zusteht. Das heißt, es sind ungefähr 5,50 €. Jeder in diesem Land bekommt mindestens 5,50 €. Wir haben aufgrund der hier einsehbaren Tarifverträge das Problem, dass sehr viele Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt - bis zu 25 % - nach diesem Grundsicherungsprinzip schlicht und einfach Aufstockbeträge beantragen.

Wenn wir jetzt einen Mindestlohn oberhalb dieses genannten Grundsicherungsbetrages festlegen - für Beschäftige in Bedarfsgemeinschaften aus Mehrpersonhaushalten sind die von mir genannten Stundenlöhne, nämlich 5,50 €/4 €, noch wesentlich höher; sie können eine Höhe von 10 € bis 12 € erreichen -, dann haben wir in Sachsen-Anhalt die Situation, dass wir mehr als 50 % aller Beschäftigungsverhältnisse entweder vollständig subventionieren oder zum Wegfall bringen.

Das haben auch die Gewerkschafter erkannt. Wenn sie zum Beispiel für das Frisörhandwerk einen Stundenlohn von 4 € festlegen und dies unterschreiben, dann wissen sie, dass sich, wenn dort ein Stundenlohn von 8 € vereinbart würde und eine Dauerwelle nicht 40 €, sondern 80 € kosten würde, in einem Frisörsalon nichts mehr abspielt, sondern nur noch abends nach 18 Uhr in den Wohnblöcken Schwarzarbeit stattfinden würde. Das kann keiner wollen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Rogée, Linkspartei.PDS: Das ist doch Quatsch!)

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Frage.

Bevor ich Herrn Henke das Wort erteile, begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Seelandschule Nachterstedt. Herzlich Willkommen auf der Südtribüne!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Henke, bitte stellen Sie Ihre Frage präzise und knapp, damit wir ein bisschen vorankommen.

Danke. - Herr Minister, Ihre Ausführungen enthielten einen sachlichen Fehler, der nur scheinbar marginal ist. Es ist gerade nicht so, dass über das Arbeitnehmerentsendegesetz der Mindestlohn auch für das Baunebengewerbe gilt, wie Sie ausgeführt haben.

Meine Frage: Ist Ihnen bekannt, dass die Bauunternehmer Sachsen-Anhalts mehrfach ihre Bereitschaft erklärt haben, den Mindestlohn West in Sachsen-Anhalt zu übernehmen, falls es endlich einen echten Mindestlohn gibt, der für alle Gewerke gilt?

(Frau Budde, SPD: Das ist richtig!)

Sie wissen, dass der Mindestlohn, unabhängig davon, welches Gewerbe tätig ist, zu zahlen ist, wenn eine entsprechende Baustelle bedient wird.

(Herr Henke, Linkspartei.PDS: Das ist nicht rich- tig!)

- Darüber sprechen wir einmal im Detail. Ich musste solche ordnungspolitischen Maßnahmen selbst durchführen und die Leute dingfest machen. Das ist ein Thema für sich. Es ist sicherlich schwer, dies in wenige Sätze zu fassen, da es ein sehr komplexes Gesetz ist. Aber de facto ist es so, dass, unabhängig davon, was in dem Gewerbe und dem Gewerk bezahlt wird, auf den konkreten Baustellen, die durch das Arbeitnehmerentsendegesetz betroffen sind, andere Bedingungen vorherrschen.

Sie meinen ja, dass schon versucht wurde, eine OstWest-Angleichung zu erreichen, und dass hierbei keine Einigung möglich war, weil die Arbeitgeberseite geblockt hat. Das ist uns bekannt.

Aber wir wissen auf der anderen Seite auch, wie viele Firmen bei entsprechenden Zuschlägen für Aufträge in unserem Land dann überhaupt nicht mehr bedienbar gewesen wären. Wir wissen, dass viele Firmen, wenn eine Angleichung auf den Westtarif stattgefunden hätte und wir einen einheitlichen Mindestlohn hätten, vor dem Hintergrund dessen, dass die Betriebsgröße im Allgemeinen wesentlich kleiner ist und dass die Renditen bzw. die Gewinne auch aufgrund der geringen Kapitalbasis dieser Unternehmen wesentlich geringer ausfallen, sowie aufgrund der daraus resultierenden Probleme in vielen Fällen keine Chance hätten, überhaupt zu Aufträgen zu kommen.

Deswegen sollten wir dieses Prozedere, das dort gefunden wurde - das Arbeitnehmerentsendegesetz hat einige andere Intentionen; es will nämlich Dumping und Billigarbeit durch andere Nationalstaaten in Deutschland verhindern -, nicht nutzen, um eine allgemeine Mindestlohndiskussion herbeizuführen.

Wir sollten die vorhin genannten rechtlichen Grundlagen dieses Themas durchaus in ihrer originären Ursache und Wirkung weiterhin behandeln. Aber wir sollten nicht versuchen, die Mindestlohndiskussion an der allgemeinen Diskussion zum Arbeitnehmerentsendegesetz hochzuziehen.

Das Arbeitnehmerentsendegesetz ist ein ordnungspolitisches Sicherungsgesetz, das seit vielen Jahren und Jahrzehnten existiert. Es hat eine Wirkung entfaltet, die konkret für diesen Anlass notwendig ist. Aber ich halte es nicht für legitim, daraus resultierend eine Diskussion zum Mindestlohn für alle Branchen aufzumachen, die überhaupt nicht von entsprechenden Dumpingangeboten betroffen sind.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. Herr Professor Dr. Paqué hat auch um die Beantwortung einer Frage gebeten, wenn Sie, Herr Minister, bereit sind, diese zu beantworten. - Herr Professor Dr. Paqué, Ihre Frage wäre die letzte zu diesem Thema, weil wir dann in die Diskussion eintreten wollen.

Jetzt ist aber erst einmal Herr Gallert an der Reihe. Herr Gallert, bitte.

Nur eine Bemerkung, Herr Minister. Die Situation sieht zumindest im Osten Deutschlands gerade so aus, dass wir das Problem der Dumpinglöhne haben, ohne dass irgendjemand aus dem Ausland hierher kommen und Dumpinglöhne mitbringen muss. Das Problem ist also sehr wohl ein eigenes. Wir haben das Problem in Sachsen-Anhalt trotz der extrem geringen Ausländerquote. Die Argumentation in Bezug auf das Entsendegesetz ist möglicherweise traditionell ableitbar, aber inzwischen ist sie völlig überholt; denn ob jemand für Dumpinglöhne arbeitet, hängt schon lange nicht mehr davon ab, welche Sprache er spricht.

Meine Frage ist aber eine andere. Ich will wirklich nicht polemisch werden. Ihre Argumentation würde mich vor dem Hintergrund der europäischen Erfahrungen interessieren. Sie sagen: Gesetzliche Mindestlöhne werden immer dann problematisch, wenn sie sich im Ergebnis oberhalb des Grundsicherungssystems abspielen. Das haben Sie mehrfach ausgeführt. Sie haben gleichzeitig aber gesagt, dass wir ein hohes Grundsicherungsniveau wie in keinem anderen vergleichbaren Land - ich beziehe mich jetzt einmal auf europäische Länder, wobei ich über Skandinavien andere Dinge gehört habe, aber sei es drum - haben.

Wenn es so ist, dass zum Beispiel in Großbritannien und Frankreich mit einem vergleichbaren Bruttoinlandsprodukt - Zahlen pro Kopf - bedeutend niedrigere Grundsicherungssysteme vorhanden sind - Sie sagen, viel niedrigere als bei uns -, die gesetzlichen Mindestlöhne in Großbritannien für mindestens 90 % der Arbeitnehmer jedoch deutlich über dem Betrag liegen, über den hier diskutiert wird - sie liegen nämlich zwischen 7,50 € und 8 € -, warum kommt es dann dort nicht zu den Schwierigkeiten, die Sie für Deutschland proklamieren?

Sie können die Systeme in Frankreich und in Deutschland sowie in Großbritannien und in Deutschland überhaupt nicht miteinander vergleichen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das dortige Grundsicherungssystem ist individuell aufgebaut. Es hat die Komponente von Bedarfsgemeinschaften, von Kombinationseinkommen, die Komponente einer Warmmiete und ähnliche Elemente überhaupt nicht vorrätig.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Das heißt, Sie haben an dieser Stelle vom Staat über den Mindestlohn eine Mindestexistenzsicherung eingezogen bekommen, um zu vermeiden, dass in bestimmten Familien und in bestimmten Bedarfsgemeinschaften kein adäquates Leben möglich ist, weil die individuelle Leistungshöhe, die man dort als Arbeitnehmer beziehen

kann, der sich gegebenenfalls um Arbeit bemüht oder der vorher gearbeitet hat, nicht ausreicht, um dies, ähnlich wie das in Deutschland möglich ist, sicherzustellen.

Selbst dort sind die Erfahrungen gemacht worden, dass für bestimme Berufsgruppen die Schwelle des Einstiegs in den Arbeitsmarkt erhöht wurde.

Insgesamt - darin gebe ich Ihnen Recht - hat dies allerdings nicht zu fatalen Einbrüchen in der Gesamtbeschäftigungssituation in diesen Branchen geführt. Deswegen muss tiefer hingeschaut werden, wenn diese Arbeitsgruppe auf der Grundlage der Datenbasis, die in Deutschland vorliegt, in Berlin arbeitet.

Aber wir müssen auch eines sagen: Wenn wir Mindestlöhne in Frankreich und in Großbritannien mit den hier ins Auge gefassten Mindestlöhnen vergleichen, dann vergleichen wir an dieser Stelle Äpfel mit Birnen.

Der Bruttolohn in Deutschland ist völlig anders strukturiert. Der Arbeitgeberanteil, der auf dem Lohnzettel gar nicht mit erscheint und der im Sinne der Sozialversicherungsbeiträge extra abzuführen ist, ist hier völlig anders strukturiert als in Frankreich und in England, wo bei entsprechenden Lohnhöhen fast überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind.

In Frankreich zahlt man in diesen Lohngruppen 6 % mit einer entsprechenden Anstiegskomponente. Wenn man 1,6 % des Mindestlohnes erreicht hat, muss man dort die vollen Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine Splittung in Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil bei den Sozialversicherungsbeiträgen findet dort überhaupt nicht statt, ist aber bei uns Bestandteil der Arbeitskosten.

Das heißt, wir müssen mit Blick auf die Rankings, die international aufgestellt werden, zwischen Bruttolöhnen und den realen Arbeitskosten unterscheiden; denn bei uns sind in den Bruttolöhnen Arbeitskosten mit verankert, die in diesen anderen Systemen über völlig andere Wege finanziert werden, und zwar indem man sich dort selbst kranken- und rentenversichert, indem man diese Komponenten sozusagen individuell zu lösen hat und nicht der ganz normalen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung angedient hat.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Genau so ist es!)

Vielen Dank, Herr Minister Haseloff. - Es gibt noch zwei Fragen. Herr Dr. Köck und Herr Professor Dr. Paqué haben jeweils noch eine Frage. Danach würde ich gern in die Diskussion einsteigen wollen.

Es ist keine Frage, sondern eine Kurzintervention. - Herr Minister, wir haben aufgrund der unterschiedlichen Fachgebiete sehr wenig direkt miteinander zu tun. In einer Gesprächsrunde auf dem Petersberg bei Halle habe ich Sie als außerordentlich konstruktiven Diskutanten erlebt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich war enttäuscht, mit welcher Oberflächlichkeit Sie hier die einfachen Argumente, die gängig sind, bedient haben.

(Oh! bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Das ist doch Quatsch! - Frau Weiß, CDU: Frage! - Unruhe)

- Doch. - Stellen Sie sich einmal vor, Sie arbeiteten den ganzen Tag als Minister, könnten aber davon nicht leben. Dass jemand, der 40 Stunden pro Woche arbeitet,