„Viele haben es vergessen oder wussten es von Anfang an nicht klar, was das Volk vor 20 Jahren wirklich erkämpfen wollte und konnte: Die Freiheit, aber nicht das Schlaraffenland! Einen Rechtsstaat, aber nicht völlige Gerechtigkeit! Ein besseres System, aber nicht bessere Menschen!“
Deshalb: Auch wenn 20 Jahre nach dem politischen Umbruch unsere Bürgergesellschaft keine vollends gerechte und schon längst keine vollkommene Gesellschaft geworden ist, haben doch die Menschen die Möglichkeit gewonnen, einen freien Meinungsaustausch zu pflegen, frei zu handeln und zu wählen, zu urteilen und zu vergleichen.
Die Freiheit ist die Chance des Handelns, noch nicht das Handeln selbst. Wir versprechen, die Chancen zu wahren, nicht die Ergebnisse.
Wenn wir zu dieser Freiheit befreit sind, Entscheidungen treffen zu können, wird es auch immer wieder Entscheidungen geben, die dem Ideal nur sehr unvollkommen oder nur näherungsweise entsprechen. Darüber war sich schon Immanuel Kant im Klaren, als er formulierte:
„Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“
Nehmen wir, meine Damen und Herren, also die Herausforderungen an, zur Freiheit befreit zu sein, um die besten Lösungen auch in diesem Hause zu ringen und Entscheidungen zum Wohle unseres Volkes treffen zu können, wie wir dazu fähig sind. - Vielen Dank.
Es ist sozusagen eine Endintervention. Ich habe mich gemeldet, als Herr Scharf den Brief von Lenin zitiert hat. Ich kann Sie beruhigen, Herr Scharf, wir brauchten, was die Staatstheorie von Lenin betrifft, nicht erst die Öffnung der Archive, um zu wissen, dass er systematisch im Grunde genommen die Strukturen angelegt hat, die Stalin für seine Verbrechen gebraucht hat. Deswegen werden Sie auch bei uns niemanden finden, der sich explizit auf seine Staatstheorie bezieht.
Ich möchte Ihnen gleich noch eine andere Frage beantworten. Ich habe sehr lange und mit vielen Leuten dar
über nachgedacht, ob es ausreichend ist, die DDR als Staat zu bezeichnen, der durch die Abwesenheit von Freiheit gekennzeichnet war. Ich sage es Ihnen noch einmal - ich habe es Ihnen vor Kurzem auch gesagt - Objektiv kann an einer Geschichtsbetrachtung das Feststellen von Fakten sein. Aber Sie selbst haben gesagt, wir müssten einmal überlegen, ob das nicht zu schwach sei. Nun hat der Kollege Lenin diesen Brief nicht an Erich Honecker geschrieben. Insofern wollen wir ihn nicht auf die DDR beziehen.
Ich sage es noch einmal ausdrücklich: An dieser Stelle wird man nicht objektiv werden können, weil es eine Bewertung ist, ob diese Aussage zu schwach ist oder nicht. Ich sage ausdrücklich: Nein, an dieser Stelle ist eine Geschichtsbewertung nicht objektivierbar und nicht verbindlich machbar.
Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind damit am Ende der Aussprache zur Regierungserklärung. Beschlüsse zur Sache werden nicht gefasst. Vielen Dank für Ihre Beiträge.
Die Redezeit im Rahmen der Aktuellen Debatte beträgt zehn Minuten für die Landesregierung und zehn Minuten für jede Fraktion. Ich erteile zunächst der Abgeordneten Frau Budde von der antragstellenden Fraktion das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, diese Debatte wird unter den Fraktionen etwas widersprüchlicher gesehen und etwas unterschiedlicher bewertet werden, als das bei dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt der Fall war.
Meine Damen und Herren! Wer nach der Bundestagswahl die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP verfolgt hat, dem bot sich in der Tat ein seltsames Schauspiel.
Noch am Wahlabend hatte das so genannte bürgerliche Lager die natürliche Partnerschaft von CDU und FDP gefeiert. Die Verhandlungen schienen nur Formsache zu sein. Die Realität sah dann anders aus. Das ist wahrscheinlich unvermeidbar, wenn ein Überschwang aus elf Jahren Opposition auf eine Kanzlerin trifft, die das Durchregieren noch unter Helmut Kohl gelernt hat.
Ich finde, es ist im Ergebnis die FDP, die in diesem Fall den kraftstrotzenden Tiger gespielt hat, der in die Verhandlungen gesprungen ist und als handzahmer Bettvorleger im Kanzleramt gelandet ist.
Denn, meine Damen und Herren, Horst Seehofer hat erst am Montag wieder in der „Financial Times“ die FDPPläne für die Einführung des Stufentarifs infrage gestellt: Weder werde der Stufentarif kommen - obwohl er im Koalitionsvertrag vereinbart ist -, noch werde es eine Senkung des Spitzensteuersatzes geben, erklärte er dort.
Das kann ich in der Sache nur ausdrücklich unterstützen. Denn das Geld ist dafür sowieso nicht vorhanden. Allerdings frage ich mich schon, wie es um die Glaubwürdigkeit der neuen Bundesregierung bestellt ist, wenn der Koalitionsvertrag eine Woche nach der Unterzeichnung von einem derjenigen wieder infrage gestellt wird, die ihn unterschrieben haben.
Herr Ministerpräsident Böhmer, Sie haben den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP im „Hamburger Abendblatt“ zwar so gedeutet, dass dies alles nur Absichtserklärungen seien, aber wenn dies so wäre, dann wäre es in der Tat ein noch größeres Armutszeugnis, als ich es bisher dachte; denn Verträge macht man, um sie umzusetzen und um sie gemeinsam einzuhalten.
Es ist aber schon ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte, dass nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen niemand so genau weiß, wohin die Reise gehen soll, aber sofort nach dem Beschluss des Koalitionsvertrages Arbeitsgruppen eingerichtet werden, die den Koalitionsvertrag nun deuten sollen.
- Sie sind doch in der Bundesregierung. Das ist für mich einfacher: Deuten Sie doch einmal! - Ich sage Ihnen, wie ich das deute. Sie können es mir dann widerlegen, und ich wäre froh, wenn Sie mir das in der Praxis widerlegen würden; denn das wäre gut für den Landeshaushalt.
Es ist auch ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Kanzlerin lieber zuerst vor dem amerikanischen Parlament redet, statt dem Bundestag in einer Regierungserklärung zu erläutern, wohin sie das Volk führen will.
Was im Gegensatz zur Bundesregierung keine 100 Tage warten kann, ist eine kritische Betrachtung dessen, was jetzt schon abzusehen ist. Auch wenn wir noch nicht alle Details kennen, schlummern in den jetzt schon bekannten Dingen des Koalitionsvertrages substanzielle mittelbare und unmittelbare Risiken für die Landeshaushalte und für die kommunalen Haushalte und damit auch für unseren Haushalt in Sachsen-Anhalt, zumal unser geschätzter Koalitionspartner immer noch meint, es gäbe mehr Platz im Doppelhaushalt für weniger Schulden und für mehr Sparen.
Also, Herr Tullner, wenn wir nicht wollen, dass der Doppelhaushalt, den wir Anfang 2010 beschließen werden, dann schon wieder Makulatur sein wird, müssen wir heute den Finger in die Wunde legen und sagen: Wehret den Anfängen.
Wahrscheinlich ist es schon zu spät; es sei denn, unser Ministerpräsident hat Recht und es sind nur Absichtserklärungen. Die Bundesregierung hat am Montag das so genannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschlossen. Dieses sieht neben der Erhöhung des Kindergeldes auch Entlastungen für Eltern, für Unternehmen, für Erben und für die Hotelbranche vor. Das hat im Jahr 2010 Auswirkungen in Höhe von ca. 100 Millionen €, die unserem Haushalt weniger zur Verfügung stehen werden. Für das Jahr 2011 belaufen sich die Auswirkungen auf 400 Millionen €.
Wie die Länder angesichts dieser Steuerausfälle die Projekte im Bildungsbereich mitfinanzieren sollen, die je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern finanziert werden sollen, beispielsweise die Stipendien, ist mir in der Tat ein Rätsel. Für mich ist das kein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, sondern ein Konkursbeschleunigungsgesetz für Länder und Kommunen.
Es fallen Ihnen an dieser Stelle natürlich Ihre Wahlversprechungen auf die Füße. Sie hatten nicht die Größe zu sagen: „Wir haben Mist gebaut; das ist nicht zu bezahlen“, und nehmen wider besseres Wissen, sofern es so weit kommt, den Bankrott eines Teils des Gemeinwesens in Kauf.
Für mich ist es auch kein Wunder, dass selbst CDU-Ministerpräsidenten dagegen auf die Barrikaden gehen. Christian Wulff aus Niedersachsen hat bereits während der Koalitionsverhandlungen Widerstand im Bundesrat angekündigt. Peter Müller und Stanislaw Tillich haben ihre Kritik jüngst erneuert und befinden sich damit in guter Gesellschaft; denn auch die kommunalen Spitzenverbände teilen diese Kritik.
Ich kann auch unseren Ministerpräsidenten Professor Böhmer nur unterstützen, wenn er sagt, dass Steuerentlastungen und damit neue Schulden in der gegenwärtigen Situation nicht zumutbar seien.
Es bedarf im Zweifelsfall der juristischen Überprüfung, ob der Bund die Länder indirekt zwingen kann, neue Schulden aufzunehmen und damit gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu verstoßen. Ich war und bin kein Freund der Schuldenbremse; aber da wir sie mit Beschluss des Bundestages erst einmal eingeführt haben, bedarf es einer Klärung über die verfassungsrechtlichen Handlungsspielräume, die dem Bund und den Ländern vor diesem Hintergrund zustehen. Weil es dabei nicht nur um den nächsten oder übernächsten Haushalt geht, sondern um eine grundsätzliche Klärung, würde meine Fraktion eine Verfassungsklage ohne Wenn und Aber unterstützen.
Unabhängig von der Schuldenbremse möchte ich zwei zentrale Punkte des Koalitionsvertrages ansprechen, die für die Entwicklung des Landes und für die Entwicklung der Finanzen verheerend sind.
Zur versprochenen Aufgabenentlastung. Es heißt: Wir streben an, die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkos