Protocol of the Session on October 8, 2009

Dennoch war schon zu lesen und zu hören, dass die einen unter Protest das Kaputtsparen des Landes anprangern und andere fehlenden Mut oder fehlenden Willen bei der Haushaltsaufstellung unterstellen. Jetzt nicken auch diejenigen, die das gesagt haben. Manche Fraktion weiß noch nicht so ganz genau, wie sie es am Ende bewerten wird.

Wie auch immer: Ich lege Ihnen heute den Entwurf des Doppelhaushaltes 2010/2011 nebst dem Haushaltsbegleitgesetz und der Mipla vor. Das Personalentwicklungskonzept ist Ihnen schon seit einiger Zeit bekannt.

Und: Ich werbe ausdrücklich für diesen Vorschlag. Ich werbe für eine sachgerechte Diskussion und für verantwortungsvolle Entscheidungen aller Fraktionen am Ende der Beratungen, natürlich je nach ihrer Stellung zur Regierung; das ist mir auch klar.

Manche Kollegen haben es sich in den letzten Wochen - das sei mir einmal am Rande der Diskussion zu sagen erlaubt - doch ein bisschen einfach gemacht.

Am Rande des Domplatzes bei einer Tasse Kaffee ernsthafte Bemühungen anderer nur zu kommentieren, hilft niemandem und zeugt von wenig eigenen Über

legungen. Ich bin auf die nächsten Wochen gespannt. Ich weiß aber auch, dass es im Finanzausschuss eine gewisse Dynamik geben wird und alle Fraktionen in die Debatte einsteigen werden.

Meine Damen und Herren! Vor etwa einem Jahr habe ich genau an dieser Stelle eine Regierungserklärung zur finanzpolitischen Strategie der Landesregierung abgegeben. Darin hieß es:

„Das Land Sachsen-Anhalt muss bis zum Jahr 2019 auf eigenen finanziellen und wirtschaftlichen Beinen stehen. Dieses Ziel muss, kann und wird das Land auch erreichen, wenn man weiterhin über Legislaturperioden hinausdenkt, wenn man weiterhin die richtigen Weichen stellt und wenn es gelingt, weiterhin zukunftsträchtige Schwerpunkte zu bilden. Dabei haben wir von vier Entwicklungen auszugehen:“

- diese sind Ihnen, so glaube ich, bekannt -

„Sachsen-Anhalt ist mit 20 Milliarden € eines der Bundesländer mit dem höchsten Schuldenstand bezogen auf die Einwohnerzahl. Der Solidarpakt wird bis 2019 auslaufen.“

Mit oder ohne Krise.

„Die Zuwendungen der EU werden ab 2013 weiter sinken und im Jahr 2020 werden in SachsenAnhalt aus heutiger Sicht noch ca. 2,1 Millionen Menschen leben.“

So weit zu meinen damaligen Äußerungen.

Nichts, meine Damen und Herren, hat sich seither an dem Wahrheitsgehalt dieser Sätze geändert: Das Ziel nicht, die Eckdaten nicht und auch nicht die Schwerpunktsetzung der Landesregierung für die zukünftige Entwicklung des Landes und die Projektion der Bevölkerungsentwicklung erst recht nicht - leider; denn das ist unser größtes Problem.

Nichts geändert hat sich auch an meiner Einschätzung von vor einem Jahr. Sachsen-Anhalt - das ist meine feste Überzeugung - ist auf Kurs. Diesen Kurs wird die Landesregierung auch halten. Die Landesregierung hat nicht nur finanzpolitisch erfolgreich agiert. Die Bildungseinrichtungen und die Infrastruktur haben sich weiter deutlich verbessert. Auch in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sind wir vorangekommen. Weiterhin sinkende Arbeitslosenzahlen sind der Beleg.

Noch am 11. September des vergangenen Jahres konnte ich sagen: Ich gebe zu, dabei haben uns auch die Umstände und die allgemeine Entwicklung geholfen. Aber man muss auch in der Lage sein, solche Entwicklungen richtig zu nutzen.

(Herr Wolpert, FDP: Eben!)

Nun, diese Umstände haben sich in den letzten zwölf Monaten grundlegend geändert. Auf der ganzen Welt ist es zu dramatischen Einbrüchen im Finanzsektor und in der so genannten Realwirtschaft gekommen. Auch Sachsen-Anhalt ist betroffen. Es hilft nur wenig, wenn man weiß, dass Länder wie die USA, Irland, Spanien und gerade die osteuropäischen Länder sehr viel stärker von der Krise betroffen sind als Deutschland oder das kleine Sachsen-Anhalt.

In meinem Strategiepapier zur Finanzpolitik habe ich im Juni dieses Jahres auch auf das Ausmaß der Krise in Europa und ihre Folgen für unser Land hingewiesen.

Dabei bin ich der Meinung, dass die Auswirkungen der Ereignisse noch nicht richtig wahrgenommen werden. Zahlreiche Reaktionen in der Öffentlichkeit, aber auch hier im Parlament, in dem ich seitdem viele Gespräche geführt habe, legen diesen Schluss zumindest nahe. Diese Krise ist eine tiefgreifende finanzpolitische Zäsur, mit deren gravierenden Folgen die gesamte Gesellschaft in den nächsten Jahren umgehen muss.

Wie lauten die Fakten? - Erstens. Deutschland befindet sich mit einem Konjunktureinbruch von 5 % bis 6 % in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik. Die bis dahin größte Krise - man kann es sich kaum vorstellen - datiert auf das Jahr 1975. Damals gab es einen Einbruch um minus 0,9 %.

Zweitens. Die staatlichen Interventionen, wie Zuschüsse, Bürgschaften, Beteiligungen, Konjunkturprogramme, erreichen mittlerweile schwindelerregende Milliardensummen. Die Kosten für Maßnahmen, die für den so genannten Bankenschirm aufgewendet worden sind, betragen 480 Milliarden €.

Drittens. Der gesamtstaatliche Schuldenberg wächst in diesem Jahr um 126 Milliarden € auf mehr als 1,7 Billionen €. Für das Jahr 2010 plant der Bund laut vorliegender Haushaltsplanung neue Kredite in Höhe von 86,1 Milliarden €. Das ist mit Abstand die größte Neuverschuldung, die es je gab. Bis zum Jahr 2013 könnten allein beim Bund insgesamt 300 Milliarden € an neuen Schulen erforderlich werden.

Nun lese ich, dass Leute bis hinauf ins Bundeskanzleramt von der finanzpolitischen Situation völlig überrascht sein sollen. In den letzten Tagen ist von der CDU und der FPD ein Kassensturz verlangt worden. So etwas kenne ich, aber dies hätte man sich vor dem Wahlkampf überlegen müssen und man hätte es wissen müssen.

Wer derzeit seinen politischen Schwerpunkt auf Steuersenkungen legt, wird in den nächsten Wochen in größte Argumentationsnot geraten. Sage keiner, er hätte es nicht gewusst.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Es sind dramatische Entwicklungen, die vor uns liegen; aber ich denke, sie sind zu bestehen. Es hilft aber nicht, wenn man sie verschweigt, beschönigt oder verdrängt.

Dies gilt auch für Diskussionen über die Neuverschuldung. Viele in der SPD, der CDU und bei den LINKEN, auch die Kanzlerin selbst, haben wie viele namhafte Volkswirte darauf hingewiesen, dass derzeitiges Sparen um jeden Preis das Problem nicht verkleinert. Ich halte für Sachsen-Anhalt den von der gesamten Landesregierung aufgezeigten Weg für sachgerecht.

Was bleibt? - Meine Damen und Herren! Ohne die Krise hätte der Bund im kommenden Jahr aller Voraussicht nach keine neuen Schulden aufgenommen; man kann es kaum glauben. Ohne diese Krise, meine Damen und Herren, wäre auch das Land Sachsen-Anhalt wie schon in den Vorjahren ohne neue Schulden ausgekommen und hätte begonnen, vorhandene Schulden zu tilgen.

Was bleibt noch? - Neben dem gewaltigen finanziellen Schaden wird in der Bevölkerung auch eine große Verunsicherung in die politischen und wirtschaftlichen Strukturen bleiben. Es wurde schon oft darauf hingewiesen, dass die angeblich selbst regulierende und disziplinierende Kraft der Märkte nicht funktioniert. Es gibt den

deutlich vernehmbaren Ruf nach neuen Verkehrsregeln für die Finanzindustrie, nach dem starken Staat, der ganz bewusst dort auftritt, wo Märkte versagen.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

- Herr Kosmehl, Sie haben doch nun in Berlin die Möglichkeit, alles anders und alles besser zu machen. Ich werde die FDP aufmerksam begleiten.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich gehe davon aus, dass die auf dem Gipfel in Pittsburgh getroffenen Beschlüsse für eine stärkere Kontrolle der internationalen Finanzindustrie weiterentwickelt werden. Auch die Politik - damit meine ich all diejenigen, die in den letzten Jahren gestaltet haben - sollte aus eigenen Fehlern und Unterlassungen lernen. Eine bessere Finanzaufsicht, Finanzmarktsteuern, Manager-Boni sind wichtige Einzelfragen, die geregelt werden müssen.

Meine Damen und Herren! Die deutsche Politik musste schnell und aktiv handeln. Sie hat gehandelt und muss den internationalen Vergleich nicht scheuen. Es wurde durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, die Konjunkturpakete I und II, das Bürgerentlastungsgesetz, aber auch mit der Schuldenbremse gehandelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die fiskalischen Zwänge und die konjunkturelle Krise haben uns zu einer Anpassung des Haushaltes gezwungen. Es gibt aus meiner Sicht jedoch keinen Grund, von den Zielen der Konsolidierung, der Schwerpunktsetzung und der weiteren Entwicklung von Vorsorgemaßnahmen abzuweichen. Vor diesem Hintergrund über den Doppelhaushalt für die Jahre 2010/2011 zu diskutieren, stellt uns vor eine doppelte Aufgabe, eine konjunkturelle und eine strukturelle. Das trifft erst recht auf die mittelfristige Finanzplanung zu.

Den strukturellen Problemen haben wir uns in den letzten Jahren mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen gestellt. Sie kennen sie: Stopp der Neuverschuldung, Entwicklung der Steuerschwankungsreserve, Erweiterung der Langfristprojektion der Mipla bis zum Jahr 2025, Planung der Schuldentilgung, Straffung der Verwaltung bei Polizei, Justiz und Finanzverwaltung, Umsetzung der Gemeindereform auch aus Kostengründen, Erstellung und Umsetzung eines Personalkonzeptes, Schaffung einer Zukunftsstiftung und Finanzierung eines Pensionsfonds.

Diese Maßnahmen sind nach wie vor richtig. Sie greifen und reichen in ihrer Wirkung weit über diese Legislaturperiode hinaus. Entscheidend wird jedoch sein, diese Ansätze in den nächsten Jahren weiterzuführen und fortzuentwickeln.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Meine Damen und Herren! Bisherige Regierungen unter direkter oder indirekter Beteiligung aller hier im Parlament vertretenen Fraktionen haben diese Situation mit zu verantworten. Deshalb sollten wir alle an der Verbesserung der Haushaltsstruktur mitwirken. Klar ist auch, dass unsere strukturellen Probleme unabhängig von der Finanzmarktkrise wirken. Das muss man ehrlich zugeben.

Die Situation des Landeshaushaltes insgesamt hat sich aber durch den Konjunktureinbruch und unseren Anteil an den Abwehrmaßnahmen weiter verschärft. Deshalb ist die Stabilisierung und Stärkung der Konjunktur unsere zweite Aufgabe. Sie betrifft nicht nur die Gestaltung

des Konjunkturpaketes II. Wenn wir diese in ihren Ausmaßen unvorhersehbare Aufgabe zusätzlich schultern wollen, werden wir trotz aller Sparanstrengungen und anders lautender Meinungen um eine Neuverschuldung nicht umhinkommen.

Das ist meine feste Überzeugung. Ich halte das im Spannungsverhältnis zwischen Konsolidierung und Konjunkturbelebung für verantwortbar. Andere können mir gern erklären, wie sie es machen würden.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren! Andere Länder gehen andere Wege, warum auch immer. Das will ich keinem vorwerfen.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

So zum Beispiel das Land Niedersachsen, das in den Jahren 2009 und 2010 mit einer Nettokreditaufnahme von 2,3 Milliarden € bei einem 25-Milliarden-Haushalt plant. Oder Berlin mit ebenfalls rund 2,5 Milliarden € neuen Schulden im Jahr 2010.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Aber Sachsen-Anhalt ist auch nicht Bayern, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, die ihre Haushalte trotz Krise aus jetziger Sicht ohne neue Schulden aufstellen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)