Protocol of the Session on September 4, 2009

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie wird wohl dazu beitragen, die wirtschaftliche Integration Europas weiter voranzu

treiben. Gerade das Potenzial des Dienstleistungssektors konnte bisher für Wachstum und Beschäftigung nicht ausreichend ausgeschöpft werden.

Wenn der eine oder andere von Ihnen nun der Auffassung sein sollte, der Anspruch klinge aus heutiger Sicht geradezu übermütig und angesichts der gegenwärtigen Krisenstimmung sogar verwegen, dann sage ich Ihnen: Es ist Einsicht in die Vernunft, wenn man in Europa sagt: Wir müssen zusammenwachsen, wir müssen Barrieren und bürokratische Hürden entfernen, wir müssen Kleinstaaterei schrittweise überwinden, wir müssen den Europäischen Binnenmarkt auch im dynamischen Dienstleistungsbereich weiter nach vorn bringen.

Jede größere Reform - und dies ist zweifellos eine - muss gegen Kräfte der Beharrung, gegen die Verfechter des Status quo ankämpfen. Die Pessimisten verweisen zudem auf die höheren Risiken für angestammte regionale Märkte für Dienstleister, wenn nationalstaatliche Schranken zunehmend keine Rolle mehr spielen, der Markt also offener wird. Die Optimisten verweisen auf eine neue Chance, gerade auch für Dienstleister und Dienstleistungen. „Made in Sachsen-Anhalt“ könnte also auch eine Chance sein. Fest steht zumindest: EU-weit ist die Dienstleistungsbranche ein Jobmotor. Sie trägt innerhalb der EU pro Jahr mit mehr als der Hälfte zum BIP bei, macht aber trotz dieses hohen Anteils lediglich bis zu 20 % der Leistungen am Export und Import der einzelnen Länder aus.

Bemerkenswert für Deutschland ist dabei, dass in den letzten Jahren ein Anteil von fast 60 % des Dienstleistungshandels der Bundesrepublik mit EU-Mitgliedstaaten abgewickelt wurde. Mit anderen Worten: Deutschland hat bisher schon deutlich von EU-weiten Exporten seiner Dienstleistungen profitieren können. Das wollen wir auch in Zukunft sichern und ausweiten.

Deshalb ist die Zielstellung der Richtlinie, den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen zu fördern und bestehende Hinternisse abzubauen, auch im Interesse unserer einheimischen sachsen-anhaltischen Dienstleister nur zu begrüßen.

Bei der Durchsetzung der Dienstleistungsrichtlinie befinden wir uns im Zeitplan. In einem angesichts der Größe der Aufgabe aber sehr knapp bemessenen Zeitrahmen ist es trotzdem eine Herausforderung für uns. Es geht darum, bis Ende Dezember 2009 gesetzgeberische Maßnahmen wie die Anpassung der Fachgesetze an die neuen Rahmenbedingungen umzusetzen und die elektronische Verwaltungszusammenarbeit in unserem Land zu gewährleisten.

Wir werden zwar erst ab dem Jahr 2010 und in den Jahren danach sehen, wie groß der Einfluss der diversen nunmehr vorbereiteten bzw. noch anstehenden Maßnahmen in der Praxis sein wird; doch können wir davon ausgehen, dass auch Sachsen-Anhalt insgesamt zu den Profiteuren dieses Reformwerkes gehören wird. Ich bitte Sie deshalb im Namen der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke für die Einbringung, Herr Minister. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun der Abgeordnete Herr Czeke.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dafür, dass Sachsen-Anhalt immer so früh aufsteht, kommt der Gesetzentwurf zur EU-Dienstleistungsrichtlinie etwas spät.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Aber die unangenehmen Dinge schiebt der Mensch meist etwas nach hinten. Viel weiter nach hinten kann man es aber wirklich nicht mehr schieben, weil die Richtlinie bereits in etwas mehr als drei Monaten umgesetzt sein muss - der Minister sprach es an: am 28. Dezember dieses Jahres - und wir dabei auch die Zeit für die Veröffentlichung berücksichtigen müssen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Zeit knapp wird.

Seit Februar 2005 diskutieren wir im Landtag über die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und nun auch technischen Auswirkungen bei der Umsetzung der einstigen Bolkestein-Richtlinie.

Den kritischen Positionen unserer Fraktion wehte immer der fröhlich-optimistische Wind der übrigen Fraktionen entgegen, zuletzt in der Landtagssitzung im Juni 2009. Damals herrschte allgemeine Verwunderung darüber, dass wir Diskussionsbedarf sahen und Kollege Dr. Thiel einen Antrag für uns einbrachte, wo doch - so der Minister damals fast wörtlich - alles in Sack und Tüten sei.

Nur eine Woche später bestätigte sich im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien unsere Einschätzung. Es wurde deutlich, dass bei allen Fraktionen Diskussionsbedarf und in den Häusern noch ein wenig Unklarheit besteht. Besonderer Abstimmungsbedarf bestand noch im Innenministerium, und zwar darüber, inwieweit sich aus dem Gesetz über den einheitlichen Ansprechpartner neue Aufgaben für die Kommunen ergeben, die nach dem Konnexitätsprinzip abgegolten werden müssen und damit haushaltsrelevant sind.

Für DIE LINKE ist die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie aber nicht nur ein formal-technischer Akt. Wir begeistern uns nicht für den möglichst ungehemmten - ich betone: ungehemmten; das heißt befreit von sozialen, tariflichen und ökonomischen Mindeststandards - Zugang ausländischer Dienstleistungserbringer zum heimischen Markt und auch nicht für den ungehinderten grenzüberschreitenden Zugang einheimischer Unternehmen zu fremden Märkten, wobei noch fraglich ist, ob und wie viele hiesige kleine und mittelständische Unternehmen von dieser Richtlinie profitieren werden.

Wir sorgen uns um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande und in den übrigen Mitgliedstaaten der EU gleichermaßen. Deren Löhne und Rechte könnten von der Umsetzung der Richtlinie bedroht sein. Dazu komme ich noch. Wir werden wohl in einigen Jahren wieder darüber debattieren müssen. Eine Gesetzesfolgenabschätzung ist absolut nötig.

Dass Entsenderichtlinien und regionale Vergabegesetze, die immer als Teufelszeug deklariert werden, keinen ausreichenden Tarifschutz gewähren, zeigen unter anderem die Urteile des Europäischen Gerichtshofes in den Fällen Laval und Rüffert, beide aus Dezember 2007. Darin wurde die Dienstleistungsfreiheit über nationalstaatliche Regelungen im Streik- und Tarifrecht gesetzt.

Im Fall Rüffert hatte ein polnischer Subunternehmer einen öffentlichen Bauauftrag unter der Bedingung erhal

ten, geltenden Tariflohn laut dem niedersächsischen Vergabegesetz zu zahlen. Tatsächlich wurden jedoch nur 50 % des festgeschriebenen Mindestlohns gezahlt. Nach der Klage durch das Land Niedersachsen bekam der Unternehmer Recht; der EuGH hält das niedersächsische Vergabegesetz für unvereinbar mit dem Europarecht. Der Zweck des Arbeitnehmerschutzes sei keine Rechtfertigung.

Der EuGH hat aus unserer Sicht keinen Blick dafür, dass der Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutz in bestimmten Bereichen eben durch indirekte Maßnahmen erfolgen kann. Ein Verständnis für kollektive Regelungen und kollektive Interessen ist nicht vorhanden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ein weiteres Problem sehen wir bei den Kommunen, die nun nicht nur mit verwaltungsorganisatorischen Neuausrichtungen konfrontiert sind, sondern auch mit technischen Herausforderungen, die wiederum zu finanzieren sind.

Wir sind der Meinung, dass der veranschlagte Ausgleichsbetrag in dem Entwurf eines Gesetzes über den Einheitlichen Ansprechpartner von pauschal 41 € pro zu bearbeitendem Fall für die Kommunen bei der Bearbeitung von Anträgen viel zu niedrig gegriffen ist. Hierbei wurden zwar die Kosten für den Sachbearbeiter samt Arbeitsplatz berücksichtigt; man bedenke aber, dass bei dem einheitlichen Ansprechpartner eine A14-Stelle und drei A12-Stellen veranschlagt werden, um die Anträge an die Kommunen nur weiterzuleiten, während in der Kommune lediglich eine E6-Stelle veranschlagt wird, um die bearbeiteten Anträge zurückzuschicken, jedoch nicht die Kosten für die Einrichtung der Technik im Sinne eines E-Governments, also IT-Leitungen, Hardware und Software.

Zu dem, was der Minister angesprochen hat: Angesichts des Grades der Breitbandversorgung in der Altmark sind die Möglichkeiten noch völlig offen. Vielleicht ist das Sternreiten in der Altmark in Zukunft ein „Stick-Reiten“, wenn wir da nicht weiterkommen.

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP, und von Herrn Hauser, FDP)

Unter den Umständen, dass die Kommunen sowieso schon an ihren finanziellen Grenzen sind und sich dieser Zustand in den nächsten Jahren noch verschärfen wird, stellt es für die Kommunen eine immense zusätzliche Belastung dar, nun im Schnelldurchlauf ein funktionierendes E-Government einzurichten. Kleinere Städte in ländlichen Gebieten, die über keinen Breitbandanschluss verfügen - ich sagte es -, sind dieser technischen Herausforderung ohne finanzielle Hilfe nicht gewachsen.

Die LINKE hat erfolgreich eine Anhörung der Kommunen beantragt. Wir hoffen, dass sie ihre Umsetzungsschwierigkeiten in der nun gemeinsamen Anhörung zum Gesetzentwurf mit weiteren Anzuhörenden auch darstellen können und werden.

Ein letzter Themenkomplex, zu dem bei uns noch Fragen bestehen, wird in dem Artikelgesetz weitgehend ausgespart. Das ist der Datenschutz. Dazu kommen wir im Ausschuss bestimmt noch. Sowohl bei der Übertragung von Daten an die zuständigen Behörden und zurück als auch bei der Übertragung von Daten von den zuständigen Behörden an die Mitgliedstaaten der EU über das Binnenmarktinformationssystem - kurz: IMI -

geht es zum großen Teil um hochsensible Daten der Dienstleistungserbringer. Es wird kein Wort darüber verloren, wie diese Daten gesichert werden sollen.

Das IMI ist ein riesengroßes Datennetz bzw. ein Datenbanksystem, auf welches die verschiedensten Behörden aus der ganzen EU Zugriff haben werden. Bis heute ist unklar, welche Behörden in welchen Mitgliedstaaten Zugriff haben werden. Sicher ist nur, dass es unheimlich viele sein werden.

Die kommunalen Spitzenverbände bemängeln bereits jetzt die Praxis, dass nur auf Fachgesetze verwiesen wird. Das Inhaltliche entzieht sich dem. Zum Beispiel ist das Dolmetschergesetz völlig neu gefasst worden. Das Wassergesetz wird derzeit novelliert und wird in dem Gesetzentwurf auch wieder angefasst.

Nach der Einbringung des Gesetzesentwurfs sind also viele Fragen offen, die es zu beantworten gilt. Wir hoffen daher auf konstruktive Diskussionen zu diesem Thema in den Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Miesterfeldt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Begriff des Dienens ist eher etwas aus der Mode gekommen

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

und Begriffe wie „Magd“ und „Knecht“ findet man höchsten noch in der Kirche oder im scherzhaften Gebrauch.

(Herr Wolpert, FDP: Und im Wahlkampf der SPD!)

(Herr Wolpert, FDP: Im Wahlkampf der SPD!)

- Vielleicht.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Gibt es die noch? Das haben wir gestern gehört!)

Das hat den Dienstleistungssektor in den EU-Mitgliedstaaten aber nicht daran gehindert, 70 % zum Bruttoinlandsprodukt beizutragen. Deshalb ist diese EU-Dienstleistungsrichtlinie sehr wichtig. Das haben meine beiden Vorredner, sowohl von der Regierung als auch aus der Opposition, schon hervorgehoben.

Es hat einen Dienstleister in Europa gegeben, der eine gewisse Grenzenlosigkeit genutzt hat. Damit würde ich auf die Finanzdienstleister Bezug nehmen wollen, für die die eine oder andere Regel neu eingezogen und die eine oder andere Regel klarer gefasst werden muss.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

In vielen anderen Bereichen - darauf hebt die Dienstleistungsrichtlinie insbesondere ab - sollen eher rechtliche und administrative Hürden für Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger abgebaut werden. Letztlich kann somit der Dienstleistungssektor in Europa insgesamt gefördert werden.

Wir haben uns in diesem Hohen Hause schon länger mit dieser Dienstleistungsrichtlinie beschäftigt. Ich erinnere an dieser Stelle an den Antrag, den die beiden Regierungsfraktionen im Februar 2007 gestellt haben, in dem entscheidende Fragen gestellt worden sind, die die Umsetzung der Richtlinie vorantreiben sollten. Wir haben in den Ausschüssen darüber diskutiert.

Bei der Erstellung der vorliegenden Richtlinie ist sicherlich nicht voreilig, vorschnell und übereilt gearbeitet worden. Auch ich würde mich der leisen Kritik meines Vorredners anschließen wollen: Es hätte alles etwas eher kommen können. So unterliegen wir jetzt gemeinsam einem sehr anspruchsvollen Terminplan.

Ich will noch einige Punkte nennen, auf die wir insbesondere achten müssen. Der Minister hat erfreulicherweise ausdrücklich betont, dass die Frage der einheitlichen Ansprechpartner in Sachsen-Anhalt geklärt ist, nämlich durch die Zuweisung an das Landesverwaltungsamt. In dem Entwurf, der uns jetzt vorliegt, ist das etwas undeutlicher beschrieben worden, sodass man annehmen könnte, dass aus dem Wirtschaftsministerium, das dort ermächtigt wird, diese Stelle zu benennen, noch einmal etwas Neues kommen könnte. Aber ich habe positiv aufgenommen, dass die Entscheidung, die getroffen worden ist, nicht zurückgenommen werden soll.