Protocol of the Session on September 4, 2009

Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist durch die Überarbeitung der Lehrpläne der Sekundarstufe I gemacht. Besondere Aufmerksamkeit wird auf die Stärkung der Grundkompetenzen der Schülerinnen und Schüler gelegt. Soziale Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit, Teamgeist, Konfliktfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Zielstrebigkeit müssen verstärkt vermittelt werden, fordert die Wirtschaft. In der Tat, ein Großteil der Verantwortung liegt bei den Schulen.

Dennoch, trotz der Anstrengungen in diesem Bereich verlässt nach wie vor eine Reihe von Jugendlichen die Schule, ohne über die erforderlichen Voraussetzungen für eine Berufsausbildung zu verfügen. Weil das so ist, sind wir der Meinung, dass weiterhin berufsvorbereitende Maßnahmen im System der beruflichen Bildung vorgehalten und qualifiziert werden müssen.

Meine Damen und Herren! Auf unsere Große Anfrage zur Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung und dem Innovationspotenzial für Sachsen-Anhalt antwortet uns die Landesregierung auf zehn Seiten sehr ausführlich und statistisch untersetzt, welche Maßnahmen mit welchen Ergebnissen im Land umgesetzt wurden. Die Antwort auf die Große Anfrage und die bisherigen Ergebnisse unterstreichen jedoch, dass die Wirksamkeit und die Qualität dieser Maßnahmen, wie es auch im Berufsbildungsbericht 2008 der Landesregierung beschrie

ben worden ist, nicht ausreichen. Eine andere Quelle: Laut Bildungsmonitor 2009 belegt Sachsen-Anhalt im Ranking zum Kriterium Arbeitsmarktorientierung und berufliche Bildung im Ländervergleich lediglich Platz 14.

Meine Damen und Herren! Im Interesse der Entwicklung der jungen Menschen und im Interesse einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung muss die Berufsfähigkeit verbessert werden. Die enge Verzahnung von berufsvorbereitenden Angeboten mit den Maßnahmen der betrieblichen Praxis ist der richtige Ansatzpunkt.

Dabei müssen die Ausbildungsmotivation und die sozialen Kompetenzen der Jugendlichen gestärkt werden. Darüber hinaus gilt es, Kenntnisse und Fähigkeiten in den so genannten Kernfächern weiter zu vertiefen bzw. die Defizite abzubauen.

Bei diesen Herausforderungen dürfen wir die Berufsschullehrerinnen und -lehrer nicht allein lassen. Aufgrund der komplizierten sozialen Problemlagen bei vielen Jugendlichen ist sozialpädagogische Arbeit unverzichtbar. Und ich erhebe trotz der Diskussion von heute Morgen die Forderung: Wir brauchen an jeder berufsbildenden Schule einen ausgebildeten Sozialpädagogen.

Die landespolitischen Maßnahmen und die Instrumente der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung sollten zielgerichteter vernetzt werden. Wir halten auch die Forderung, dass jeder Ausbildungsweg zu einem Abschluss führt, für richtig.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

Das Programm „Berufseinstiegsbegleiter“ muss erhalten bleiben und vor allen Dingen ausgebaut werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen das Problem der Abwanderung von jungen Menschen aus unserem Land. Jung, weiblich, gut ausgebildet, oft auch gut aussehend - das sind die, die uns den Rücken kehren.

Wir kennen die entsprechenden Studien und ihre möglichen Wirkungen und Folgen für Sachsen-Anhalt. Wir sehen mit großer Sorge, dass die Zahl der jungen Menschen ohne ausreichende Berufsausbildungsfähigkeit steigt. Von einem Konzept der Landesregierung erwarten wir die Bündelung der Instrumente und Projekte, die es den jungen Menschen ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

An dieser Stelle erinnere ich die Kollegen von der CDU und von der SPD an ihren Koalitionsvertrag. Sie haben sich darin darauf verständigt, alle Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung zu nutzen und dazu gehört - so wörtlich -:

„die Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen von jungen Jugendlichen ohne allgemeinbildenden Schulabschluss im Berufsvorbereitungsjahr“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland muss in der Krise die Weichen für den Einstieg in die Wissensgesellschaft stellen. Nach meinem Politikverständnis haben wir die Aufgabe, die Probleme der Gegenwart mit den jungen Menschen zu lösen und dürfen dabei die zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht aufgeben.

5 100 junge Menschen aus Magdeburg, Halle und Dessau haben ein Recht auf ein Leben ohne Bevormundung durch die Ämter. Wir haben die Pflicht, meine Damen und Herren, die Weichen in diesem Land so zu stellen, dass Sachsen-Anhalt nicht auf dem Abstellgleis landet.

In diesem Sinne werbe ich um die Zustimmung zu unserem Antrag und bitte um die Überweisung des Antrags an die Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit, für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie für Soziales.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Mewes. Es gibt eine Nachfrage. Herr Franke hat eine Frage. Wollen Sie diese beantworten?

Bevor Herr Franke seine Frage stellt, möchte ich Damen und Herren der Selbsthilfegruppe des Blindenverbandes Querfurt und Schülerinnen und Schüler des HauptmannGymnasiums in Wernigerode begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Franke, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Mewes, mich interessiert zumindest, woher Sie die Zahlen haben. Sie haben hier eine Horrorrechnung aufgemacht. Wenn ich davon ausgehe, dass wir in diesem Jahr 14 000 ausbildungsbereite Schulabgänger haben, dann müssten, wenn ich Ihrer Hochrechnung folge, 80 % von denen, die in diesem Jahr für die Ausbildung bereitstanden, keine Berufsausbildung haben und in keiner Maßnahme sein. Das ist ein Horrorszenario, das Sie hier aufgebaut haben. Ich möchte gern wissen: Wie haben Sie das berechnet?

Werter Kollege Franke, das ist kein Horrorszenario. Das betrifft auch nicht eine Jahrgangsstufe. Es sind 1 700 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren.

(Herr Franke, FDP: Aha! Okay!)

Vielen Dank. - Weitere Fragesteller melden sich nicht. Dann kommen wir zu dem Redebeitrag der Landesregierung. Herr Professor Dr. Olbertz, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Frage: Der insgesamt sachliche Antrag wie auch das aufgeworfene Problem verlangen eine sachliche Antwort. Ob diese Antwort allerdings in einem Konzept bestehen muss, ist eine andere Frage, jedenfalls dann, wenn man darunter jetzt etwas völlig Neues und einen Abschied von den bewährten Methoden und Verfahren sehen würde; denn erstens gibt es - darauf weist der Antrag selbst hin - bereits zahlreiche Bemühungen auf dem Gebiet der Förderung benachteiligter Jugendlicher im Kontext der Berufsvorbereitung und es gibt zweitens eine ganze Reihe parlamentarischer Initiativen und Beschlüsse zu diesem Thema.

Über das Grundproblem sind wir uns aber einig, auch wenn ich selbst vorsichtiger mit dem Begriff der Wis

sensgesellschaft hantiere; denn auch mir fällt als erstes Merkmal dieser Wissensgesellschaft immer wieder auf, dass immer mehr Menschen immer weniger wissen. Wir sollten historisch gesehen vorsichtig mit der Feststellung umgehen, dass gerade wir die Wissensgesellschaft sind,

(Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU)

zumal wenn man beispielsweise die Renaissance in die Betrachtung einbezieht.

Also: In den Dom bzw. in das Kulturhistorische Museum gehen und die Ausstellung ansehen. Dort erfahren wir, dass es eine Wissensgesellschaft möglicherweise schon einmal gegeben hat und dass wir dazu erst noch aufschließen müssen - aber das nur am Rande.

Eines war sie damals nicht - das würden Sie jetzt einwenden -: Sie war nicht demokratisch. Aber daran kann man sie wahrscheinlich nicht ohne Weiteres messen, wenn man sich den Aufschwung an Wissen anschaut, den die Menschen in früheren Zeitaltern anders bewältigt haben als wir heute, dies übrigens auch mit einer universellen Sprache, die wir ebenfalls vergessen haben. - Das war aber nur ein kleiner Exkurs.

Im Kern gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen uns um diese Gruppe benachteiligter junger Menschen kümmern, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch weil es ein Potenzial für die Gestaltungskraft unserer Gesellschaft ist, für wirtschaftliches Wachstum, soziale Stabilität und viele andere Dinge mehr. Ich glaube, darin sind wir uns auch fraktionsübergreifend weitgehend einig.

Ich denke, wir sind uns auch einig darin, dass unter sonst gleichen Umständen eine frühere Förderung immer eine bessere ist als eine spät, zu spät oder womöglich gar nicht einsetzende Förderung. Insofern gehören zur Förderung benachteiligter Jugendlicher - sicherlich müssen wir hier jeweils noch etwas näher bestimmen, was genau wir darunter eigentlich verstehen - auch all die Maßnahmen, die eine Förderung im berufsbildenden Sektor beinhalten.

Ich weise in diesem Zusammenhang auf das ESF-Programm gegen Schulversagen und Schulabbruch in den allgemeinbildenden Schulen hin. Landesweit wurden regionale Netzwerkstellen gegen Schulversagen eingerichtet, die lokale und schulische Aktivitäten bündeln sollen. 13 solcher Netzwerkstellen haben wir. Außerdem sind zurzeit 134 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an den Schulen tätig.

Viele Maßnahmen erleichtern es auch Förderschülern, beispielsweise den Hauptschulabschluss zu erwerben. Diese Schüler werden sonderpädagogisch gefördert, etwa im Bereich der Sprache. So machen 15 % der Förderschüler im Schuljahrgang 9 im Förderschwerpunkt „Lernen“ ein freiwilliges 10. Schuljahr zum Erwerb des Hauptschulabschlusses, manchmal sogar klassenweise. Ich finde das ausgesprochen beachtlich.

Und wenn man dann genauer hinschaut, sieht man immer, dass es ein sehr engagiertes Kollegium gibt, das diese jungen Menschen auch als Gruppe motiviert, im Klassenverband diesen Schritt zu wagen. Dann werden sie intensiv gefördert und begleitet - und sie schaffen es. Die Vorbildwirkung solcher Erfolgsgeschichten dann auch zu verbreiten, halte ich für eine sehr wichtige Aufgabe der Kommunikation um das Thema herum.

90 % der Schüler, die den Schritt wagen, den Hauptschulabschluss in einem 10. Schuljahr zu erwerben, tun

dies erfolgreich. Hervorheben möchte ich das produktive Lernen, in dessen Rahmen mehr als 80 % der Teilnehmer, die sonst die Schule ohne Abschluss verlassen würden, den Schulabschluss doch erreichen.

Berufsorientierung und Berufsvorbereitung sind natürlich nicht nur eine Angelegenheit für pädagogische Krisensituationen, sondern sind eigentliche Kernaufgabe vor allem der Sekundarschulen und sind deshalb auch sehr oft Bestandteil des Schulprogramms oder spezieller Konzepte.

Über den Unterricht im engeren Sinne hinaus werden Berufsvorbereitung und Berufsorientierung in den Sekundar- und Gesamtschulen durch vielfältige Maßnahmen und Projekte realisiert. Denken wir an die Schülerbetriebspraktika, die wir im BVJ ab diesem Jahr übrigens auf sechs Wochen ausdehnen können. Denken wir an Praxistage in Unternehmen. Denken wir an die vielfältigen Initiativen, die der Wirtschaftsminister und ich gemeinsam im Zusammenhang mit der Berufsvorbereitung ergriffen haben. Denken wir an Brafo, denken wir an den Berufsfindungspass, denken wir an die Portfolio-Projekte und viele andere Dinge mehr.

Ich erzähle Ihnen das nur im Sinne einer kleinen Zwischenbilanz, keineswegs in der Haltung der Zufriedenheit - damit wir uns nicht falsch verstehen. Wir müssen nicht von Grund auf die Dinge neu erfinden und wir brauchen auch kein groß angelegtes Alternativkonzept, sondern wir müssen schauen, wie wir die Potenziale der Vorgehensweisen, Ideen und Konzepte, die wir heute praktizieren, noch besser und erfolgreicher erschließen können.

Im Bereich der beruflichen Bildung kennen Sie alle die strukturell vorgesehenen Möglichkeiten, vor allem das Berufsvorbereitungsjahr, das Berufsgrundbildungsjahr oder die einjährige Berufsfachschule.

Wir alle wissen aber auch um deren Grenzen und wir wissen, dass sich in diesen Bildungsgängen oft auch Jugendliche befinden, die wegen der schwierigen Arbeitsmarktsituation keinen Ausbildungsplatz im dualen System bekommen haben.

Man muss dazu allerdings sagen - der Wirtschaftsminister hat darüber in einer der letzten Kabinettssitzungen berichtet -, dass sich diese Situation entspannt - nicht durch unser Zutun, sondern durch die demografische Entwicklung - und dass das Interesse von Ausbildungsbetrieben steigt, sich auch den jungen Leuten zuzuwenden, die ein bisschen schwierig sind und ein paar Defizite mitbringen, weil man weiß, dass das Potenziale sind, die sich entwickeln lassen.

Ich hoffe sehr, dass wir aus der demografischen Not eine Tugend machen, indem wir mehr junge Leute in das duale System einfädeln, die bisher schlicht und ergreifend ausgesondert worden sind. Das allerdings spricht dafür, auch im dualen System, insbesondere in dem Teil der beruflichen Bildung, mehr Kraftanstrengungen zu unternehmen, um die Defizite auszugleichen und diese jungen Leute gerade im Erwerb elementarer Kulturtechniken intensiv zu fördern, damit sie im dualen System erfolgreich bestehen und es mit einem Abschluss durchlaufen können.

Dabei bietet sich für eine individuelle Förderung das Berufsvorbereitungsjahr ausdrücklich an. Während der Ausbildung sind für diese jungen Leute sowohl eine wohn

ortnahe Beschulung als auch das betriebliche Praktikum von ganz besonderer Bedeutung.

Seit dem Jahr 2006 erproben wir in einem Schulversuch eine speziell auf die Bedürfnisse der Jugendlichen abgestimmte neue Stundentafel mit den Schwerpunkten Mathematik, Deutsch und Informatik - die Bereiche, in denen es wirklich immer wieder hapert -, wobei es sowohl um die Auffrischung von Grundlagen geht als auch um die Illustration der praktischen Bedeutung und Anwendung des Gelernten.