Protocol of the Session on June 19, 2009

Erstens gab es in der letzten Zeit im politischen Raum Debatten über die Frage: Müssen wir die Förderkonditionen des Landes anpassen und, wenn ja, wie?

Zweitens. Wir befinden uns in der Halbzeit der EU-Strukturfondsperiode 2007 bis 2013. Die Frage war - darüber gab es auch Diskussionen - vor länger Zeit zum Thema Schulbauförderung: Wie ist eigentlich das Land und wie sind die Regionen auf die veränderten Bedingungen der EU-Strukturfondsförderung eingestellt und welche Maßnahmen haben sie konkret abgeleitet?

Drittens. Daraus ableitend ist zu sagen: Wenn es denn notwendig wäre, das Förderszenario zu justieren, dann wäre das eigentlich ein geeigneter Gegenstand für die Beratungen über den Doppelhaushalt 2010/2011. - Das ist, ganz kurz gefasst, das Anliegen dieses Antrages.

Dabei ist die Frage zu stellen, wo wir momentan im Land bei den Themen „wirtschaftliche Entwicklung“, „Investorensuche“ und anderen Dingen sind. Dazu hat es in der letzten Zeit eine ganze Reihe Aktivitäten gegeben. Sie finden eigentlich in jeder Zeitung jeden Tag neue Nachrichten darüber, wie sich das Land Sachsen-Anhalt wirtschaftspolitisch bzw. wirtschaftlich entwickelt oder an welcher Stelle Defizite bestehen.

Bei dem Ringen um Investoren für das Land SachsenAnhalt wird in der Außenwerbung von zehn markanten Punkten gesprochen, die Sachsen-Anhalt auszeichnen. Ich will sie ganz kurz nennen:

Erstens. Wir haben Flexibilität, das heißt schnelle Genehmigungen.

Zweitens. Es gibt Investitionssicherheit wegen der politischen und finanziellen Stabilität.

Drittens. Die Infrastruktur ermöglicht moderne Transport- und Logistikwege.

Viertens. Durch die Investitionsförderung ist eine spürbare Reduzierung der Investitions- und Ausbildungskosten zu verzeichnen.

Fünftens. Marktzugang ist vorhanden; wir haben Zugang zu europäischen Märkten.

Sechstens. Es gibt einen kostenfreien Service „professionelle Ansiedlungsunterstützung“.

Siebentens. Wir sind ein dynamischer Wirtschaftsraum, der dynamischste in Deutschland.

Achtens. Qualität und Innovation stimmen; „Made in Germany“ ist ein Markenzeichen Sachsen-Anhalts.

Neuntens. Wir sind kompetent, das heißt, wir haben hoch motivierte und qualifizierte Arbeitskräfte.

Zehntens. Wir haben einen entscheidenden Produktivitätsvorteil, nämlich die geringsten Lohnstückkosten, und das sichert den Investoren einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Franke, FDP)

Das sind die zehn Punkte, die beschreiben, wie wir momentan nach außen wirken. Ich sehe am Befall diverser

Kollegen, dass man offenbar auch richtig stolz darauf ist. Ich kann aber Ihre Begeisterung nur zum Teil teilen.

(Herr Tullner, CDU: Das war keine Begeisterung, nur Zustimmung!)

Ich will versuchen, diese teilweise Begeisterung noch einmal zu spezifizieren. Im Rahmen der Investorenkonferenz, die am 3. Juni stattfand, wurden doch ein paar Punkte sichtbar, wie solche Außenmarketing- und Werbebotschaften ankommen.

Ein Investor, der in Osterweddingen ein großes Glaswerk baut, erklärte, für das gleiche Grundstück hätte er in Holland 150 € pro Quadratmeter auf den Tisch legen müssen, um den Grund und Boden zu erwerben. Das war ihm viel zu teuer. Der Bördeboden war also offensichtlich billiger.

Oder: Im Werbematerial für das Solarvalley - Erscheinungsdatum ist der 18. Mai 2009 - kann man unter dem Stichwort „Sonnige Aussichten für den Arbeitsmarkt“ lesen, dass die Lohnstückkosten 30 % unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Der Bruttostundenlohn ist von 11,33 € im Jahr 2000 auf 12,22 € im Jahr 2005 gestiegen, also immerhin um 1,56 % pro Jahr.

Oder: Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist hier wirklich von Vorteil. Wir haben hier im Osten eine geringere Tarifbindung als in Westdeutschland. 75 % der Unternehmen sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Flexibilität ist vorhanden, Bereitschaft ist vorhanden, Teilzeitarbeit ist vorhanden und eine hohe Mobilität; 12 % sind Pendler. Arbeitszeit rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche ist möglich. Die Genehmigungszeit ist kurz.

Angesicht dieser Zahlen stellt sich die Frage: Sind die Aussichten für die Beschäftigten wirklich so sonnig? - Das ist die Frage, die ich hier gern stellen möchte. So etwas kann nur jemand aufschreiben, der nicht unter solchen Bedingungen arbeiten muss.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Das Problem, welches wir damit haben, ist, dass Beschäftigte offenbar nur als Manövriermasse,

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

bezeichnenderweise höchstens noch als Kunden oder als Konsumenten akzeptabel sind. Aber bei den geringen Lohnkosten, die wir hier haben, ist nur mit einer geringen Konsumerwartung zu rechnen. Das heißt, mit Perspektiven für Menschen in Sachsen-Anhalt haben solche Ansiedlungsbedingungen eigentlich wenig zu tun.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deshalb brauchen wir uns auch nicht über einen mangelnden Fachkräftebedarf zu wundern, den wir hier feststellen können.

(Herr Gürth, CDU: So ein Quatsch! - Herr Tullner, CDU: Das ist einfach nur Nörgelei!)

- Nein, das ist die Aussage. Das ist keine Nörgelei. Das ist meine Position, die Position unserer Fraktion, lieber Herr Tullner. Hier hat die Landesregierung aus der bestehenden Wirtschafts- und Finanzkrise eben nichts gelernt in Bezug auf die sträfliche Vernachlässigung der Binnenkonjunktur in den letzten Jahren.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Die aktuelle Lage kann man im Finanzstrategiepapier der Landesregierung vom 9. Juni sehr schön nachlesen. Ich will es einmal kurz zitieren:

„Die bekannten strukturellen Schwächen der ostdeutschen Wirtschaft, kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur, vergleichsweise geringe Exportbasis und hohe Binnenlastigkeit, geringe Zahl größerer international verflochtener Unternehmen und die Dominanz traditioneller Branchen, bei denen allgemein moderate Wachstumsperspektiven zu verzeichnen sind, verhinderten einen stärkeren Absturz in der gegenwärtigen Krise. Aber beim nächsten Konjunkturaufschwung werden diese Schwächen wieder als solche zutage treten.“

Das ist der entscheidende Punkt. Das heißt, trotz der Wachstumserfolge in den letzten 20 Jahren haben wir diesen Stand erreicht, über den wir heute noch einmal diskutieren wollen.

Das IWH hat vor wenigen Tagen festgestellt, dass die Krise in den ersten drei Monaten in Sachsen-Anhalt tiefe Spuren hinterlassen hat. Das konnten Sie alle nachlesen.

(Herr Tullner, CDU: Das wissen wir selbst!)

Lange Zeit wollte man das im Land nicht wahrnehmen. Sie wissen, welche Diskussionen wir darüber im Landtag geführt haben, nach der Devise: Wir fahren auf Sicht. Das war lange Zeit die Devise des Wirtschaftsministeriums: Wir sind robust. Jetzt ist die Debatte eine andere, nach dem Motto: Jetzt verhalten wir uns antizyklisch, jetzt muss investiert werden, deshalb auch diese Investorenkonferenz.

Wir sind der Auffassung - das sage ich heute noch einmal sehr prägnant -, dass mit dem Doppelhaushalt 2010/2011 tatsächlich die Weichen für die letzten zehn Jahre vor dem Auslaufen des Solidarpaktes gestellt werden. Deshalb sollte es das Anliegen dieses hohen Hauses sein, dass wir über die Fragen, wie wir künftig Wirtschaftsförderung und Wirtschaftspolitik gestalten wollen, in den jeweiligen Ausschüssen debattieren und uns das als Begleitmaterial für die Haushaltsberatungen zur Seite steht.

Für die LINKE hat es nach wie vor oberste wirtschaftspolitische Priorität, alles zu tun, damit die selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt endlich Realität wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit befinden wir uns, denke ich, in Übereinstimmung mit allen Fraktionen dieses Hauses. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln und Methoden das geschehen soll.

(Herr Tullner, CDU: Mit der Millionärssteuer!)

Auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben auf ihrer jüngsten Konferenz dieses Ziel bekräftigt. Sie haben es allerdings versäumt, die Instrumente dafür aufzuzeigen. Deswegen sind wir der Meinung, man ist offensichtlich immer noch zu sehr mit dem „Nachbau West“ befasst, statt endlich nach neuen Wegen zu suchen, damit wir zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ministerpräsident Herr Böhmer sagte auf der Investorenkonferenz am 3. Juni 2009: Die DDR hatte vor 20 Jahren

60 % des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik Deutschland. - Herr Scharf hat gestern erklärt, SachsenAnhalt habe 71 % des deutschen Durchschnitts erlangt. Immerhin haben wir in 20 Jahren die Lücke mit 11 % geschlossen. Nach dieser Logik müssten wir 30 Jahre lang warten, bis wir annähernd in den Bereich kommen, der sozusagen bundesdeutscher Durchschnitt ist.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Deswegen komme ich nicht umhin zu sagen, lieber Herr Minister Haseloff: Ihre derzeitige Wirtschaftspolitik kann man eventuell mit dem Drehen eines Hamsterrades vergleichen. Das heißt, es wird viel Energie aufgebracht. Die Hauptsache ist, das Rad dreht sich. Das heißt, egal, welcher Investor kommt, Hauptsache es kommen überhaupt Leute hierher. Auf die Richtung kommt es mehr oder weniger nicht an. Wenn man aus dem Terrarium hinausschaut, dann sieht man, dass andere offenbar auch im Hamsterrad drehen, diese aber immer ein Stückchen weitergekommen sind.

Das soll mindestens bis zum Jahr 2020 so weitergehen. Das war gestern in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu lesen. Die CDU will mit der SPD ihre konservative Wirtschaftspolitik fortsetzen, und die SPD soll offenbar das soziale Feigenblatt sein, mit dem - ich zitiere - der „soziale Kitt dieser transformationsgeplagten Gesellschaft erhalten bleiben“ soll.