Protocol of the Session on May 8, 2009

Es ist uns jedoch noch nicht gelungen, dafür eine grundgesetzkonforme Lösung zu finden. Deswegen spricht im Moment nichts dafür, dass mit der nächsten Grundgesetzänderung dafür schon eine praktikable Lösung vorhanden sein wird. Ich drängle dabei auch nicht; denn es funktioniert.

Bundesminister Herr Scholz hat sich selbst dafür eingesetzt und zugesichert, dass kein Arbeitsverhältnis aufgelöst wird. Er hat die bestehenden Arbeitsverhältnisse verlängert, zunächst bis Ende des Jahres 2010. Es ist vorgesehen, sie so lange zu verlängern, bis wir eine bessere Lösung haben. Der Termin Ende 2010 ist vom Verfassungsgericht gesetzt worden. Bis dahin wird man eine Lösung finden müssen.

Ich bin sehr dafür, dass wir die Zeit nutzen, um über grundsätzliche Probleme nachzudenken. Ich rede seit mindestens drei Jahren davon, dass wir zwischen dem geschützten Arbeitsmarkt, der in den Regelkreis des Sozialrechts gehört, und dem freien Arbeitsmarkt, der in den Regelkreis des Arbeits- und Wirtschaftsrechts gehört, einen so genannten gestützten Arbeitsmarkt brauchen für diejenigen, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, aber doch mehr können als das, was für den geschützten Arbeitsmarkt des Sozialrechts notwendig wäre. Dieser müsste im Kommunalrecht angesiedelt werden.

Wir sollten die Zeit nutzen, darüber nachzudenken, um vernünftige Strukturen zu finden. Die müssen dann natürlich auch in eine verfassungskonforme Organisationsstruktur umgesetzt werden. Darüber wird zurzeit gesprochen. Ich bin auch ziemlich sicher, dass wir in der Zeit, die uns das Verfassungsgericht vorgegeben hat, eine Lösung finden werden.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank - Zustimmung von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Wir kommen nun zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Ich erteile der Abgeordneten Frau Dirlich von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Böhmer, ich finde diese verfassungsrechtliche Diskussion, die Sie hier begonnen haben, hoch interessant. Ich finde es auch witzig, dass Sie über das Prinzip der Hilfe aus einer Hand ins Schwärmen geraten. Aber ich will auch sagen: Es hatte eine etwas andere Dimension. Um diese Dimension zu erläutern, muss man ein Stück weit an den Ausgangspunkt der Reform zurückgehen. Der Ausgangspunkt der Reform war die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, Herr Ministerpräsident.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe war ein tiefgreifender Einschnitt in das System der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit. Es war deshalb ein tiefgreifender Einschnitt, weil Menschen, die vorher zumindest nach ihrem ehemaligen Arbeitseinkommen und nach ihrem ehemaligen Beruf, nach ihrer ehemaligen Qualifikation beurteilt worden sind und auch dem entsprechende Leistungen bekommen haben, jetzt sozusagen auf ein Hilfesystem zurückgeworfen wurden, bei dem es nur noch darum ging, dass sie hilfebedürftig sind, und um nichts weiter. Das war ein tiefgreifender Einschnitt.

Die Rechtfertigung für diesen tiefgreifenden Einschnitt war, dass man Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe deshalb zusammenführen muss, weil man nur so - das ist ein Zitat -

„die ineffiziente Doppelzuständigkeit der Arbeitsverwaltung und der Sozialverwaltung für Personen aufheben kann, die auf Leistungen aus beiden Systemen angewiesen sind“,

die also auf der einen Seite Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit bekommen und auf der anderen Seite - das betraf die Aufstocker - Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bekommen haben.

Der nicht oder nicht mehr versicherte Erwerblose sollte nach dem Willen der damaligen politischen Akteure Dienstleistungen aus einer Hand angeboten bekommen. Das war Konsens, Herr Ministerpräsident, und das war vor allem das wichtigste Versprechen dieser Reform. Deshalb hat es eine andere Dimension als die, die Sie hier dargestellt haben.

Als es um die konkrete Ausgestaltung ging, gingen die Auffassungen von Anfang an völlig auseinander, und das aus durchaus nachvollziehbaren, höchst unterschiedlichen Zugängen zu dem Problem. Da gab es das Ringen zwischen dem Bund und den Ländern um die Gestaltungsmacht, darum, wer denn nun entscheiden darf. Es gab den Kampf zwischen allen Ebenen um die Verteilung der finanziellen Ressourcen und, noch schlimmer, um die Verteilung der finanziellen Risiken der ganzen Geschichte. Auch das hat der Ministerpräsident eben gesagt.

Da war der Kampf der Landkreise gegen den drohenden politischen Bedeutungsverlust oder eben um die Erhöhung ihrer Bedeutung, die Furcht vor den personalwirtschaftlichen Folgen einer Verlagerung von einer solchen personalintensiven Betreuung auf eine andere Ebene, das Ringen der Bundesagentur für Arbeit selbst um ihre Bedeutung bei der Betreuung von Arbeitslosen und nicht zuletzt das Interesse von Beschäftigten auf allen Ebenen, ihren Status zu wahren.

Das heißt, die Diskussionen sind aus so unterschiedlichen Positionen heraus geführt worden, dass es schon

damals - ich erinnere daran; es war kurz vor Weihnachten - in allerletzter Minute einen Doppelkompromiss gegeben hat, der dann der verfassungsrechtlichen Prüfung eben nicht standgehalten hat.

Und obwohl wir das alles schon einmal durchgemacht haben oder vielleicht gerade deshalb - man versucht es noch einmal -, hat sich an dem gerade beschriebenen Zustand offensichtlich nichts geändert. Im Gegenteil: Wieder werden alle mühsam errungenen Kompromisse über den Haufen geworfen.

Die CDU muss - ich hatte gehofft, ich bekomme heute eine Antwort - die Frage beantworten, mit welcher Absicht sie dies tut. Ich hatte natürlich auch die Hoffnung, dass der Ministerpräsident diese Frage heute beantwortet. Vielleicht tut es die Kollegin von der CDU. Vom Ministerpräsidenten habe ich bisher nur gehört, warum und was alles nicht geht. Aber ich meine, wir brauchen eine Lösung.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich will Ihnen einmal die Konsequenz vor Augen führen. Vor der Reform, Herr Tullner, waren ca. 210 000 Menschen von dieser Doppelzuständigkeit betroffen, 210 000 Menschen in der gesamten Bundesrepublik. Heute gibt es fünf Millionen unmittelbar Betroffene und es gibt noch einmal ca. zwei Millionen nicht erwerbsfähige Angehörige. Es sind sieben Millionen Menschen betroffen, wenn wir zu dieser Doppelzuständigkeit zurückkehren und wenn bis Ende 2010 keine Lösung gefunden wird.

Einer der wenigen Vorteile des SGB II - Sie wissen, wir haben an Harz IV selten ein gutes Haar gelassen - war die gesetzlich verankerte Wirkungsforschung.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Auch die getrennte Aufgabenwahrnehmung wurde untersucht und es liegen Ergebnisse vor. Die Frage, die man gestellt hatte, war: Wie eng kann eigentlich die Kooperation rechtlich selbständiger Träger in der Praxis sein? - Die Wirkungsforschung bestätigt, dass in jedem einzelnen Fall der Leistungsgewährung eine Reihe von Abstimmungen zwischen den Akteuren notwendig ist. Da aber die IT-Systeme der BA und in den Kommunen nicht nur unterschiedlich, sondern sogar inkompatibel sind, fließt bei jedem Fall und bei jedem Änderungsbescheid viel Papier hin und her.

Jeder Bescheid und jeder Änderungsbescheid muss von jedem Beteiligten der jeweils anderen Seite geprüft werden, um dann selbst wieder entsprechende Bescheide erteilen zu können. Das alles erfolgt in dreifacher Ausfertigung, weil es der Betroffene auch noch bekommen muss.

Im Fall einer räumlichen Trennung werden die Bescheide per Post zugeschickt. Dabei können jeweils mehrere Tage vergehen, weil die Post der Agentur für Arbeit zentral über Nürnberg verschickt werden muss. Das heißt, selbst wenn sie sich in einer Straße in zwei verschiedenen Häusern gegenübersitzen, geht die Post über Nürnberg.

Trotz der Netzwerkbildung wegen der notwendigen Kooperation stellen die Wissenschaftler wachsende Konkurrenz und wachsende Abgrenzung fest. Vor allem dann, wenn Kritik aufkommt und wenn Fehler festgestellt werden, ist immer der jeweils andere schuld. Unter

schiedliche Organisationskulturen in der Agentur und in der Kommune werden nicht, wie bei den Arbeitsgemeinschaften durchaus festgestellt wurde, beseitigt, sondern sie werden gepflegt.

Eigene Stärken werden bei dem anderen als Schwächen gewertet. Was zum Beispiel für die Kommune ein Zeichen von Flexibilität ist, kommt bei der Agentur als Chaos an. Was für die Agentur Stringenz und Ordnung heißt, empfindet die Kommune als unflexibel, bürokratisch und zentralistisch. Unterschiede, die es durchaus gibt, erzeugen Legitimationsbedarf für das eigene Vorgehen und liefern Argumente für Schuldzuweisungen an den anderen.

Die getrennte Aufgabenwahrnehmung ist auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesen, sagen die Wissenschaftlerinnen, sozusagen auf Face-to-FaceBeziehungen zwischen den Mitarbeiterinnen, das heißt, sie sollten sich kennen. Und überall dort, wo die Anzahl von Betroffenen und damit von Mitarbeiterinnen größer wird, wird - so sagen sie - die Zusammenarbeit immer schwieriger bis unmöglich.

Das Fazit der Wissenschaftlerinnen ist: Dienstleistungen aus einer Hand - das wichtigste Versprechen der Reform, ich erinnere noch einmal daran - sind mit der getrennten Aufgabenwahrnehmung nicht zu erreichen. Es ist daher der klare Auftrag an die Politik, sich gefälligst im Sinne der Betroffenen zu einigen und eine Lösung zu finden, die erstens verfassungskonform ist und die zweitens Leistungen aus einer Hand garantiert. Die Frage geht vor allem an die CDU: Was wollen Sie denn nun? - Mich interessiert es.

Nicht zuletzt kommt es auch darauf an, diesen Zustand für die Mitarbeiterinnen - übrigens in allen Organisationsformen - zu beenden. Die Leute in den Arbeitsgemeinschaften sind genauso verunsichert wie die in den Optionskommunen und wie die in der getrennten Aufgabenwahrnehmung, weil niemand wirklich weiß: Wie lange geht es denn nun weiter? In welcher Organisationsform geht es denn nun weiter? Was wird denn nun aus uns?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Entscheidung ist auch noch aus einem anderen Grund notwendig. Ich habe mich bisher in meiner Rede sehr bewusst auf die organisatorische und verfassungsrechtliche Seite dieses Problems eingelassen. Aber ich sage Ihnen auch eines ganz deutlich: Das eigentliche Interesse meiner Fraktion bei diesem Thema richtet sich auf die Betroffenen.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Das ist nur bei Ihnen so! Bei uns geht das wohl nicht?)

Egal in welcher Organisationsform, es muss um ihre Würde gehen. Es muss darum gehen, dass sie die ihnen zustehenden Leistungen schnell bekommen. Es muss auch darum gehen, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Das ist das Wichtigste.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu diesem Thema - das kann ich Ihnen versprechen, meine Damen und Herren - ist das letzte Wort in diesem Haus noch nicht gesprochen. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Dirlich. - Wir kommen dann zum Debattenbeitrag der CDU-Fraktion. Die Abgeordnete Frau Take hat das Wort. Bitte schön, Frau Take.

Herr Präsident! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es bereits gesagt: Am 20. Dezember 2007 hat das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben, Klarheit dahin gehend zu schaffen, wer denn nun wofür zuständig ist, und es hat die Arbeitsgemeinschaften als eine unzulässige Mischverwaltung deklariert. Es handelt sich hierbei um einen Grundgesetzverstoß. Seiner Heilung müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit schenken.

Daraufhin starteten die Regierungsfraktionen einen ersten Versuch, dieses Problem rechtlich anzufassen, der aber aus den bereits beschriebenen Gründen nicht zum Erfolg führte. Der Ministerpräsident hat das ausführlich dargelegt. Es handelt sich vielmehr um einen Kompromiss. Wie es bei Kompromissen so üblich ist, handelt es sich damit nicht unbedingt um die nachhaltigste Variante.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass es ein guter parlamentarischer und demokratischer Brauch ist, dass man insbesondere dann, wenn es um Wichtiges wie Grundgesetzänderungen und, wie im Fall der Neuregelung des SGB II, sogar um eine gravierende Änderung geht, keine Schnellschüsse initiieren darf, sondern dass man alle Bedenken in das Verfahren einfließen lässt und diese unabhängig von der vorschlagenden Fraktion hinreichend prüft.

Im Fall der Neuregelung der Jobcenter gab es vielfältige juristische Bedenken. Daher kann ich nachvollziehen, dass dieser Vorschlag von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt wurde. Ich möchte es mir an dieser Stelle erlauben, nur drei von mindestens sieben bekannten schwerwiegenden rechtlichen und organisatorischen Bedenken gegen diesen Kompromiss zu nennen.

Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat das heutige System der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften nicht wegen untergeordneter verfassungstechnischer Fragen als grundgesetzwidrig verworfen, sondern weil es darin einen Verstoß gegen das Demokratiegebot des Grundgesetzes gesehen hat. Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung würde diesen offensichtlichen Demokratieverstoß nicht lösen, sondern ihn lediglich für unbeachtlich erklären.

Zweitens. Unser heutiger zweigliedriger Bundesstaat besteht aus dem Bund und den Ländern. Zu diesen Ländern gehören auch die Kommunen. Ich erzähle Ihnen damit nichts Neues. Erst vor wenigen Minuten haben wir eine eindrucksvolle Aktuelle Debatte zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes geführt. Und ausgerechnet zu diesem Jubiläum würden wir aus dem zweigliedrigen Bundesstaat einen dreigliedrigen machen, bestehend aus Bund, Ländern und Hartz-IV-Verwaltung. Letztere hätte damit einen stärkeren Stand als unsere Städte und Gemeinden, die als Teil der Länder gelten. Das, meine Damen und Herren, kann nicht im Sinne der Demokratie sein.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen noch einen dritten Grund nennen, der den ursprünglichen Kompromissvorschlag fragwürdig erscheinen lässt. Dieser Grund besteht in einer Umorganisation der Arbeitsverwaltung ausgerechnet in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise, in einem Konjunktureinbruch, in dem sich unser Land heute befindet.

Ja, Frau Budde, Sie haben ganz richtig erkannt, dass wir uns in einer Krise befinden, Die Umorganisation der Agenturen würde einen erheblichen Aufwand bedeuten. Wir müssen davon ausgehen, dass in den nächsten Wochen und Monaten ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosenzahlen deutschlandweit zu verzeichnen sein wird. Just in diesem Moment würden wir in der Arbeitsverwaltung eine enorme Bürokratie verursachen, weil 370 neue Behörden mit neuen Geschäftsordnungen gegründet, Personalvertretungen gewählt und Gremien und Geschäftsführer etc. neu bestimmt werden müssten. Viele Abteilungen müssten erst wieder ins Laufen kommen, besetzt werden und arbeitsfähig gemacht werden.

Einhergehend mit einem höheren Aufwand in der Arbeitsverwaltung durch steigende Arbeitslosenzahlen würden die Kräfte von BA und Arbeitsgemeinschaften zweifelsohne über Gebühr beansprucht. Vielmehr sollten sich diese auch um die Arbeitslosen kümmern und sich nicht mit Verwaltung und mit sich selbst beschäftigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sehen an diesen drei Beispielen, dass es für die Zeit nach dem Jahr 2010 noch viel zu tun gibt. Gleichwohl gebe ich zu, dass ich mir einen Kompromissvorschlag auf der Bundesebene gewünscht hätte und dass wir nicht mit diesen offenen Fragen ins nächste Jahr geschickt werden, vor allem deswegen nicht, weil die Landesregierung von Sachsen-Anhalt in vielen Gremien für eine nachhaltige Lösung des Problems eingetreten ist und konstruktive Vorschläge gemacht hat. Der Landesregierung möchte ich für ihr Engagement ausdrücklich meinen Dank aussprechen.

(Beifall bei der CDU)