Protocol of the Session on May 8, 2009

Das hängt einfach damit zusammen, dass die Leute bei dieser Spiegelung, bei dieser bipolaren Gegenüberstellung ihre eigene persönliche Reflexion, ihre eigene subjektive Wahrnehmung ihres Lebens in dieser Bundesrepublik Deutschland einfach spiegeln. Wenn sie unzufrieden mit ihrer eigenen Position sind, bewerten sie die DDR hoch.

Deswegen sage ich: Es wird nicht funktionieren, mithilfe des DDR-Bildes eine Identifikation mit dieser Verfas

sung, mit diesem Grundgesetz herzustellen, sondern es muss aus sich heraus kommen. Die Menschen müssen es selbst als lebenswert erleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielleicht ganz am Ende dann doch noch etwas zu der Frage der DDR-Reflexion und dem Geschichtsbild dazu. Ich will als Erstes sagen: Wir haben eine entsprechende Reflexion und ein Geschichtsbild von Herrn Scharf und Herrn Wolpert bekommen. Dazu sage ich: Jawohl, das ist Ihres; das werden Sie auch behalten. Ich habe ein anderes.

(Lachen bei der CDU)

- Nun warten Sie doch mal ab! Ist das eigentlich so lächerlich, dass es differenzierte Geschichtsbilder in unserer Bundesrepublik gibt?

(Beifall bei der LINKEN)

Wissen Sie, ich habe als eines der ersten Dinge im Jahr 1990 gelernt, dass verbindliche Geschichtsbilder Kennzeichen von Diktaturen sind. Dazu sage ich: Es ist doch wohl nicht zu fassen, dass man nicht in der Lage ist, unterschiedliche Geschichtsbewertungen zuzulassen, auch über diese DDR.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Frau Feuß- ner, CDU)

Deswegen sage ich ganz deutlich: Ich kann mit allem leben, aber ich kann mit einem Satz nicht leben, Herr Scharf. Mit einem Satz kann ich nicht leben: Wir werden es Herrn Gallert nicht gestatten! - Doch, Sie müssen es gestatten. Und wissen Sie warum? - Wegen 60 Jahren Grundgesetz. Unter anderem.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Dazu will ich nur auf zwei Dinge bei Herrn Scharf und bei Herrn Wolpert kurz eingehen. Ja, die DDR war nach ihrem Selbstverständnis eine Diktatur, und sie hat dieses Selbstverständnis auch gelebt. Übrigens weit darüber hinaus, als es nach ihrer eigenen Verfassung möglich gewesen wäre, in der zumindest noch Reste bürgerlicher Freiheitsrechte verankert waren. Sie hat an der Stelle übrigens auch substanziell permanent gegen ihre eigene Verfassung verstoßen.

Aber - das sage ich auch mit aller Deutlichkeit - die DDR hatte als ganz wesentliche Motivation, soziale Gerechtigkeit - Sie können es möglicherweise auch soziale Gleichheit nennen - herzustellen. Die hatte sie. Ich glaube, es ist gefährlich, ihr das abzusprechen. Denn wenn das so ist, dass es nur ein einziges Motiv für diesen Staat DDR gegeben hat, nämlich ausschließlich Angst, ausschließlich Unterdrückung, ausschließlich Machterhalt,

(Zurufe von der CDU - Herr Weigelt, CDU: Diese Worte sind wesentlich tiefer!)

- lassen Sie mich mal den Satz zu Ende bringen - wenn das so ist, wenn es nur um ein Unterdrückungssystem ging, in dem nichts, aber auch gar nichts anderes eine Rolle gespielt hat, dann müssen Sie die gesamte DDRBevölkerung in Täter und Opfer unterscheiden. Dann gibt es nur Unterdrücker und Unterdrückte. Dann sage ich ganz deutlich: Dann können Sie

(Zurufe von der CDU)

- ja, jetzt wird es schwer für Sie, das glaube ich - diesen Staat nicht auf 2,1 % der Bevölkerung reduzieren, der IM

oder hauptamtlich bei der Stasi war. Dann muss man ehrlich sein, dann muss man sagen, dieser Unterdrückungsapparat hatte viele, viele Äste: der hatte den Staat, der hatte das MfS, der hatte die Polizei, der hatte die Armee, der hatte die politischen Parteien, der hatte den gesamten Aufbau, den man dazu realisieren konnte. Deshalb sage ich unter uns Nachfolgeparteien: Dazu gehören auch wir.

Jawohl, ich habe eine Vorgängerpartei, die SED, und diese Partei hat sich als erste bei den Menschen dafür entschuldigt. Auch ich werde das immer tun.

Ich werde nur eines nicht zulassen: dass andere Nachfolgeparteien dies vergessen.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Zurufe von Herrn Kosmehl, FDP, und von Frau Feußner, CDU)

Das können Sie für sich selbst ablehnen, aber Sie können mir nicht verbieten, Sie daran zu erinnern, Herr Wolpert.

Deswegen sage ich ausdrücklich: Ja, wenn denn dieser Staat nach Ihrer Definition nichts weiter als und ausschließlich ein Unrechtsstaat gewesen ist, dann überlegen Sie, welche Rolle Sie in diesem Staat spielten, und seien Sie endlich ehrlich. - Danke.

(Starker Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens. - Nicht? Gut.

Meine Damen und Herren! Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zur Aktuellen Debatte zum Thema „60 Jahre Grundgesetz - 20 Jahre friedliche Revolution“. Wir sind damit am Ende der Debatte. Beschlüsse werden entsprechend unserer Geschäftsordnung nicht gefasst.

(Unruhe)

Ich rufe das zweite Thema auf:

Zukunft der Jobcenter sichern

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 5/1945

Zunächst erteile ich der Antragstellerin, der SPD, das Wort. Die Abgeordnete Frau Budde hat das Wort. Bitte schön.

Wenn wieder Ruhe ist.

(Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich würde herzlich darum bitten, Frau Budde zuzuhören. - Frau Budde, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Unruhe ja verstehen. Ich will bloß in einer kurzen Replik auf die Debatte von eben eingehen.

Der große Fehler ist vermutlich in den Jahren 1989/90 gemacht worden, als das Parteiensystem der DDR nicht komplett aufgelöst worden ist und sich alle Parteien neu gründen mussten. Insofern fällt es meiner Partei etwas leichter, das Ganze zu diskutieren, weil in diesem Landtag hier die Sozialdemokraten eine wirkliche Neugründung nach dem Jahr 1990 sind und sich Gott sei Dank nicht damit auseinandersetzen müssen.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Tullner, CDU: Seit 1895!)

- Dann haben wir jetzt wenigstens die Aufmerksamkeit erreicht, die diesem aktuellen tagespolitischen Thema gebührt.

Denn leider ist es in der Tat so, auch wenn ich den Vergleich zwischen Grundgesetz und Sachsen-AnhaltMonitor nicht wirklich teile - - Ich halte es schon für ein bisschen weit hergeholt, das auf die gleiche Stufe zu stellen. Aber trotzdem ist es ja so, dass wir hier immer wieder in die Tagespolitik zurückfallen und dass das Thema, das wir jetzt in der Aktuellen Debatte behandeln, durchaus auch etwas mit Verfassung und mit Grundgesetz zu tun hat.

(Zuruf von Herrn Franke, FDP)

Es ist natürlich auch so, dass es eine breite Debatte über sozialen Unfrieden und drohende soziale Unruhen gerade jetzt in Deutschland als Auswirkung der Wirtschafts- und Finanzkrise gibt. Wir haben auch am Tag der Arbeit, am 1. Mai dieses Jahres gesehen, dass sich immer mehr Menschen persönlich davon betroffen fühlen und das auch artikulieren. Das sollte durchaus ein Zeichen für uns sein, dorthin genauer zu sehen.

Die Debatte ist auf der einen Seite natürlich wirklich gefährlich, aber sie ist genauso richtig. „Gefährlich“ sage ich deshalb, weil man soziale Unruhen nicht herbeireden sollte.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Aber richtig, weil ganz offensichtlich diejenigen, die die Krise verursacht haben, gut dabei wegkommen, und diejenigen, die unmittelbar davon betroffen sind, einen großen Teil des Ganzen ausbaden müssen. Das verletzt natürlich zu Recht das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen, und wir werden noch viel zu tun haben, um hierbei wenigstens einen gewissen Ausgleich hinzubekommen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Unstrittig ist, dass die Krise Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hat, auch auf die Wirtschaft in SachsenAnhalt. Unstrittig ist auch, dass dadurch Arbeitsplätze in Gefahr sind, dass damit Existenzen auf dem Spiel stehen. Unstrittig ist auch, dass die deutschen Sozialsysteme trotz allem funktionieren und dass sie die sozialen Verhältnisse in unserem Staat entscheidend stabilisieren.

Damit kommen wir aber auch schon zum Kern und zum Anlass der Aktuellen Debatte. Wenn wir in dieser Situation nämlich funktionierende Sozialsysteme haben wollen, dann müssen wir sie vernünftig organisieren und dürfen sie nicht mutwillig boykottieren, wie das aus meiner Sicht von der CDU-Bundestagsfraktion mit ihrem Beschluss vom 17. März 2009 getan worden ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie hat damit zwar auch ihre eigene Kanzlerin im Regen stehen lassen - das wäre mir ja vielleicht noch egal -,

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)