Protocol of the Session on June 27, 2008

Ich will jetzt noch einmal zwei Fragen besonders herausgreifen. Die erste Frage ist: Es gibt einen wirtschaftlichen Aufschwung, es gibt eine Reduzierung der Arbeitslosenzahlen, aber wie weit schlägt der Aufschwung durch und bei wem kommt der Aufschwung wirklich an? - Ich will einmal eine vergleichende Zahl nennen: Seit dem Jahr 1992 sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 86 % gestiegen, die Arbeitnehmerentgelte aber nur um 39 %.

(Herr Franke, FDP: In Sachsen-Anhalt, oder wo?)

- In Deutschland.

(Herr Franke, FDP: In Deutschland! Danke!)

- Ich glaube, dass man auch in einem kleinen Bundesland wie Sachsen-Anhalt die wirtschaftspolitische Diskussion nicht ohne den Gesamtblick auf Deutschland führen kann.

Die Schere ist deutlich zugunsten der Unternehmens- und Vermögenseinkommen auseinander gegangen. Die Lohnzurückhaltung - das ist von meinen Vorrednern zum Teil schon gesagt worden - hat einen wesentlichen Beitrag zum Wachstum geleistet. Sie hat sogar - so ist das immer wieder ausgeführt worden - einen wesentlichen Beitrag zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit geleistet. Man kann sogar sagen: Durch Lohnzurückhaltung ist ein Großteil der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erkauft worden, aber eindeutig auf Kosten der Binnennachfrage.

Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass die parteiübergreifenden Kritiker von Mindestlöhnen - wie immer sie auch zustande kommen - nicht auch daran interessiert sein müssten,

(Herr Borgwardt, CDU: Die Kritiker der Mindest- löhne meinen Sie, ja?)

- die Kritiker - dass die Kaufkraft wieder wächst; denn der Arbeitnehmer, der mehr verdient, kann mehr aus

geben und leistet damit wiederum einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Außerdem kommt die wirtschaftliche Entwicklung, der wirtschaftliche Aufschwung, die Konjunktur dann auch bei diesem Teil der Menschen an.

(Herr Kosmehl, FDP: Vielleicht hätten Sie diesen Menschen nicht die Mehrwertsteuererhöhung zu- muten müssen! Dann hätten die auch mehr Geld zur Verfügung!)

- Da ich vermute, dass Sie auch ab und zu Auto fahren, können Sie die Auswirkungen von Steuern an den Tanksäulen sehr schön sehen. Dort ist ja der Dieselpreis so viel niedriger als der Benzinpreis, weil die Dieselsteuer so viel niedriger ist.

(Widerspruch von Herrn Franke, FDP, und von Frau Dr. Hüskens, FDP - Zuruf von Herrn Wol- pert, FDP)

- Das ist ein eindrucksvolles Beispiel, das auch ein einfacher Mensch wie ich versteht, Herr Wolpert.

Die zweite Frage, die ich mir stelle, ist: Wo bleibt der Osten auf dem Wachstumspfad, auf dem sich die gesamtdeutsche Wirtschaft befindet?

Richtig ist, dass wir beim Industriewachstum nach wie vor deutlich über den westlichen Bundesländern liegen. Auch hierbei gibt es für Sachsen-Anhalt einen sehr guten Platz, nämlich den zweiten, mit einem Wachstum in Höhe von 12,1 % im Jahr 2007. Das reicht aber nicht aus.

Das IWH hat errechnet, dass wir, wenn die Entwicklung des Wirtschaftswachstums so weiter geht wie bisher, in 320 Jahren einen Ausgleich erzielt haben werden. Dass das nicht unser Ziel sein kann und dass wir deshalb insbesondere an den strukturellen Schwächen arbeiten müssen, die wir haben, das ist, denke ich, Konsens in diesem Hause.

Es ist auch Konsens - ich war sehr froh, dass Kurt Beck das vorgestern in dieser Stadt gesagt hat -, dass der Aufbau Ost weiter gefördert werden muss und weiterhin eine gesamtdeutsche Aufgabe ist und dass die SPD - das will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen - sich dafür einsetzen wird, dass dieser Aufbau Ost bis zum Jahr 2019, wie verabredet, gefördert wird,

(Zuruf von der FDP)

und dass wir dann auch weiterhin in diesem Hohen Hause über Wirtschaftsförderung diskutieren werden. Wir werden dabei über manches Problem diskutieren, aber ich denke, wir werden auch darüber diskutieren können, dass wir auf einem Weg sind, der nach vorn geht. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Miesterfeldt, für Ihren Beitrag. - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, begrüße ich die erste Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums am Thie in Blankenburg auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt erteile ich dem Abgeordneten Herrn Dr. Thiel von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede noch einmal versuchen, einen offenbar weit verbreiteten Irrtum auszuräumen, nämlich den, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in Legislaturperioden oder in Jahreszahlen messen lässt;

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Bi- schoff, SPD - Lachen bei der FDP)

denn zu dem, was Sie, Herr Minister Haseloff, vorhin gebracht haben - wie war die Entwicklung im „Jahr Rehberger“ und wie war das „Jahr Haseloff“? -, muss man sagen: Das fing vorher mit dem „Jahr Budde“ an, als die Investitionen eingeleitet wurden, die dann zwei, drei Jahre später gewirkt haben. Genauso ist es jetzt, dass jetzt Investitionen von vor zwei, drei Jahren wirksam werden. So wird es weitergehen.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich finde, wir sollten als Politiker mit diesen Eitelkeiten einfach einmal aufhören.

(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Ja!)

Dass wir über Erfolge reden, ist durchaus richtig. Wir sollten die Erfolge auch nicht kleinreden - dabei bin ich sehr bei Ihnen, obwohl man uns das an dieser Stelle immer vorwirft -, aber wirklich die Verantwortlichen für die Erfolge nennen. Das sind in der Regel die Unternehmerinnen und Unternehmer und ihre Beschäftigten, die zu den wirtschaftlichen Erfolgen beitragen.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP - Zu- stimmung von Herrn Gürth, CDU, und von Herrn Bischoff, SPD)

Wir als Politiker sollten uns Mühe geben, uns in der richtigen Sonne zu sonnen, und nicht sagen, dass wir diejenigen wären, die das vorangetrieben hätten.

Natürlich setzen wir Rahmenbedingungen. Wir haben gestern eine hervorragende Vorlesung des Kollegen Gürth über die soziale Marktwirtschaft gehört.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Die war sehr eindrucksvoll; aber Erfolge kleinzureden, ist eine Sache, die man immer der LINKEN nachgesagt hat, und Sie haben gestern auf die Exponenten verwiesen und mich an dieser Stelle auch angeschaut.

(Herr Gürth, CDU: Nein!)

Vielleicht nur noch eine Vorbemerkung, Herr Gürth, zu Ihrer Beruhigung: In meinem Arbeitszimmer zu Hause hängen nicht Hammer und Sichel, sondern hängt die Mitgliedsurkunde des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft.

(Herr Gürth, CDU: Aber ich habe Karl Marx im Regal!)

Was ich eigentlich sagen wollte: Sie beklagten gestern, dass 38 % der Deutschen wenig Zutrauen in die soziale Marktwirtschaft hätten. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass diese 38 % der Deutschen montags das Parteilehrjahr bei den LINKEN durchlaufen, sondern das ist gelebte Realität und damit sollten wir uns ausein

andersetzen und klar die Erfolge nennen und auch die Defizite ausweisen. Das ist eigentlich der Kernpunkt unserer Überlegung.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Miesterfeldt, Sie haben völlig Recht: Man kann über Zahlen und Statistiken durchaus streiten. Es gibt so viele Studien - man kommt gar nicht hinterher -: Bertelsmann, Prognos, das Statistische Landesamt kommt jeden Monat mit neuen Zahlen usw. usf. Für mich ist aber die entscheidende Frage: Wie analysieren wir sie und welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus?

Es wird auch nicht so sein, Kollege Hauser, dass man selbst in Bayern dazu übergeht, die Arbeitskosten zu senken, wenn in der Studie für Bayern als Klassenbesten sozusagen als Schwäche genannt wird, dass die Arbeitskosten zu hoch seien. Das glaube ich nicht, aber das ist doch die Schlussfolgerung, die wir ziehen sollten. Herr Miesterfeldt hat es zumindest angedeutet, in welche Richtung es gehen könnte.

Die Zahlen sind, wie gesagt, genannt worden. Man kann über viele Dinge reden, dass die Arbeitslosenquote um 4,3 % gesunken ist - Platz 1 - und die Zahl der ALG-II-Empfänger zeitgleich um 2,58 % gestiegen ist - Platz 14 - und hin und her. Wir haben also ein sehr differenziertes Bild der Lage. Das ist doch unbestritten.

Wenn ich mich an den Besuch beim IWH erinnere: Als wir im Juni dort waren, wurde uns noch einmal ganz deutlich gesagt, dass die Tendenz im Osten sei, dass es in den Jahren 2008 und 2009 kein aufholendes Wirtschaftswachstum im Osten geben werde. Wir werden die Schere nicht schließen können, trotz dessen was Herr Tiefensee oder Herr Tillich noch so alles in diesen Tagen verkünden. Das ist einfach ein Fakt.

Man sollte einmal auf die Wissenschaftler schauen, auch wenn die Freunde vom IWH nicht immer die Lieblingswissenschaftler der LINKEN sind. Das ist ganz klar. Man sollte sie aber ernst nehmen und versuchen, die richtigen Schlussfolgerungen an dieser Stelle zu ziehen.

Sie haben völlig Recht, Herr Miesterfeldt: Was ist denn vom Aufschwung bei den Leuten angekommen? - Das ist eine ganz entscheidende Frage.

Für mich ist aber noch ein anderer Gedanke wichtig. Herr Franke sprach vom Land in Stagnation. Dazu kann ich nur sagen: An dieser Stelle haben Sie die Fundamente mit gelegt. Ich würde sagen, wirtschaftlich stimmt das nicht. Wir sind kein Land in Stagnation, aber wirtschaftspolitisch würde ich ja zu dieser Aussage sagen.