Ja, und dann erkennt der eine oder die eine, dass das Beschlossene ihm schadet und sich nachteilig auf ihn auswirkt. Er verharrt nicht, sondern wendet sich an die Politik. Er, der Petent, hat sein Herz entdeckt für das Nichtkonsensfähige. Er begehrt auf. Er rebelliert. Er rebelliert nur gegen eines, gegen die Normalität, gegen die gängige Politik. Diese soll immerhin Meinungsvielfalt und Kampfeslust des Einzelnen fördern. Es ist ein wahrhaft revolutionäres Phänomen, sich gegen die herrschende Politik wehren zu wollen. Doch einige tun es dennoch. Ihre Ernsthaftigkeit und Betroffenheit macht der Inhalt der Petitionen sehr deutlich.
Fragwürdig und schwer zu akzeptieren scheint mir dabei nur zu sein, dass Politik sich nicht selbst hinterfragt und Gesetze, die Menschen schwer belasten, überprüft, verändert oder gar zurücknimmt. So könnten Petitionen Politik verändern. So wäre demokratische Teilnahme möglich und demokratische Teilhabe nachvollziehbar.
Wir verzeichnen zurzeit aber einen Rückgang der Zahl von Petitionen, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern bundesweit. Derzeit sind 230 Petitionen in einem halben Jahr bearbeitet worden. Das macht meines Erachtens einen deutlichen Vertrauensverlust in die Politik deutlich.
Bedarf es neuer, anderer Instrumente, um Bürgeranliegen gerecht werden zu können, um Bürgeranliegen um
setzen zu können und damit politische Entscheidungen zu verändern und das Mitspracherecht und die Teilhabe des Einzelnen nachhaltig bei uns ankommen zu lassen, um Politik zu verändern?
Nach Auffassung der LINKEN haben Petitionen in ihrer Qualität und Schärfe zugenommen. Aus dem ehemaligen Sich-beraten-Lassen ist der Anspruch geworden, sich in den politischen Bereich, in den öffentlichen Bereich einzubringen, Dinge verändern, handeln zu wollen. Die Petition hat dann den Anspruch, mittels Einspruch Politik zu verändern.
Stellen wir uns die Frage: Wo leben wir jetzt? In welcher Gesellschaft? - Wir leben im Kapitalismus. Beschrieben wurde er in der vorhergehenden Debatte. Wie zeichnet sich der Staat eigentlich ab? Es wird deutlich, dass sich im Augenblick einiges, wenn nicht alles verändert. So bauen die Regierenden gerade den Rechtsstaat ab und höhlen ihn aus. Wir sind längst alle gläserne Bürger, gläserne Kunden und ein absolutes Sicherheitsrisiko.
Nach der Agenda 2010 zum Sozialstaat geht wachsende Armut einher mit sozialer Ausgrenzung und einem dramatischen Verlust an Teilhabe an Kultur, Lebensvielfalt und Bildung. Hinzu kommen die Einführung der EinEuro-Jobs, die Reduzierung von Einkommen, die diversen Preiserhöhungen, Chancenlosigkeit, Verzweiflung, Hilflosigkeit, dem ausgeliefert zu sein, was ganz andere beschließen.
Deutlich wird das an der Wahlbeteiligung. Das Gefahrenpotenzial wird auch deutlich, wenn wir Wahlen einer kritischen Analyse unterziehen. Es könnte sein, dass wir mit unserem Verhalten, dem Nichthinhören, dem Nichtverändern-Wollen, dem Weiter-So ganz anderen politischen Kräften zuspielen und sie dadurch erstarken lassen.
Noch ein Aspekt darf nicht vergessen werden: Wir, die LINKEN, haben die Möglichkeit, jetzt, hier und heute mit Ihnen über das Thema zu diskutieren, umfänglich und ausführlich, auch ein wenig zu philosophieren. Es ist mir eine große Freude, Sie zum Nachdenken anzuregen.
Stellen wir uns aber einmal vor, dass nicht wir das Thema aufrufen, sondern Familie Volk hier steht. Familie Volk: Vater Volk, Ernst Volk, ist arbeitslos, seine Frau ist Hartz-IV-Empfängerin. Die Zwillinge gehen ins Gymnasium, können aber an der Klassenfahrt nicht teilnehmen, und die Söhne warten auf einen Studienplatz im Bereich der Bildung - eine schwierige Situation. - Nun muss aus einem Redeprivileg nicht automatisch auch Überzeugungskraft erwachsen und an die Öffentlichkeit dringen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, die Petitionen noch ernster zu nehmen. Stellen wir uns ihnen, prüfen wir, ob wir sie in politisches Handeln einfließen lassen können. Ein Weiter-So darf es nicht geben. Ich möchte Sie auffordern, selbstbewusster, engagierter, aufmerksamer mit unserem Souverän, dem Volk umzugehen, ihm Gehör zu schenken und unseren politischen Anspruch und die Politik zu verändern. - Ich danke Ihnen.
Frau Knöfler, vielen Dank. Es gibt hier zwei aufmerksame Abgeordnete, zum einen Herrn Stadelmann von der CDU und zum anderen Frau Schmidt von der SPD.
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich habe ein Verständnisproblem. Sie haben dargestellt, dass Petitionen die Unzufriedenheit mit den Dingen ausdrücken, die von der Politik entschieden worden sind, und dass man als letztes Mittel die Petition einsetzen würde.
Wie kommen Sie denn darauf, dass weniger Petitionen ein Ausdruck von größerer Unzufriedenheit sind? - Für mich wäre eher der Umkehrschluss zu ziehen: Wenn weniger Petitionen eingereicht werden, ist die Zufriedenheit größer.
Frau Knöfler beantwortet zuerst die Frage und danach stellt Frau Schmidt ihre Frage. Bitte schön, Frau Knöfler.
der sieht, wie sich die gesellschaftlichen Bedingungen des Einzelnen verändert haben - zum Nachteil -, und der sieht auch, wie arm manche sind und dass sie nicht teilhaben können. Ich betrachte weniger Petitionen in diesem Fall dahin, dass gesagt wird: Die helfen mir sowieso nicht. Es gibt aber auch viele Petitionen, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger immer und immer wieder zum gleichen Problem an den Ausschuss wenden; zum Teil ist es auch immer wieder der gleiche Bürger.
Ich sehe das anders. Ich sehe es als Gefahr, wenn man uns nicht mehr fordert und nicht mehr auffordert, uns nicht mehr sein Problem vorträgt und uns um Veränderungen bittet. Ich sehe die Gefahr, dass die Bürgerinnen und Bürger der Auffassung sind: Die da oben sind gegebenenfalls abgehoben.
Meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Frau Knöfler, Sie sprachen von einer abnehmenden Zahl an Petitionen und damit abnehmender demokratischer Einflussnahme auf die Politik. Meinen Sie, dass Petitionen - das ist der erste Teil meiner Frage - für die Bevölkerung die einzige Möglichkeit sind, an der demokratischen Willensbildung teilzunehmen? - Ich denke, es gibt noch andere, die auch wahrgenommen werden, wie zum Beispiel Bürgerinitiativen.
Zweitens. Sie wissen selbst - Sie sitzen länger im Petitionsausschuss als ich -, dass es in einigen Petitionen
nicht nur um das Aushebeln von Gesetzen geht, sondern - das sind die meisten - dass es auch um Verwaltungsfehler bzw. vermeintliche Verwaltungsfehler geht. Sind Sie nicht der Meinung, wenn es weniger Petitionen gibt, dass das dann günstiger für die Verwaltung ist? - Meine Frage zielt also in die gleiche Richtung.
Liebe Frau Schmidt, ich danke Ihnen ausdrücklich für Ihre Anfrage. Positiv erledigte Petitionen können nur jene sein, bei denen eine Entscheidung im Rahmen des Ermessens der Verwaltung korrigiert werden kann. Schauen wir uns einmal die Zusammenfassung der halbjährlichen Berichte daraufhin an, was positiv erledigte Petitionen sind. Meistens sind es um die 12 %.
Darüber zu philosophieren, ob eine Teilhabe des Einzelnen nur über Petitionen möglich ist - natürlich nicht. Es gibt weitaus mehr Möglichkeiten. Wenn ich aber die Statistik verfolge und feststelle, dass zu Beginn 11 000 Bürgerinnen und Bürger die Erwartung hatten, Politik zu verändern, und sich einmischten und wir jetzt bei ca. 230 sind, dann ist das für mich ein Signal, das wir ernst nehmen sollten. Gegebenenfalls müssen wir auch darüber philosophieren, unsere Arbeit neu zu strukturieren: mehr Öffentlichkeitsarbeit, mehr Ortstermine, mehr Termine mit dem Ausschuss vor Ort. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Die Bürgerinnen und Bürger müssen deutlich spüren, dass wir für sie da sind. - Danke schön.
Vielen Dank für die Beantwortung. - Ich erteile für die Landesregierung Herrn Staatsminister Robra das Wort. Danach kommen die Debattenbeiträge, von der CDU Herr Geisthardt. Bitte schön, Herr Robra.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag der Abgeordneten Frau Knöfler habe ich, ehrlich gesagt, den Eindruck, dass sie der Faszination der Formulierung der Überschrift „Bürgeranliegen als demokratische Teilhabe“ erlegen ist.
Dazu hat sie uns ihre Sicht der Dinge sehr bildhaft dargestellt. Ich habe bei dieser Gelegenheit auch nachvollziehen und verstehen können, was sie eigentlich gewollt hat. Man hätte dann aber die Fragen, die gar nicht zu dieser Überschrift passen und die an anderer Stelle - es war ursprünglich eine Anfrage im Bundestag - formuliert worden waren, überarbeiten müssen. Was gefragt worden war, hätte von uns als eine Art statistisches Jahrbuch des Beschwerdewesens beantwortet werden müssen.
Dazu haben wir erklärt, warum wir das nicht können. Wir sind nicht in der Lage und es macht auch keinen Sinn, die Vielzahl der Eingaben statistisch im Einzelnen zu erfassen.
Die Bürgerinnen und Bürger haben im Land eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihre Anliegen anzubringen. Das inzwischen Normalste ist die Ausschöpfung des Rechtsweges bei den Verwaltungsgerichten. Das gab es früher nicht. Heute sind die Verwaltungsgerichte akzeptiert, sie tagen öffentlich und publizieren ihre Entscheidungen.
Wir alle - Exekutive wie Legislative - haben die Entscheidungen der unabhängigen dritten Gewalt hinzunehmen. Sie sind auch nicht nur dahingeschrieben, sondern sie sind die Grundlage für weiteres Verwaltungshandeln und für weiteres politisches Handeln. Wir nehmen diese, wenn man so will, geronnenen, in Urteilsform gebrachten Bürgeranliegen ernst und ziehen unsere Konsequenzen daraus.
Die Bürgerinnen und Bürger machen reichen Gebrauch von der nach § 61 der Landesverfassung eingeräumten Möglichkeit, den Petitionsausschuss anzurufen. Der Petitionsausschuss leistet eine engagierte und vorzügliche Arbeit und hat in seinem Alltagsgeschäft ein sehr intensives Feedback der Bürgerinnen und Bürger, die dort ihre Anliegen anbringen. Das Ganze wird dann wiederum auf den nach der Geschäftsordnung des Petitionsausschusses vorgesehenen Wegen an die Exekutive herangetragen und hat dort erhebliche Konsequenzen.
Last, but not least gibt es nach Artikel 19 der Landesverfassung das umfassende Recht der Bürgerinnen und Bürger, sich mit Bitten und Beschwerden an alle zuständigen Stellen, an die Verwaltungsbehörden und an die Landesregierung zu wenden. Alle diese Eingaben und Beschwerden werden ausgewertet, zum Beispiel jede Woche zu Beginn der Kabinettssitzung die Eingaben an den Ministerpräsidenten. Allein in dieser Legislaturperiode waren es über 100 Sitzungen. Insofern sind die Anliegen all derjenigen, die sich an den Ministerpräsidenten gewandt haben, direkt und unmittelbar in die Meinungsbildung der Landesregierung am Kabinettstisch eingeflossen.
Hier gibt es vielfältige Wege unterschiedlichster Art, die es verbieten, darüber ein engmaschiges Netz statistischer Erfassungsparameter und Raster zu werfen, was, wenn man so will, nur wieder eine neue Beschwerdebürokratie schaffen würde.
Die Bürgerbeteiligung als solche außerhalb und jenseits der Bitten und Beschwerden ist in vielfältiger Weise gesetzlich ausgestaltet. Wir haben die Volksinitiative nach Artikel 80 der Landesverfassung und wir haben das Volksbegehren und die Volksentscheide nach Artikel 81 der Landesverfassung. Auch hierunter finden sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger zusammen, um ihre Anliegen sehr deutlich vorzutragen.
Die Abgeordneten, zu deren Ethos Sie, Frau Knöfler, vieles und auch Beherzigenswertes gesagt haben, kommen auch auf diesem Weg, ob man will oder nicht, in einen sehr engen und gelegentlich auch kontroversen Meinungsaustausch institutionalisierter Art mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land.
Darüber hinaus - auch dazu haben Sie schon einiges gesagt - findet ein ständiger Meinungsaustausch mit den Abgeordneten dieses Landtages, aber auch mit den Abgeordneten der kommunalen Parlamente in deren Büros und an anderen Orten statt. Auch aus diesen Gesprächen fließt sehr viel in die Meinungsbildung des Landtages ein.
Es gibt viele Anfragen, die wir als Landesregierung zu beantworten haben, es sind Kleine, Große, schriftliche, mündliche. Sie sind nichts anderes als die Reaktion des Parlaments auf diese Bürgeranliegen. Bei der Beantwortung dieser Anfragen wird der gesamte Verwaltungsapparat einbezogen. Diese Anfragen haben, insbesondere dann, wenn die Anliegen berechtigt sind, auch erhebliche Konsequenzen für die praktische Arbeit unserer Behörden im Land und der Landesregierung.
Auch die Landesregierung ist viel im Land unterwegs, nimmt direkt und unmittelbar die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger auf. Das gilt nicht nur für die Landesregierung, sondern das gilt auch für die Behördenleiterinnen und Behördenleiter und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Landesbehörden, sodass ein vielfältiger, tief gestaffelter Meinungsaustausch immer wieder stattfindet und auf vielen Kanälen Bitten, Beschwerden, Anregungen und Vorhalte in die Arbeit der Exekutive einfließen können.
Wir haben - auch das will ich nicht unerwähnt lassen, weil es letzten Endes in diesen Kontext gehört - vielfältigste Formen der Partizipation und der Teilhabe im Ehrenamt und im bürgerschaftlichen Engagement. Wir haben uns dazu auch im Landtag schon wiederholt ausgetauscht und auch Anfragen sehr detaillierter Art beantwortet, denen Sie das alles entnehmen können.
Als Landesregierung nutzen wir darüber hinaus neuerdings in immer intensiverem Maße die Möglichkeiten des World Wide Web, also die Online-Partizipation. Wir haben das Portal „Einmischen“ geschaffen, um den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit zu geben, in Chats oder Foren Anliegen direkt vorzutragen und sich direkt und unmittelbar an Repräsentanten insbesondere der Exekutive zu wenden. Immer mehr machen davon auch Gebrauch. Das bedarf noch der Implementation, der Umsetzung. Nicht alle wissen das. Ich nutze an dieser Stelle gern die Gelegenheit, um noch einmal darauf hinzuweisen und anzuregen, verstärkt von diesen hochmodernen Formen der Kommunikation im World Wide Web Gebrauch zu machen.
Wir alle - das kann ich für die Landesregierung sagen - wollen und fördern eine lebendige Bürgerdemokratie. Das, was wir in der Antwort auf die Große Anfrage dargestellt haben, ist das, was wir auf die Fragen, so wie die Fragen eben gestellt waren, antworten konnten. Wenn Sie eine Debatte wünschen, die sich etwas stärker an dem orientiert, Frau Knöfler, was Sie im Landtag vorgetragen haben, was aber nicht unbedingt das war, was in der Großen Anfrage stand, dann stellen Sie eine entsprechende Anfrage. Dann können wir das auch gern tun. - Herzlichen Dank.