Protocol of the Session on June 26, 2008

(Heiterkeit bei der SPD - Zuruf von Herrn Scheu- rell, CDU - Unruhe)

Was die Mindestlöhne angeht, so weiß ich nicht, ob das konditioniert war oder nicht. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, Herr Gürth, wie die Zusammensetzung des Bürgerforums war, ob die dort Anwesenden viel oder wenig verdienen und in welchem Bildungsniveau sie angesie

delt sind. Aber das ist - das tritt hier immer wieder auf - der grundsätzliche Unterschied auch zwischen uns beiden. Ich möchte den Grundsatz geklärt haben: Mindestlöhne - ja oder nein? Danach rede ich über die Bedingungen. Ich will nicht erst noch Tausend Bedenken diskutieren. Es liegt auf der Hand, dass wir erst einmal die grundsätzliche Aussage brauchen. Ich brauche mich auch nicht auf das Bürgerforum zu berufen.

Im letzten Jahr im Sommer wurde in der „Zeit“ eine riesengroße Analyse mit der Überschrift „Rutscht Deutschland nach links?“ veröffentlicht. Nach dieser Analyse waren weit über 50 % der Anhänger aller Parteien für einen Mindestlohn. Dahinter steckt doch die einfache reale Situation, dass heute in Deutschland Löhne gezahlt werden, von denen die Menschen nicht leben können. Das muss abgeschafft werden.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Das könnte auch über Tariflöhne geschehen. Als ordentlicher Gewerkschafterin, übrigens auch schon zu DDRZeiten, wäre es mir am liebsten, wenn vernünftige Untergrenzen in den Tarifverträgen eingezogen würden, so wie das jahrzehntelang in Deutschland üblich war, sodass die Menschen auch in den untersten Tarifgruppen von ihrer Arbeit leben können.

Ob das auf diese Weise oder über gesetzliche Mindestlöhne geschieht, ist mir inzwischen ein bisschen schnurz, aber ich will es haben. Ich will nicht noch 20 Jahre darüber diskutieren. Dann haben wir nämlich in 20 Jahren irgendwelche Kombilöhne und müssen als Staat dafür eintreten. Das überfordert uns. Das können wir doch nicht bezahlen.

Dann zu dem Problem der geringsten sozialen Gerechtigkeit und dazu, warum die Arbeitskräfte dorthin abwandern. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. So ist zum Beispiel ein Medizinprofessor abgewandert, weil er - ich glaube, mit 65 müssen die in Rente gehen - hier nicht mehr praktizieren konnte.

(Herr Gürth, CDU: Die Mehrheit war Facharbei- ter!)

Es gehen junge Leute dorthin, um international aufgestellt zu werden. Sie gehen in ganz bestimmte Bereiche - sie gehen doch nicht in die McDoof-Bude -, in denen sie richtig gut bezahlt werden, in denen sie Absicherungen haben, die sie in Deutschland nicht haben. Also, das hat immer einen ganz persönlichen Grund.

Wir müssen es schaffen, in Deutschland diese Bedingungen für die Facharbeiterinnen und Facharbeiter herzustellen. Die brauchen wir dringend. Dort, wo keine Produktion ist, wird auch keine Forschung mehr sein. Wir brauchen diese Kombination in Deutschland. Wenn wir die Bedingungen herstellen, dass diese Leute hier bleiben, dann sind wir richtig gut. Dabei möchte ich gern mithelfen.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Budde, es gibt noch eine Nachfrage von Herrn Franke. Wollen Sie die auch noch beantworten? Das wäre dann, glaube ich, die letzte.

Wenn Sie alle später in die Mittagspause möchten.

Das ist ein wichtiges Thema. Dann müssen wir das schon zulassen.

Frau Budde, Sie haben zu Recht gesagt, dass 80 % der Bevölkerung und auch 80 % der Unternehmer dem Mindestlohn von 7,50 € zustimmen. Gleichzeitig ist Ihnen sicherlich bekannt, dass 60 % der Unternehmer in Ostdeutschland sagen: Jawohl, den Mindestlohn halten wir für vernünftig, die Höhe für angemessen, aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht müssen wir dann in unserem Unternehmen Entlassungen vornehmen.

Sie heben im Zusammenhang mit dem Mindestlohn darauf ab, dass 1,3 Millionen Arbeitnehmer Aufstocker sind. Das Institut für Wirtschaft in Essen hat errechnet, dass im Endeffekt bei einem Mindestlohn von 7,50 € ca. 630 000 Arbeitnehmer einen Nutzen hätten, dann also wirklich auf die Aufstockung verzichten könnten. Gleichzeitig hat dieses Institut aber errechnet, dass deutschlandweit ca. 1,2 Millionen Entlassungen vorgenommen würden. Die Frage ist: Was nützt der Mindestlohn den Arbeitslosen?

(Zustimmung von Herrn Wolpert, FDP)

Also, damit haben wir die alte Paqué-Debatte. Aber gern nochmals: Erstens gibt es die Mindestlöhne in der Regel im ortsgebundenen oder im personengebundenen Dienstleistungsbereich. Das heißt, die Arbeitsplätze fallen nicht weg, sondern sie bleiben da.

(Herr Gürth, CDU: Schwarzarbeit!)

- Wer ordentliches Geld verdient, muss nicht schwarzarbeiten.

(Zuruf von Herrn Franke, FDP - Unruhe)

- Wollen Sie es hören oder wollen Sie es nicht hören? Ich kann mich auch hinsetzen. Ich habe das hier schon 20-mal erzählt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich mache das gern.

Zweitens. Wenn Mindestlöhne verbindlich sind, dann machen alle ihre Angebote von der gleichen Messlatte aus. Sie können auch nicht mehr unterboten werden. Sie können auch nicht von europäischen Arbeitgebern unterboten werden, weil wir nämlich einen Mindestlohn wollen, der europafest ist.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Der wird auch nicht von Schwarzarbeitern unterboten. Warum gibt es denn Schwarzarbeit, Herr Gürth? - Wenn jemand acht Stunden arbeitet und einen vernünftigen Lohn bekommt, von dem er auch ordentlich leben kann - meinen Sie, die machen alle freiwillig noch einen zweiten, dritten und vierten Job? Wenn sie von ihrem Lohn leben können, wird auch die Schwarzarbeit aufhören.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Kley, FDP - Unruhe)

Und es gibt in dem gelobten Land Amerika, das heute auch schon mehrfach angesprochen wurde, einen schönen Feldversuch, einen Superfeldversuch, übrigens mit McDonalds. In Amerika haben die einzelnen Bundesstaaten die Freiheit, ihre Mindestlöhne selbst festzulegen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Und in dem Bundesstaat, in dem der Mindestlohn höher war, sind keine Arbeitsplätze verloren gegangen. Die sind nicht etwa alle dahin abgewandert, wo es weniger gab, sondern die Zahl der Arbeitsplätze ist dort gestiegen, wo es höhere Löhne gab.

Ich möchte es auf den Versuch ankommen lassen. Ich kenne die Berechnungen. Da werden alle Tarife aufgeschrieben, die unter 3,50 € anfangen und bei 7,50 € aufhören. Dann rechnet man die Arbeitsplätzezahl zusammen und sagt: Oh, die gehen verloren, wenn wir jetzt 7,50 € zahlen. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Nein, die Milchmädchen rechnen besser.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich glaube nicht an solche Berechnungen. Das ist eine Glaubensfrage. Wenn Sie mit mir für den Mindestlohn stimmen, können wir das ausprobieren. Ich glaube, es wird nicht schlechter werden, sondern besser. Es wird eine Einlaufkurve geben, wie das auch bei den Postdienstleistern der Fall war. Am Ende aber werden stabile und ordentlich bezahlte Arbeitsplätze stehen.

Was die anderen angeht: Sie haben ja Recht, die 7,50 €, die immer diskutiert werden, betreffen gut 600 000 Arbeitsplätze.

Wenn ich Folgendes gleich sage, werden Sie wieder aufschreien. Erstens. Wir wollen einen Mindestlohn, der nicht von der Politik festgelegt wird, sondern der von einer quasi eingesetzten Tarifkommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus verschiedenen Branchen nach dem Modell von Großbritannien bestimmt wird.

(Herr Gürth, CDU: Monopolisten!)

Die werden natürlich über eine untere Grenze reden müssen. Sie werden jedes Jahr oder alle zwei Jahre darüber verhandeln müssen, ob sie das anheben. Das machen die in Großbritannien. Inzwischen sind es die Arbeitgeber, die wollen, dass angehoben wird. Die sagen inzwischen: „Der zahlt darunter, den scheiß’ ich an“ - auf gut Deutsch -, „das darf der nicht machen, das ist ungesetzlich.“ Die kommen damit klar. Das hat nichts damit zu tun, was sozusagen ringsherum noch so alles an Sozialleistungen ist. Hierbei geht es ausschließlich um dieses Grundelement Mindestlohn.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Budde, für Ihren Redebeitrag. - Wir kommen jetzt zu dem letzten Debattenbeitrag. Ich erteile dazu Herrn Wolpert von der Fraktion der FDP das Wort.

Bevor Herr Wolpert das Wort nimmt, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Luther-Melanchthon-Gymnasiums Wittenberg auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Wolpert, Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Budde, mir ist bei Ihrem echauffierten Beitrag die Idee gekommen: Es wäre einmal interessant zu erfahren, was für einen Mindestlohn die SPD für das Milchmädchen vorgesehen hat, das vom Rechnen leben soll.

(Frau Budde, SPD: Das macht nichts besser! Ihr Satz macht es einfach nicht besser!)

- Nein, es gibt einfach Tätigkeiten auf dem Markt, die den Mann oder die Frau nicht mehr ernähren. Das muss man einmal klar sagen.

(Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE - Frau Bud- de, SPD: Und damit begründen Sie, dass es im- mer mehr werden, oder was? - Herr Miesterfeldt, SPD: Das sprechen Sie auch noch aus!)

Ich habe noch eine andere Anmerkung. Sie haben in Ihrer Rede das Beispiel vom Hasen und dem Igel gebracht

(Frau Budde, SPD: Nein, von Fuchs und Igel! - Herr Miesterfeldt, SPD: Zuhören!)

- von Fuchs und Igel - und haben gemeint, dass die Arbeitnehmer, wenn sie in den Betrieb kommen, die Waffen abgeben sollen, die Stacheln würden ihnen schon gezogen werden.