So hatten wir bis vor einigen Jahren ein Absinken der Quote der Studieninteressierten bis auf 60 % der Abiturienten zu verzeichnen. Offensichtlich waren sie der Meinung, dass sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt mit dem Erreichen eines Hochschulabschlusses nicht besser darstellen würden als ohne einen Hochschulabschluss.
Inzwischen ist diese Quote auch im Land Sachsen-Anhalt wieder auf über 80 % gestiegen, das heißt 80 % des jeweiligen Absolventenjahrganges der Gymnasien beabsichtigen, ein Studium an einer Hochschule oder an einer Fachhochschule aufzunehmen. Wie das im nächsten Jahr aussehen wird, weiß noch niemand.
Um diese Problematik kümmert man sich. Man braucht mich darauf nicht aufmerksam zu machen. Auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht etwas dazu. Aber wir haben vorhin erlebt, dass man die Einhaltung des
Koalitionsvertrages gegenseitig immer wieder anmahnen muss. Vielleicht trägt unser heutiger Antrag auch dazu bei, dies in Erinnerung zu rufen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, einen Punkt, den ich im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen nicht wiederfinde, ist das Problem, dass viele Abiturienten - eventuell wird das im nächsten Jahr besonders zum Tragen kommen - auf den Lehrstellenmarkt drängen werden. Hierbei ist auch für die Sekundarschüler etwas zu tun.
Im nächsten Jahr wird ein großer Druck auf die Abgänger der Sekundarschule ausgeübt werden, der massiv durch Konkurrenz aus den Gymnasien geprägt sein wird. Dabei entstehen Verdrängungseffekte, die man nur dadurch umgehen kann, dass sich die Möglichkeit zur Schaffung von Ausbildungsplätzen in der freien Wirtschaft deutlich verbessert.
An dieser Stelle ist das Wirtschaftsministerium gefragt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es bedarf frühzeitiger Beschlüsse. Zum einen gilt es, ausbildungswillige Betriebe finanziell zu unterstützen. Zum anderen muss in Zusammenarbeit mit den Kammern auch ein deutliches Signal gesetzt werden, dass man möglicherweise für dieses Jahr die Bedingungen für die Ausbildungsfähigkeit von Unternehmen etwas lockerer gestaltet, etwa indem über Ausbildungsverbünde und Ähnliches geeignete Personen, die eine Ausbildung durchführen können, bereitgestellt werden.
Ich meine damit die Pflicht zur Bereitstellung von Meistern usw., die in letzter Zeit sehr restriktiv gehandhabt wurde. Dadurch hatten vor allen Dingen kleine Unternehmen, die gern einmal ausgebildet hätten, gar nicht die Chance, weil die jeweiligen Fachleute fehlten. Hier ist es geboten, tätig zu werden; denn nach ersten Prognosen könnten im nächsten Jahr bis zu 2 000 Abiturienten zusätzlich auf diesen Markt drängen. Dafür muss man gewappnet sein.
Deshalb stellen wir unseren Antrag zu diesem Zeitpunkt; denn im Haushaltsplanentwurf für das nächste Jahr muss sich dies bereits deutlich widerspiegeln. Darüber hinaus müssen sich die Unternehmen langfristig auf solche Tendenzen vorbereiten. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das Problem mit einer Ausbildungsplatzinitiative im April des nächsten Jahres vielleicht noch behoben werden könnte. Dann sind die Messen längst gesungen. Deshalb ist es notwendig, heute und hier zu handeln.
Wir haben im Bereich der Sekundarschüler, die auf den Ausbildungsmarkt drängen, einen lokal viel stärker begrenzten Markt als im Bereich der Abiturienten, die deutschlandweit, europaweit und auch weltweit nach Studienplätzen suchen. Für die Hochschulen ist es wichtig, mehr Flexibilität zu erreichen und die Kapazitäten dementsprechend auszuprägen. Bei den Unternehmen reicht Flexibilität nicht aus. Hier muss eine Perspektive für den neuen Jahrgang dargestellt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ferner ist in unserem Antrag ein Punkt enthalten, den man bei den Koalitionsfraktionen nicht findet. Es mag vielleicht sein, dass man ihn übersehen hat oder dass man ihn nicht für wichtig erachtet. Es geht um die klare Darstellung von Perspektiven für jenen Jahrgang. Wir werden feststellen, dass die Diskussionen, die gerade in den Schulen über
die zukünftigen Chancen dieses doppelten Jahrganges geführt werden, dazu führen, dass Unsicherheiten auftreten.
Dabei handelt es sich eben gerade um jenen Jahrgang, der bereits unter den bildungspolitischen Experimenten im Land Sachsen-Anhalt leiden musste. Es sind jene Jahrgänge, die erstmalig in den „Genuss“ der Förderstufe kamen und damit fast zwei Jahre ihres Lernlebens verloren haben, weil die Lehrer nicht wussten, was sie machen sollten und weil neue Klassen zusammengewürfelt wurden.
Jener Jahrgang steht nun vor der Aufgabe, sich innerhalb von vier Jahren mit einem sehr gedrängten Unterrichtsplan darauf vorzubereiten, das Abitur abzulegen.
Wir werden feststellen, dass sehr viele Schüler die 11. Klasse wiederholen werden, sodass sich hier eventuell eine Spreizung in den Abgangsjahren darstellt. Es ist aber wichtig, diesen Menschen an dieser Stelle eine klare Perspektive zu geben und zu sagen: Das Land kümmert sich darum, der Landtag kümmert sich darum, dass im nächsten Jahr alle die Möglichkeit erhalten, einen Studienplatz oder einen Ausbildungsplatz zu finden, damit sie den Vorteil des verkürzten Abiturs auch nutzen können.
Hier muss ein deutliches Zeichen gesetzt werden; denn es herrscht noch zu viel Unsicherheit bei den Eltern und bei den Schülern. Dazu ist bisher nichts klar gesagt worden. Ich glaube, dass man den Wissenschafts- und Hochschulminister mit diesen Fragen nicht allein lassen darf. Das sind Probleme, die die gesamte Landesregierung lösen muss. Man muss sich dieses Themas annehmen und den Eltern sagen, dass es Perspektiven für die jungen Menschen in diesem Land gibt.
Es kann zum einen darum gehen, Finanzen bereitzustellen - das hatte ich bereits gesagt -, aber es muss auch darum gehen, den Jugendlichen zu erklären, dass wir sie nicht allein lassen.
Ferner ist es auch wichtig, meine sehr geehrten Damen und Herren, die kurzfristigen Chancen aus dieser Kapazitätsaufweitung langfristig abzusichern. Die anderen Bundesländer - das sagte ich bereits - werden zukünftig ebenfalls doppelte Abiturjahrgänge auf den deutschen Bildungsmarkt entlassen. Danach werden die Abiturientenzahlen sinken; denn dann haben die starken Vorwendejahrgänge die Schulen verlassen und die Zahl der Abiturienten im Land Sachsen-Anhalt wird sich halbieren. Deshalb ist es notwendig, dass unsere Hochschulen eine Attraktivität erreichen, die Abiturienten aus anderen Bundesländern motiviert, hier zu studieren, damit die Kapazitäten auch künftig abgesichert werden können.
Auf die Problematik der Studiengebühren möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Auch diese könnten für die Entscheidung der Studienbewerber aus anderen Bundesländern, in Sachsen-Anhalt zu studieren, eine Rolle spielen.
Ich glaube, es ist dringend geboten, dass bei der Bewilligung von hochschulinternen Auswahlverfahren die Landeskinderquote deutlich angehoben wird, andererseits ist es aber auch wichtig, dass ein vernünftiges Maß be
steht. Wer zu stark selektiert, läuft Gefahr, sich zu sehr auf jene Abiturienten zu fixieren, die auch für andere Hochschulen attraktiv sind. Wenn diese Studienbewerber sich dann für eine andere Hochschule entscheiden, stehen die hiesigen Hochschulen vor dem Problem, dass ihre Kapazitäten gar nicht ausgelastet werden. Deshalb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, Studenten nachzuziehen, um die Ausbildung dementsprechend abzusichern.
Eine andere Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren, beschäftigt sich mit der Thematik, welches Studienfach denn eigentlich ergriffen werden soll. Auch hier hat das Land Sachsen-Anhalt trotz nachdrücklicher Diskussionen, die seit mehr als zehn Jahren geführt werden, etwa bei den Ingenieurstudiengängen die entsprechenden Kapazitäten noch nicht erreicht.
Unsere Wirtschaft braucht Fachleute; unsere Wirtschaft braucht Ingenieure. Hier kann man die Chance nutzen, die der doppelte Abiturjahrgang bietet, und den jungen Menschen zeigen, wo sich künftige Berufschancen finden lassen und wo die Branchen sind, in denen gute Chancen auf einen Arbeitsplatz bestehen. Jetzt wäre es möglich, in einem gewissen Maße lenkend einzugreifen. Jetzt entstehen die Studienwünsche, und nicht erst im nächsten Jahr. Man muss die Schüler jetzt informieren und nicht erst dann, wenn sie bereits auf der Immatrikulationsstelle stehen und nicht wissen, welches Fach sie studieren sollen.
Nein, heute müssen die Hochschulen die Chance haben, an die Gymnasien heranzutreten und für ihre Ausbildung zu werben. Aber auch umgekehrt: Die Zusammenarbeit zwischen dem Gymnasium und der Hochschule muss verbessert werden. Der Übergang vom Kindergarten zur Schule klappt jetzt mittlerweile. Nun muss noch der Übergang von der Schule zur Hochschule funktionieren. Das ist im selben Haus angesiedelt. Das sollte doch relativ einfach sein. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, alles, was so einfach erscheint, ist manchmal etwas schwierig zu machen.
Ich bitte Sie noch einmal nachdrücklich, den Antrag, der heute gestellt wurde, positiv aufzunehmen. Es geht, wie gesagt, darum, ein Signal an die betroffenen Institutionen, die Unternehmen, die Hochschulen und an die Schülerinnen und Schüler zu geben, dass wir uns dieses Themas angenommen haben, dass die Zukunft in Sachsen-Anhalt gesichert ist.
Wir können nicht immer nur über Bildungsquoten und über die Notwendigkeit von Bildung diskutieren, wenn wir nicht auch solche Umbrüche positiv begleiten. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, jedenfalls denen, die noch anwesend waren. Ich wünsche mir, dass die Beschlussempfehlung dann ein deutliches Zeichen nach außen darstellt. - Danke schön.
Danke sehr, Herr Abgeordneter Kley, für die Einbringung. - Seitens der Landesregierung wird der Kultusminister Herr Professor Dr. Olbertz sprechen. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe dieser wunderschönen Einbringungsrede mit Genuss zugehört. Viele neue Töne,
Dass wir in unseren Ämtern lernen, wie Systeme funktionieren, hat sich für mich einmal mehr bewahrheitet.
Die FDP-Fraktion hat mit diesem Antrag zum doppelten Abiturjahrgang ein wirklich wichtiges und viel diskutiertes Thema aufgegriffen. Ich möchte es nicht so formulieren, dass sie es aus der Koalitionsvereinbarung geliehen hat. Aber ich habe mich auch bei dem Gedanken ertappt, dass wir die Rede, die Herr Paqué gegen Ende der letzten Legislaturperiode gehalten hätte, wenn dieser Antrag von der Opposition gestellt worden wäre, niemals werden hören können. Es ist schade, dass der liebe Gott es so eingerichtet hat, dass wir nicht in diesen Genuss kommen.
Das habe ich vor allem natürlich bei den Kollegen von der FDP kennen und schätzen gelernt. Dies wurde heute erneut bestätigt.
Aber nun zum Thema selbst. Denn das ist ja in der Tat ernst. Es geht um die Ausbildungsperspektiven junger Leute in Sachsen-Anhalt und die Befürchtung, dass der Doppeljahrgang, der auf uns zukommt, die Chancen einschränken könnte. Diese Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur haben inzwischen etliche andere Länder beschlossen. Jedoch ist das sachsen-anhaltische Doppelabitur glücklicherweise, weil wir hierbei schnell waren, das erste, das diese Wirkung zeigt, und im Moment auch das einzige.
Wenn wir nicht davon ausgehen, dass sie um jeden Preis alle in Sachsen-Anhalt studieren müssen - das werden sie sowieso nicht machen, weil das Fächerspektrum höchst unterschiedlich verteilt ist -, so kann man sagen, dass wir insgesamt in einer ganz glücklichen Lage sind.
Allerdings hat Herr Kley Recht, wenn er darauf hinweist, dass die Lage nicht glücklicher wird, wenn dann en bloc mehrere Länder auf einmal denselben Schritt vollziehen. Dann haben wir ihn zwar schon hinter uns. Aber es wird in der Tat zu einer erhöhten Nachfrage bei uns führen, obwohl wir demografisch ziemlich unmittelbar vor einer radikalen Verringerung der Studentenzahlen stehen werden.
An dieser Stelle müssen wir das Grundsätzliche betrachten; denn wir sind kein Ausbildungsland in dem Sinne. Es kann nicht sein, dass wir die Ausbildungskosten für
die anderen Länder übernehmen und die Absolventen nach Baden-Württemberg gehen, wo sie dann Exzellenzprogramme gewinnen. Das ist also nicht ganz einfach.
Wir müssen in der Tat im Rahmen eines Hochschulpaktes - deswegen unterstütze ich die Bundesministerin auch ausdrücklich - prüfen, wie man zu einer guten Verabredung bezüglich der Sicherung unserer Kapazitäten trotz sinkender Studentenzahlen und hinsichtlich der Forschungsinfrastrukturhilfe zum Abbau unserer Disparitäten in der Forschungsstruktur kommen kann. Denn es ist absolut nicht nötig, mit sinkenden Studentenzahlen bei uns die Kapazitäten abzubauen. Es ist nur an Voraussetzungen gebunden. Darüber muss mit dem Bund und mit den anderen Ländern verhandelt werden. Das ist, soweit ich informiert bin, doch nicht verboten.
Ich halte es für wichtig klarzumachen, welche Folgen der doppelte Abiturjahrgang für die Hochschulen tatsächlich haben wird. Dazu gehört erstens, dass wir nicht mehr, wie es der FDP-Antrag übrigens annimmt, 10 000 Abiturienten pro Schuljahrgang haben - das waren etwas ältere Unterlagen, die hier hinzugezogen wurden -, sondern deutlich weniger. Wir rechnen im kommenden Jahr mit insgesamt 16 500 Abiturienten, also mit etwas mehr als 7 500 zusätzlichen Abgängern.