Meine Damen und Herren! Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf folgendes Verfahren verständigt: Die gemeinsamen Anträge der Fraktionen in Drs. 5/1271 und Drs. 5/1272 werden durch den Abgeordneten Herrn Gürth eingebracht. Die weiteren Anträge werden danach in den Debattenbeiträgen mit begründet, sodass eine separate Einbringung weiterer Anträge nicht erfolgt.
Ich bitte den Abgeordneten Herrn Gürth, die beiden Drucksachen namens aller Fraktionen hier einzubringen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit den beiden Anträgen in Drs. 5/1271 und Drs. 5/1272 wollen wir zwei Dinge neu regeln, die die grundsätzliche Arbeitsweise des Parlaments betreffen.
Das eine ist das Petitionsrecht, ein ganz wichtiges Recht, das dem Bürger die Möglichkeit gibt, sich an den Landtag zu wenden, wenn er mit dem Behördenhandeln nicht einverstanden ist. Dieses Petitionsrecht, ein Verfassungsrecht, wird hier im Parlament vom Petitionsausschuss aufgegriffen. Dieser nimmt eine ganz wichtige Funktion wahr, nämlich die, sich der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes anzunehmen.
Damit dort eine gerechte und effiziente Verfahrensweise gesichert ist, gibt es Grundsätze des Petitionsausschusses, in denen geregelt ist, wie mit den Petitionen zu verfahren ist. Diese Grundsätze sind vom Petitionsausschuss gründlich geprüft, überarbeitet und angepasst worden. In der nunmehr vorliegenden - -
Wir kommen noch zur Geschäftsordnung, zum Thema lebendiges Parlament. Vielleicht war das schon ein Vorgriff.
Kommen wir noch einmal auf das Petitionsrecht zurück. Ich will Ihnen die ganzen 27 Punkte, die neu geregelt werden, nicht vortragen. Wir sind alle des Lesens mächtig. Ich möchte nur auf die wichtigsten Neuregelungen aufmerksam machen. Es handelt sich im Großen und Ganzen um eine Anpassung an die Praxis und es gibt begriffliche Anpassungen. Diese sind hier nicht einzeln aufzulisten, aber einige Punkte sind vielleicht doch von Interesse.
Das betrifft erstens die Einreichung von Petitionen für Dritte. Es ist immer wieder vorgekommen, dass sich Petenten an den Landtag gewandt haben, um Sorgen Dritter vorzutragen. Dabei ist des Öfteren schlichtweg die Frage der Legitimation aufgekommen. Dieser Punkt ist jetzt grundsätzlich neu geregelt worden. Es muss zwingend eine Legitimation vorgelegt werden, damit klar ist, dass derjenige, der eine Petition vorträgt, auch berechtigt ist, diese Petition hier einzureichen, und nicht jemand nur augenscheinlich oder seinen Angaben gemäß vorgibt, für Dritte zu handeln, wobei Dritte davon gar nichts wissen. Ich denke, das ist eine gute und wichtige Neuregelung, die auch einer schriftlichen Fixierung bedurfte. Das ist hiermit erfolgt.
Zweitens will ich das Einreichen von Petitionen auf elektronischem Weg erwähnen. Wir sind im digitalen Zeitalter. Auch hierbei bedurfte es einer Regelung, damit klar ist, nach welchen Verfahren Petitionen eingereicht werden können und behandelt werden. Diese Regelung liegt nunmehr vor. Es ist hier der Hinweis auf das Onlineformular angebracht. Dieser Hinweis ist aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderlich.
Drittens möchte ich die Frage der Regelung der Zuständigkeiten erwähnen. Wie geht man mit den vielen Petitionen um, die ernst gemeint sind und große Sorgen der Bürger betreffen, für die wir als Landtag aber keine Zuständigkeit besitzen, sondern andere Institutionen wie zum Beispiel der Bundestag zuständig sind? Dies ist neu geregelt worden: klar, einfach, für jeden nachvollziehbar.
Es gilt hier auch noch einen weiteren Punkt zu erwähnen. Das ist schlichtweg die Frage nach der Effizienz der Arbeit. Wie kann man künftig sicherstellen, dass Petenten durch längere Beratungsabstände - ob das die Sommerpause oder eine längere Bearbeitungsdauer ist - nicht das Gefühl bekommen, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden? - Es gibt jetzt zwei Neuregelungen, auf die ich hinweisen möchte:
Die Petenten werden künftig über den Fortgang und über die Stellungnahmen unterrichtet, die die Landesregierung oder andere Behörden zu der Petition abgeben. Das ist sichergestellt und wird automatisch vollzogen. Damit wird auch die Chance eröffnet - und das wird auch sichergestellt -, dass der Petent davon Kenntnis erhält, welche Stellungnahmen die Behörden zu seiner Petition abgeben. Er hat dadurch die Gelegenheit,
Eine letzte Sache sei mir noch gestattet zu erwähnen: Bisher war es immer üblich, dass Petitionen zur Bearbeitung nur an zwei Adressaten weitergereicht wurden. Das waren der oder die Vorsitzende des Petitionsausschusses und der jeweilige Berichterstatter. Jetzt werden diese Petitionen, wenn das gewünscht wird, auch allen Fraktionen zur Kenntnis gegeben, sodass auch dadurch eine ganz andere Wirkung entfaltet werden kann.
Damit habe ich nur die wichtigsten Dinge aufgegriffen, die der Petitionsausschuss nach langen Beratungen beschlossen hat. Ich möchte, auch im Namen des Ausschusses, hier empfehlen, dem zu folgen, und bitte darum, den Antrag zur Beratung an den Petitionsausschuss zu überweisen, weil wir noch einige Änderungsanträge haben. Dort können dann dieser Beschluss des Petitionsausschusses in Form des vorliegenden Antrags und die noch zur Beratung eingereichten Anträge bearbeitet werden und dann können diese dem Parlament wieder vorgelegt werden.
Kommen wir zum nächsten Punkt, der Geschäftsordnung. Bei der Geschäftsordnung handelt es sich um eine Regelung besonderer Art. Die Geschäftsordnung wird im Landtag mit einfacher Mehrheit beschlossen. Nun könnte der Versuch nahe liegen, dass sich eine vorhandene Mehrheit im Landtag die Regeln, nach denen hier gemeinsam zu arbeiten und abzustimmen ist, so gestaltet, dass die Mehrheit Mehrheit bleibt und die Minderheit keine faire Chance kriegt.
Da die Minderheiten von heute Mehrheiten von morgen sein können und auch umgekehrt, bestand natürlich die Herausforderung,
ein Regelwerk zu finden, das allen gerecht wird, das Minderheitenrechte wahrt, aber auch Effizienz organisiert. Das haben wir versucht.
In dieser Drucksache liegt das in zweijähriger Tätigkeit erarbeitete Ergebnis vor. Ich möchte mich an dieser Stelle zu Beginn bei den PGF aller Fraktionen, die mitverhandelt haben, und der Landtagsverwaltung unter Federführung von Herrn Dr. Gruß für die sehr konstruktive und nunmehr zwei Jahre andauernde Arbeit bedanken.
Die Tatsache, dass vier Fraktionen die vorliegende Drucksache unterzeichnet und zur Beratung eingereicht haben, zeigt, dass es gelungen ist, die Interessen aller Fraktionen aufzugreifen und trotz unterschiedlicher Sichtweisen hinsichtlich verschiedener Einzelfragen dennoch einen großen Grundkonsens bei den wesentlichen Arbeitsgrundlagen unseres Parlaments zu finden.
Zu Beginn der Beratungen über die Novellierung der Geschäftsordnung stand eine große Zielstellung. Konfrontiert mit den Erwartungen unserer Bevölkerung, war letztlich die Frage gestellt worden: Wie wirkt Parlamentsarbeit in einer parlamentarischen Demokratie nach außen? Also, das Wesen der parlamentarischen Demokratie war infrage gestellt worden. Die Rolle des Parlaments im Verfassungsgefüge war zu Beginn der Arbeit zu überprüfen.
Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir die Arbeit des Landtages als Gesetzgebungs- und Verfassungsorgan effizienter gestalten können und wie wir die Aufgaben
erledigung vielleicht neu organisieren müssen. Wie müssen wir die Aufgabenverteilung zwischen Fraktionen, Ausschüssen und Plenum neu gestalten?
Zu all diesen Fragen gab es Anträge und Vorschläge aus den Reihen aller Fraktionen. Letztlich berührte dies auch die grundsätzliche Frage der freien Mandatsausübung. Es ging darum, wie dies im Jahr 2008 und in den Folgejahren am besten zu gestalten ist. Dabei war insbesondere nach Veröffentlichungen wie dem SachsenAnhalt-Monitor oder den Reaktionen in Leserbriefen bezüglich der Besuche im Parlament schnell klar, dass der Anspruch, also die Erwartungen der Öffentlichkeit einerseits und die Arbeitsteiligkeit und die Parlamentswirklichkeit andererseits nur sehr schwer unter einen Hut zu bringen sind.
Ich will einmal ein Beispiel aufgreifen. Wir haben sehr oft Schülergruppen - heute auch wieder - im Parlament gehabt. Dort sitzen Schülergruppen, die uns Parlamentarier beobachten, die wir über zum Teil große Summen oder folgewichtige Dinge zu entscheiden haben, wenn wir sie denn beschließen. Die gehen davon aus, dass hier 100 Abgeordnete sitzen - manche glauben, überbezahlt -, einer redet, alle hören zu und dann wird abgestimmt.
Das Parlament ist aber keine Schulklasse. Das Parlament hat viele Aufgaben. Neben diesen Stunden, wo hier beraten und beschlossen wird, zählen genauso die Beratungen in den Ausschüssen, die Meinungsbildung in den Fraktionen oder auch außerhalb des Parlaments in Konferenzen, Sitzungen oder Wahlkreisen. All dies mündet letztlich hier hinein.
Angesichts dessen stehen wir vor der Frage, welche Rolle soll die Plenarsitzung haben, zu der wir in jedem Monat zusammenkommen und in der wir nach außen hin deutlich sichtbar machen, für welche Positionen die Fraktionen bezüglich der Sachfragen stehen.
Bei dieser Frage kommt noch ein Anspruch hinzu, den nur ganz wenige Leute erfüllen können. Diejenigen, die diesen Erwartungen entsprechen, sind meistens Showmaster. Es geht nämlich um die Entertainment-Qualitäten, die zunehmend auch von uns Abgeordneten abgefordert werden. Also: Man wünscht sich, weil wir nicht nur von Schülern beobachtet werden, sondern auch von Fachleuten und Experten, die unsere Protokolle nachlesen, einen Abgeordneten im Plenarsaal, der diszipliniert ist wie ein preußischer Offizier, eine Mischung aus Nobelpreisträger und Ranga Yogeshwar oder Jean Pütz, der komplizierte Dinge konkret, aber fachlich anspruchsvoll so erklärt, dass man möglichst zum Staunen oder auch noch zum Lachen kommt. Das ist Entertainment, das man fordert. Diesen Ansprüchen kann hier niemand gerecht werden.
- Auch nicht in der FDP. Wenn, dann ist das nur sehr selten der Fall. Aber vielleicht kommt Ihre Stunde auch. Ich wünsche Ihnen das von ganzem Herzen.
Wir haben uns daraufhin das Regelwerk so gut wie aller Parlamente angeschaut, nicht nur in Deutschland. Wir haben überlegt, wie man das mit der Verfassungs- und der Arbeitswirklichkeit unter einen Hut kriegt.
Die erste Feststellung muss hier gemacht werden. Der Landtag ist arbeitsteilig organisiert. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen. Ich möchte mich jetzt nur auf die Arbeitsweise des Plenums im Landtag beschränken. Das parlamentarische System der Neuzeit - das Regelwerk fassen wir heute noch einmal neu - ist ein arbeitsteiliges, das sehr ausschusslastig ist. Die eingangs beschriebenen Erwartungen stehen dem diametral gegenüber, was die Arbeit tatsächlich ausmacht. Wenn wir wissen, dass das so ist, wie es eben beschrieben wurde, dann bedeutet das, dass die Funktion des Parlaments, des Plenarsaals mit uns Abgeordneten, wenn wir zur Sitzungsperiode zusammenkommen, eine ganz andere ist.
Das Parlament hat anders als früher nur noch ganz selten eine Überzeugungsfunktion. Wenn man sich die alten Senate der Antike anschaut oder das Paulskirchenparlament im Jahr 1848, so stellt man fest, dass es dort galt, in freier Rede die Zuhörer und die Öffentlichkeit zu überzeugen. Aber was ganz wichtig ist: Die Leute, die stimmberechtigte Mitglieder dieser Versammlung waren, mussten überzeugt werden.
Diese Überzeugungsfunktion besitzt dieses Parlament nur noch ganz selten. Die Ausnahmen, um einmal wenige Beispiele zu nennen, waren die Debatten über § 218. In der jüngsten Zeit waren es die Debatten über die Stammzellenforschung oder
- ich will noch ein Beispiel nennen - die Debatten im Bundestag, in denen es um die Hauptstadtfrage ging. Vielleicht hatten in der letzten Wahlperiode auch die Debatten über die Kreissitze im Zusammenhang mit der Kreisgebietsreform eine solche Bedeutung.
Dies sind aber die Ausnahmen. Wenn das die Ausnahmen sind, dann besteht die Frage, was ist dann die Aufgabe des Parlaments. Die Aufgabe unseres Parlaments ist es nicht mehr so sehr, die Überzeugungsarbeit unter uns Abgeordneten in diesem Raum zu leisten, weil dazwischen oftmals viele Monate Arbeit, Überzeugungsarbeit und auch das Aneignen von Argumenten in den Fraktionen, in den Wahlkreisen, in Ausschussanhörungen und in Sitzungen anderer Gremien gelegen haben.
Was bleibt dann übrig? - Man muss ganz klar sagen, dass das Parlament heutzutage eher in einer Schaufensterfunktion ist. Wenn all diese Arbeit, die zum Teil hoch komplex und kompliziert ist, geleistet ist, gibt es ein Ergebnis, und allen Abgeordneten aller Fraktionen in diesem Haus ist eigentlich klar, wie die wichtigsten Positionen der jeweils anderen Fraktionen bezüglich der einzelnen Sachfragen sind.
Also stellt sich für uns die Frage, was wir denn hier noch machen. Wir könnten zusammenkommen und nur noch in einer halben Stunde über alles abstimmen. Dann würden wir aber den Ansprüchen eines Parlamentes im Verfassungsgefüge nicht gerecht werden; denn die Aufgabe der Plenarsitzung ist es, nach außen hin sichtbar zu machen, warum die Fraktionen nunmehr die so erarbeite Position zu dem jeweiligen Sachverhalt haben. Also müssen wir versuchen, dieser Schaufensterfunktion gerecht zu werden.
Ich hoffe, das Regelwerk, um die Arbeit in den Ausschüssen, in den Fraktionen und im Plenum effizienter zu machen, ist gelungen. Es wird sich in der Praxis beweisen müssen.
Letztlich waren vier Zielstellungen abzuarbeiten. Ich habe die Rolle des Parlaments hinreichend beschrieben.
Damit kommen wir auch zur Parlamentskultur und zur Redekultur, über die hier auch lange diskutiert wurde. Ich hoffe, wir haben mehr Effizienz und Straffung erreicht und können nunmehr die Parlamentsarbeit durch die neuen Redezeiten und ähnliche Dinge, die wir eingearbeitet haben, auch die Möglichkeit, Redezeiten im Zeitkontingent aufzuteilen, so gestalten, dass das Parlament für die Zuschauer und für die Öffentlichkeit lebendiger und überzeugender erlebbar wird.
Wir haben als Nächstes verfahrensrechtliche Positionen zu konsolidieren gehabt. Das betrifft Plebiszite wie Volksabstimmungen und Volksinitiativen. Ich denke, das ist wirklich bemerkenswert: Wir haben bei uns im Parlament von Sachsen-Anhalt eine Regel gefunden, die die Mitwirkung in der direkten Demokratie des Bürgers sehr weitgehend regelt. Es ist nunmehr niedergeschrieben, dass jede Volksinitiative, jedes Plebiszit, wenn es in den Landtag gelangt, ordentlich behandelt wird und dass ein Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, die sich mit einer Zielstellung zusammengeschlossen haben, im Landtag Rederecht besitzt. Bisher wurde im Einzelfall, also von Fall zu Fall, entschieden. Nunmehr ist es ein eingeräumtes Recht. Ich denke, das ist ein großer Fortschritt. Es gilt, dieses auch extra zu erwähnen.