Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 36. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Dazu begrüße ich alle Anwesenden recht herzlich.
Ich erinnere noch einmal daran, dass Frau Ministerin Professor Dr. Kolb heute ganztägig und Herr Minister Daehre ab 11 Uhr abwesend ist.
Einbringer ist der Abgeordnete Herr Dr. Thiel, Fraktion DIE LINKE. Anschließend folgen die Debatte und zuvor der Beitrag der Landesregierung. Herr Dr. Thiel, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als Fraktion DIE LINKE werden immer wieder einmal aufgefordert, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch für etwas zu sein. Deshalb haben wir unseren Antrag dahin gehend formuliert, dass der Landtag beschließen möge, die Landesregierung zu beauftragen, einen Innovationsbericht für unser Land vorzulegen und mit involvierten Praktikern dazu eine Anhörung durchzuführen.
Wir haben mit dem vorliegenden Antrag versucht zu untersetzen, in welche Richtung der Bericht gehen soll. Das ist für Sie jederzeit nachlesbar. Wir würden uns auch sehr freuen, wenn andere Fraktionen mit ihren Beiträgen die Palette der zu diskutierenden Fragen bereichern und erweitern würden; denn es ist ein sehr komplexes Thema, dessen Fassetten nicht ohne Weiteres allumfassend zu bewerten sind.
Dennoch würde es manchen wundern, warum wir der Regierung scheinbar unnötig Arbeit aufbürden, da doch eine Reihe von Initiativen und Studien in Arbeit sei, wie zum Beispiel der Rahmenvertrag „Forschung und Innovation 2007 bis 2010“ zwischen dem Land und den Hochschulen oder die „Clusterpotenzialstudie SachsenAnhalt“, die in der vorherigen Woche veröffentlicht wurde. In der Koalitionsvereinbarung steht der Satz: „Die Innovationsstrategie des Landes Sachsen-Anhalt wird vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit bis Ende des zweiten Quartals 2007 evaluiert.“ Wir gehen davon aus, dass das Ministerium seine Aufgaben ernst nimmt und die Evaluation abgeschlossen ist. Deshalb fordern wir auch den Bericht an das Parlament ein.
Dabei ist die Frage interessant: Hat das Land überhaupt eine Innovationsstrategie? Schon in der letzten Legislaturperiode waren wir mehrfach bemüht, vom FDP-geführten Ministerium eine solche Strategie vorgelegt zu bekommen - leider vergeblich. Nach meinem Kenntnisstand hat ein parlamentarisch begleiteter Klärungspro
zess, was Innovationspolitik oder Innovationsstrategie des Landes eigentlich ist, zum letzten Mal etwa in den Jahren 2000/2001 stattgefunden.
Nun hat die Verwendung des Begriffes „Innovation“ einen fast inflationären Charakter angenommen und das Glück des Tüchtigen hängt auch nicht vordergründig an Papieren und Studien. Wenn aber über Innovationen und Innovationspolitik gesprochen wird, werden entweder wirtschaftspolitische und/oder wissenschaftspolitische Themen angesprochen, Fragen der Forschung und Entwicklung, der Wirtschafts- und Forschungsförderung, Fragen der strategischen Hochschul- und Forschungsentwicklung.
Wie ist die Situation in Sachsen-Anhalt nun einzuschätzen? - Die NordLB hat im September 2007 eine Kurzeinschätzung vorgelegt, die ein sehr differenziertes Bild der Lage in Sachsen-Anhalt zeichnet. Wir verfügen im Land über ein gut ausgebautes und differenziertes System staatlicher Hochschulen. Wir haben zahlreiche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen: zwei FraunhoferInstitute, vier Leibniz-Institute, vier Max-Planck-Institute sowie das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Diese ergänzen die Forschungslandschaft in Sachsen-Anhalt.
Einen bedeutenden Teil der Innovationslandschaft in Sachsen-Anhalt bilden die 28 innovationsorientierten Unternehmensnetzwerke im Land, von denen fünf im Rahmen des Bundeswettbewerbes „Innoregio“ ausgezeichnet worden. Durch Konzentration und Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft in Innovationsnetzwerken werden typische Nachteile von kleinen und mittleren Unternehmen ausgeglichen und wird gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen, unterschiedliche Kapazitäten in einem Innovationsfeld zu bündeln.
Schwerpunkte der Netzwerke sind unter anderem die Nahrungsmittelindustrie, Life Science, Chemie, Kunststoffe sowie der Maschinenbau. Vieles ist vorrangig entstanden durch das Engagement von Akteuren vor Ort und weniger durch eine wohl formulierte Innovationsstrategie. Wir haben sehr interessante Clusterpotenziale. Ich gehe davon aus, dass Minister Haseloff in seinem Beitrag noch etwas näher darauf eingehen wird.
Was sind aber die Schwächen? - Auch das wird im Bericht der NordLB deutlich. Eine deutliche Schwäche der Innovationslandschaft in Sachsen-Anhalt ist die niedrige Forschungs- und Entwicklungsintensität, das heißt der Anteil von hochqualifizierten Beschäftigten mit FuEFunktionen im verarbeitenden Gewerbe, welche in Sachsen-Anhalt unter dem Schnitt der neuen Bundesländer und weit unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegt.
Das liegt zum einen darin begründet, dass viele der kleinen und mittleren Unternehmen, welche in SachsenAnhalt vorhanden sind, vergleichsweise wenig in FuE investieren. Gleichzeitig ist insbesondere der industrielle Sektor durch Großbetriebe geprägt, deren Hauptsitze, in welchen die Forschungsaktivitäten vornehmlich stattfinden, sich außerhalb Sachsen-Anhalts befinden. Die FuE-Potenzial-Lücke zu den alten Bundesländern beträgt immer noch 45 %. Sie wäre noch größer, würde es die staatliche Förderung auf diesem Gebiet nicht geben.
Was ist das Charakteristische an dieser Beschreibung? - Wir haben es mit Dingen zu tun, die seit Jahren wiederholt beschrieben werden. Obwohl sich die Zahlen qualitativ und quantitativ verändert haben, die Lücken zu
den alten Bundesländern bleiben nach wie vor bestehen. Das ist sozusagen das, was mich umtreibt, was mir persönlich sehr viel Sorge bereitet.
Man kann beklagen, dass es einen relativ geringen Bestand an Industrieunternehmen gibt, man kann beklagen, dass der Teil hochproduktiver Unternehmen, die überregionale Absatzmärkte bedienen, zu niedrig ist, man kann beklagen, dass Großunternehmen ihre Forschung woanders durchführen, und man kann beklagen, dass die Eigenkapitalschwächen vorhanden sind. Das alles kann man beklagen, aber es ändert nichts an dem Fakt, dass wir in Sachsen-Anhalt einen Abstand zu den alten Bundesländern haben, der sich nicht verkleinert. Deswegen sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir dahin kommen können, dass wir es schaffen, bis zum Jahr 2019 im Land Sachsen-Anhalt eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung voranzubringen.
Es wird immer wieder beklagt, dass das Hauptproblem für die Innovation die Kapitalschwäche sei. Es wird beklagt, dass zwar zahlreiche Förderprogramme aufgelegt worden seien, es aber ein Personalproblem beim Finden geeigneter Fachkräfte gebe. Das ist eng gekoppelt mit der Aussage über den scheinbaren Lohnkostenvorteil im Osten. Für die verlängerten Werkbänke mag das befristet richtig sein, aber für die Entwicklung einer wissensbasierten Produktionsweise ist ein solches Herangehen eine Wachstumsbremse.
Immer wieder wird verkündet: Ein Hochlohnland wie Deutschland kann seine Wettbewerbsfähigkeit nur durch die Entwicklung neuer Verfahren und Produkte behaupten und ausbauen. Diese Binsenweisheit kommt aber offenbar nur in den alten Bundesländern zum Tragen; denn diese betreiben eine solche Innovationspolitik, dass eine starke wirtschaftliche Entwicklung parallel zu einer Lohnpolitik zustande kommt, die nach wie vor über den ostdeutschen Werten liegt. Angesichts dessen brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Lücke zwischen Ost und West nicht geschlossen werden kann.
Damit scheint sich offenbar im Osten ein Teufelskreis entwickelt zu haben, der nicht durchbrochen werden kann: Kapitalschwäche, Innovationsschwäche, Personalschwäche, Auftragsschwäche usw. usf. Wer kann diesen Teufelskreis durchbrechen? Offensichtlich vorrangig die Unternehmen selbst. Aber mit welchen Instrumenten sind sie zu unterstützen? - Dazu später mehr.
Ich möchte auf die vorhandenen Schwächen in der Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft verweisen. Die Hochschule Harz hat im Jahr 2004 eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, wie sich die Landschaft in Sachsen-Anhalt entwickelt. Man muss mit Erstaunen feststellen, dass die Kooperation, obwohl die Innovationsschwäche bekannt ist, gerade von kleinen und mittleren Unternehmen mit Forschungseinrichtungen sehr schwach ausgeprägt ist.
Das hat offenbar dazu geführt, dass im Jahr 2007 mit dem Projekt KAT, also Kompetenznetzwerk für angewandte und transferorientierte Forschung - initiiert vom Kultus- und vom Wirtschaftsministerium -, versucht wird, diesem Transferprozess eine neue Qualität zu geben. Auch diesbezüglich sind wir auf die Bewertung gespannt. Bis jetzt drang über die Erfahrungen damit wenig an die Öffentlichkeit.
Welche Schlussfolgerungen sind nun aus dem Gesagten zu ziehen? Die Thematik - das werden Sie verstehen - kann aus Zeitgründen nur angerissen werden. Wie sollte also Innovationspolitik für die nächsten Jahre definiert werden - inhaltlich, methodisch und organisatorisch?
Mit inhaltlich ist gemeint, auf welche innovativen Zweige wir uns konzentrieren sollten - natürlich auf die bereits vorhandenen; denn die Clusterpotenzialstudie des Landes Sachsen-Anhalt hat dazu eine ganze Menge aufgezeigt. Aber Sie wissen ja: Überholen ohne einzuholen funktioniert nicht. Aber neue Wege zu gehen - -
(Oh! und Heiterkeit bei der LINKEN, bei der CDU und von der Regierungsbank - Herr Stahlknecht, CDU: Aus Erfahrung gute!)
Was sind die künftigen Wachstumstreiber? - Aus der ökonomischen Theorie wissen wir, dass qualitative und quantitative Wachstumsprozesse in langjährigen Wellen, den so genannten Kondratieff-Wellen verlaufen, die jeweils von einer entscheidenden Basisinnovation ausgelöst werden. Seit etwa zehn bis 20 Jahren befinden wir uns in einem Zyklus, der durch Mikroelektronik und Informations- und Kommunikationstechnologie geprägt ist. Experten rechnen damit, dass dieser Zyklus als Wachstumstreiber im Laufe dieses Jahrzehnts seinen Höhepunkt erreichen wird.
Dann stellt sich die Frage: Was kommt danach? - Als erster Favorit wird die Bio- und Gentechnologie betrachtet, andere reden von der Nanotechnologie. Zugleich sprechen die Zeichen der Zeit nach meiner Meinung auch dafür, dass die Energieerzeugung, die Energieverwendung, die Energieeinsparung ein solcher Wachstumstreiber sein könnten. Diesbezüglich sind wir ja in Sachsen-Anhalt nicht schlecht aufgestellt. Darüber sollten wir im Innovationskonzept Aussagen treffen.
Mit „methodisch“ ist beispielsweise - wie es in unserem Strategiepapier „Sachsen-Anhalt 2020“ beschrieben ist - die Einbettung überregional tätiger Unternehmen in regionale Kontexte gemeint, das heißt die Förderung industrieller Kerne zur Gestaltung innovativer Räume.
Wir hatten in der vorigen Woche bei der Vorstellung der Clusterpotenzialstudie eine sehr interessante Diskussion. Ich fand die Aussage bemerkenswert - auch des Wirtschaftsministers -, die ich vollkommen teile: Nicht die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen sollte im Mittelpunkt staatlicher Förderpolitik stehen, sondern die Stärkung des Standortes als Wettbewerbsfaktor. Gerade weil die Clusterpotenzialstudie wieder mit Forderungen wie „die Stärken stärken“ kam, sollten wir uns zu diesen Fragen erneut verständigen.
Mit gewissem Stolz hat das Ministerium für Wirtschaft registriert, dass das Land Sachsen-Anhalt alle Fördermittelinstrumente bereitstellt, die man nur bereitstellen kann. Minister Haseloff hat auch darauf hingewiesen, dass es für die meisten Branchen und Unternehmen
keinen Förderausschluss geben sollte. Die Frage ist: Gilt das auch für Technologie- und Verfahrensentwicklungen? Oder reden wir hier nur wieder über die Förderung von Produkten?
Nach unserer Auffassung ist also bei zurückgehenden finanziellen Mitteln durchaus ein gewisser Paradigmenwechsel und eine Neujustierung der Wirtschaftsförderung unabdingbar.
Mit „methodisch“ sind auch die Fragen der Förderung staatlich gestützter Netzwerke oder unternehmerisch geprägter Kooperationen gemeint. Wenn an das Clustermanagement wie in der Chemie und der Ernährungswirtschaft Fördermittel von jeweils 500 000 € für drei Jahre ausgereicht werden, die industrielle Beteiligung aber nur 250 000 € bzw. 150 000 € ausmacht, dann sollten wir auch über diese Fragen noch einmal nachdenken.
Ebenso nachdenkenswert ist, wenn künftig Fördermittelbescheide übergeben werden, ob vorher die Erwartung deutlich geäußert wurde, dass auch Forschung und Entwicklung am neuen Standort zu betreiben sind.
Mit „methodisch“ ist auch gemeint, die Frage des Transfers von Wirtschaft und Wissenschaft zu analysieren. Die Problemlage habe ich bereits genannt. Der Aufbau von Forschungs- und Kompetenzzentren sollte stärker unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und der gemeinsamen finanziellen Beteiligung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunen betrachtet werden.
Schließlich kann es auch um Existenzgründungen gehen, die nach wie vor aktiv zu begleiten sind. Aber es gilt auch die Frage zu beantworten: Wie können wir der Kleinteiligkeit und Zersplitterung begegnen und innovative Unternehmen mit 20 bis 50 Beschäftigten stärken, die bekanntermaßen das Rückgrat unserer hiesigen Wirtschaft prägen?
Mit „organisatorisch“ sind solche Fragestellungen gemeint wie die, wie die Ausgestaltung der künftigen Fördermittelstrategie des Landes an die neuen Bedingungen anzupassen ist.
Klarheit gilt es auch darüber zu schaffen, was die Ausgaben im Land insgesamt für diesen Bereich betrifft. Auf unsere Anfragen bei der Beratung des Haushaltsplanes 2008/2009 hin, wie viel denn tatsächlich für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird, wusste man keine klare Antwort.
Schließlich sollten wir uns auch der Kooperation zwischen den Ministerien, insbesondere zwischen dem Ministerium für Wirtschaft und dem Kultusministerium, zuwenden. Das betrifft auch die Umsetzung des Rahmenvertrages „Forschung und Innovation“ mit 80 Millionen € in den nächsten vier Jahren im Rahmen der Exzellenzoffensive. Hierbei interessieren uns die Anstrengungen zum verstärkten Wissens- und Technologietransfer.
Auch die Erfahrungen mit Forschungschecks für Unternehmen hätten wir gern näher betrachtet, wird doch derzeit nicht wenig über die langen Bearbeitungszeiträume für die Bewilligung geklagt. Böse Zungen behaupten, der Zeitraum für die Bewilligung sei länger als der eigentliche Innovationsprozess.