Herr Kollege, Sie haben noch einmal betont, dass es Ihnen um Effizienz in der Gerichtsstruktur geht. Sie erinnern sich aber sicherlich noch an die Veranstaltung im Rathaus von Halberstadt, wo Sie am Ende der Diskussion gesagt haben, dass es bei Ihren Entscheidungen eigentlich weniger um Effizienz und weniger um Bürgernähe geht, sondern dass politisch entschieden worden ist, dass Halberstadt kein Arbeitsgericht mehr haben soll. Ist das so richtig? Können Sie dazu noch etwas sagen?
Ich will dazu sagen: Jede Entscheidung, die hierzu getroffen wird, ist eine politische Entscheidung der Koalitionsfraktionen, egal, wer hier vorn steht oder regiert.
Natürlich ist es eine Auffassung gewesen, am Anfang dieses Reformprozesses zu sagen, wir wollen eine höhere Konzentration. Das ist eine politische Entscheidung; das hätte man auch anders entscheiden können. Dieser politischen Entscheidung waren alle anderen Argumente nachgeordnet; darin gebe ich Ihnen völlig Recht.
Nur eines, Herr Eckert, habe ich so nicht gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass es uns nicht auf die Bürgernähe ankommt, sondern ich habe gesagt: Bürgernähe ist mehr als Entfernung. Das habe ich heute Morgen auch gesagt. Leider wird Bürgernähe immer dahin gehend verstanden, dass man nur wenige Kilometer und wenig Zeit braucht. Ich verstehe unter Bürgernähe wesentlich mehr. Insofern habe ich auch nicht die Sorge, dass die Bürgernähe vollumfänglich abgeschafft wird.
Aber ich gebe Ihnen Recht - das gehört zur Ehrlichkeit hier vorn dazu -: Es ist eine politische Entscheidung, der bzw. in die sich die anderen Argumente und Entscheidungen nachgeordnet bzw. logisch und in sich stringent eingefädelt haben.
Schönen Dank, Herr Stahlknecht. Es gibt eine weitere Nachfrage, und zwar eine des Abgeordneten Herrn Wolpert. Möchten Sie diese auch beantworten?
Herr Stahlknecht, wenn es tatsächlich so ist, dass Bürgernähe auch durch Rechtssicherheit und schnelles Recht gewährleistet ist, geben Sie mir dann darin Recht, dass das Amtsgericht in Halle, welches das größte in unserem Lande ist, auch die längsten Bearbeitungszeiten hat im Vergleich zu den kleineren Gerichten?
Ja, das mag so sein, Herr Wolpert, wobei dann auch die Frage ist, ob es möglicherweise im Hallenser Bereich wesentlich mehr Rechtstreitigkeiten gibt als im ländlichen Bereich und dort eine wesentlich höhere Ballung vorhanden ist, sodass wir eine ganz andere Struktur haben und das insofern ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen ist; ich glaube, so sagt man das.
Vielen Dank. Weitere Fragen sehe ich nicht. - Ich erteile jetzt der Abgeordneten Frau Tiedge von der LINKEN das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Und dieses große Gericht in Halle wird jetzt noch mehr konzentriert.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich aus einem Aufsatz von Dr. Ansgar Klein zitieren. Das Zitat passt nicht nur zu diesem Tagesordnungspunkt, sondern auch zum ersten. Ich zitiere:
„Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen das Wort Reform Hoffnungen auf Verbesserungen der Lebensumstände anzeigte und überwiegend positiv besetzt war. Mit diesem Wort verbinden sich heute Befürchtungen eines weiteren Rückgangs staatlicher Leistungen, oftmals gekoppelt mit schlechten Nachrichten für diejenigen in der Gesellschaft, die zu den sozial Schwachen gehören.“
Uneingeschränkt lassen sich diese Gedanken auch auf die Pläne der angedachten Gerichtsstrukturreform projizieren. Vor einigen Tagen las ich in einem Lesebrief die Bitte, es möge doch endlich eine Reformpause eingelegt werden. - Ja, das hätte sich die Justiz in Sachsen-Anhalt wohl auch gewünscht.
Noch ist die Reform aus der letzten Legislaturperiode nicht vollständig umgesetzt, noch kennen wir keine finanziellen Auswirkungen, noch ist nicht belegt, was diese Reform an Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger gebracht oder wohl eher nicht gebracht hat. Sollte man ein Vorhaben nicht erst zu Ende bringen, bevor man sich in eine neue Reform stürzt?
Nun betrifft oder - besser gesagt - trifft es diesmal die Fachgerichtsbarkeiten und zwei Amtsgerichte. Lassen Sie mich bitte im Einzelnen darauf eingehen.
Zum Amtsgericht Osterburg. Wir geben zu, es ist ein sehr kleines Gericht, das zwar sehr gute Arbeit leistet, welches aber auf lange Sicht - das sehen auch wir so - nicht haltbar wäre, schon deshalb nicht, weil all die anderen Behörden aus Osterburg mittlerweile abgezogen wurden. Das ist ein Umstand, der für die Stadt mit einer Reihe von Problemen einhergeht. Nichtsdestotrotz wäre eine Reform allein für das Amtsgericht etwas übertrieben.
Zum Amtsgericht Hettstedt. Ich verhehle nicht, dass ich die Schließung dieses Gerichtes mehr als problematisch einschätze. Seit Jahren wird festgestellt, dass das Amtsgericht Hettstedt eines der am besten arbeitenden Gerichte im Land ist. Darüber hinaus ist das Gebäude saniert und voll funktionstüchtig. Eine Kostenanalyse hinsichtlich der Aufnahme des Amtsgerichtes in Eisleben gibt es nicht. Von Kostenneutralität oder gar von Einsparungen kann wohl keine Rede sein. Besonders problematisch ist aus unserer Sicht, dass es zu gravierenden Verschlechterungen in den Betreuungssachen kommen wird. Von der viel gepriesenen Bürgernähe ist man also weit entfernt.
Zur Schließung der Sozial- und Arbeitsgerichte Stendal, Halberstadt und Naumburg. Rechtsuchende in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sind in der Regel Menschen, bei denen es nicht selten um die nackte Existenz geht und die sich damit in äußerst schwierigen Lebenssituationen befinden. Denen wird jetzt zugemutet, Wege in Kauf zu nehmen, die für viele unüberwindbar sein werden, und zwar entweder aus finanziellen Gründen
oder aufgrund gesundheitlicher Probleme. Die Zukunft wird zeigen, dass es viele Menschen geben wird, die genau aus diesen Gründen den Weg zu ihrem Recht nicht mehr suchen werden, sondern resignieren und verzichten. Was ist daran bürgerfreundlich, bürgernah oder gar effizient?
Gerade in der Sozialgerichtsbarkeit ist gegenwärtig ein stetiger Aufwuchs zu verzeichnen, der nicht die Schließung von Sozialgerichten, sondern deren Erweiterung an den alten Standorten rechtfertigen würde.
Zum Argument der Kostenersparnis. Kein zu schließendes Gericht kann ohne umfangreiche Um- bzw. Neubauten in das aufzunehmende Gericht integriert werden. Die Justizzentren in Magdeburg und Halle sind voll belegt. Das heißt, in beiden Fällen muss neu gebaut werden. Gerichtsgebäude, die in den letzten Jahren aufwendig saniert wurden, werden geschlossen. Was wird zukünftig mit diesen Gebäuden? Seien wir auf die Abschlussrechnung gespannt. Rote Zahlen sind aus unserer Sicht vorprogrammiert.
Eine Landesregierung hat für die Beamten und Angestellten des jeweiligen Bereiches auch eine Fürsorgepflicht. Gerade in der Justiz ist ein Großteil der Angestellten Frauen. Wie diese zukünftig ihr Familienleben organisieren sollen, wissen viele von ihnen sicherlich heute noch nicht. Aber auch das hätte zur Folgenabschätzung eines solchen Reformvorhabens gehört.
Zum Verwaltungsgericht Dessau. Das ist das Gericht mit den kürzesten Bearbeitungsfristen; auch Herr Wolpert wies darauf hin. Dessen Zusammenlegung mit dem Sozialgericht am Standort Dessau-Roßlau wäre eine praktikable Lösung gewesen, zumal dann an diesem Standort gemeinsam mit dem Amts-, Land- und Arbeitsgericht ein arbeitsfähiges Justizzentrum hätte entstehen können. Aber auch das wurde nicht geprüft. Das hätte eine echte Konzentration und Stärkung im Oberzentrum Dessau-Roßlau bedeutet.
Besonders fragwürdig ist ferner die nun geplante Einführung von Gerichtstagen und Rechtsantragsstellen an den bisherigen Gerichtsstandorten, obwohl in der Anhörung von zahlreichen Fachleuten unmissverständlich erklärt wurde, dass diese in der Praxis völlig ungeeignet sind und deshalb abgeschafft gehören. Wozu dann eigentlich eine Anhörung von Experten, wenn Hinweise und Ratschläge einfach unter den Teppich gekehrt werden?
Alles in allem ist die Veränderung der Gerichtslandschaft in Sachsen-Anhalt aus unserer Sicht weder notwendig noch sachlich geboten. Sie ist bürgerunfreundlich, unsozial und kostspielig.
In einer Podiumsdiskussion in Halberstadt erklärte ein Kollege der Koalitionsfraktionen, wir müssten uns nun endlich entscheiden, welchen Mantel das Land tragen solle. Ich habe daraufhin geantwortet: Ich komme mir vor wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Man erklärt uns, in welch schillerndem Gewand der Kaiser auftritt, doch wer ehrlich ist und hinschaut, sieht, dass er in Unterhosen dasteht.
Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Tiedge. - Als letztem Debattenredner erteile Herrn Dr. Brachmann von der SPD das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch auf die Gefahr hin, dass ich Aussagen, die ich bereits während der ersten Lesung getroffen habe, wiederhole - teilweise klang das auch heute bereits an -, möchte ich zunächst feststellen: Wir haben eine Gerichtsstruktur, eine Gerichtslandschaft, wie sie Anfang der 90er-Jahre geschaffen worden ist. Es ist nicht so, Frau Tiedge, dass die erste Reform die gesamten Gerichte erfasst hätte. Damals ging es um eine Reduzierung der Anzahl der Amtsgerichte. Die große Anzahl der Fachgerichte - Frau Ministerin hat das in Ihrer heutigen Rede noch einmal deutlich gemacht -
ist seither unverändert geblieben. Nennen Sie mir einen Bereich in diesem Lande - außer in den Kommunen, wo es punktuelle Veränderungen gab -, der seither unverändert geblieben ist. Wir können auch in der Justiz nicht so tun, als ob wir noch das Jahr 1992 schreiben.
Die Bevölkerungszahl ist um eine halbe Million zurückgegangen. Die Zahl der Gerichtseingesessenen, wie es die Juristen immer sagen, ist in den jeweiligen Gerichtsbezirken geringer geworden. Das ging mit dem Absinken der Verfahrenszahlen einher. Zudem haben wir Unwuchten zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten.
All das sind Momente, auf die verantwortliche Rechts- und Justizpolitik reagieren muss. Das ist mit der Ihnen heute zur Beschlussfassung vorliegenden Beschlussempfehlung zur Gerichtsstrukturreform geschehen.
Ich sage hier auch noch einmal eines deutlich: Wenn wir heute eine Stunde Null hätten und die Gerichtslandschaft noch einmal neu ordnen würden, dann würde die Karte ganz anders aussehen als das, was heute im Ergebnis der Beschlussempfehlung bewirkt werden soll.
Es ist richtig, dass während der Anhörung verschiedene Kritikpunkte vorgetragen worden sind. Zu zwei Punkten will ich Stellung nehmen. Aus der Sicht der Beschäftigten ist die Einrichtung auswärtiger Kammern natürlich immer die bessere Lösung. Aber sie ist nicht unbedingt die kostengünstigere.
Das ist für das Justizministerium und für die Regierungskoalition einer der wichtigen Ausgangspunkte des ganzen Reformvorhabens. Dem Aspekt der Bürgernähe kann man mit den Gerichtstagen durchaus Rechnung tragen, wobei man die Richter, soweit es zur Berücksichtigung der sozialen Aspekte erforderlich ist, vor Ort verhandeln lässt, sodass die betroffenen Bürger nicht reisen müssen.