Protocol of the Session on January 24, 2008

Wenn Sie heute Morgen sagen, dass dieser ganze Austauschprozess dahin gehend stattgefunden hat, dass wir das alles überhört haben, dann, so muss ich sagen, haben Sie sich verhört oder verlesen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. Weitere Fragenwünsche liegen nicht vor. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner, zum Beitrag der FDP. Herr Wolpert, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg eine Bemerkung zum Beitrag des Innenministers. Herr Innen

minister, Sie haben die Tätigkeit des Landtages, insbesondere sein sorgfältiges Abwägen in diesem Prozess so sehr gelobt, dass mir spontan die Abschiedsrede Ihres Parteigenossen Herbert Wehner eingefallen ist. Er rief seinen Laudatoren seinerzeit zu: Ihr Lob wird mich nicht treffen.

(Herr Gürth, CDU, lacht)

Das kann es auch nicht. Diesen Landtag kann dieses Lob nicht treffen. Denn diese sorgfältige Abwägung hat nicht stattgefunden, auch wenn Herr Stahlknecht sich - -

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Herr Stahlknecht, ich bitte Sie nur, sich zu erinnern. Sie haben in der letzten Sitzung des Innenausschusses einen nagelneuen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie haben uns eine halbe Stunde Lesezeit gegeben.

(Herr Stahlknecht, CDU: Darin war nichts Neues!)

- Ja, das haben Sie nicht erkannt. - Dann wurde in 15 Minuten nicht debattiert, sondern abgestimmt. Das ist der Abstimmungsprozess, den Sie hier vorgaukeln wollen. Sie laufen bei dieser Art und Weise des Vortrages Gefahr, als hervorstechendste Eigenschaft der CDU in diesem Prozess die Beratungsresistenz und die Überheblichkeit zu manifestieren.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Aber, meine Damen und Herren, zum Neujahrsempfang 2008 hat der Ministerpräsident trotz aller Schwierigkeiten hoffnungsfroh in die Zukunft geblickt.

(Herr Tullner, CDU: Dazu hat er auch allen Grund!)

Trotz aller Verbesserungen seit 1990 sei es bedauerlich, dass die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt von Politikern wenig halte und nicht in dem Maße von der Staatsform der Demokratie überzeugt sei, wie man sich das wünschen würde.

Heute, meine Damen und Herren, wollen Sie ein Gesetz beschließen, in dessen Folge zwangsweise 850 Gemeinden ihre Selbständigkeit verlieren und ca. 8 500, also rund zwei Drittel aller politisch ehrenamtlich Tätigen von der aktiven demokratischen Teilhabe ausgeschlossen werden. Wer glaubt, das sei gut, weil es dann weniger Politiker gibt und sich die Bevölkerung damit weniger ärgern muss, der irrt sich.

(Beifall bei der FDP)

Der Effekt ist, dass weniger Menschen die Belange ihrer unmittelbaren Umgebung und ihrer Heimat selbst in die Hand nehmen können, dass weniger Mitbestimmung stattfindet und damit weniger Menschen mit der Demokratie verbunden sind. Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, entlarvt die Neujahrsansprache des Ministerpräsidenten als Sonntagsrede.

(Beifall bei der FDP)

Anspruch und Wahrheit fallen hierbei eklatant auseinander und das führt zu der Politikverdrossenheit, die gleichzeitig beklagt wird.

Werfen wir einen Blick darauf, was Sie mit diesem Gesetz wie und warum reformieren. Es wird deutlich, dass auch hierbei Anspruch und Wahrheit nicht zusammengebracht werden und die politische Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt.

Jede Reform sollte mindestens drei Kriterien erfüllen: Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Dieses Gesetz erfüllt diese Anforderungen nicht.

Die Erforderlichkeit wird mit dem demografischen Wandel und der Funktionalreform begründet. Dass demografische Änderungen bevorstehen, mag richtig sein. Dass die bestehenden Gemeindenstrukturen deshalb verändert werden müssen, bleibt bloße Behauptung.

Eine interkommunale Funktionalreform ist noch lange nicht in Sicht. Die Koalition hat sogar eine Funktionalreform in den Koalitionsvertrag geschrieben und es existiert eine Arbeitsgruppe der Regierung. Aber Ergebnisse oder die Absicht, dass Aufgaben in Größenordnungen übertragen werden sollen, die es rechtfertigen, die kommunale Selbstverwaltung aufzulösen, sind nicht in Sicht.

Es ist tatsächlich so, dass die CDU in Klausur gegangen ist, um das zu beschließen, was sie der SPD bereits im Jahr 2006 vertraglich zugesichert hat. Das nenne ich einmal Geschwindigkeit, meine Damen und Herren.

Fest steht, die Regierung hat auf Beschluss des Landtages ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse in ein Leitbild einfließen sollten. In dem Gutachten wird ausdrücklich erklärt, dass die Verwaltungsgemeinschaften, die erst im Jahr 2005 qualifiziert worden sind, nicht untersucht worden seien, weil diese noch zu jung seien, um belastbare Aussagen zur Effizienz zu treffen. Woher die Regierungsfraktionen die Gewissheit nehmen, dass gerade diese Verwaltungsgemeinschaften nicht in der Lage sein sollen, den Anforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, bleibt ihr Geheimnis. Es bleibt auf alle Fälle unbewiesen.

Meine Damen und Herren! Auch die Geeignetheit der Reform zur Erreichung der Ziele ist nicht gegeben. Das Gutachten zeigt mögliche Effizienzvorteile einzelner Verwaltungsstrukturen auf; die der Einheitsgemeinde seien aber nur zu 40 % in der Struktur, zum überwiegenden Teil jedoch in der Bevölkerungsdichte begründet.

Die Verwaltungsgemeinschaften neuerer Art sind nicht untersucht worden. Die Verbandsgemeinde konnte mangels Existenz nicht untersucht werden. In diesem Zusammenhang wurde lediglich gemutmaßt, dass Vorteile zu erzielen seien, wenn einige Prämissen erfüllt wären.

Es gibt aber Untersuchungen zu real existierenden Verbandsgemeinden. Diese besagen in Bezug auf Schleswig-Holstein, dass die Verbandsgemeinde das schlechtere Modell ist. In Niedersachsen gilt die vergleichbare Samtgemeinde als Auslaufmodell. - Zu Recht!

(Frau Weiß, CDU: Das stimmt!)

Schon im theoretischen Ansatz bringt die Verbandsgemeinde eine Doppelstruktur in der Vertretung und damit Kompetenzgerangel, Abgrenzungsbedarf und Frustrationskosten mit sich, die eine höhere Effizienz verhindern. Lediglich die Übertragung von Aufgaben von unten nach oben bekäme eine verfassungsrechtliche Legitimation, wobei weder klar ist, was das sein soll, noch ob es dann tatsächlich effizienter wird.

Bei allen Veränderungen mahnen die Gutachten Freiwilligkeit an, die mit diesem Gesetz nicht gewährt wird. Sieht man genauer auf das Gesetz, so stellt man fest, dass sich selbst nach drei Lesungen Ungereimtheiten darin befinden. Es wird verfassungsrechtlich wohl nicht

zulässig sein, die Verschmelzung von Mitgliedsgemeinden mit weniger als 1 000 Einwohnern zu leitbildgerechten Mitgliedsgemeinden in Verbandsgemeinden an die Aufgabe von Teilen der kommunalen Selbstverwaltung der neuen Gemeinde zugunsten einer Verbandsgemeinde zu koppeln. - Das war ein langer, komplizierter Satz. Das ist wohl auch so nicht zulässig.

Darüber hinaus ist auch eine Neuregelung zu den Wahlen, zur Verlängerung der Wahlperiode in den Gemeinden schwierig. Mit der Bestimmung, dass Wahlperioden verlängert werden können, wenn bis zum 31. Januar 2009 genehmigungsfähige Gebietsänderungsvereinbarungen vorliegen, wird im Endeffekt die freiwillige Phase für die Gemeinden, die das wollen, um fünf auf insgesamt zwölf Monate verkürzt. Auch an dieser Stelle kommen schon verfassungsrechtliche Bedenken auf, ob das tatsächlich noch eine freiwillige Phase ist.

Die Auslegungsmöglichkeiten in Bezug auf Mitgliedsgemeinden mit knapp weniger als 1 000 Einwohnern lassen in mancher Verwaltungsgemeinschaft Zweifel hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit ihrer Vereinbarungen aufkommen. Nicht besser wird es bei der Angrenzung an eine kreisfreie Stadt.

Können Sie sagen, ob eine Verbandsgemeinde des Zerbster Umlandes genehmigungsfähig ist, solange mehrere Orte an Dessau-Roßlau angrenzen? - Allein deshalb ist die Angemessenheit des mit dem Gesetz verbundenen Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung schon zweifelhaft.

Die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens hat Herr Grünert schon versucht darzustellen. Die Beteiligung der Betroffenen ist, gelinde gesagt, bemerkenswert. Die Anhörungen erfolgten zu einem Gesetz, das schon zum Zeitpunkt der Anhörung Makulatur war. Noch während der Anhörung wurden Änderungswünsche der Koalitionsfraktionen verteilt, zu deren Beurteilung sich die meisten nicht in der Lage sahen.

Die Anhörung zu den Änderungen wurde so kurzfristig angesetzt und die Einladung so spät verteilt, dass sich kein Bürgermeister und kein Leiter einer Verwaltungsgemeinschaft in der Lage sah, Rat oder Bürgermeister zu einer Beratung heranzuziehen.

Der Gipfel kam dann in der Sitzung des Innenausschusses im Januar 2008, in der eine komplette Neufassung des Gesetzes vorgelegt wurde, die angeblich nur redaktionelle Änderungen beinhaltete. Eine halbe Stunde Lesezeit sollte dann ausreichend sein, um die Tragweite der Formulierungen zu erkennen.

Ich frage mich, ob Sie, meine Damen und Herren von der CDU, eigentlich erkannt haben, dass die Verbandsgemeinde keine Kommune im Sinne der Landesverfassung, sondern nur ein Gemeindeverbund ist. Sie kommt damit nicht in den Genuss der Vorzüge des Konnexitätsprinzips. Haben Sie das den Menschen während Ihrer Regionalkonferenzen eigentlich erzählt? Wissen sie das? Kennen die Menschen die Gefahr einer interkommunalen Funktionalreform und die möglichen Kostenfolgen, wenn das Konnexitätsprinzip nicht gilt? - Ich glaube, Sie kennen es selbst nicht.

Meine Damen und Herren von der CDU! Beratungsresistenz - -

(Zuruf von der CDU)

- Ja, das hatten wir schon angesprochen. Noch in der Debatte im Jahr 2002 haben Sie lauthals verkündet, dass mit der CDU eine Verbandsgemeinde nicht zu machen sei. - Amnesie ist auch noch dabei.

Herr Stahlknecht, an Sie persönlich: Wer sich hierbei in der Koalition unter Wert verkauft hat, mögen Sie selbst beurteilen. Ich denke, die SPD war es nicht.

An die SPD gerichtet: Meine Damen und Herren, Sie behaupten, es gäbe Effizienzgewinne und Reformbedarf, obwohl Sie dies weder durch Untersuchungen noch durch Tatsachen beweisen können.

Und Sie, Herr Ministerpräsident, beklagen Demokratieferne des Volkes und schicken 8 500 Ehrenamtliche nach Hause. Wen wundert es, dass das Volk Politiker nicht liebt? Man kann sie ja noch nicht einmal verstehen.

Wir beantragen ebenfalls eine namentliche Abstimmung. - Danke.

(Beifall bei der FDP)

Herr Wolpert, es gibt noch eine Frage von Herrn Gürth. Wollen Sie diese beantworten?

Bitte, Herr Gürth.