Protocol of the Session on November 16, 2007

aber auch Defizite in der Elementarbildung zu beseitigen. Denn nur wer einen hinreichenden Schulabschluss und einen Abschluss in der Berufsausbildung hat, der hat auch eine wirkliche Chance auf Wiedereingliederung.

Wo Elternhaus und Gesellschaft bislang versagt haben, kann auch der Staat nicht mit Patentrezepten aufwarten. Allerdings kann er im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, die Jugendlichen an die Hand zu nehmen und wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Dazu gehört es, Regeln aufzustellen, Grenzen zu ziehen und deren Einhaltung durchzusetzen, aber auch gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und echte Chancen für einen Neubeginn nach der Haft einzuräumen.

Zur Vorbereitung dieses Neubeginns dient letztlich auch der offene Vollzug als die weitestgehende Lockerungsmöglichkeit zur Entlassungsvorbereitung. An dieser Stelle räumt der Entwurf der Vollzugsverwaltung ein weites Ermessen ein, auch ein weiteres Ermessen im Vergleich zum Erwachsenenstrafvollzug, sodass wir an dieser Stelle gute Vorraussetzungen dafür geschaffen haben, dass diese Möglichkeiten in Zukunft stärker genutzt werden, als es im Moment der Fall ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein goldener Brückenschlag zwischen dem, was politisch wünschenswert ist, und dem, was machbar ist, gelungen ist.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, von Herrn Daldrup, CDU, und von Herrn Schröder, CDU)

Dieses Regelwerk ist in enger Abstimmung mit acht weiteren Ländern und vor allem mit der Praxis entstanden. Auch Sachsen orientiert sich mittlerweile an dem Entwurf der Gruppe der Neun. Damit wird die Rechtseinheit gesichert und unterschiedliche Standards in den einzelnen Bundesländern werden vermieden.

Ich denke, dass mit der Verabschiedung dieses Jugendstrafvollzugsgesetzes gute Grundlagen für einen modernen, humanen Strafvollzug in Sachsen-Anhalt gelegt sind, und bitte deshalb, genau wie der Herr Vorsitzende, um die Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses.

Im Übrigen möchte ich mich an dieser Stelle für die äußerst konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung dieses Gesetzes bedanken. Ich denke, das dient allen, insbesondere den Jugendlichen, die, aus welchen Gründen auch immer, vom rechten Weg abgekommen sind. Insoweit können wir in Zukunft ein Stück weit Fortschritte in diesem recht sensiblen Bereich erreichen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Ministerin. - Bevor wir in die Debatte eintreten, begrüße ich Seniorinnen und Senioren aus Bitterfeld auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die Debatte ein. Als erster Debattenredner erhält Herr Wolpert für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Wolpert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesicht dieses Themas haben wohl die Mitglieder der Regierung Fracksausen bekommen, wenn man einmal sieht, wie leergefegt die Regierungsbank ist. Ich möchte der Landesregierung zurufen: Es handelt sich um den Jugendstrafvollzug. Keiner der Minister fällt mehr darunter.

(Zustimmung bei der FDP und bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU, lacht)

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 festgestellt, dass im Bereich des Jugendstrafvollzugs eine spezielle Regelung geschaffen werden muss, und hat den Ländern hierfür bis zum Ende des Jahres 2007 Zeit gegeben. Der Landtag hat sich auf Antrag der FDP-Fraktion bereits im letzten Jahr mit dem Jugendstrafvollzugsgesetz auseinandergesetzt. Nach intensiver Diskussion kommt Sachsen-Anhalt dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nunmehr fristgemäß nach.

Für die FDP stand von Anfang an die Einheitlichkeit der Regelungen des Jugendstrafvollzuges in Deutschland im Vordergrund. Deshalb haben wir immer die Teilnahme Sachsen-Anhalts an der so genannten Neunergruppe

begrüßt. Wichtig ist diese Einheit, weil die Strafzumessungsregeln auch auf die Vollzugsmöglichkeiten abzielen. Das heißt, je besser der Vollzug möglich ist, umso unterschiedlicher werden die Strafen ausgesprochen.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Gesetzentwurf an einigen Stellen geändert. So wurde der Antrag der Liberalen, wonach das Ministerium der Justiz alle zwei Jahre dem Landtag einen Bericht vorzulegen hat, eingefügt. Auch dies war in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts angeregt worden. Auf diese Art und Weise kommen wir diesem Wunsch nach.

Weiterhin wurde § 89, der den Schusswaffengebrauch regelt, klarer gefasst. Künftig wird der Schusswaffengebrauch sowohl innerhalb als auch außerhalb der Anstalt verboten sein. Dies begrüßen wir ausdrücklich, auch wenn wir geglaubt haben, dass man diesen Paragrafen auch hätte ganz streichen können.

Meine Damen und Herren! In mehreren wichtigen Punkten lehnt die FDP-Fraktion aber die Beschlussempfehlung des Rechtssausschusses ab. Der kleinere, aber dennoch nicht unwichtige Punkt betrifft den Empfang von Paketen mit Nahrungsmitteln. Das ist zukünftig verboten. Meine Damen und Herren! An dieser Stelle muss man eines klar sehen: Erwachsene in Sachsen-Anhalt bekommen hingegen mindestens dreimal im Jahr, nämlich zu Weihnachten, zu Ostern und zum Geburtstag, von ihren Familien Pakete mit Nachtungsmitteln geschickt.

(Herr Stahlknecht, CDU: Nicht mehr lange!)

- Auch das ist keine gute Idee.

(Herr Stahlknecht, CDU: Doch!)

Die Schlechterstellung von Jugendlichen selbst für diesen Übergangszeitraum ist allerdings durch nichts begründet. Gerade für diese straffällig gewordenen Jugendlichen ist die Bedeutung der Familienbeziehung und der Möglichkeit, sie aus der Haft heraus zu pflegen, besonders groß. Sicher ist es in der Praxis vorgekommen, dass Gefangene Pakete zum Schmuggeln von Handys oder anderer verbotener Gegenstände genutzt haben. Der Aufwand, der bei der Durchsuchung von Paketen zwangsläufig entsteht, ist aber gerade bei Jugendlichen hinzunehmen. Für uns Liberale überwiegt bei dieser Frage die Möglichkeit des sozialen Kontaktes der Gefangenen mit der Familie, weil dies maßgeblich zur Resozialisierung beiträgt.

(Beifall bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Aber doch nicht bei Handys!)

Meine Damen und Herren! Die Masche mit dem Brot und der eingebackenen Feile ist so alt wie der Strafvollzug selbst.

(Herr Stallknecht, CDU: Eben!)

In den vergangenen Jahrhunderten hat das nicht dazu geführt, dass man den Paketerhalt untersagt hat. Damals nannte sich der Strafvollzug - im Gegensatz zu heute - weder modern noch fortschrittlich. Also ist es durchaus hinzunehmen, dass man auch solche Versuche durch etwas Aufwand abwehren muss.

(Herr Tullner, CDU: Diese These teilen wir nicht!)

- Ja. Ich sage: Erfahrung macht klug.

Grundlegender ist allerdings die Formulierung des § 2 des Gesetzentwurfes. Bei der Bestimmung von Ziel und

Aufgabe des Gesetzes wurde in der Anhörung deutlich, dass die im Gesetzentwurf verwendete Formulierung missverständlich ist und der Eindruck entstehen kann, dass von der bestehenden Dogmatik, wonach vom Vorrang der Resozialisierung gegenüber dem Schutz der Allgemeinheit ausgegangen wird, im Strafvollzug abgewichen werden soll. Die Verknüpfung beider Ziele mit dem Wort „gleichermaßen“ erschwert den Rechtsanwendern die Umsetzung des Jugendstrafvollzuges.

Wir Liberale sehen die Notwendigkeit einer Klarstellung und deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht. Die besondere Berücksichtigung verdient in diesem Zusammenhang das vor ein paar Tagen vom Bundestag verabschiedete Jugendgerichtsgesetz. Dort heißt es wörtlich:

„Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts, auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.“

Alle Fraktionen des Bundestages haben diesem Gesetzentwurf zugestimmt. Warum die CDU und die SPD in Sachsen-Anhalt dem nicht zustimmen, wird nicht erklärt. Es ist auch nicht erklärt worden, womit sich ein Paradigmenwechsel begründen soll. Es ist auch nicht erklärt worden, dass man den Vorrang des Erziehungsgedankens beibehalten will. Das heißt, man hat einen missverständlichen Paragrafen und eine uneindeutige Einstellung der Faktionen, die dieses Gesetz tragen. Das macht es den Rechtsanwendern sehr schwer, das Gesetz umzusetzen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, diesem Antrag zuzustimmen.

Meine Damen und Herren! Meine Redezeit ist zu Ende, mein Anliegen ist vorgetragen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Herr Wolpert. Es gibt es eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Dr. Brachmann. Möchten Sie diese beantworten?

Ich werde es versuchen.

Herr Wolpert, Sie hatten das Bemühen um Rechtseinheitlichkeit in den Vordergrund gestellt, Stichwort Neuner-Entwurf. Soweit mir bekannt ist - ich habe mir die Entwürfe, soweit sie in die Landtage eingebracht wurden, zum Teil ansehen können -, haben alle, die sich an dem Neunerentwurf ausrichten, es bei dem Wort „gleichermaßen“, also bei der Nebeneinanderstellung, belassen, so wie das die Beschlussempfehlung vorsieht. Deshalb meine Frage: Was ist Ihnen wichtiger, die Rechtseinheitlichkeit oder dass wir an dieser Stelle einen besonderen Weg beschreiten?

Herr Brachmann, das ist in diesem Fall keine Frage. Die Rechtseinheitlichkeit wäre hergestellt, wenn sich alle

darüber einig wären, dass der Erziehungsgedanke trotz der missverständlichen Formulierung im Vordergrund steht. Das ist aber nicht der Fall. Der Bund gibt in seiner Gesetzgebungskompetenz allerdings vor, dass es im Vordergrund steht.

Für die Strafzumessung ist allerdings die Möglichkeit der tatsächlichen Ausgestaltung des Strafvollzugs ausschlaggebend. Es geht also darum, ob man dort eine Ausbildung oder Ähnliches bekommen kann. Das ist in diesem Gesetz gewährleistet. Daran würde eine solche Änderung nichts ändern.

Die Klarstellung, dass die Erziehung im Vordergrund stehen muss, wäre allerdings schon wichtig, damit sowohl zwischen der Bundes- und der Landesgesetzgebung als auch innerhalb der Gesetzgebung in Mitteldeutschland Einheitlichkeit besteht; denn die Sachsen wählen eine andere Formulierung als wir. Dennoch schicken wir unsere gefangenen jungen Damen nach Sachsen in den Vollzug. Da haben Sie schon den ersten Unterschied und den sollten Sie vermeiden.

(Beifall bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Als nächstem Debattenredner erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Sturm das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Lesung und Verabschiedung beenden wir in unserem Land Sachsen-Anhalt im Jugendstrafvollzug einen Zustand, der von unserem höchsten Gericht kritisiert wurde. Insofern waren wir als Land Sachsen-Anhalt zum Handeln gezwungen, ob wir das nun wollten oder nicht.

Der Jugendstrafvollzug in unserem Lande war bisher gut und wird auch gut bleiben. Sowohl Ihnen, Frau Ministerin Kolb, als auch Ihren Amtsvorgängern war es immer ein besonderes Anliegen, sich dieser wichtigen Aufgabe anzunehmen. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestand also ein gewisser Handlungsdruck.

Eigentlich ging die Aufforderung, ein solches Gesetz zur Grundlage des Jugendstrafvollzuges zu machen, an den Bund. Doch im Rahmen der Föderalismusreform wurden die Länder für den Vollzug zuständig und hatten das Vakuum auszufüllen, das der Bund bisher nicht ausgefüllt hatte.

Nun mussten wir handeln. Die CDU-Fraktion ist der Überzeugung, dass wir der Forderung unseres höchsten Verfassungsgerichts mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetz gerecht werden.

(Beifall bei der CDU)