Protocol of the Session on June 9, 2006

Änderungsantrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/57

Alternativantrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/52

Ich bitte die Abgeordnete Frau Grimm-Benne, den Antrag für die beantragenden Fraktionen einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit ist eines der wichtigsten Rechte in unserem Grundgesetz. Schon von daher ist es geboten, dem Wohl des Kindes höchste Priorität einzuräumen.

Dies zu gewährleisten ist das Recht und die Pflicht der Eltern, aber auch des Staates. Dieser hat rechtliche Vorgaben zu treffen, um den Kinderschutz zu sichern und bei Nichtwahrnehmen der zuvörderst den Eltern obliegenden Pflege- und Erziehungspflicht mit geeigneten Maßnahmen einzugreifen.

Trotz aller rechtlichen Vorgaben kommt es aber immer wieder zu Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern. Entwicklungsstörungen oder Fehlentwicklungen wie Stoffwechsel-, Verhaltens- und Bewegungsstörun

gen können nicht rechtzeitig erkannt werden. Genau dagegen wollen wir etwas tun und haben dazu den Ihnen vorliegenden Antrag formuliert.

Nicht nur die spektakulären Fälle sollten Anstoß für eine Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge bei Kindern sein. Welche Leistungen Familien für die gesamte Gesellschaft erbringen, ist mittlerweile anerkannt und kann nicht hoch genug bewertet werden. Wir wissen aber auch um die Dringlichkeit einer zielgenaueren Familienpolitik.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Familienpolitik ist es, allen Kindern eine gesunde körperliche und geistigseelische Entwicklung zu ermöglichen. Kinder müssen als eigenständige Individuen mit eigenständigen Rechten stärker wahrgenommen werden. Hier sei vor allem auf die Vorrangstellung des Kindeswohls - wie auch in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben - hingewiesen. Diese Vorrangstellung beinhaltet, dass alle Maßnahmen, die Kinder betreffen, am Wohl des Kindes ausgerichtet sein müssen.

Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen sehen in dem Ihnen vorliegenden Antrag eine Chance, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um jedem Kind eine optimale Entwicklung zu ermöglichen. Mit der Pflicht zur Vorlage der Bescheinigungen über die altersentsprechend erfolgten Früherkennungsuntersuchungen U 1 bis U 9 bei der Aufnahme eines Kindes in eine Kindertageseinrichtung kann zumindest erst einmal nachvollzogen werden, ob die vom gemeinsamen Bundesausschuss empfohlenen Untersuchungen vorgenommen wurden.

In der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern ist festgelegt, welche Untersuchungen zu erfolgen haben, um die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes zu verfolgen und gegebenenfalls frühzeitig geeignete Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen. Die ärztlichen Maßnahmen sind darauf gerichtet, gesundheitliche Gefahren von den Kindern dadurch abzuwenden, dass gefundene Verdachtsfälle eingehend diagnostiziert und erforderlichenfalls rechtzeitig behandelt werden.

Über die Kindertageseinrichtungen, die wie in keinem anderen Bundesland von den meisten Kindern SachsenAnhalts besucht werden, kann der Untersuchungsstatus festgestellt werden. Die Kinder müssen ohnehin vor Aufnahme in eine Kindertageseinrichtung eine ärztliche Bescheinigung über die Kindergartentauglichkeit vorlegen. Mit dieser gemeinsam könnte somit auch die Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen von der behandelnden Kinderärztin oder dem behandelnden Kinderarzt dokumentiert werden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf den Antrag der Linken eingehen. Kein Kind verliert seinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, wenn die Untersuchungsnachweise nicht vorliegen. An dieser Stelle besteht aber die Möglichkeit, gerade mit Blick auf das Kindeswohl die Eltern zu erreichen, die das Angebot der gesundheitlichen Vorsorge für ihre Kinder nicht angenommen haben. Dort können diese Eltern durch aufsuchende Hilfe und Einbeziehung der Gesundheitsämter unterstützt werden, um den Entwicklungsstand der Kinder festzustellen und gegebenenfalls Hilfen anzubieten. Damit kann einer gesundheitlichen Gefährdung des Kindes rechtzeitig vorgebeugt werden. Unseres Erachtens ist damit der Antrag der Linken überflüssig; wir lehnen ihn daher ab.

Natürlich muss auch ein Mechanismus gefunden werden, wie nach der Aufnahme eines Kindes in die Kinderbetreuung die Inanspruchnahme der empfohlenen Untersuchungen erfolgt. Die Statistik zeigt, dass mit höherem Alter der Kinder die vorgegebenen Untersuchungstermine nicht mehr konsequent wahrgenommen werden. Hierbei könnte durch Angebote in den Kindertagesstätten eine lückenlose Untersuchungsfolge möglich werden.

Ein größeres Problem stellen für uns die bis jetzt geltenden Untersuchungsintervalle dar. Mit Blick auf Vernachlässigungen oder gar Misshandlungen von Kindern reichen die bisherigen zeitlichen Abfolgen der Einzeluntersuchungen nicht aus; denn die U 1 bis U 7 erfolgen innerhalb der ersten zwei Lebensjahre des Kindes. Die restlichen zwei Untersuchungen erfolgen dann im Alter von vier und sechs Jahren.

Diese Zeiträume sind einfach zu groß, um eine wirkliche gesundheitliche Vorsorge, gerichtet auf den Schutz des Kindeswohls, zu gewährleisten. Deshalb setzen wir uns für eine Überprüfung der Richtlinie ein. Wir haben das in unserem Antrag unter Punkt 2 aufgeführt.

Zum dritten Punkt unseres Antrages. Wir meinen, es gibt immer wieder auftretende Fälle von schweren Erkrankungen, die zeigen, wie wichtig es ist, dass in der Bevölkerung vor allem bei Kindern ein hoher Durchimpfungsgrad erreicht wird. Hierbei tragen die Eltern nicht nur für ihr eigenes Kind Verantwortung; denn wenn sie ihr Kind nicht impfen lassen, kann dieses Infektionen vor allen Dingen an sehr kleine andere Kinder weitergeben, ohne selbst zu erkranken. Gerade die sehr kleinen Kinder können aber noch keinen vollständigen Impfschutz haben und sind von daher hochgradig gefährdet.

Daher halten wir auch die Forderung in unserem Antrag bezüglich der Impfungen für außerordentlich wichtig, wenn wir über die gesundheitliche Vorsorge bei Kindern sprechen und uns für die stärkere Betonung des Kindeswohls stark machen wollen; denn Impfungen sind ein wirksames Mittel, um Kinder vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. - Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Kuppe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich vermehrt die Frage, wie man die tragischen Fälle von Kindesmisshandlung, von Kindesverwahrlosung und von Kindesmord hätte verhindern können.

Die siebenjährige Jessica aus Hamburg vegetierte bis zu ihrem Tod jahrelang in einem abgedunkelten Zimmer dahin. Der 1995 geborene Dennis aus Brandenburg starb im Jahr 2001 an körperlicher Schwäche; seine Mutter bewahrte seine Leiche drei Jahre lang in einer Tiefkühltruhe auf, ohne dass jemand den Jungen vermisste.

In Schlagenthin, einem kleinen Ort im Jerichower Land, wurde Anfang März 2006 der zweijährige Benni verhungert in einer Mülltonne gefunden. Auslöser war die An

zeige einer Ärztin, die einen Bruder des Jungen untersucht und bei diesem deutliche Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt hatte.

Diese Schicksale, aber nicht nur diese, haben uns alle wachgerüttelt und das Thema Frühprävention bezüglich der Kindesmisshandlung und der Kindesvernachlässigung deutschlandweit auf die politische Agenda gesetzt.

Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte wie auch die Fachleute aus der Jugendhilfe weisen darauf hin, dass schwierige Familienverhältnisse, schwierige Familienstrukturen und erziehungsinkompetente Eltern eine explosive Mischung darstellen können bzw. eine solche Mischung hervorbringen können, in der das Kindeswohl dann nur noch ein Fremdwort darstellt.

Die bisher üblichen Strategien in der Kinder- und Jugendhilfe, die nicht ausschließlich, aber vorrangig darauf ausgerichtet waren, reaktiv einzuschreiten und zu helfen, können eine Kindeswohlgefährdung nicht ausreichend verhindern. Auch deshalb war das Land SachsenAnhalt im Bundesrat am 19. Mai 2006 an einer Entschließung für eine höhere Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen im Sinne des Kindeswohles beteiligt.

Mit diesem Beschluss erklärt der Bundesrat folgende Ziele für maßgeblich:

Steigerung der Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen,

Steigerung der Verbindlichkeit der Teilnahme,

Aufnahme spezifischer Untersuchungsinhalte in Bezug auf Vernachlässigung und Misshandlung,

Neubestimmung der Untersuchungsintervalle und

Nutzung der Informationen über die Nichtteilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen.

Der gemeinsame Antrag von SPD und CDU geht in die gleiche Richtung und greift noch zusätzlich das Thema Schutzimpfungen in Kindertageseinrichtungen auf.

Ich möchte kurz auf die darin geforderten Maßnahmen im Einzelnen eingehen. Ich beginne mit Nr. 2 des Antrages der Koalitionsfraktionen.

Die geltenden Kinderrichtlinien, die vom gemeinsamen Bundesausschuss zuletzt Ende 2004 verändert wurden, dienen der Früherkennung von Krankheiten, die eine normale körperliche und geistige Entwicklung des Kindes gefährden. Hierzu gehören zum Beispiel angeborene Stoffwechselkrankheiten, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen und Störungen der Sinnesorgane. Die derzeitigen Untersuchungsintervalle richten sich daran aus, in welchen Entwicklungsstadien des Kindes diese Beeinträchtigungen am ehesten feststellbar sind.

Soweit aber Früherkennungsuntersuchungen auch dazu genutzt werden sollen, Kindesvernachlässigungen und Kindesmisshandlungen festzustellen, reichen Untersuchungen in Abständen von zum Teil bis zu zwei Jahren nicht aus. Deshalb ist es richtig - das unterstütze ich nachdrücklich -, den gemeinsamen Bundesausschuss um eine Überarbeitung der Richtlinien in diesen Punkten zu bitten.

Zu Nr. 1 des Antrages. Das Kinderförderungsgesetz des Landes enthält bereits heute Regelungen, nach denen vor der Aufnahme eines Kindes in eine Kindertageseinrichtung und nach einer Erkrankung eine ärztliche Be

scheinigung über die gesundheitliche Eignung des Kindes für den Besuch der Kita vorzulegen ist; ohne eine ärztliche Untersuchung darf ein Kind demnach dort nicht ohne Weiteres aufgenommen werden.

Daneben überträgt das Kinderförderungsgesetz des Landes dem örtlichen Träger der Jugendhilfe die Aufgabe, für eine begleitende ärztliche und zahnärztliche Untersuchung der Kinder zu sorgen.

Die Tageseinrichtungen wiederum sind gehalten, sich mit Frühförderstellen in Verbindung zu setzen, um erforderliche therapeutische Angebote für Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen sicherzustellen.

Insoweit sieht das geltende Recht schon heute vor einer Aufnahme in eine Kita Untersuchungen vor, um festzustellen, ob dem Besuch einer Kindertagesstätte gesundheitliche Bedenken entgegenstehen bzw. ob von dem Kind die Gefahr einer Ansteckung mit einer Krankheit ausgeht. Anschließend werden die Kinder in den Kindertageseinrichtungen in der Regel jährlich untersucht.

Dieses Netz gesundheitlicher Angebote für Kinder in Tageseinrichtungen mit dem Nachweis von Früherkennungsuntersuchungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu verknüpfen, ist sinnvoll.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Gefährdungen, die eine normale körperliche und geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen, könnte so frühzeitig gegengesteuert werden.

Darüber hinaus würde - das ist meine Hoffnung - die Akzeptanz von Früherkennungsuntersuchungen auch bei den Eltern erhöht werden; denn die Akzeptanz lässt im Verlaufe des Lebens eines Kindes leider nach. Vielleicht würde die Akzeptanz dann gerade auch bei den Eltern erhöht werden, die derzeit aus Nachlässigkeit oder aus Unkenntnis auf diese Früherkennungsuntersuchungen verzichten.

Zu Nr. 3 des Antrages. Die von den Gesundheitsämtern des Landes erhobenen Impfdaten von Kindern und Jugendlichen zeigen insgesamt einen steigenden Trend zur Durchimpfung auf. Bei den jüngsten Schuleignungsuntersuchungen zum Beispiel wurde bei mehr als 90 % der zukünftigen ABC-Schützen eine Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, Pertussis und Haemophilus influenzae Typ b bescheinigt. Erstmals wurde auch bei der Impfung gegen Hepatitis B in dieser Altersklasse das Gesundheitsziel von 90 % Durchimpfungsgrad erreicht.

Weiterer Handlungsbedarf besteht aber zum Beispiel bei den Auffrischungsimpfungen gegen die Kinderkrankheiten Mumps, Masern und Röteln, und zwar sowohl bei Kindern im Vorschulalter als auch bei Kindern im Schulalter.

Impfungen - Sie wissen das alle - gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen in der Medizin. Nur bei einem hohen Durchimpfungsgrad allerdings ist es möglich, einzelne Krankheitserreger zumindest regional zu eliminieren. Dies erfordert jedoch, die Grundimmunisierung frühzeitig, also bereits im Säuglings- und Kleinkindalter, zu beginnen und den Impfschutz dann regelmäßig aufzufrischen, um den gesamten Schutz zu erhalten.

Zwar ist bekannt, dass Impfungen in den ersten Lebensjahren relativ gut in Anspruch genommen werden, weil im Zusammenhang mit ohnehin stattfindenden Arzt

besuchen Impfungen durchgeführt werden. Die fehlenden Auffrischungen weisen jedoch auf wirklich vorhandene Defizite hin. Aufsuchende Angebote in Kindertageseinrichtungen können - davon bin ich überzeugt - wirklich hilfreich sein und dort, wo sie noch nicht vorhanden ist, die Akzeptanz für Impfungen erhöhen.