Protocol of the Session on October 12, 2007

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat schon mehrfach über Mindestlöhne debattiert. Dieses Thema kehrt offenbar alle halbe Jahre in einer gewissen Regelmäßigkeit wieder -

(Zuruf von Herrn Tögel, SPD)

im September letzten Jahres, im April dieses Jahres und jetzt wieder.

(Zurufe von der SPD)

Bei den beiden letzten Malen war es DIE LINKE, jetzt ist es die SPD. Es ist kein Zufall, dass es inzwischen die SPD ist.

(Zuruf von der SPD)

Warum ist es kein Zufall? Es ist deshalb kein Zufall, weil die SPD-Fraktion in den Umfragen beobachtet, dass sehr viele Wähler zur LINKEN wandern.

(Herr Bischoff, SPD: Nicht zur FDP! - Herr Tull- ner, CDU: Aber auch zur CDU!)

Sie sucht ein neues Thema, womit sie den Bundestagswahlkampf vorbereiten kann. Deswegen will die SPDFraktion über dieses Thema diskutieren.

(Zuruf von Herrn Miesterfeldt, SPD)

- Herr Miesterfeldt, es ist ein unglaublich wichtiges und interessantes Thema. Man muss sich aber wirklich einmal die Frage stellen, ob dieses Thema immer wieder ins Plenum gehört oder wir nicht in den Fachausschüssen - -

(Frau Budde, SPD: Das war noch nicht oft genug dran! - Herr Tögel, SPD: Völlig fremd, solche Sa- chen!)

- Liebe Frau Budde, gerade die wissenschaftliche Evidenz, die Sie angesprochen haben, bedarf schon einer etwas genaueren Prüfung, als Sie es suggeriert haben. Sie haben von einer Studie gesprochen. In den Vereinigten Staaten gibt es nicht Hunderte Studien zu Mindestlöhnen, sondern es gibt Tausende Studien zu Mindestlöhnen. Das ist einer der am besten erforschten Bereiche. Diesbezüglich müsste man aber in einer anderen Runde darüber sprechen. Dann kann man das vielleicht unter Weglassen von Polemik tun und etwas ruhiger und gelassener sprechen.

Argumentativ hat der Minister schon einiges vorweggenommen, was ich ähnlich sehe. Ich will auf diese Punkte deshalb nicht weiter eingehen. Ich habe vor einem Jahr schon etwas grundlegender aus liberaler Sicht zu diesem Thema Stellung genommen.

Von grundsätzlicher Bedeutung bei der Frage des Mindestlohns ist die Trennung zwischen der Lohnfindung durch Tarifparteien oder durch den Markt auf der einen Seite und den Prinzipien unseres Sozialstaates auf der anderen Seite. Diese beiden Säulen der sozialen Marktwirtschaft kann man nicht einfach vermengen, indem man plötzlich die Lohnfindung aus dem tariflichen Bereich herausnimmt und in den politischen Bereich zieht.

Das birgt große Risiken. Das haben schon die Verfassungsväter bei der Erarbeitung des Grundgesetzes im

Auge gehabt. Denen steckte nämlich noch der staatliche Einfluss auf die Tarifparteien in der Weimarer Republik in den Knochen. Die schlimmen Ergebnisse, die das gezeitigt hat, sind Erfahrungen, die wir nicht einfach mit einem Federstrich vom Tisch wischen sollten.

Die scharfe Trennung, die wir in Deutschland - vielleicht schärfer als in anderen Ländern - zwischen nichtstaatlicher Lohnfindung und dem staatlich organisierten Sozialstaat einschließlich der Arbeitsmarktpolitik haben - wir haben indirekt über die Absicherung im Sozialstaat auch eine Art Mindesteinkommen gewährleistet -, sollten wir im Auge behalten. Ich schaue dabei zu Ihnen, Herr Miesterfeldt, und weiß, dass auch andere Mitglieder der SPD, wie zum Beispiel Klaas Hübner, der sich im Wahlkampf 2006 eindeutig gegen Mindestlöhne ausgesprochen hat, eine ähnliche Argumentation geführt haben, wie ich sie gerade vorbringe.

Meine Damen und Herren! In ihrem Antrag auf eine Aktuelle Debatte begründet die SPD ihr Plädoyer für Mindestlöhne auf zwei Achsen. Das eine sind branchenspezifische Mindestlöhne, wie sie sich jetzt bei den Briefdienstleistungen andeuten, und zum Zweiten geht es um gesetzliche Mindestlöhne.

Meine Damen und Herren! Ich kann, was die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen betrifft, gerade mit Blick auf den Postbereich nur davor warnen, den Weg der Lösung, die jetzt im Gespräch ist, mit 9,50 € für Mindestlöhne im Briefzustellungsbereich wirklich zu gehen. Das bedeutet nämlich praktisch, dass diejenigen, die die Tarifverhandlungen auf der Arbeitgeberseite führen - das ist die noch immer monopolistische Post -, sich mit den Gewerkschaften einigen und dass dann die Bedingungen, bei denen die Konkurrenten überhaupt keine Möglichkeit haben, auf die Lohnfindung Einfluss zu nehmen, auf diese Konkurrenten übertragen werden.

Das, meine Damen und Herren, hat mit sozialer Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist eine Form der Kartellierung und des Monopolkapitalismus. Mit Blick auf die Sozialisten und die Sozialdemokraten fällt einem schon des Öfteren auf, dass eine gewisse Schwäche für die Strukturen des Monopolkapitalismus da ist.

Das ist mit uns Liberalen nicht zu machen. Wir sagen eindeutig: Der Mittelstand - dieser findet sich gerade bei den Wettbewerbern, bei den Konkurrenten - muss gestärkt werden, dessen Möglichkeiten müssen berücksichtigt werden, und die Arbeitsplätze, die der Mittelstand schafft, die müssen im Auge behalten werden, meine Damen und Herren. Deswegen sind wir gegen Mindestlöhne.

(Beifall bei der FDP)

Herr Professor Paqué, es gibt jeweils eine Zwischenfrage von Frau Rogée und Herrn Miesterfeldt. Zum Schluss, ja?

Gern am Schluss.

Das habe ich fast vermutet.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu gesetzlichen Mindestlöhnen im Unterschied zu den branchenspezifischen Vereinbarungen mit Allgemeinverbindlichkeit sagen. Es ist in der Tat so, dass es eine ganze Reihe von Ländern gibt, die entsprechende gesetzliche Mindestlöhne haben. Das sind in der Tat Länder - zumindest die meisten von ihnen -, die einen außerordentlich liberal organisierten Arbeitsmarkt haben, Länder mit relativ schwachen Gewerkschaften und relativ schwachen Arbeitgeberverbänden, wo sich eben nicht eine Tradition der starken Tarifparteien herausgebildet hat und wo dann gewissermaßen eine Untergrenze eingezogen wurde, unter die die Löhne nicht fallen dürfen. Ein klassisches Beispiel sind die Vereinigten Staaten, ein klassisches Beispiel ist inzwischen Großbritannien und klassische Beispiele sind einige andere Länder.

Aber, meine Damen und Herren, - darauf habe ich schon vor einem Jahr hingewiesen - gerade das Beispiel Großbritannien zeigt Folgendes: Großbritannien hat in den 20 Jahren seit den frühen 80er-Jahren viele Bereiche liberalisiert und hat dann die Arbeitslosigkeit durch ein entsprechendes wirtschaftliches Wachstum senken können. Bei diesem niedrigen Niveau der Arbeitslosigkeit haben die Briten einen Mindestlohn festgelegt. Es ist in der Tat so, wie der Minister ausgeführt hat: Dieser Mindestlohn ist bei dem völlig anderen Sozialsystem, das die Briten haben, anders zu bewerten, als ein gleich hoher Mindestlohn in Deutschland mit den entsprechenden Lohnnebenkosten zu bewerten wäre. Also das ist nicht zu vergleichen. Bei den Vereinigten Staaten gilt das genauso. Dort liegt der Mindestlohn auch erheblich niedriger.

Ein ganz wesentlicher Punkt dabei ist allerdings auch ein politischer; denn in Ländern, in denen es praktisch keine starken Tarifpartner gibt, besteht auch nicht die Gefahr, die Tarifverhandlungen durch die Festlegung von Mindestlöhnen in den nationalen Parlamenten entsprechend zu präjudizieren und zu beeinflussen.

Damit komme ich auf den Punkt zurück, den der Kollege Gallert angesprochen hat. Es ist zwar richtig, was der Liberale Olaf Henkel gesagt hat, dass der direkte Einfluss eines Mindestlohns auf die Löhne in der Industrie gering wäre, weil in der Industrie bereits, tariflich vereinbart, Mindestecklöhne gezahlt werden, die in der Regel weit darüber liegen, in manchen Branchen wirklich sehr weit darüber. Insofern würde sich dieses Problem in der Industrie, zumindest in der westdeutschen Industrie praktisch nicht stellen. Aber ein Mindestlohn, der parlamentarisch oder durch eine Regierung in einem politischen Prozess festgelegt wird, hat natürlich längerfristig Einfluss auf die Tarifverhandlungen, meine Damen und Herren. Stellen Sie sich vor, der Bundestag hat einen Mindestlohn festgelegt. Dann wird das bei der nächsten Tarifrunde bedeuten, dass die Arbeitgeberseite und die Arbeitnehmerseite dafür sorgen müssen, dass die Ecklöhne in der entsprechenden Branche noch deutlich darüber liegen,

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

damit die Mitglieder ihrer Organisationen wissen, dass es für sie interessant ist, Mitglied in der entsprechenden Organisation zu sein. Das, meine Damen und Herren, kann das gesamte Tarifgefüge durcheinander bringen

(Zuruf von Frau Rogée, DIE LINKE)

- nein, nein; das ist eine ganz ernsthafte Frage - und der Mindeslohnn kann dann längerfristig für erheblich mehr Arbeitslosigkeit in unserem Land sorgen, als wir ohnehin schon haben. Denn das, was wir an Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren hatten, was uns geholfen hat, die Arbeitslosigkeit wenigstens ein Stück weit zu senken, wäre dann beseitigt

(Zurufe von Frau Fischer, SPD, und von der LINKEN)

und wir bekämen einen Lohndruck nach oben, der längerfristig auch die Tarifautonomie aushebelt, meine Damen und Herren.

Das ist eine sehr ernsthafte Frage, der wir uns stellen müssen. Da ist die kurzsichtige Zustimmung, die von Ihnen von der sozialistischen und von der sozialdemokratischen Seite kommt, nicht angemessen. Das ist ein sehr gefährlicher Weg, wenn Sie staatlicherseits Mindestlöhne schaffen, die dann als Ecklöhne in die Tarifverhandlungen eingehen. Genau das hatten die Väter unserer Verfassung nicht im Auge. Dann sind wir wieder sehr nahe an den Verhältnissen der Weimarer Republik und genau da wollen wir nicht hin, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Professor Paqué. Es gibt jetzt drei Fragen. Ich würde vorschlagen, dass die drei Fragen gestellt werden und Sie diese im Komplex beantworten. Frau Rogée, Herr Miesterfeldt und Herr Scharf haben um die Möglichkeit zu Nachfragen gebeten. - Bitte schön, Frau Rogée.

Herr Paqué, wir diskutieren nicht das erste Mal. Da haben Sie völlig Recht. Auch die Frage, wie der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland umgesetzt werden könnte, haben wir schon öfter besprochen. Es geht mir nicht darum, dass das Parlament sagt: Da gibt es jetzt 5,50 € statt 4,50 €. Vielmehr ist das Ziel der Gewerkschaften in Deutschland genauso wie in Großbritannien.

Da Sie sich auskennen: Dort gibt es eine Kommission - „Pay Commission“ nennt sie sich in Großbritannien; ich sage immer, eine bundesweite Tarifkommission oder Verhandlungskommission oder Mindestlohnkommission; das ist besser -, die sich aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern zusammensetzt. Diese drei Gruppen, denke ich, sind erst einmal etwas fern von der Politik. Bei Wissenschaftlern entscheiden natürlich beide Seiten, das ist klar. Aber das möchte ich jetzt gar nicht vertiefen.

Insofern wird es gar keine Regelung sein, die nur bundespolitisch entschieden wird und die den Leuten dann vorgegeben wird. Vielmehr wird Grundlage die Frage sein: Wie hat sich das Land entwickelt, welche tariflichen Abschlüsse gibt es? Solche Dinge werden herangezogen und dann wird entschieden, in welcher Weise sich der Mindestlohn entwickelt. In Großbritannien hat er sich seit sechs Jahren einschließlich dieses Jahres auf 8,44 € entwickelt.

Das ist die eine Frage, warum Sie das vehement so darstellen, als wäre das alles undemokratisch.

Die zweite Frage, die ich habe: Frau Budde hat vorhin in ihrem Redebeitrag davon gesprochen, dass bei statistischen Erhebungen deutlich wurde, dass bei allen Parteien, auch bei Ihrer Wählerklientel die Forderung erhoben wird, sich für den Mindestlohn einzusetzen. Das ist die Frage. Bei Ihnen wurden 68 % genannt. Ich würde gern wissen, wie Sie diese Zahl in Ihrer Verantwortung bewerten.

Dann bitte die zweite Frage, Herr Miesterfeldt. Aber ich bitte herzlich darum, die Frage kurz und präzise zu stellen. Keine Korreferate, bitte.

Herr Kollege, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage: Wann habe ich mich in den letzten 24 Monaten gegen Mindestlöhne ausgesprochen?

Das Datum kann ich nicht mehr sagen.

Die zweite Frage ist, ob Sie mit mir der Auffassung sind, dass das Thema Mindestlöhne eine öffentliche Angelegenheit ist und ob wir es dann nach Artikel 41 Abs. 1 unserer Landesverfassung so lange in diesem Hohen Hause behandeln müssen, bis es zum Beispiel die 68 % Ihrer Wählerschaft als gelöst betrachten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Bitte, Herr Scharf, die letzte Frage.

Die Debatte hat gezeigt, dass wir bei diesem Thema immer wieder viel Ideologie und wenig Empirie hören. Aber ich habe eine Frage, Herr Professor Paqué, an Sie selber: Sind Sie persönlich nun eigentlich für oder gegen starke Verbände, die schließlich hinterher die Verhandlungen führen? - Das habe ich in den letzten Jahren nicht ganz herausbekommen können.