Protocol of the Session on September 14, 2007

Kinder aus armen Familien sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt und zum Teil ausgegrenzt. Neben materiellen Dingen fehlt es oft an Bildung, an Zuwendung, an Erziehung und an einem guten gesundheitlichen Zustand. Auch die Klage vieler Kinder, dass die Eltern nicht oder nicht mehr ausreichend mit ihnen sprechen, gehört dazu. In diesem Zusammenhang hat die Landesregierung durchaus Gestaltungsmöglichkeiten, zum Beispiel wenn es um die Bildung und Stärkung der Elternkompetenz geht.

Dass es Bildungsarmut gibt, ist seit Jahrzehnten bekannt. Heute ist auch empirisch nachgewiesen, dass Eltern Bildungsarmut an ihre Kinder vererben. An dieser Stelle gilt es einzugreifen und gegenzusteuern.

Wir wissen auch, dass die Weichen für Bildungskarrieren im Guten wie im Schlechten schon in den ersten Lebensjahren gestellt werden und dass die Chancen eines Kindes mit hohem sozialen Status, später einmal für das Gymnasium empfohlen zu werden, 2,7-mal so hoch sind wie die eines Facharbeiterkindes. Dies ist im Hinblick auf jedes einzelne betroffene Kind kaum erträglich und es ist mit Blick auf die schwerwiegenden Folgen für unsere Gesellschaft ein unhaltbarer Zustand.

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und von Herrn Kurze, CDU)

Der gleiche Zugang zu Bildung für alle Kinder ist deshalb für die Landesregierung ein zentraler Punkt, um Armut zurückzudrängen und unser Land zukunftsfähig zu machen. Wir werden mit der Stärkung der frühkindlichen Bildung allen Kindern den Start in ein selbstbestimmtes Leben verbessern helfen.

Dazu gehören die verbesserte Fort- und Weiterbildung für alle derzeit in der frühkindlichen Bildung tätigen Fachkräfte, damit diese den neuen Anforderungen gerade bei der Vermittlung des Bildungsauftrags besser gerecht werden können. Dazu gehört, den zukünftigen Erzieherinnen und Erziehern bereits in der Fachschulausbildung die Grundsätze frühkindlicher Bildung und die Bildungsinhalte so zu vermitteln, dass sie sie beim Start ins Berufsleben wirklich gut und qualitätsgerecht anwenden können. Dazu gehört die Einführung eines Fachhochschulstudiums Elementarpädagogik, beginnend für Leiterinnen und Leiter von Kindertagesstätten in der ersten Stufe. Dazu gehört ein Maßnahmenpaket zur Minimierung der Anzahl derjenigen Kinder, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen.

Über weitere Verbesserungen ist zu diskutieren und zu entscheiden, vor allem was die Phase des Übergangs vom Kindergarten in die Schule anbelangt. Dazu gehört der gesamte Bildungskomplex, über den gestern im Rahmen der Haushaltsberatungen gesprochen worden ist. Dazu gehören aber auch die Ergebnisse des Bildungskonvents, denen ich nicht vorgreifen will. Er muss arbeiten und wird Empfehlungen aussprechen.

Ebenso wichtig ist mir die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Nach der dritten AWO-ISS-Studie fühlen sich arme Eltern aufgrund der mit der jeweiligen Lebenssituation verbundenen täglichen Herausforderung häufiger überfordert als Eltern, deren Leben nicht durch knappe finanzielle Ressourcen geprägt ist. Trotzdem belohnen sie ihre Kinder eher mit Geld und Süßigkeiten, statt sie zu loben oder auch einmal Zeit mit ihnen zu verbringen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das ist richtig!)

Die Erziehungskompetenz von Eltern zu stärken, bedeutet daher auch etwas gegen Kinderarmut und für das gute Aufwachsen von Kindern zu tun.

(Herr Steinecke, CDU: Ja!)

Mit einer Reihe von Maßnahmen des Sozialministeriums soll die Elternkompetenz gestärkt werden. Dazu gehören die Familienhebammen, die Familienzentren und die Familienbildungsangebote. Dazu gehört auch die Qualifizierung der Kinderkrippen, Kindergärten und Horte hin zu Kinder-Eltern-Zentren.

Meine Damen und Herren! Für die Entwicklung weiterer Strategien gegen Kinderarmut - ich lasse einmal den Gesundheitsaspekt weg; diesbezüglich unterstütze ich das, was Frau von Angern gesagt hat; ich will aber noch einmal auf die Gesundheitsziele in unserem Land aufmerksam machen - bedarf es einer konkret auf Sachsen-Anhalt bezogenen Lagebeschreibung, auch in qualitativer Hinsicht. Diese Grundlage werden wir mit dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht zur Verfügung haben. Ein Schwerpunkt dieses Berichts wird der Bereich Kinder sein.

Gemeinsam mit dem Statistischen Landesamt und der Martin-Luther-Universität wurden bereits Daten erhoben und zum Teil ausgewertet. In einem Workshop im November dieses Jahres sollen die Ergebnisse der Fachöffentlichkeit, den Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen im Landtag und auch allen Ressorts vorgestellt werden. Unter Einbeziehung der einschlägigen Verbände in unserem Land sollen dann die Ergebnisse diskutiert werden und nach der Bewertung in ein Maßnahmenbündel der verschiedenen Ebenen in unserem Land einfließen.

Ich will also unbedingt auch den Sachverstand der verschiedenen Verbände und Organisationen, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Sozialverbände, der Kirchen und mancher anderer einbeziehen und eben nicht über sie hinweg entscheiden.

Deswegen werbe ich dafür, den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen zu beschließen, weil das die Grundlage ist, die auch in Übereinstimmung mit dem steht, was wir im Sozialausschuss sowohl im Dezember 2006 als auch im April 2007 beraten haben. Wir können dann wirklich alle mit einbeziehen und kriegen Leitlinien, Grundsätze und auch Maßnahmenpakete geschnürt, die im Land auch umsetzbar sind. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kuppe. Möchten Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten?

Gern.

Bitte, Herr Gallert, fragen Sie.

Frau Kuppe, wir haben im August ein Interview mit Ihnen in der „Volksstimme“ gelesen. Darin haben Sie noch einen substanziellen Zusammenhang zwischen der Bekämpfung von Kinderarmut und einem Ganztagsanspruch für alle im Kindergarten dargestellt und haben das ausargumentiert. Ich habe jetzt zu dieser Problematik kein einziges Wort von Ihnen gehört. Bedeutet das, dass Sie diesen Zusammenhang nicht mehr sehen?

(Herr Gürth, CDU: Er hat am Wochenende Par- teitag und muss so etwas machen! - Zuruf von Frau Budde, SPD)

Lieber Herr Kollege Gallert, so einfach habe ich es nicht gesagt und so einfach ist es nicht. Für mich gehören für die bessere frühkindliche Bildung, auch in Form von Armutsprävention, aber auch zur Verbesserung der individuellen Chancen eines jeden Kindes verschiedene Komponenten zusammen.

Das ist an erster Stelle die Qualität dessen, was in Kindertagesstätten als Begleitung aller Möglichkeiten, die Familien bieten, zur Verfügung stehen muss. Die Verbesserung der Qualität in den Kitas ist der erste Aspekt. Hierzu gibt es verschiedene Maßnahmen und ich habe eine Reihe davon genannt.

Der zweite Aspekt ist eine schrittweise Wiederherstellung der Ganztagsbetreuung, aber nicht einfach um ein paar Stunden draufzupacken, sondern damit in den Stunden die individuelle Förderung von Kindern verbessert werden kann. Das soll nach der Vorstellung der SPD mit dem letzten Kindergartenjahr beginnen. Das habe ich hier erwähnt. Das letzte Kindergartenjahr ist auch ein Schlüssel für den schulischen Erfolg. Des

wegen müssen wir uns insbesondere um dieses Jahr kümmern. Hierfür werden wir Vorschläge zusammentragen.

Der dritte Aspekt, über den wir auch in der SPD diskutieren, ist folgender: Wenn wir die frühkindliche Bildung in der Wertigkeit der schulischen Bildung gleichstellen, dann bedeutet das auch, mittel- bis langfristig die Gebührenfreiheit herzustellen. Auch das gehört in den Komplex mit hinein. Dazu gibt es auf der Bundesebene viele Diskussionen. Es steht im Koalitionsvertrag zwischen den Koalitionären auf Bundesebene drin. Da wird sich also noch viel bewegen.

Alles das müssen wir in ein Konzept packen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten auch intensiv in der Koalition darüber diskutieren, was wir in welchen Schritten in diesem Land umsetzen können.

In diesem Zusammenhang ist die Ganztagsbetreuung ein Element. Herr Gallert, ich will das hier noch einmal ganz deutlich sagen: Es ist ein Element. Wenn sie nur darauf abheben, dann ist das aus meiner Sicht wirklich zu kurz gesprungen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kurze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE greift ein ernstes Problem in unserem Land auf. Ich frage mich aber, ob dieser ein Beitrag zur Diskussion ist, die wir schon seit Längerem im Sozialausschuss führen, oder ob es ein Versuch ist, einen Keil zwischen die Regierungsfraktionen zu treiben.

(Zustimmung von Frau Take, CDU)

In dem Antrag unterstellen Sie dem Herrn Ministerpräsidenten und damit auch der CDU, dass Kinderarmut für uns kein Thema sei. Gleichzeitig werden der SPD dahin gehend Avancen gemacht, dass gemeinsam der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in Kindertagesstätten wieder eingeführt werden könne, und zwar lösgelöst von der Frage, wie dies ansatzweise finanziert werden könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, ich sage es Ihnen ganz deutlich: Sie können immer wieder versuchen, die Landesregierung und die Regierungsfraktionen mit ihren sozialpolitischen Forderungen gegeneinander auszuspielen, es wird Ihnen aber nicht gelingen.

(Zurufe von der LINKEN)

Die Sozialpolitik ist bei uns in guten Händen. Im Gegensatz zu Ihnen kommen wir nicht laufend mit Forderungen und Vorschlägen, die nicht finanzierbar sind. Wir machen den Menschen keine Versprechungen, die wir nicht halten können.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Volksparteien wie die CDU und die SPD Beschlüsse auf ihren Parteitagen fassen, dann ist das ihr gutes

Recht. Sicherlich sollte man dabei auch die realen Umsetzungsmöglichkeiten ausloten. Wir werden in der Koalition aber nicht in Panik verfallen, wenn unsere Parteien politische Willensbekundungen formulieren, die jetzt noch nicht im Koalitionsvertrag stehen. Meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, es kommt ja auch noch eine nächste Legislaturperiode.

(Frau Bull, DIE LINKE: Hier geht es nicht um Sie! Hier geht es um Kinder! - Weitere Zurufe)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich bedrückt es uns auch, dass in Sachsen-Anhalt 81 000 Kinder von Hartz IV leben müssen. Im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, sind wir aber nicht der Auffassung, dass einfach die Hartz-IV-Sätze angehoben werden müssten, der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kinder wieder eingeführt werden müsste, und schon wäre alles wieder gut.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Das macht doch kei- ner! Sie müssen einmal zuhören!)

So einfach ist die Welt leider nicht.

(Beifall bei der CDU)

Nicht erwerbstätig zu sein, heißt nicht automatisch, mittellos zu sein. Denn wenn wir uns einmal die Sozialleistungen, die wir den hilfsbedürftigen Menschen in unserem Land zur Verfügung stellen, insgesamt anschauen, dann stellen wir fest, dass das schon etwas ist, was sich auch im Ländervergleich sehen lassen kann. Wir leben nicht in einem Land, in dem die Leute unter der Brücke liegen; das muss man einmal klar sagen.

Denn schon heute gibt es zusätzlich zu den Regelleistungen nach Hartz IV, die jedem zustehen, auch für die Kinder eine prozentuale zusätzliche Förderung. Diese beträgt 60 % der Regelleistung für Kinder bis 14 Jahre und 80 % der Regelleistung für Kinder ab 14 Jahren. Dabei reden wir darüber, dass zu dem Betrag in Höhe von 374 € ein Betrag in Höhe von 208 € bzw. 277 € jeden Monat für die bedürftigen Menschen dazugegeben wird.

Es gibt auch Zuschüsse für Klassenfahrten, für die Erstausstattung und für Kleidung. Die Kita-Kosten werden übernommen. Es gibt also eine ganze Menge an Leistungen, die sich wirklich sehen lassen können und für die wir alle in der Solidargemeinschaft geradestehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen bei der Suche nach Strategien auch die Frage in den Raum stellen, warum die Hartz-IV-Ausgaben gleich bleiben bzw. die Kinderarmut in Deutschland ansteigt, obwohl die Konjunktur anzieht. Kommen die Sozialleistungen eigentlich immer dort an, wo sie ankommen sollen? Auch diese Frage müssen wir bei der Suche nach Strategien berücksichtigen. Wenn sie nicht immer dort ankommen, wo sie ankommen sollen, dann müssen wir nach Wegen und Möglichkeiten suchen, damit das endlich passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zurufe von der LINKEN)