Protocol of the Session on September 14, 2007

Vielen Dank, Herr Stahlknecht. - Wir kommen dann zum zweiten Debattenredner. Ich erteile der FDP-Fraktion das Wort. Es spricht Herr Wolpert. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Angst, das juristische Seminar wird nicht fortgeführt.

Herr Kollege Stahlknecht, bei der letzten Bemerkung in Ihrer Rede - das wollen wir nicht, das beschließen wir auch nicht - kamen mir sofort Asterix und Obelix in den Sinn. Da gab es einmal einen Soldaten, der für die psychologische Kriegsführung zuständig war. Dessen Name war Hau-drauf-und-Schluss. - Das passt so ungefähr zu dieser Bemerkung.

(Heiterkeit bei der FDP und bei der LINKEN)

Übrigens irren Sie sich bei der Tatbezogenheit sehr. Dabei sind Sie auch deutlich ins Schwimmen gekommen.

Aber, meine Damen und Herren, zur Sache. Ein gerade aus der Haft entlassener Jugendlicher tötet einen Neunjährigen. Die Tat ist abscheulich, schrecklich und verurteilenswert.

Am 18. Juli 2007 legt Frau Zypries dem Kabinett in Berlin einen Gesetzentwurf vor, der auch bei Jugendlichen die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung unter folgenden Voraussetzungen ermöglichen soll: Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie Raub und Erpressungstaten mit Todesfolge, Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren, schwere seelische oder körperliche Beschädigung oder Gefährdung des Opfers, Prognose einer hohen Wahrscheinlichkeit der Gefährlichkeit durch das Gericht aufgrund der Gesamtwürdigung zweier selbständiger Gutachten.

Um es gleich vorweg zu sagen: Diesen Vorstoß lehnt die FDP-Fraktion ab. Die Haltung der FDP stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumente:

Erstens. Das Gesetzesanliegen konterkariert die Bemühungen des Landtages, Erziehung und Resozialisierung im Jugendstrafvollzug als vorrangiges Ziel festzuschreiben.

Zweitens. Der Gesetzentwurf entbehrt jeder Notwendigkeit, weil es kaum Täter gibt, die in das Schema passen.

Drittens. Der Gesetzentwurf entbehrt der Wirksamkeit, weil es noch weniger Anwendungsfälle als Täter gibt.

Viertens. Der Gesetzentwurf entbehrt der politischen Glaubwürdigkeit und ist nichts weiter als durchschaubarer Populismus.

Insgesamt ist dieser Gesetzentwurf ein entbehrlicher und das adelt ihn nicht.

Meine Damen und Herren! Jugendliche Straftäter handeln in der Regel aufgrund jugendtypischen Verhaltens, das von Reifedefiziten gekennzeichnet ist. Die klassischen Beispiele gehen von der einfachen Mutprobe über den Gruppenzwang bis hin zu Fehlinterpretationen der Folgen und der Werteverschiebung. Aufgabe des Jugendstrafvollzugs ist es nach Meinung aller Parteien in diesem Landtag, derartige Persönlichkeitsdefizite durch einen Strauß von Instrumenten der Förderung auszugleichen und so eine Sozialisierung in der Haft zu erreichen.

Ein Instrumentarium wie die nachträgliche Sicherungsverwahrung kann diesen Zweck nicht erreichen. Seine erzieherische Wirkung erschöpft sich allenfalls in dem Drohpotenzial, das damit verbunden werden kann. Die Sicherungsverwahrung selbst ist aber weder erzieherische Maßnahme noch geeignetes Zucht- oder Maßregelungsmittel. Ein bloßes Wegsperren stellt eine erzieherische Bankrotterklärung dar.

Meine Damen und Herren! Das Gesetz wird kaum Anwendung finden und somit weitgehend ins Leere laufen. Frau Zypries selbst weist in ihrer Pressemitteilung auf die Tatsache hin, dass die Verübung schwerer Straftaten bei Jugendlichen oft aus einem spontanen Impuls heraus geschieht und dass die meisten nach der Verbüßung ihrer Jugendstrafe ein straffreies Leben führen, da sie sich weiterentwickelt haben.

Nach der Statistik des Bundeskriminalamts waren im Jahr 2000 noch 8,6 % aller Tatverdächtigen bei Mord Jugendliche. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 5,7 %. - Eine sinkende Täterzahl spricht gegen die Gesetzesinitiative und nicht dafür. Wir haben gerade von der Ministerin gehört, dass es in Sachsen-Anhalt überhaupt keinen Anwendungsfall gibt.

Frau Ministerin, mit dem Argument, dass man die Gefahr nicht ausschließen könne, begründe ich alles und gleichzeitig gar nichts. Leben an und für sich ist lebensgefährlich. Damit begründe ich aber nicht, dass ich das Leben abschaffe, eben weil es lebensgefährlich ist. Ein solches Argument ist in sich unsinnig.

(Herr Bischoff, SPD: Aber um es zu schützen!)

- Zum Schutz, ja. Wir sperren uns alle ein, dann passiert nichts mehr.

(Unruhe bei der SPD - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Meine Damen und Herren! Die Sachverständigen sollen feststellen, ob eine besondere Gefährlichkeit, die auf der Grundlage der Persönlichkeitsentwicklung in der Haft vonstatten ging, besteht. Sie werden kaum einen Gutachter finden, der in der Lage ist, das festzustellen, schon gar nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Hierbei stellt sich dann die grundlegende Frage, ob unter diesen Voraussetzungen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ein taugliches Mittel ist. Wir sagen: nein.

Es kommt darauf an, dass das Jugendstrafvollzugsgesetz in diesem Land mit dem Erziehungsgedanken als

vorrangigem Ziel beschlossen wird und dass der Jugendstrafvollzug mit ausreichenden Personal- und Sachmitteln ausgestattet wird. Frau von Angern hat das schon angesprochen.

Aber, meine Damen und Herren, dass Wichtigste, auf das es mir eigentlich ankommt, ist: Die deutsche Öffentlichkeit ist überzeugt davon, dass die Anzahl der Sexualmorde in den letzten Jahren um 260 % angestiegen ist. Das ist ein Ergebnis der Öffentlichkeitsarbeit aller. Tatsächlich gab es im Jahr 1993 83 Sexualmorde, im Jahr 2005 noch 26.

(Herr Stahlknecht, CDU: 26 zu viel!)

- Ja, aber die Zahl sinkt, und das ohne Sicherungsverwahrung. - Die Bedrohung hat abgenommen. Das Fordern von härteren Strafen - das ist das Geheimnis - ergibt nämlich höhere Umfragewerte bei den jeweiligen Parteien. Und das ist populär.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Aber wer vor dem Hintergrund sinkender Kriminalitätszahlen härtere Gesetze fordert, die gegen den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht stehen, dessen Anwendungsbereich und Wirkungsgrad gering ist, der handelt nicht populär, sondern populistisch und untergräbt damit auf lange Sicht die Glaubwürdigkeit der Politik.

(Zustimmung bei der FDP und bei der LINKEN)

Daran sollte sich Sachsen-Anhalt nicht beteiligen. Deshalb stimmen wir dem Antrag der LINKEN zu.

(Zustimmung bei der FDP und bei der LINKEN)

Herr Wolpert, herzlichen Dank. Es gibt jetzt zwei Nachfragen, eine von Herrn Tullner und eine von Herrn Scharf. - Bitte schön.

Herr Kollege Wolpert, ich bin kein Jurist und werde mich deshalb tunlichst nicht in die Fallstricke der juristischen Fachargumentation begeben. Ihr Ablehnen von Strafverschärfung, das Sie durchaus auch begründen können, verleitet mich doch zu einer nicht ganz ernst gemeinten Frage; aber zu dieser Zeit traue ich mich einmal, sie zu stellen: Wissen Sie, wie Helmut Schmidt unlängst die Liberalen bezeichnet hat?

Ein Liberaler ist ein Konservativer, der noch nicht überfallen wurde.

(Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU, und von der Regierungsbank)

Herr Tullner, vielen Dank. Es freut mich ungemein, dass Sie das angesprochen haben. Denn ich kann Ihnen versichern, dass ich selbst Opfer einer solchen Gewalt geworden bin und auch weiterhin durch so etwas gefährdet bin. Ich kenne den Täter persönlich und ich nehme an, dass er, wenn er aus dem Knast herauskommt - um es einmal salopp zu sagen - wieder auf mich losgehen wird.

Und trotzdem verlange ich die härteren Strafen nicht. Das werden wir in der Demokratie aushalten müssen. Ich glaube daran, dass dieser Junge irgendwann vernünftig wird. So lange setze ich mich selbst der Gefahr aus, dass er mich angreifen wird.

(Zustimmung bei der FDP, von Herrn Stahl- knecht, CDU, von Herrn Felke, SPD, und von Herrn Henke, DIE LINKE)

Vielen Dank. - Herr Scharf, Sie haben das Wort.

Ja, aber wenn Sie, Herr Wolpert, Ihre Rede noch einmal rekapitulieren, stellen Sie dann nicht fest, dass darin auch Elemente waren, die wahrscheinlich auf jedem FDP-Parteitag besprochen werden, indem man den anderen vorwirft, dass sie von Strafverschärfung in populistischer Art und Weise leben?

Das ist doch nicht unsere Welt. Wir müssen doch immer schauen, welches Strafmaß tatsächlich angemessen ist und was im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung tatsächlich zum Schutze der Allgemeinheit notwendig ist. Das wird doch auch regelmäßig überprüft. Sind Sie mit Ihrer Rede nicht ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen?

Mit Sicherheit nicht. Es geht hierbei nicht um die Sicherungsverwahrung schlechthin, sondern um die nachträglich angeordnete, die nicht mehr tatbezogen ist. Das ist ein großer Unterschied. Sie fangen hinterher plötzlich an nachzudoktern, was Ihnen vorher bei der Bestrafung nicht eingefallen ist oder was Sie vorher im Jugendstrafvollzug vermasselt haben.

Das ist doch das Problem, darum geht es. Dass ich die Sicherungsverwahrung insgesamt sehr kritisch betrachte, weil sie eben insgesamt ein Instrument ist, das meines Erachtens hart an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist, ist etwas anderes. Aber hier geht es um die nachträgliche Sicherungsverwahrung bei einer jugendlichen Tätergruppe, bei denen wir alle sagen, wir begegnen ihnen mit Erziehung. Das andere ist jedoch bloßes Wegsperren.

(Zustimmung bei der FDP und von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Vielen Dank, für Ihren Beitrag, Herr Wolpert. - Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Dr. Brachmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag von Herrn Wolpert habe ich zunächst überlegt, wer von uns beiden Asterix und wer Obelix ist. Wir als Regierungskoalition werden schwerlich unsere Landesregierung im Bundesrat auffordern, gegen einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu stimmen, der wiederum auf einem Vorhaben beruht, das in der Koalitionsvereinbarung auf der Bundesebene festgeschrieben worden ist.

Aber zur Sache. Herr Wolpert, Sie haben Recht damit, dass das alles verfassungsrechtlich nicht ganz unproblematisch ist. Ich gehöre auch zu denjenigen, die der Meinung sind, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht gerade zu den Grundpfeilern eines Rechtsstaates gehört. Aber dennoch, Herr Wolpert, - das hat die Erfahrung gezeigt - gibt es Sachverhalte, gibt es Lebenssituationen, in denen man überlegen muss, ob man sie nicht dennoch als Stütze des Rechtsstaates braucht.

Ich erinnere mich noch sehr wohl an die Diskussion, die wir im Jahr 2001 in diesem Hohen Haus geführt haben. Damals gab es - Frank O. spielte damals auch schon eine Rolle - eine tickende Zeitbombe, als wir unter Heranziehung des Gefahrenabwehrrechts im Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD ein so genanntes Straftäterunterbringungsgesetz verabschiedet haben, weil wir von der Gefährlichkeit dieses Täters überzeugt waren. Ein Einzelfall spielte damals eine Rolle.

Das Bundesverfassungsgericht hat die ganze Sache gekippt, aber aus kompetenzrechtlichen Gründen. Denn wir haben uns angemaßt, etwas aus dem Gefahrenabwehrrecht zu regeln, das nicht Landessache ist. Aber dasselbe Bundesverfassungsgericht hat dann, als der Bundesgesetzgeber die Problematik durch die Neuregelung des § 66 Abs. 2 geregelt hat, die nachträgliche Sicherungsverwahrung für verfassungsrechtlich zulässig erachtet. Einen zentralen Satz dazu zitierte ich jetzt: