„Wenn wir gerne hätten, dass Europa nicht auf der Strecke bleibt, dann müssen wir die europäischen Arbeitnehmer via einem Mindestsockel an europaweit gültigen minimalen Arbeitnehmerrechten wieder für die Europäische Union begeistern.“
Der Markt, so Juncker, produziere keine Solidarität, weder unter den Menschen noch unter den Völkern.
Die Menschen, meine Damen und Herren, verlangen von uns zu Recht eine Antwort auf die Frage, was gerecht ist. Wir können uns nicht mit der Antwort des Nobelpreisträgers Milton Friedman herausreden, der am Ende seines Lebens bezüglich dieser Frage resümierte, dass es auf diese Frage wohl keine Antwort gebe.
Freilich, es gibt nur eine jeweils kontextgebundene Antwort, und die öffentliche Debatte ist wieder von dem scheinbaren Gegensatz zwischen ökonomischer Kompetenz und sozialer Verantwortung geprägt, wie das nur in den großen Kampfzeiten zwischen Rechts und Links in den letzten Jahren üblich war. Aber dies sind oft falsche Alternativen.
Christdemokraten wissen, dass sie kein Himmelreich auf Erden schaffen können und auch nicht zu schaffen brauchen. Aber Gerechtigkeit ist ein Leitwort jeder christlichen Soziallehre und wird auch in den nächsten fünf Jahren unsere politische Richtung bestimmen, meine Damen und Herren.
Gerechtigkeit muss Antrieb und beständige Orientierung unserer Politik bleiben. Arbeitnehmergerechtigkeit, Chancengerechtigkeit in der Bildung, gerechtes Sparen - das können Elemente eines politischen Leitbildes sein, an dem wir uns orientieren können. Aber nicht nur wir im Landtag oder in der Regierung brauchen Orientierung über den Tag hinaus, sondern auch die Gesellschaft. Wer dieses Land voranbringen will, der muss den Menschen einen Weg aufzeigen, den sie mitgehen können und darüber hinaus aktiv unterstützen.
Der Titel der heutigen Regierungserklärung zeigt die Richtung auf, die wir in der Koalition und mit den Menschen in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren gehen wollen, meine Damen und Herren. Das Einfordern von Leistung von jedem Einzelnen und die innergesellschaftliche, politisch gestützte Solidarität müssen eine gleichrangige Verbindung miteinander eingehen.
Zu diesem Sinnstiftungsprozess gehört es, deutlich zu machen, warum wir sparen müssen und wo wir Prioritäten setzen. Sparen, meine Damen und Herren, ist kein Selbstzweck. In der Finanzpolitik entscheidet sich, ob wir die Generationengerechtigkeit wirklich ernst nehmen, Herr Gallert. Es ist eine moderne Askese notwendig, eine freiwillige Beschränkung unserer Generation, um die Chancen und Rechte unserer Nachkommen zu wahren. Deshalb kann und darf es keine Abstriche an dem zwischen CDU und SPD einmütig vereinbarten Konsens in der Finanzpolitik geben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Herr Gal- lert, Linkspartei.PDS: Das haben Sie zu Anfang der letzten Legislaturperiode auch gesagt!)
Bis spätestens zum Jahr 2011 wollen wir die Neuverschuldung auf null absenken. Ab 2012 soll die Landesschuld, heute bei insgesamt rund 19,4 Milliarden € angelangt, mit einer Tilgungsrate von 200 Millionen € jährlich abgebaut werden.
Hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt sich eine gewaltige Aufgabe. Ich erinnere daran, dass im Haushaltsplan für 2006 immerhin noch eine Neuverschuldung von 783 Millionen € vorgesehen ist. Ich sage es ganz deutlich: Der Finanzminister hat bei dieser schwierigen Auf
gabe die volle Unterstützung der CDU-Fraktion. Wir können diesen Weg nur gemeinsam gehen und wir werden ihn gemeinsam erfolgreich gehen, meine Damen und Herren.
Was diesem Land in den kommenden fünf Jahren finanzpolitisch erspart bleibt, zeigt eine Auswertung der Pressemitteilungen der Fraktion der Linkspartei.PDS nur vom vergangenen Monat:
Am 3. Mai 2006 verlangt die Fraktion der Linkspartei.PDS ein Zurück zum alten KiBeG mit Mehrausgaben von mehr als 25 Millionen € jährlich. Am 5. Mai 2006 werden zusätzlich 30 Millionen € pro Jahr für die Hochschulen gefordert. Am 17. Mai 2006 folgt die Forderung nach zusätzlichen Ärzten in den Krankenhäusern. Am 20. Mai 2006 verlangt man, Bund und Länder sollten auf die Mehreinnahmen infolge der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von rund 18 Milliarden € verzichten.
(Beifall bei der CDU - Herr Gallert, Linkspar- tei.PDS: Nein! Wir haben Mehreinnahmen von 64 Milliarden €!)
Meine Damen und Herren! Ich habe nur die Pressemitteilungen aus dem letzten Monat analysiert. Ich habe keinen einzigen substanziellen Vorschlag auf die Frage gefunden, wo wir als Land Sachsen-Anhalt in dem laufenden Jahr und in den kommenden Jahren wirklich existenziell sparen können, meine Damen und Herren.
Es ist zu Recht angesprochen worden, dass die Bildungspolitik eine Schlüsselfrage auch in den nächsten Jahren darstellen wird. Nach der Auffassung der CDU ist die Bildungspolitik der letzten Jahre in Sachsen-Anhalt durchaus eine Erfolgsgeschichte.
Im letzten Kindergartenjahr beginnt die gezielte Vorbereitung auf die Schule. Mehr als 60 neue Schulen in freier Trägerschaft beleben den Wettbewerb um das beste schulfachliche Konzept. Vom kommenden Schuljahr an können die Abiturprüfungen wieder nach zwölf Schuljahren abgelegt werden. - Herr Gallert, was haben Sie in den vergangenen Jahren für dieses Ziel getan? Was war Ihre Bilanz in dieser Frage? Wie hören Sie auf die Menschen?
Vor allem, meine Damen und Herren, sind unsere Schulen im nationalen und internationalen Vergleich besser geworden, weil wir den Leistungsgedanken ernst nehmen. Unsere Schüler wollen gefordert werden; sie haben ein positives Verhältnis zur Leistung.
- Ich komme darauf noch zurück, Herr Gallert. - Sie können daher von uns erwarten, dass wir den Schülerinnen und Schülern eine optimale Ausbildung anbieten werden.
Ein wichtiges Stichwort für die Schulpolitik der kommenden Jahre ist sicherlich die Chancengerechtigkeit. Wir haben in Sachsen-Anhalt kaum Migranten, die es zu integrieren gilt. Aber wir stellen fest, dass es auch unter den deutschen Schülern viele gibt, die entweder keine vernünftige Einstellung zum Lernen, zur Disziplin oder zur Leistung finden oder die schlichtweg nicht mitkommen. Sachsen-Anhalt hat die höchste Quote von Schulabgängern ohne Abschluss. Diese Quote wird inzwischen niedriger, aber trotzdem gilt: Jeder junge Mensch, der keinen Schulabschluss schafft, ist einer zu viel, meine Damen und Herren.
In der Koalition teilen wir die Sorge, dass es diesen jungen Menschen in Zukunft noch schwerer fallen wird, eine berufliche Perspektive zu finden. Die Koalitionäre verfolgen aber bisher unterschiedliche Lösungsansätze in dieser Frage. Vor allem hinsichtlich der Länge des gemeinsamen Lernens scheiden sich die Geister. Die CDUFraktion steht dafür, das schulpolitische Erfolgsrezept der vergangenen Jahre fortzusetzen. Das heißt verbindliche Schullaufbahnempfehlungen nach vier Jahren gemeinsamer Grundschulzeit,
Eignungsprüfungen für diejenigen, die mit einer Schullaufbahnempfehlung nicht einverstanden sind, ab der 5. Klasse Differenzierung in Gymnasium und Sekundarschule mit Haupt- und Realschulzweig. Die unterschiedlichen Schulformen haben klare, eigenständige Profile.
Meine Damen und Herren! Es geht nicht um eine Bildungshierarchie, sondern um eine möglichst individuelle Förderung in der jeweils geeigneten Schulform. Aber je mehr wir die Schulformen so weiterentwickeln, dass sie füreinander tatsächlich durchlässig sind, desto mehr wird die Strukturdebatte um die Einheitsschule abebben. Das ist jedenfalls meine Überzeugung, meine Damen und Herren.
So können wir allen Schülern optimale Entwicklungschancen bieten. Kurz: Wir müssen sicherstellen, dass der Weg zu einem Abitur nach zwölf Jahren auch für Spätentwickler offen bleibt.
Wir nehmen die Herausforderung der SPD an, meine Damen und Herren, in einem Bildungskonvent um das beste Konzept zu ringen. Zwei Themen sind mir dabei besonders wichtig, erstens die Frage: Wie können wir durch die frühkindliche Bildung und Erziehung mehr Chancengerechtigkeit erreichen?
Wir wissen dank der Pisa-Studie, dass der familiäre Hintergrund des einzelnen Schülers einer der wichtigsten Faktoren ist, der die schulischen Leistungen mitbestimmt.
Ich habe zum Beispiel hier inhaltlich, aber nicht wörtlich Hans Zehetmair zitiert. Der ist vollkommen unverdächtig bei einem solchen Zitat.
Die Kultusministerkonferenz hat für den Sekundarbereich I, den Haupt- und Realschulabschluss, in den Jahren 2003 und 2004 bereits Bildungsstandards definiert. Dies ersetzt jedoch nicht die Verständigung mit der Arbeitswelt darüber, was Schule wirklich leisten muss. Nach den umfangreichen Reformen in den vergangenen vier Jahren brauchen die Schulen jetzt Ruhe, um inhaltliche Veränderungen umzusetzen. Das ist auch in der Koalitionsvereinbarung hinreichend deutlich dokumentiert worden.
Aber wir werden uns den Erkenntnissen des Bildungskonventes nicht verschließen. Klar ist jedoch auch, dass es aus dem genannten Grund grundlegende Strukturveränderungen in dieser Legislaturperiode nicht geben wird. Aber der Diskurs über Bildung in Sachsen-Anhalt und in Deutschland ist notwendig. Diesem werden wir uns stellen. Wir werden auch - so hoffe ich - mit der SPD gemeinsame Erkenntnisse aus diesem Konvent gewinnen und entwickeln, meine Damen und Herren.