Wir tun uns schwer, darüber zu reden, ob es in Ostdeutschland ein spezifisches Problem in Sachen Rechtsextremismus gibt. Historisch wurden wir doppelt bestraft und sollen jetzt auch noch moralisch ausgegrenzt werden? - Das ist die Frage, die oft gestellt wird.
Richtig bleibt: Der Westen zeigt gern mit dem Finger auf den Osten. Das verschafft ein wunderbar reines Gewissen. Zugleich erspart man sich ein genaueres Hinsehen vor allem darauf, dass der soziale Abstieg in weiten Teilen Ostdeutschlands wesentlich stärker ist und dramatischer ausfällt als in armen westdeutschen Regionen.
Damit beginnt das, was in den letzten Tagen und Wochen diskutiert worden ist: das No-go-Problem in Ost
und West. Die Bundesrepublik hat ein neues - vielleicht kann man sagen - Klassenproblem. Von der Rechten wird daraus wie üblich ein Rassenproblem gemacht. Auch wenn der Befund zur Wirklichkeit gehört, dass Europa grenzenlos ist und dass wir eine multikulturelle Gesellschaft haben, haben wir auch diese tatsächlichen No-go-Zonen. Sie existieren. Es gibt echte Apartheidsgefühle in dem stolzen - wie es auf den Plakaten immer so schön heißt - „Du bist Deutschland“-Land.
Dazu gehört auch - deshalb ist das das wichtigste und zentrale Thema -, dass solche unerträglichen Zustände soziale Ursachen haben, die gern ausgeblendet werden. Zu reden ist somit nicht allein über Rechtsradikale in Springerstiefeln, sondern über Ängste und Ressentiments, die weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen.
Wir brauchen neben gesellschaftlichen Bekenntnissen gegen Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aber auch Strukturen - Strukturen, die aufklären, Vereinsarbeit leisten, sich tagtäglich diesen Themen zuwenden. So nebenbei sind Aufklärung und Auseinandersetzung mit Extremismus nicht zu leisten. Ehrenamtliche und hauptamtliche Arbeit gehören hier wie anderswo zusammen.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gal- lert, Linkspartei.PDS, und von Herrn Dr. Thiel, Linkspartei.PDS)
Deshalb, Herr Ministerpräsident, ist es nicht richtig, wenn Sie die Mitarbeiter des Vereins „Miteinander“ als Funktionäre bezeichnen, deren Unterstützung in dem bisherigen Umfang nicht lohne. Sie sollten tatsächlich das Angebot von Hans-Jochen Tschiche annehmen und sich vor Ort über die Arbeit des Vereins informieren.
Meine Damen und Herren! Wir werden in den nächsten fünf Jahren die Politik in diesem Land gestalten. Doch bei all unseren Vorhaben, Projekten und Reformen, die ich eben genannt habe, muss eines klar sein: Im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen die Menschen unseres Landes. Wir machen Politik nicht zum Selbstzweck, sondern zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger. Sie zu überzeugen, sie mitzunehmen und sie bei der Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen einzubinden ist das wohl wichtigste Projekt für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Daher sehe ich den Koalitionsvertrag als bindende Verpflichtung gegenüber den Menschen in unserem Land, von denen viele durch ihr Fernbleiben von den Wahlurnen ihre Zweifel an der Gestaltungskraft der Politik zum Ausdruck gebracht haben. Die große Koalition wird daher gemeinsam die Inhalte des Koalitionsvertrages genau so umsetzen, wie er Ihnen vorliegt. Dies ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, die von uns zu Recht eine planbare Politik und verlässliche Aussagen über die Zukunft erwarten dürfen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Budde. Herr Gallert hat eine Frage. Ich bitte Sie, diese zu beantworten. - Bitte schön, Herr Gallert.
Die erste bezieht sich auf Ihre Positionierung zum Bildungskonvent. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, versuchen Sie in diesem Bildungskonvent, unter anderem mit Frau Feußner einen Konsens darüber herzustellen, dass das Konzept der AOS richtig ist, und wenn Sie das geschafft haben, wollen Sie das umsetzen?
- Ich weiß nicht, worauf sich das bezieht, ob sich das auf Frau Feußner oder auf die Grundsatzposition der SPD bezieht. Ich glaube, wie wir Bildungspolitik sehen, haben wir lange genug erklärt. Wir haben diesbezüglich eine breite Rückendeckung, was die inhaltlichen Dinge angeht, von vielen, die den Umbau des Bildungssystems in Deutschland fordern. - Entschuldigung!
Zweitens noch einmal zum Mindestlohn. Sowohl die Rede des Ministerpräsidenten als auch der Koalitionsvertrag erwähnen den Mindestlohn nur im Kontext des Kombilohnmodells. Die politische Diskussion, die wir in Deutschland haben, ist aber eine völlig andere. Es ist nämlich die Diskussion, ob wir einen gesetzlichen oder meinetwegen tarifgebundenen Mindestlohn brauchen, und zwar unabhängig vom Kombilohnmodell. Sie haben in Ihrer Rede übrigens beide Dinge mehrfach als Alternativen bezeichnet.
Dann frage ich Sie jetzt noch einmal: Lesen Sie den Koalitionsvertrag so, dass es durchaus auch eine Positionierung der Koalition zu einem gesetzlichen Mindestlohn geben kann, und zwar bevor die Bundesregierung, wie angekündigt, im Herbst ihr entsprechendes Modell vorlegt?
Ich lese den Koalitionsvertrag so, dass es mit Sicherheit eine Positionierung geben wird. Ob das dann die ist, die ich richtig finde und die mir gefällt, das kann ich Ihnen vorher leider nicht sagen; diesbezüglich stecken wir tatsächlich im Diskussionsprozess.
Sie wissen - es wäre Unsinn, anderes zu erzählen -, dass es zwischen den Gewerkschaften immer noch - auch wenn es dort eine scheinbare Einigung gab - unterschiedliche Auffassungen zum Thema Mindestlohn gibt, dass es innerhalb der SPD unterschiedliche Auffassungen gibt und dass es auch zwischen den verschie
denen Parteien unterschiedliche Auffassungen gibt. Das ist wirklich eines der großen Probleme, die in diesem Jahr zu Ende diskutiert werden müssen. Ich kann Ihnen heute beim besten Willen nicht die Lösung sagen. Meine Position dazu kennen Sie. Mehr steht im Koalitionsvertrag dazu auch nicht drin.
Noch einmal zum Zeitpunkt: Wird sich die Koalition vor der Vorlage des Modells der Bundesregierung dazu verständigen oder erst danach?
Bevor ich der FDP das Wort erteile, begrüße ich Damen und Herren vom Technologie- und Bildungszentrum Magdeburg auf der Südtribüne. Herzlich willkommen!
Ich erteile nunmehr für die FDP-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Professor Dr. Paqué das Wort. Bitte schön, Herr Professor.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat heute eine merkwürdige Regierungserklärung abgegeben.
Das war eine Erklärung für eine Koalition von CDU und SPD, aber die Worte „christdemokratisch“ und „sozialdemokratisch“ kamen darin nicht vor. Überhaupt vermisst man in dieser Rede Ideen, Zielvorstellungen und Überzeugungen. Wenn überhaupt, war da so etwas wie eine sozialdemokratische Grundlinie zu erkennen.
Der vage Begriff der Solidarität taucht überall auf, selbst bei der Clusterbildung in den Chemieparks des Landes, die als „neue solidarische Strukturen“ bezeichnet wurden.
Also, sehr geehrte Frau Budde und Herr Minister Bullerjahn, Sie können immerhin nach Berlin melden, dass sich Ihr Ministerpräsident im Rahmen einiger wichtiger sozialdemokratischer Eckpunkte bewegt.
Meine Damen und Herren! Für die Menschen in diesem Land ist dies allerdings alles andere als ein Trost. Sie bleiben mit dieser Regierungserklärung ohne Orientierung zurück. Denn die Rede des Ministerpräsidenten war vergleichsweise frei von Ideen und Zielstellungen, so frei, dass man sich fragt, was der Ministerpräsident mit diesem Land eigentlich vorhat.
Von der nötigen Haushaltskonsolidierung ist die Rede als letzter Chance in dieser Legislaturperiode, die über das Schicksal entscheide. Auf das zentrale Problem dabei, den Personalabbau, wird aber nicht eingegangen. Dieses Wort kommt eigentlich gar nicht vor - außer bei dem Rückblick auf die vergangenen Jahre.
Heute können wir dann auch in der Presse lesen, dass der Innenminister deutlich mehr Polizisten einstellen will. Das passt alles nicht zusammen. Da ist von einer gemeinsamen Strategie nichts zu erkennen.
Von der Bedeutung des zweiten Arbeitsmarktes ist in aller Ausführlichkeit die Rede gewesen, als läge die Lösung unserer Probleme auf Dauer in Kombilöhnen oder in Mindestlöhnen. Der erste Arbeitsmarkt - er ist letztlich für unsere Zukunft entscheidend - bleibt sträflich ausgeblendet.
Von der Notwendigkeit neuer kommunaler Strukturen ist die Rede, ohne dass klar wird, ob der Ministerpräsident zu Zwangseingemeindungen steht, wie sie der Koalitionsvertrag festschreibt und wir als Liberale sie deutlich kritisiert haben. Es ist von Beweglichkeit und Spannbreite bei der Formulierung des Leitbildes die Rede. Was das konkret heißt, bleibt unklar: Geht es hierbei letztlich um Zwangseingemeindungen oder nicht? Die Menschen im Land wollen darauf eine Antwort. Der Ministerpräsident ist sie schuldig geblieben.
Meine Damen und Herren! Am allermeisten befremdet in der Rede des Ministerpräsidenten jedoch noch etwas ganz anderes: Die größten Herausforderungen unserer Zeit und in unserem Land werden eigentlich nur am Rande erwähnt. Sie liegen in der Bildung und im wirtschaftlichen Wachstum.
Meine Damen und Herren! Die Aussagen zur Bildungspolitik sind programmatisch ungenügend. Mit einem Bildungskonvent wollen wir uns - so wurde formuliert - an der Diskussion über die beste Methodik und die besten Organisationsstrukturen beteiligen; es gebe von Kindergärten bis Hochschulen unterschiedliche Angebote und Empfehlungen. Ja, Herr Ministerpräsident, was soll das denn heißen und was wollen Sie mit den Schulen und Hochschulen weiter machen - außer diskutieren?