Gerade aufgrund der oftmals kleinteiligen Wirtschaftsstruktur des Landes Sachsen-Anhalt braucht man eine stabile Absatzbasis im eigenen Land. Die schafft man jedoch nicht über Wirtschaftsförderung, sondern über gesicherte Einkommen jenseits des Niedriglohnsektors. An dieser Stelle schließt sich aus unserer Sicht der Kreis zwischen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.
Ein weiteres Problem der neuen Landesregierung offenbart sich beim Vergleich der Ziele des Koalitionsvertrages bezüglich der Fachkapitel mit den Haushaltsaussagen, ebenso bei der Personalentwicklung.
Auch wir verkennen nicht die Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und beobachten mit Interesse, dass zumindest eine Position, die noch vor vier Jahren eine klare Minderheitenposition der Linkspartei gewesen ist, nämlich die Notwendigkeit der Erhöhung der Staatsquote, in dieser Bundesrepublik inzwischen mehrheitsfähig geworden ist, wenn wir auch deutlich kritisieren, dass dafür die sozial ungerechteste Variante
Das Problem dieses Koalitionsvertrages ist jedoch, dass er alle inhaltlichen Vorgaben dem Ziel der Personal- und Haushaltsreduzierung unterordnet - was da hineinpasst, kann gemacht werden, was nicht passt, fällt heraus. Damit wird eines der zentralen Anliegen der letzten Landesregierung, der Abbau staatlicher Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge, aufgegriffen.
Auch wir wissen sowohl, dass die Erhöhung der Effizienz bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben und die demografische Situation in Sachsen-Anhalt uns zu einer Reduzierung des öffentlichen Dienstes zwingen, als auch, dass es dies ermöglicht - daran wollen wir keineswegs vorbei -; aber wenn wir das realisieren wollen, dann brauchen wir wirklich eine kritische Bestandsaufnahme der Personalien in den Bereichen und nicht eine allgemeine Rechenarithmetik - 2000 weg 250 dazu -, die ich inhaltlich überhaupt nicht untersetzen kann.
Eines der charakteristischsten Merkmale der Koalitionsvereinbarung ist, dass sie bezüglich des Umganges mit dem Personal des Landes nur etwas unter dem Finanzaspekt aussagt; in der Rede von Herrn Böhmer heute wurde dazu übrigens gar nichts gesagt. Die Koalitionsvereinbarung macht deutlich: Landespersonal gleich zu viel, gleich zu teuer, gleich negatives Stigma. Sie enthält nicht ein Wort zu einer modernen Dienstrechtsreform, nicht ein Wort dazu, dass man genau dieses Personal braucht, wenn wir eine Erhöhung der Effizienz bei der Erfüllung der staatlichen Aufgaben erreichen möchten.
Es gibt jedoch eine Ausnahme: die Polizei; das ist sehr deutlich geworden. Das ist aber der einzige Bereich, bei dem die Landesregierung bisher überhaupt einmal ein Signal an die eigenen Beschäftigten dahin gehend ausgesendet hat, dass sie sie für diese Reform braucht und nicht nur unter dem Kostenaspekt stigmatisiert.
Wir stehen mit den Interessenverbänden ausdrücklich in Kontakt und werden diese Sichtweisen einbringen.
Nach dem Koalitionsvertrag ist ein Abbau von jährlich 2 000 Personalstellen zu vollziehen; demgegenüber soll es 250 Neueinstellungen pro Jahr geben. Dazu sage ich ganz deutlich: Der Abbau von 2 000 Personalstellen ist überhaupt nicht das Problem. Wir haben im öffentlichen Dienst inzwischen eine Altersstruktur, die dazu führt, dass die Mitarbeiter nach und nach aus dem Berufsleben ausscheiden.
Übrigens noch einmal Folgendes, um allen „Legenden“ vorzubeugen: Die Stellen der Beschäftigten im Landesdienst sind mehr oder weniger fast ausschließlich über Altersabgänge, die man über Altersteilzeit erreichen konnte, abgebaut worden; es gab unter keiner Regierung betriebsbedingte Kündigungen. Diese Entwicklung ist im Grunde genommen automatisch realisiert worden.
Das, was interessant ist, ist die Frage der Neueinstellungen. Diesbezüglich wurde jetzt die Zahl 250 festgelegt. Diese Zahl ist sozusagen fiskalisch begründet. Nun frage ich einmal: Wie kommt man eigentlich dazu? - Ich weiß es nicht. Interessant ist jetzt, was sich seit gestern abspielt: Der erste Minister, der Innenminister, wagt sich aus der Deckung und sagt: Ich brauche 150 Personalstellen. Nun stelle ich einmal fest: Wenn er 150 Personalstellen braucht, dann ist die Zahl von 250 noch nicht
überschritten. Nun sagt das dann auch die Polizeigewerkschaft. - In Ordnung, für die restlichen 85 % des Landes bleiben also noch 100 Personalstellen; für das nächste Jahr übrigens nur noch 90, weil die SPD gleich noch zehn Personalstellen mitgenommen hat. Also können Sie sich bitte sehr darüber streiten. Mal sehen, wann der nächste Minister mit seiner Zahl herausrückt. Diese dürfte sich dann allerdings schon an der 250erGrenze stoßen.
Wir haben bei der Polizei übrigens die gleiche Situation wie bei den Lehrern. Wir haben nicht an sich zu wenig Beschäftigte bei der Polizei, sondern wir haben in dem Bereich eine extrem ungünstige Altersstruktur. Das ist in dem Bereich des Kollegen Olbertz - er hätte vielleicht nur einfach eher da sein müssen - genauso wie bei den Polizisten; allerdings sind in dem von ihm vertretenen Bereich viermal so viele Beschäftigte wie im Bereich der Polizei.
Wie man angesichts dessen bei einer Zahl von insgesamt 250 Personalstellen landen will, das müsste mir die Landesregierung schon einmal begründen. Das kann sie aber nicht, weil die Zahl 250 nicht inhaltlich, sondern rein fiskalisch definiert ist. Da ergibt sich wiederum das Problem des Herangehens. Ob dann überhaupt noch Geld für das vorgesehene Sozialarbeiterprogramm übrig bleibt, ist fraglich; diesbezüglich sind wir außerordentlich skeptisch.
Unsere zentrale Kritik richtet sich also darauf, dass die alleinige Charakterisierung des öffentlichen Dienstes als ein zu reduzierender Kostenfaktor Zukunftssicherheit eben genau nicht herstellt, sondern verhindert. Zu wenig junge Menschen bei uns bedeuten ein mangelndes Innovationspotenzial auch im öffentlichen Dienst. Das ist ja im Grunde genommen genau das, was bei den Polizisten und auch in anderen Bereichen beklagt wird.
Das ist eine Frage der Zukunftssicherung. Da kann man eben nicht sagen: Man erreicht Zukunftssicherung durch Haushaltssanierung, stellt im Grunde genommen kaum mehr neues Personal ein und weil man das nicht tut, hat man irgendwann die Zukunft gesichert. - Nein, dadurch kann es passieren, dass man Zukunft zerstört, zumindest im Bereich des öffentlichen Dienstes und der Daseinsvorsorge.
Außerdem - das sage ich hier auch ganz deutlich - passen diese Fakten nicht zur sonstigen Beteuerung des Problems, dem negativen Wanderungssaldo junger, qualifizierter Menschen in Sachsen-Anhalt wirkungsvoll entgegenzuwirken. Auch hier offenbart sich ein Widerspruch zwischen dem erklärten Ziel einer bevölkerungsbewussten Politik und der Aussage, dass man die dafür notwendigen Mittel nicht bereitstellen will und kann.
Wir schlagen deswegen vor, dass die vielen Handlungsoptionen und Modelle, die bereits existieren, in einer Enquetekommission des Landtages diskutiert, zusammengefasst und zu einem politischen Handlungskatalog komprimiert werden.
Lassen Sie mich am Ende meiner Ausführungen auf einen Problembereich zu sprechen kommen, der uns alle
in gleichem Maße berührt: die zu geringe Akzeptanz demokratischer Institutionen und demokratischer Entscheidungsprozesse in unserem Land. Spätestens die extrem geringe Wahlbeteilung bei den Landtagswahlen ist ein zwingendes Indiz dafür, selbst wenn die Ursachen dafür sehr vielfältig sein mögen.
Zwar ist es gelungen, den Einzug von rechtsradikalen Parteien in den Landtag von Sachsen-Anhalt zu verhindern; aber wer von uns mag denn ernsthaft bestreiten, dass autoritäre Handlungsmuster kombiniert mit nationalistischen Vorurteilen unter ungünstigen Rahmenbedingungen auch bei uns im Land jederzeit politisch abrufbar sind?
Umso wichtiger ist es für uns alle, die Akzeptanz demokratischer Institutionen dadurch zu erhöhen, dass wir beweisen, dass demokratische Handlungsabläufe sehr wohl die Interessenlagen der Menschen in SachsenAnhalt berücksichtigen und umsetzen können. Dass dies in einem demokratischen Streit passieren soll, ist kein Manko, sondern der große Vorteil, den es zu nutzen gilt.
Darüber hinaus muss die Politik gegenüber der Gesellschaft deutliche Zeichen zur Stärkung der Zivilcourage und des demokratischen Engagements setzen. Besondere Unterstützung verdienen diejenigen, die sich gerade in diesem Bereich konsequent mit den Aktivitäten im Bereich des Rechtsextremismus auseinander setzen und den Opfern von Rechtsextremen Hilfe gewähren.
Dazu, Herr Böhmer, passt keineswegs eine abqualifizierende Äußerung, die diese Arbeit auf einen unliebsamen Kostenfaktor reduziert. Wir stellen uns solidarisch an die Seite derjenigen, die diese schwierige Arbeit machen und die oftmals nicht wissen, ob ihre Personalstelle im nächsten Jahr noch existiert oder ob sie im nächsten Monat noch Projektmittel bekommen.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich wäre außerordentlich froh, wenn dies kein Alleinstellungsmerkmal unserer Partei wäre und wir uns gemeinsam dafür einsetzten, dass solche Finanzierungsprogramme des Landes weiter fortgesetzt werden und die des Bundes nicht gestoppt werden.
(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Herr Tullner, CDU: Es wurde nicht um 1 € gekürzt, aber Sie reden hier so etwas!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linkspartei wird als Oppositionsführer in diesem Landtag an den politischen Inhalten die Auseinandersetzung mit der Landesregierung suchen - das ist unser Verständnis von einer konstruktiven Opposition. Wir wissen, dass wir dabei erfolgreich sein können, weil CDU und SPD mit dem Koalitionsvertrag kein Entwicklungskonzept für das Land vorgelegt haben. Diese Koalition hat keine inhaltliche Konsistenz, sie ist lediglich die politische Abbildung der Berliner Verhältnisse.
In fast allen landespolitisch entscheidenden Fragen differieren die Konzepte der Koalitionspartner maßgeblich. Das führt zum Stillstand und damit zur Fortsetzung der Politik einer abgewählten Regierung. Das schreibt uns die Aufgabe zu, konzeptionelle Lösungen in diesem Land vorzustellen, sie in der Gesellschaft zu debattieren und dadurch mehrheitsfähig zu machen. Die Chancen dazu stehen gut, in Magdeburg wie in Berlin. Sie können sich auf uns verlassen.
Herr Abgeordneter Gallert, ich danke Ihnen für Ihren Redebeitrag. - Bevor ich der Abgeordneten Frau Budde von der SPD das Wort erteile, begrüße ich Gäste von der Landeszentrale für politische Bildung und Damen und Herren aus dem Statistischen Landesamt Halle auf der Südtribüne. Seien Sie uns herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Sachsen-Anhalt auf dem Weg in eine solidarische Leistungsgesellschaft“ - so hat der Ministerpräsident seine Regierungserklärung überschrieben, die am Anfang der neuen Legislaturperiode steht. Das ist anspruchsvoll, aber doch umzusetzen. Für uns als Sozialdemokraten ist dies in einer großen Koalition mit der CDU und in Zeiten notwendiger Haushaltskonsolidierung mit Sicherheit eine ganz besondere Herausforderung.
Außerdem darf man die Globalisierung nicht außer Acht lassen - das wissen wir -, und somit potenzieren sich die Schwierigkeiten, auf alles Antworten zu geben. Klaus von Dohnanyi hat dies kürzlich etwa so beschrieben:
„Wir gehen auch heute noch von einem staatlichen und kollektiven Leistungsrahmen aus, den es so in Zukunft nicht mehr geben kann. In dem neuen offenen Haus der Völker und der emanzipierten Individuen ist die alte nationale Sozialheizung nahezu wirkungslos geworden. Man pulvert Energie in den Ofen, aber die Fenster sind eben offen und es wird nie mehr so richtig warm. Wir brauchen einen neuen Instrumentenkasten. Wir haben über viele Jahre gelernt, Sicherheiten zu verteilen. Wir müssen wieder lernen, Risiken, aber gerecht, zu verteilen.“
Ich füge hinzu: Aber ohne alle Sicherheiten infrage zu stellen und ohne die solidarischen Systeme aufzugeben. Wir brauchen in der Tat eine neue Vision von einer neuen solidarischen Leistungsgesellschaft. Ich freue mich, Herr Ministerpräsident, dass wir deshalb nicht mehr zum Arzt gehen müssen. Beim letzten Mal hatten Sie noch gesagt: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. - Nun teilen Sie diese Auffassung mit uns.
- Ja, ich weiß, Sie haben Helmut Schmidt zitiert. Aber Sie haben sich dies zu Eigen gemacht. Ich freue mich trotzdem, dass Sie gemeinsam mit uns eine Vision von einer neuen solidarischen Leistungsgesellschaft entwickeln wollen. Politik gestalten heißt, diese Vision stückweise mehrheitsfähig zu machen.
Die Etappe, die vor uns liegt, umfasst die nächsten fünf Jahre in einer großen Koalition. Der Koalitionsvertrag ist der Rahmen für die gemeinsam umzusetzenden Ziele. Er ist kein Gesetz, aber in Deutschland gilt bei aller Globalisierung noch immer der Grundsatz: Verträge sind einzuhalten.
Wenn ich kooperiere oder koaliere, muss ich ein Fundament haben, auf dem ich dies tun kann. Dieses Fundament ist für uns in den nächsten fünf Jahren der Koalitionsvertrag.
Um die Vision von einer solidarischen Leistungsgesellschaft umsetzen zu können, müssen wir drei zentrale Punkte erreichen.