Protocol of the Session on June 8, 2006

Danke sehr, Herr Bergmann. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zur Drs. Nr.5/29. Ich möchte vorausschicken, dass wir jetzt kurzfristig dem Änderungsantrag die Drucksachennummer 5/61 gegeben haben. Wir bitten aber darum, dass es vorher eingereicht wird, wenn es irgendwie geht, damit das ordnungsgemäß passieren kann, gerade wenn es um Überweisungen geht.

Es war, wenn ich das richtig gehört habe, unstrittig, dass überwiesen wird. Ich schlage vor, zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Umwelt zu überweisen; mitberatend sollen der Ausschuss für Inneres und der Ausschuss für Finanzen sein. Gibt es dagegen Protest?

(Herr Kley, FDP: Direkt abstimmen!)

- Dann müssen wir fragen. - Wer einer Überweisung an sich zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Niemand.

Dann stimmen wir direkt ab. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der FDP in der Drs. 5/61 ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die FDP-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind alle übrigen.

Dann stimmen wir jetzt ab über den Antrag in unveränderter Fassung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das sind die Linkspartei.PDS und die FDP-Fraktion.

Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 11 angekommen. Wir sind in Zeitverzug geraten. Ich schlage vor, den Tagesordnungspunkt 15 trotzdem noch zu behandeln. Erhebt sich dagegen grundsätzlicher Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung

a) Unterstützung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/37 neu

b) Auswirkungen des geplanten Gleichbehandlungsgesetzes/Antidiskriminierungsgesetzes auf Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/41

Änderungsantrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/58

Einbringer zu a) ist der Abgeordnete Herr Dr. Eckert. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahresbericht über die Gleichbehandlung und Antidiskriminierung der Europäischen Union aus dem Jahr 2004 heißt es - ich zitiere -:

„Die Kommission ist jedoch besorgt darüber, dass das europäische Antidiskriminierungsrecht in einer Reihe von Mitgliedstaaten noch nicht vollständig umgesetzt und durchgesetzt ist. Ich“

- das ist in diesem Falle die Generaldirektorin für Beschäftigung und Soziales Frau Quintin -

„fordere die zuständigen nationalen Stellen daher dringend auf, tätig zu werden, um ihren Verpflichtungen so schnell wie möglich nachzukommen.“

Das wurde vor zwei Jahren festgestellt. Damals waren die EU-Mitgliedstaaten gehalten, zwei, nicht eben vier EU-Richtlinien bis zum Ende des Jahres 2003 in ihr nationales Recht zu übernehmen. Dabei konnten sie bei der Diskriminierung wegen des Alters und einer Behinderung eine Zusatzfrist bei der Übernahme von bis zu drei Jahren in Anspruch nehmen, sofern sie die Kommission davon in Kenntnis setzten.

Die Bundesregierung legte schon im Dezember 2001 einen ersten Entwurf für ein allgemeines zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz, also eigentlich rechtzeitig und auch Raum für Diskussionen lassend, vor. Aufgrund von konträren Auffassungen im Bundesrat fiel dieser Gesetzentwurf der Diskontinuität anheim.

Ich erwähne das deshalb, weil die Umsetzung der EURichtlinien gegenwärtig unter erheblichem Zeitdruck erfolgen muss. Der Zeitplan sieht vor - so ist es Zeitungsmeldungen zu entnehmen -, dass am 16. Juni 2006 im Bundesrat erstmals über den Regierungsentwurf beraten wird. Am 23. Juni 2006 soll er in den Bundestag eingebracht werden. Der Bundesrat wird in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die zweite Lesung abhalten. Es wird dazu keine Anhörung geben; denn das Gesetz muss zum 1. August dieses Jahres in Kraft treten.

Nachdem der Europäische Gerichtshof im Februar 2006 ein Feststellungsurteil getroffen hat, droht nunmehr ein Bußgeld von mehr als 12 Millionen € sowie bis zu 900 000 € Strafe für jeden Tag weiteren Verzugs. Inso

fern bleibt festzustellen: Der Zeitdruck ist hoch und er ist selbst verursacht.

Umso unverständlicher sind nun die beispielsweise vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion, aber auch von der CDU vorgetragenen Gründe gegen das nunmehr „Gleichbehandlungsgesetz“ genannte Antidiskriminierungsgesetz. Dies ist unverständlich angesichts des Zeitdrucks, unverständlich auch angesichts der Gegenargumente, die meist Vermutungen kolportieren und nicht durch Praxiserfahrungen belegt werden können.

Was sind also die Gegenargumente? - Vor allen Dingen wird kritisiert, dass die Bundesregierung über das, was die EU-Richtlinien vorgeben, hinausgeht. Das ist richtig, das ist gewollt und das ist auch aus der gesellschaftlichen Situation heraus notwendig. Schließlich hat Deutschland noch immer erheblichen Nachholbedarf im Vergleich zu vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Dieses Hinausgehen über die Vorgaben der EU wird von der Linkspartei.PDS unterstützt. Denn nicht nur Deutschland geht über das von der EU geforderte Mindestrecht hinaus. Auch Belgien, Dänemark, Frankreich, Finnland, Großbritannien, Polen - insgesamt 13 Staaten haben weitergehende Regelungen getroffen, als es die Europäische Union vorgegeben hat.

(Herr Borgwardt, CDU: Das Organklagerecht!)

Bemängelt wird von den Kritikern, dass neben den drei in allen Richtlinien geforderten Diskriminierungsmerkmalen Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft weitere Merkmale aufgenommen wurden. Das sind Religion, Weltanschauung, Alter, sexuelle Identität und Behinderung.

In § 2 des Gesetzentwurfes der Bundesregierung sind die Bereiche aufgeführt, für die dieses Gesetz Bezug hat bzw. für die es gelten soll. Vor allem geht es dabei um den Arbeitsbereich, um Beschäftigung, Ausbildung und Aufstiegschancen. Es geht weiterhin darum, dass Benachteiligungen unzulässig sind in Bezug auf den Sozialschutz einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, in Bezug auf die sozialen Vergünstigungen, die Bildung und in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich des Wohnraums.

Zusammenfassend heißt das: Die Europäische Union differenziert. Geboten und vorgegeben ist von ihr ein zivilrechtlicher Antidiskriminierungsschutz nur in Fällen der ethnischen Diskriminierung. Dieser Schutz ist besonders weitgehend. Er ist zugleich eine Reaktion auf die Diskriminierungen in Europa in den 90er-Jahren aus diesem Grunde.

Wegen der Merkmale Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexueller Identität regelt die Europäische Union Fragen der Antidiskriminierung in dem Bereich der Beschäftigung und des Berufes, aber nicht im allgemeinen Privatrecht. Hier geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung weiter, als es die Europäische Union vorgibt. Sie greift zum Beispiel einen Vorschlag aus der Behindertenbewegung auf, die seit 1991/1992 vehement für ein Antidiskriminierungsgesetz eintritt und immer wieder mit eigenen Vorschlägen die Diskussion angeregt und nach vorn gebracht hat.

Aufgegriffen wurde von der Bundesregierung beispielsweise das Diskriminierungsverbot für Massengeschäfte

des täglichen Lebens. Solche Verträge sind dadurch gekennzeichnet, dass sie typischerweise ohne Ansehen der Person zu gleichen Bedingungen zustande kommen. Damit sind zum Beispiel die Bewirtung in Gaststätten, die Bedienung im Einzelhandel oder der Zugang zu Freizeiteinrichtungen erfasst.

In allen diesen Fällen schließen gewerbliche Anbieter den Vertrag normalerweise mit jedem Kunden, der zahlungswillig und zahlungsfähig ist. Der willkürliche Ausschluss vom Zugang zu diesen Leistungen etwa nur wegen einer Behinderung ist diskriminierend und muss unterbunden werden. Das, meine Damen und Herren von der FDP, lehnen Sie ab. Das wollen Sie nicht. Ich frage mich, was ist dagegen einzuwenden, dass diese Bereiche ebenfalls von der Antidiskriminierungsrichtlinie bzw. von dem Gesetz erfasst werden.

Kritisiert wird des Weiteren, dass Antidiskriminierungsverbände wie Gewerkschaften und Betriebsräte ein Verbandsklagerecht erhalten sollen. Die Europäische Union fordert hierzu

(Herr Borgwardt, CDU: Warum denn?)

- ich halte mich an die Europäische Union; ich zitiere -:

„Opfer von Diskriminierung sollten Zugang zu Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren im Bedarfsfall einschließlich Schlichtung haben, um ihr Recht auf Gleichbehandlung geltend machen zu können. Einrichtungen, die ein rechtmäßiges Interesse daran haben, dass die Bestimmungen der Richtlinien eingehalten werden (wie Gewerkschaf- ten oder Vertretungsorganisationen), müssen das Recht haben, Diskriminierungsopfer in allen Verfahren zu unterstützen.“

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Die Ablehnung einer derartigen Unterstützungsmöglichkeit der Gewerkschaften und der Betriebsräte wird flankiert von vermuteten und von in der Praxis durch nichts begründeten Vorbehalten, von Horrormeldungen über eine Klageflut, über eine Überlastung der Gerichte und anderes. Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, dass hier im Landtag, aber auch durch die Vertreter der Landesministerien bei den Beratungen über das Landesbehindertengleichstellungsgesetz eine Prozessfluss und ein exorbitanter Kostenanstieg beschworen wurde. Nichts dergleichen ist eingetroffen. Keine dieser Befürchtungen hat sich in der Realität bewahrheitet.

In der gesamten Diskussion wird zudem ein wichtiger Teilaspekt vergessen. In vielen europäischen Ländern gibt es zum Teil seit Jahrzehnten Antidiskriminierungsgesetze, die das Zivilrecht erfassen, beispielsweise in Großbritannien, in Irland, in den Niederlanden oder auch in Frankreich. Zugespitzt könnte ich Folgendes sagen: Diese Staaten benötigten nicht die Europäische Union, um eine Antidiskriminierungsgesetzgebung auf den Weg zu bringen. Diese Staaten benötigten nicht den Druck aus Brüssel, um für benachteiligte Menschen rechtliche Grundlagen für eine klares Diskriminierungsverbot zu schaffen, um also Menschenrechte durchzusetzen.

In diesen Ländern erfolgte eine zeitgemäße Anpassung schon vorhandener Gesetze an die Gesetzgebung der Europäischen Union. Das ist also ein normaler Vorgang. Deutschland hat in diesen Fragen - das gilt trotz dieses Gesetzentwurfes der Bundesregierung - nach wie vor erheblichen Nachholbedarf. Insofern greift die Argumen

tation, dass die Bundesregierung mehr als die Vorgaben der Europäischen Union erfüllt, nur sehr partiell. Die Linkspartei unterstützt das Ringen der Bundesregierung um die Beseitigung dieser rechtlichen Defizite ausdrücklich.

Sehr geehrte Damen und Herren! In unserem Antrag haben wir einige Aspekte, bei denen wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erheblichen Korrektur- und auch Nachholbedarf sehen, formuliert. Im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung sind beispielsweise erhebliche Ausnahmen zulässig. Dieser Umstand ist eigentlich zu ändern bzw. aufzuheben.

Die Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union besagen nichts anderes als das, was in Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages steht: Diskriminierung ist zu verbieten. Was steht nun aber in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf? - Diskriminierung ist mit Ausnahme folgender Punkte verboten. Es folgt unter anderem die Ausnahme, dass es ausreicht, einen so genannten sachlichen Grund geltend zu machen, der dann zu Diskriminierung berechtigt. Ein sachlicher Grund ist in Deutschland oft die Angabe, dass die Beseitigung der Diskriminierung zu teuer wäre. Die Europäische Union erlaubt aber eine Diskriminierung nicht, nur weil ihre Beseitigung zu teuer wäre. Dazu gehört noch ein bisschen mehr.

Hinzu kommt, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinahe keinerlei wirksame Sanktionsmöglichkeiten enthält. Durch die Europäische Union ist aber formuliert, dass für alle, die für Diskriminierung verantwortlich sind, Sanktionen gelten sollen, die - ich zitiere - „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. Hier wird die Vorgabe durch die Bundesregierung nicht umgesetzt.

(Herr Gürth, CDU: Steht doch im Gesetz!)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir miteinander reden, dann müsste uns allen klar sein, dass die Europäische Union nicht nur die Wirtschaft im Blick hat, sondern auch die Werte, die damit verbunden sind. Die Europäische Union ist heute eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern sie ist auch eine Wertegemeinschaft. Diese Werte sind, so meinen wir, eindeutig zu schützen. Für uns ist gelebte Menschenrechtspolitik auch eine Wertepolitik.

In Artikel 3 des Grundgesetzes steht schon seit dem Jahr 1949:

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“