Protocol of the Session on February 23, 2007

Sie werden es erraten: Der Einbringer ist der Abgeordnete Herr Grünert. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kommunalabgaben sind im Land Sachsen-Anhalt seit mehr als 16 Jahren Ausgangspunkt zahlreicher Gesetzesänderungen, Petitionen, Widerspruchsverfahren und Klagen. Dabei unterlag das Kommunalabgabenrecht einer Vielzahl von Veränderungen. Trotz aller Veränderungen wurde die Handhabung des Kommunalabgabenrechts immer mehr einseitig zuungunsten der Kommunen und der Bürgerschaft ausgeformt, was letztlich Spuren hinterlassen hat.

Mittlerweile gibt es kaum eine Kommune, die nicht unter dem Zwang der Haushaltskonsolidierung und aufgrund von Beanstandungen der Kommunalaufsichtsbehörden gezwungen wird, Beiträge zu erheben, obwohl sie unter Berücksichtigung des § 91 Abs. 2 Satz 2 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt einen Verzicht oder eine - bezogen auf die Wirtschaftskraft der später Abgabepflichtigen - moderate Belastung satzungsrechtlich verankert hatte.

Derzeit scheint es im Verwaltungshandeln keinerlei Grenzen zu geben, um die Bürgerschaft trotz berechtigterweise zu erbringender Eigenanteile noch umfänglicher an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen. Rückwirkende Satzungsänderungen und Beitragserhebungen sowie Modernisierungs-, Verbesserungs- und Erweiterungsbeiträge unter Ausschöpfung des höchsten Beteiligungssatzes in Höhe von 75 % sind an der Tagesordnung.

Dies führt trotz Billigkeitsmaßnahmen in vielen Fällen dazu, dass die Kreditfähigkeit besonders bei selbst genutztem Eigentum nicht mehr gegeben ist und dass Eigentum aufgegeben werden muss. Die anhängigen Petitionsverfahren sprechen diesbezüglich eine sehr klare Sprache.

Mittlerweile finanzieren die Bürgerinnen und Bürger sowohl über die Grundsteuer als auch über Gebühren und Beiträge die öffentliche Infrastruktur maßgeblich selbst, ohne aber nennenswerten Einfluss auf die Art und Weise und deren Umfang ausüben zu können. Dies entspricht unserer Auffassung nach nicht dem Solidarprinzip und widerspricht der Abgabenordnung des Bundes.

Mit der Grundsatzentscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2007 wird Kommunen erstmals zugestanden, sowohl die Erhebung von Beiträgen als auch deren Staffelung abhängig von der Wirtschaftskraft der Abgabepflichtigen in Satzungen auszugestalten. Das begrüßen wir. Wir halten eine Rechtsangleichung im mitteldeutschen Raum für sinnvoll und angeraten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Werte Damen und Herren Abgeordnete! Wir erinnern uns an die vielfältigen Debatten zu diesem Thema hier

im Landtag. Im Jahr 1999 erfolgte eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes, insbesondere der Regelung des § 6.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt ähnlich wie das Sächsische Kommunalabgabengesetz in § 26 Abs. 1 Satz 1 oder das Thüringer Kommunalabgabengesetz in § 7 Abs. 1 Satz 1 eine Kannregelung vorgesehen. Danach konnten die Gemeinden entscheiden, ob sie zur Deckung des Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtungen und Verkehrsanlagen Beiträge erheben. Von dieser Möglichkeit haben viele Gemeinden in unserem Land Gebrauch gemacht.

Im Zuge der immer stärker zunehmenden Finanzknappheit in den Kommunen kamen die Kommentatoren der Gemeindeordnung und des Kommunalabgabenrechts in Sachsen-Anhalt zu dem Schluss, dass diese Kannregelung eigentlich keine Ermessensregelung sei. Die Einnahmebeschaffungsgrundsätze, hier § 91 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt, gälten als höherrangiges Recht und gäben diesen Spielraum nicht her. Aus der Kannvorschrift sollte eine Mussvorschrift gemacht werden. Diese Interpretation führte dazu, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt mehrheitlich beschloss, diese Kannvorschrift zu streichen.

Hinzu kommt, dass in der Argumentation stets § 91 Abs. 2 Satz 2 ignoriert wurde. Der Satz lautet - ich zitiere -:

„Sie“

- die Kommune -

„hat dabei auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen.“

Dieser Grundsatz - dies ist kein Ermessensgrundsatz - wurde auch von zahlreichen Verwaltungsgerichten bei der Beurteilung des Ermessensspielraums der Gemeinderäte bei der Erhebung von Beiträgen unterschlagen. So hat das Verwaltungsgericht Dessau eine Mindestbeteiligung für Straßenausbaubeiträge bei Anliegerstraßen in Höhe von mehr als 50 % bestätigt. In der Landeshauptstadt Magdeburg wurde eine moderate Lösung durch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht Magdeburg kassiert. Die Aufzählung ähnlicher Beschlüsse könnte mit einer Vielzahl weiterer Fälle fortgeführt werden.

Aber nicht nur diese gerichtliche Beschlusslage sei hier erwähnt. Auch der Bezug auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. September 1969, welches den Grundstückseigentümern in Anlieger- bzw. reinen Wohnstraßen einen beitragsfähigen Aufwand aller Teileinrichtungen in Höhe von 75 % auferlegt, verkennt grundsätzliche Regelungen in § 91 unserer Gemeindeordnung.

Ähnlich verhält es sich auch in dem Bereich der leitungsgebundenen öffentlichen Einrichtungen. Auch in diesem Bereich scheint die Kreativität der Verwaltung ungebremst zu sein. Neben den grundsätzlichen Startschwierigkeiten der Abwasserzweckverbände - Sie erinnern sich noch an das erste und an das zweite Heilungsgesetz - ist zu beobachten, dass munter und fröhlich Anschlussbeiträge, Verbesserungsbeiträge, Gebühren mit und ohne Grundgebühr sowie eine verbrauchsabhängige Grundgebühr erhoben werden.

Es sei nochmals erwähnt: Die Bürger haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Art und Weise und den Umfang der Baumaßnahme bzw. der Gebührenhöhe.

Auch ein sparsamer Umgang mit den natürlichen Ressourcen findet immer weniger Berücksichtigung bei dieser Art der Gebühren- und Beitragserhebung. In vielen Zweckverbänden beträgt der Anteil der Grundgebühr bereits mehr als 80 % der eigentlichen Gebühr. Durch die Festlegung eines Mindestverbrauchs in Höhe von 23 m3 pro Einwohner und Jahr, egal ob der Einzelne durch sparsamen Umgang weniger verbraucht, wird ohne Rücksicht auf bestehende Gesetze abkassiert. Dadurch werden Fehler in der Geschäftsführung, Missmanagement und fehlerhafte Kalkulationsunterlagen kaschiert. So kann und darf es nicht weitergehen.

Ein besonderes Beispiel sei Ihnen an dieser Stelle zur Verdeutlichung vor Augen geführt. Es betrifft den Abwasserzweckverband Bodeniederung. Dieser Verband - er wurde übrigens auch von der ministeriellen Untersuchungskommission, kurz MUK, geprüft - erhielt durch das Land Sanierungs- und Liquiditätshilfen in Höhe von 70 Millionen €. Hinzu kamen Mittel in Höhe von 8 Millionen € aus den Gemeindekassen zur Deckung des Gebührendefizits. Darüber hinaus stehen noch nicht erhobene Hausanschlussbeiträge in Höhe von 2,2 Millionen € aus; sie sind offensichtlich nicht mehr eintreibbar. Was bleibt, ist ein Kubikmeterpreis von 5,81 € plus eine jährliche Grundgebühr von 78 € pro Wohnungseinheit. - Ein tolles Ergebnis.

Die Grundsätze der kaufmännischen Buchführung werden in diesem Zweckverband offensichtlich ebenso wenig beachtet wie der in § 5 Abs. 3 und 3a sowie § 6 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes niedergelegte Grundsatz. Von konkreten Maßnahmen der Kommunal- oder Fachaufsicht ist wenig bzw. nichts zu hören.

Dies, meine Damen und Herren, ist kein Einzelfall. Die Liste derartiger Fälle könnte allein durch anhängige Petitionsverfahren um ein Vielfaches ergänzt werden.

Bei all diesen aufgeworfenen Problemen gibt es auch im sachsen-anhaltischen Kommunalabgabenrecht die Möglichkeit, sozialverträgliche Staffelungen und Gebührenhöhen festzulegen, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht. Allein, die Praxis der kommunalaufsichtlichen Beanstandungen sowie dem entgegenstehende gerichtliche Entscheidungen verwirken die Ausnutzung dieser Möglichkeit und schränken die kommunale Selbstverwaltung ein.

Das, Herr Innenminister und Herr Fraktionsvorsitzender Scharf, ist nicht gesetzeskonform. Uns bei der strikten Anwendung des geltenden Rechts Populismus vorzuwerfen, ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt und demokratiefeindlich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Einschränkungen und Entscheidungen der Landesregierung in dem Zeitraum seit der Einführung des Finanzausgleichs im Jahr 1995 - bis zum Jahr 1995 galt das Gemeindefinanzierungsgesetz; dieses ließ im Prinzip keine Umschichtung von Mitteln aus diesem Bereich in die Landeskasse zu - und insbesondere seit dem Jahr 2002 führten zu einer Reduzierung des Mittelvolumens des allgemeinen kommunalen Finanzausgleichs um rund 1,3 Milliarden €. Diese Reduzierungen haben die finanzielle Situation der Kommunen wesentlich verschärft.

Nach der Auffassung der Landesregierung soll dieser Prozess weitergeführt werden. Beabsichtigt ist eine Absenkung des Mittelvolumens des allgemeinen kommunalen Finanzausgleichs um weitere 400 Millionen € bei gleichzeitiger Absenkung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen im Zeitraum von 2007 bis 2019 um 1,3 Milliarden €.

Nunmehr der Linkspartei.PDS Populismus zu unterstellen und ihr vorzuwerfen, sie würde den Kommunen in den Rücken fallen, entbehrt daher jeglicher vernünftiger Grundlage.

Wir stellen nur fest, dass die frühere Verfahrensweise, nämlich Haushaltsdefizite der Kommunen aufgrund der Kürzung von Landeszuweisungen über Gebühren und Beiträge der Bürgerinnen und Bürger zu kompensieren, nicht mehr umsetzbar ist und gegen das geltende Recht verstößt.

Die Umsetzung der in unserem Antrag erhobenen Forderung würde die Kommunen und ihre Räte in ihrer seit mittlerweile 30 Jahren bestehenden Forderung nach einer gerechten Aufgabenfinanzierung durch den Bund und das Land - gemeint ist eine tatsächliche Gemeindefinanzreform - stärken.

Mit der vorliegenden Grundsatzentscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2007 wird Kommunen - ich habe es bereits gesagt - erstmals zugestanden, das Recht der kommunalen Selbstverwaltung auch vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung auszugestalten. Dies sollte auch im Land SachsenAnhalt Berücksichtigung finden.

Wir befinden uns in einem Standortwettbewerb mit den Freistaaten Thüringen und Sachsen. Es ist daher niemandem zu erklären, warum in Bad Kösen Beiträge für leitungsgebundene Einrichtungen erhoben werden, im benachbarten Bad Salza jedoch nicht, oder warum in Bitterfeld für Anliegerstraßen Ausbaubeiträge in Höhe von 75 % erhoben werden und im benachbarten Delitzsch nur in Höhe von 10 %. Insofern gewinnt die Grundsatzentscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts auch über die Grenzen des Landes Sachsen-Anhalt hinweg an Bedeutung.

Aus diesem Grund bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, der eine Berichterstattung im Innenausschuss zum Umgang mit der Grundsatzentscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Bautzen zum Inhalt hat.

Der Änderungsantrag der Regierungskoalition lässt in seiner politischen Zielstellung vieles offen. Sollte er die Mehrheit finden, wird sich unsere Fraktion der Stimme enthalten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke, Herr Grünert, für die Einbringung. - An dieser Stelle hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Bitte, Herr Innenminister Hövelmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, dass wohl das Urteil bekannt ist, dass aber noch niemand die Begründung kennt.

(Zustimmung von Herrn Wolpert, FDP)

Es gibt also bis zum heutigen Tag keine schriftliche Begründung zu dem Urteil des Oberveraltungsgerichts des Freistaates Sachsen. Bevor wir uns anmaßen, eine Bewertung der Rechtsprechung anderer Bundesländer bezogen auf die Gesetzeslage in Sachsen-Anhalt vorzunehmen, sollten wir zumindest abwarten, womit die Rechtsprechung begründet wird und wie sich die Gerichtsentscheidung aus der sächsischen Gesetzeslage herleitet, die eine andere ist als die sachsen-anhaltische Gesetzeslage - so haben Sie, Herr Grünert, es auch vorgetragen.

(Beifall bei der CDU)

Die Berichterstattung im Ausschuss für Inneres wäre bei der Vorlage der Entscheidung und der entsprechenden Begründung des Gerichts ohne Zweifel sofort möglich, auch die Diskussion darüber und die Bewertung dessen, ob dies gegebenenfalls Auswirkungen auf die Rechtslage in Sachsen-Anhalt hat.

Die Rechtslage in Sachsen-Anhalt ist eindeutig. Sie, Herr Grünert, haben es korrekt zitiert: In Sachsen-Anhalt sind Straßenausbaubeiträge zu erheben.

Wenn Sie aber sagen, der Vorwurf, Ihr Vorschlag sei populistisch, sei deshalb nicht gerechtfertigt, weil Sie meinen, es ginge um eine andere Auslegung des Gesetzes, dann kann ich nur sagen: Schauen Sie sich bitte einmal Ihren Antrag an. Darin wird nicht von der Auslegung des Gesetzes in Sachsen-Anhalt gesprochen, sondern von der Rechtsangleichung. Damit ist die Veränderung des Gesetzes in Sachsen-Anhalt gemeint.

Dazu sage ich Ihnen: Das, was Sie vortragen, ist populär - ich begründe das auch gleich -, weil volkstümlich, und es ist populistisch, weil sie den Menschen damit suggerieren, dass künftig weniger oder gegebenenfalls gar keine Beiträge zu entrichten sein würden, ohne dass Sie den Menschen sagen, wer dann die Beiträge und die entsprechenden Mittel aufbringt, um die Investitionen tätigen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Es geht auch darum, dass wir als Land Sachsen-Anhalt die Verantwortung dafür haben, dass die Beitragserhebungspflicht nicht aufgeweicht wird, und zwar nicht etwa deshalb, weil wir den Menschen gern in die Tasche greifen wollen, sondern weil die Frage beantwortet werden muss, wer für die nicht fließenden Einnahmen dann aufkommt.

Es gibt zwei Alternativen. Die eine Alternative ist: Es wird keine Investition mehr getätigt. Dann braucht es auch niemand zu bezahlen. Ich weiß nicht, ob dies das ist, was Sie wollen.

Die zweite Alternative ist: Die Gemeinde trägt höhere Kosten oder sie trägt die vollständigen Kosten allein. Dann muss man allerdings die Frage stellen und auch beantworten: Womit? Woher sollen die Mittel genommen werden?

Auch wenn man der Auffassung ist, dies solle durch zweckgebundene Zuweisungen des Landes SachsenAnhalt ausgeglichen werden - das wollen Sie ja auch nicht -, brauchten wir einen entsprechenden Lösungsvorschlag, aus dem hervorgeht, woher das Geld genommen werden soll.