Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal Entschuldigung, Herr Kollege Kosmehl. Ich habe nicht geahnt und auch nicht gespürt, dass Sie mir im Nacken sitzen, als ich Sie in der Einbringungsrede ansprach.
Ich möchte noch einmal auf die Überschrift der Pressemitteilung von Herrn Gürth „EU-Dienstleistungsrichtlinie - Umsetzung auf gleichem Niveau gefordert“ eingehen. Herr Gürth, das ist richtig. Wir sagen nur: Wenn wir merken, dass ein Ungleichgewicht entsteht, dann sollten wir als Bundesland unsere Möglichkeiten nutzen, um das bis Ende 2009 wieder auszutarieren; denn nur so können wir unserer Meinung nach alle Menschen innerhalb der EU mitnehmen.
Wenn Sie schreiben, dass man auch gegen unseriöse Firmen, die mit Lohn-, Sozial- und Umweltdumping die Arbeitsplätze in Deutschland gefährden können, vorgehen muss, weil man die Dienstleistungsrichtlinie derart gestalten muss, dann sage ich: Aha, das gilt aber auch im Inland. Dann müssten Sie eigentlich mit mir für den gesetzlichen Mindestlohn streiten wollen.
Es ist schon eine Differenz zwischen SPD und FDP vorhanden, allerdings nur in der Wahrnehmung. Herr Tögel sagte, es sei ein guter Kompromiss. Professor Paqué sagte eben, er sei verwässert und gehe ihm nicht weit genug. Das verstehe ich aus seiner Sicht.
Deswegen verstehe ich auch die Metamorphose der FDP bei diesem Vorgang. In der ersten Lesung im Europaparlament haben Sie es mit uns gemeinsam abgelehnt. Ihnen ging es nicht weit genug; uns war es viel zu scharf - deswegen unsere Ablehnung. Jetzt muss es Ihnen aber ausreichen; denn die zweite Lesung hat ergeben, dass die FDP dem zugestimmt hat. Okay, man lernt noch dazu.
Wenn wir die Ausgewogenheit zwischen Wirtschaft und Sozialem und das mit der Herzenssache erwähnen wollen: Wir sprechen immer von Wirtschafts- und Sozialpartnern - dann darf ich den einen Partner aber nicht so vor das Knie treten, dass er einknickt, sodass es zu einem Ungleichgewicht kommt. Wir müssen zusehen - Herr Tögel, darin stimmen wir überein -, dass wir die Zeit nutzen, um wirklich dafür zu sorgen.
Im Jahr 2009 - das ist nicht mehr sehr lange hin - wird wieder ein neuer Bundestag gewählt. Wir wissen, dass es davor Zeiträume gibt, in denen man nichts tun kann, weil man im Wahlkampf ist. Sobald der Wahlkampf zu Ende ist und es ein Ergebnis gibt, muss man sich erst finden. Und bis man sich zusammengerauft hat, vergeht ein wenig Zeit.
Der Minister hat in seinem Beitrag bereits bürokratische Hemmnisse angesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir garantiert viele Sachen vor dem Europäischen Gerichtshof werden ausstreiten müssen. Hierzu sage ich: Das ist kein Abbau von bürokratischen Hemmnissen, sondern das hemmt den Prozess.
Auch wenn Sie, Herr Minister, mit dem Begriff „Diskriminierung“ nicht umgehen wollen, so sehe ich es schon als eine Schlechterstellung an. Es ist ein Unterschied, ob wir uns in der Bundesrepublik um einen gesetzlichen Mindestlohn in der Größenordnung von 7,50 € bzw. 8 € - das ist unsere Forderung - streiten oder ob wir den erwähnten durchschnittlichen Lohn von 0,88 € bzw. 1 € in den zwei neuen Beitrittsnationen Bulgarien und Rumänien betrachten.
Das Grünbuch werden wir natürlich im Auge behalten. Auch dabei gilt: Wenn der Evaluierungsbericht bis Ende 2010 vorliegen muss, dann trifft uns durch die Bundestagswahl eine Verengung des Zeitfensters.
Herr Professor Paqué, Sie sprachen den Verstand für die Wirtschaft an. Wenn Sie meine eingeschränkte Sichtweise als Landwirt akzeptieren - in dem Begriff „Landwirtschaft“ kommt das Wörtchen „Wirtschaft“ vor -, dann bin ich schon sehr zufrieden.
Zum Verfahren würde ich Folgendes vorschlagen: Wir stimmen über die beiden Anträge, in denen wir eine Berichterstattung fordern, direkt ab, sodass die Berichte in den betreffenden Ausschüssen gegeben werden können. Das betrifft mehrere Ausschüsse.
Da der Minister die Bund-Länder-Arbeitsgruppe betont hat, muss neben einer Überweisung an den Wirtschaftsausschuss auch eine Überweisung an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten erfolgen. Außerdem sollten auch die anderen fünf von mir genannten Ausschüsse das Thema behandeln, um es breit zu bearbeiten und dann, unserer Forderung entsprechend, in der Bevölkerung offen darüber zu diskutieren, um die Ablehnung zu reduzieren. - Vielen Dank.
Herr Czeke, es geht nicht darum, die Themen in den anderen Ausschüssen nicht zu behandeln. Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir, da wir über diese Anträge, deren Zielrichtung eine Berichterstattung ist, nicht direkt ab
stimmen wollen, sondern sie überweisen wollen - das haben bisher alle Redner gesagt -, in den Ausschüssen derzeit überhaupt keine Berichterstattung entgegennehmen können?
Die Berichterstattung kann erst dann erfolgen, wenn wir diese Anträge in zweiter Lesung im Landtag behandelt haben und uns darüber verständigt haben, welchen Ausschüssen Bericht erstattet werden soll.
Hierbei geht es einfach nur um das geschäftsordnungsmäßige Verfahren und noch nicht um die Berichterstattung an die Ausschüsse im eigentlichen Sinne. Deswegen lautet mein Vorschlag, diese Anträge zunächst lediglich im Wirtschaftsausschuss zu behandeln und uns dort darüber zu einigen, in welchen Ausschüssen tatsächlich ein Bedarf für die Berichterstattung besteht. Eine Überweisung an die anderen Ausschüsse ergibt aus meiner Sicht keinen Sinn, weil wir uns erst einmal über das Verfahren verständigen müssen.
Wir wollen aber die Berichterstattung, weil sich die Anträge dahin gehend unterschieden, dass wir die Auswirkungen erfragt haben, während die Koalitionsfraktionen eine Berichterstattung an den einen Ausschuss anstreben. Wir wollen es deutlich detaillierter. Deswegen beantragen wir die direkte Abstimmung über die Anträge. Wenn das Hohe Haus dem nicht folgt, dann gibt es immer noch die Notkompromissvariante, wie Sie sie eben beschrieben haben.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass zu dieser Debatte auch der Abgeordnete des Europaparlamentes Herr Dr. Schnellhardt bei uns im Landtag ist, der auch ein Stück weit im Parlament mitgewirkt hat.
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist zweifelsohne ein Kompromiss. Die unterschiedlichen Interessen mussten abgeglichen werden. Es wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob sie letztlich etwas für Hoffnungsträger ist oder für Angstgegner oder ob die ganze Richtlinie nur ein Papiertiger ist.
Waren- und Kapitalmärkte sind in der Europäischen Union bereits weitgehend liberalisiert. Auch für Dienstleistungen gibt es bereits seit längerem einen EU-Binnenmarkt. Dort gelten aber immer noch viele nationale Barrieren.
In Rom dürfen nur einheimische Reiseführer einen Touristenbus durch die Stadt begleiten. Eine deutsche Aufzugsfirma, die im benachbarten Frankreich einen Lift warten will, muss ihre Techniker eine Woche vorher bei den Behörden anmelden. Einem Malermeister aus Aachen, der gleich hinter der Grenze das Treppenhaus einer belgischen Firma streichen sollte, erklärte die belgische Gewerbeaufsicht, er müsse seine Farbeimer in
Mit Schikanen dieser Art soll Schluss sein, wenn die EUDienstleistungsrichtlinie kommt. Jeder, der in seinem Heimatland ordnungsgemäß ein Gewerbe ausübt, darf seine Dienstleistungen auch im EU-Ausland anbieten, ohne dort gleich eine Niederlassung gründen zu müssen. Handwerker, Architekten, Softwareexperten, Personalberater, Reisebüros, Autovermieter und viele mehr stießen bislang, wenn sie grenzüberschreitend Geld verdienen wollten, immer wieder auf Fallstricke, die nicht selten erst der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zu lösen hatte.
In dem Wunsch, ein Maximum an bürokratischen Hürden abzubauen, wollte die EU-Kommission festschreiben, dass jeder Dienstleister, der vorübergehend grenzüberschreitend tätig wird, ausschließlich an die Regeln seines Heimatlandes gebunden ist - das Herkunftslandprinzip.
Ob der Handwerker, wie in Deutschland, in die Handwerksrolle eingetragen sein muss, welchen Ausbildungsabschluss ein Statiker nachzuweisen hat, um die Stabilität von Dachkonstruktionen berechnen zu dürfen, in welchem Umfang sich ein Gasinstallateur haftpflichtversichern muss - all dies sollte sich ausschließlich nach dem Recht seines Herkunftslandes richten. Das löste - wie ich finde, zu Recht - Misstrauen aus. Es gab einen breiten Proteststurm gegen das Herkunftslandprinzip. Nach zweijährigem Tauziehen hat es den Kompromiss gegeben, dass das Herkunftslandprinzip aufgegeben wurde.
Die beiden großen Fraktionen im Europaparlament haben einen Kompromiss gefunden, den die zuständige Berichterstatterin sinnbildlich wie folgt formulierte: Wenn ein Busunternehmer einen Führerschein hat und einen in einem EU-Land zugelassenen Bus fährt, dann soll er diesen Bus in der ganzen EU fahren dürfen. Wenn er allerdings von Deutschland nach Großbritannien fährt, wird er dort natürlich nicht nach dem Herkunftslandprinzip rechts fahren, sondern er muss die dortigen Regeln des Linksverkehrs einhalten. Es wird also unterschieden zwischen der Zulassung zum Gewerbe im Herkunftsland und der Ausübung im Zielland.
Bei Aufträgen, die für Privatkunden erbracht werden, hatte man ohnehin nie an das Herkunftslandprinzip gedacht. Zusätzlich werden Wirtschaftsbereiche, die als heikel gelten, von dem Wirkungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Dazu gehören der gesamte Gesundheitsbereich und damit zum Beispiel auch Pflegedienste und soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung, das öffentliche Erziehungswesen, Leiharbeit sowie Spezialsektoren wie Werttransporte oder Glücksspiele.
Unangetastet bleibt die Rechtslage bei Bereichen wie öffentlicher Nahverkehr, Postdienste, Energie- und Wasserversorgung. Ob und wie weit diese Bereiche für Wettbewerb und Privatisierung geöffnet werden, regeln andere EU-Richtlinien.
Es bleibt die große Frage von Löhnen und Preisen. Wer als Selbständiger oder Freiberufler seine Dienstleistung grenzüberschreitend anbietet, der entscheidet selbst, welcher Preis ihm dafür angemessen erscheint. Wer hingegen seine abhängig Beschäftigten über die Grenze in ein EU-Land schickt, für den gilt die EU-Entsenderichtlinie. Diese sorgt dafür, dass zumindest der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden muss. In Deutschland greift
Angesichts so vieler Ausnahmen und Einschränkungen sind diejenigen, die sich von der Dienstleistungsrichtlinie einen Schub für das Wachstum und für den Arbeitsmarkt versprochen hatten, enttäuscht. Umgekehrt scheinen aber auch viele Befürchtungen, die die Gegner der Richtlinie ins Feld führten, kaum noch begründet zu sein. Ich persönlich glaube, wir brauchen einen besser funktionierenden Binnenmarkt und wir brauchen auch diese Richtlinie.
- Wir brauchen keinen gesetzlichen Mindestlohn, der einheitlich, über alle Branchen hinweg definiert, was gezahlt werden muss. Ich halte das für völlig falsch und für nicht zielführend.
International erfolgreiche deutsche Unternehmen schaffen auch im Inland Jobs, allen voran die Dienstleister. Das ermittelte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag im Ergebnis der Sonderauswertung seiner Studie „Going International“. Die Erhebung zeigt, dass die auslandsaktiven Dienstleister mit einem Beschäftigungssaldo von 26 Prozentpunkten weit vor der exportorientierten deutschen Industrie liegen, deren Beschäftigungssaldo gerade einmal elf Prozentpunkte beträgt. Aber auch auf Umsatz und Gewinn hat das Auslandsengagement von Dienstleistungsunternehmen positive Auswirkungen.
Allerdings wagen sich bisher nur vergleichsweise wenige deutsche Serviceunternehmen mit ihrem Angebot über die Landesgrenzen hinaus. So hat die Dienstleistungswirtschaft mit mehr als 70 % zwar einen gewaltigen Anteil an der gesamten binnenwirtschaftlichen Wertschöpfung, ihre Leistungen machen aber nur 13 % bis 14 % der deutschen Exporte aus.