Als sich abzeichnete, dass die Umsetzung der Richtlinie des Europarates vom 29. April 2004 in nationales Recht durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union nicht rechtzeitig vor dem 6. August 2006 erfolgen würde, hat das Ministerium des Innern mit Erlass vom 3. August 2006 den bis dahin geltenden Erlass für Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution aus dem Jahr 2000 unter Berücksichtigung der angesprochenen EURichtlinie neu gefasst.
Der Erlass sieht für Betroffene eine Bedenkzeit von regelmäßig vier Wochen vor, die es ermöglichen soll zu entscheiden, ob sie mit den Strafverfolgungsbehörden in unserem Land kooperieren möchten. In Einzelfällen kann auch eine längere Bedenkzeit eingeräumt werden. Darüber hinaus ist im Falle aufenthaltsbeendender Maßnahmen zusätzlich eine für die Ausreise angemessene Frist zu setzen. Opfer, die sich für eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden entscheiden, erhalten eine zunächst auf sechs Monate befristete Aufenthaltserlaubnis.
Auch die Diskussionen in den Ausschussberatungen belegen, dass es uns hiermit gelungen ist, eine ausgewogene Regelung aufzustellen. Einerseits kann den Opfern
von Menschenhandel und Zwangsprostitution in einer außerordentlich schwierigen persönlichen Situation Unterstützung und Zeit zum Nachdenken gewährt werden. Andererseits wird auch dem Anliegen der Strafverfolgungsbehörden, zu einer schnellen Entscheidungsfindung zu kommen, Rechnung getragen.
Die vielfältigen positiven Reaktionen auf den Erlass, auch über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts hinaus, stimmen zuversichtlich. Konkrete Probleme im Zusammenhang mit der Neuregelung des Erlasses sind mir nicht bekannt geworden.
Insgesamt ist festzustellen, dass das Land SachsenAnhalt hier gut aufgestellt ist und dass sich die Regelungen als praktikabel erwiesen haben. Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es erfreulich, dass der Landtag unter Punkt 1 der vorliegenden Beschlussempfehlung den Erlass ausdrücklich begrüßen will.
Ich werde die Regelung zu gegebener Zeit im Ministerium des Innern einer Evaluation unterziehen und bin auch gern bereit, über die Ergebnisse der Prüfung im Innenausschuss und im Sozialausschuss zu berichten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass sich die Mitglieder des Landtags von SachsenAnhalt als Sachwalter der Interessen dieser Frauen verstehen. Ich komme diesem besonderen Informationsbedürfnis gern nach.
Zu Punkt 2 der Beschlussempfehlung ist festzustellen, dass der Entwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes des Bundes, mit welchem auch die Umsetzung der angesprochenen EU-Richtlinie vom 29. April 2004 erfolgen soll, demnächst dem Bundeskabinett vorgelegt werden soll. Im Anschluss findet das parlamentarische Verfahren statt. Nach unserer Kenntnis wird angestrebt, das Gesetz im Mai 2007 in Kraft treten zu lassen. Für eine zügige und inhaltsgleiche bundesgesetzliche Umsetzung werde ich mich wie bereits im Rahmen der bisherigen Länderbeteiligung weiterhin gern verwenden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir abschließend noch eine Information. Seit dem Jahr 2000 wurden im Land Sachsen-Anhalt insgesamt 185 Fälle der Ausbeutung von Prostituierten, der Zuhälterei und des Menschenhandels mit 229 Opfern in der polizeilichen Kriminalstatistik registriert. 36 zur Zusammenarbeit bereite ausländische Opfer wurden von Polizeidienststellen des Landes Sachsen-Anhalt an die Fachberatungsstelle „Vera“ vermittelt. Gegenwärtig werden acht Klientinnen betreut. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der Fraktion der Linkspartei.PDS. Bevor ich Frau Bull das Wort erteile, habe ich die Freude, auf der Südtribüne Seniorinnen und Senioren aus Quedlinburg begrüßen zu dürfen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte selbstverständlich keiner Fraktion unterstellen, dass sie das Thema nicht
ernst nähme. Und doch muss ich feststellen, dass bei der Gewichtung des Problems in der Palette anderer Interessen, die sich legitimerweise auftun, sehr große Unterschiede hervorgetreten sind. Einen Kompromiss, Herr Innenminister, kann ich persönlich nicht erkennen.
Spätestens in der Anhörung, die der Sozialausschuss und der Innenausschuss gemeinsam durchgeführt haben - Herr Madl hat es erwähnt -, hat sich ein Spannungsfeld offenbart. Auf der einen Seite gibt es ein humanistisches Anliegen, das den Betroffenen die Möglichkeit der Erholung, die Möglichkeit eines Sich-Findens einräumen soll, auf der anderen Seite gibt es die ebenfalls legitimen Interessen der Strafverfolgungsbehörden.
An dieser Stelle muss hinzugefügt werden: Es muss auch im Interesse der Strafverfolgungsbehörden liegen, sich den Problemen der Betroffen zuzuwenden; denn die Zahlen, die der Innenminister genannt hat, sind nicht unbedingt ein Beleg für Erfolg in diesem Bereich - immer vorausgesetzt, es ist auch ihnen ein gewichtiges Anliegen, dass Straftätern auch in diesem Bereich das Handwerk gelegt wird.
Einer der Dreh- und Angelpunkte in den Beratungen der beiden Ausschüsse war die Frage: Wie soll eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist ausgestaltet werden? Das ist nicht der einzige Punkt - das will ich am Rande erwähnen -, der nach unserer Auffassung unbedingt zu berücksichtigen wäre, aber es ist derjenige, der - um es einmal vorsichtig zu sagen - am ehesten in die Nähe eines Konsenses kommt, wenngleich das Wort „Nähe“ über vorhandene grundsätzliche Differenzen hinwegtäuscht. Einig sind wir uns lediglich darin, dass es eine entsprechende Frist geben muss.
Wozu also eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist für ausreisepflichtige Personen, die vom Menschenhandel betroffen sind? - Hierbei geht es darum, meine Damen und Herren, dass sich die Betroffenen - es sind in der Regel Frauen - zunächst einmal von den Torturen erholen können. Ich vermute einmal, wir alle haben keine Vorstellung davon, was mit Menschenhandel und Zwangsprostitution für die betroffenen Personen verbunden ist.
Es ist meist eine umfängliche Beratung nötig. Die betroffenen Frauen kommen meist aus völlig anderen Kulturen. Das heißt, positive Erfahrungen mit Behörden, mit der Polizei kennen sie nicht. Es sind unzählige Handlungsschritte nötig: die Klärung der ausländerrechtlichen Position, die Sicherstellung des Lebensunterhaltes, die Regelung der eigenen Unterkunft, die medizinische Versorgung usw. usf. Das braucht Zeit.
Und es muss - ich vermute, das ist das für die Strafverfolgungsbehörden Entscheidende - eine Entscheidung getroffen werden: Wollen die Frauen im Rahmen des Strafermittlungsverfahrens und vor Gericht aussagen oder wollen sie das eben nicht?
Die Frage, die sehr unterschiedlich beantwortet wird und wurde, ist die Frage: Welcher Zeitraum ist dafür nötig? - Expertinnen und Experten, Spezialisten, die Erfahrungen in der Szene haben, sagen: Aus humanitären Gründen sind drei Monate nötig. Es ist aber in der Tat so, dass es Kollisionen geben kann mit den Interessen der Strafverfolgungsbehörden oder - sagen wir es besser so - mit den Regeln der hiesigen Strafprozessordnung.
Dennoch - ich habe es am Anfang schon gesagt - müssten eigentlich auch die Strafverfolgungsbehörden ein gewichtiges Interesse daran haben, die Rahmenbedin
Das heißt, mit der reinen Lehre in der Argumentation der Staatsanwaltschaft - so habe ich sie empfunden - ist selbige eben nicht sehr weit gekommen und auch nicht umwerfend erfolgreich gewesen. Es scheint also nur Sinn zu ergeben, wenn man sich aufeinander zu bewegt.
Die Generaldirektion für Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Kommission hat eine Expertinnenkommission eingesetzt, die im Verlaufe ihrer Debatten in der Tat zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Stabilisierungsfrist von drei Monaten notwendig ist. Sie setzt sich für eine Umsetzung dieser Frist von drei Monaten in nationales Recht ein.
Ich gehe davon aus, dass dieser Bericht nicht unbedingt unter Abwesenheit juristischer Sachkenntnis zustande gekommen ist. Es sind also Kompromisse denkbar und es ist auch ein Umdenken möglich.
Ich möchte auch ganz klar sagen, was mich ärgert: Der Innenausschuss lässt - zumindest laut vorläufigem Protokoll - die Argumentation der - in Anführungsstrichen - anderen Seite völlig außer Acht. Auch das Votum des Sozialausschusses hat - zumindest ist es so dem Protokoll zu entnehmen - niemanden sonderlich interessiert.
Mit Verlaub: Der Verweis darauf, dass eine großzügige Auslegung der Einmonatsfrist möglich und wünschenswert sei, meine Damen und Herren, gehört wohl eher in das Reich der Schutzbehauptungen.
Meine Damen und Herren! Außer der Tatsache, dass - so hoffe ich - nunmehr nicht mehr von „Ausreisefrist“, sondern von „Bedenk- und Stabilisierungsfrist“ die Rede ist - denn das benennt es als das, was es ist; es ist keine Ausreisefrist im eigentlichen Sinne -,
kann ich persönlich und kann meine Fraktion nicht erkennen, dass wir irgendeinen Schritt nach vorn gekommen wären. Selbst Punkt 2, meine Damen und Herren, geht am Problem vorbei. Denn in der EU-Richtlinie, die Sie inhaltsgleich übernehmen wollen, ist die Frage der Zeit gar nicht geregelt. Sie würden sich also einen Storch braten, wenn Sie sie inhaltlich übernehmen würden. Das ginge am Problem vorbei.
Zu Punkt 1 sage ich Ihnen: Das Aktivwerden des Innenministers ist in Ordnung, aber um das zu begrüßen, müssen Sie nicht unbedingt unsere Zustimmung haben. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Beschlussempfehlung des Innenausschusses ist - Herr Madl hat es gesagt - mit neun Jastimmen bei Enthaltung der Kollegen der Linkspartei.PDS zustande gekommen.
Wir empfehlen dem Landtag zu begrüßen, dass die Landesregierung per Erlass eine Regelung getroffen hat, um den Anforderungen der EU-Richtlinie bereits vor dem InKraft-Treten einer bundesweiten gesetzlichen Regelung Rechnung zu tragen. Das ist kein leeres Begrüßungsritual; vielmehr ist es so, dass das Land Sachsen-Anhalt bis heute das einzige Bundesland ist, in dem es eine die EU-Richtlinie umsetzende Regelung gibt.
Darüber hinaus sieht die Beschlussempfehlung den Auftrag an die Landesregierung vor, sich auf der Bundesebene für eine zügige und inhaltsgleiche bundesgesetzliche Umsetzung der EU-Richtlinie einzusetzen. Das hätte im Bund schon bis zum August 2006 geschehen müssen.
Frau Kollegin Bull, ich verstehe Ihre Enttäuschung darüber, dass der Innenausschuss dem in der Tat einstimmigen Votum des Sozialausschusses nicht gefolgt ist, den Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution für ihre Entscheidung bei der Frage, ob sie sich als Zeugen zur Verfügung stellen, regelmäßig eine Bedenkfrist und damit ein Aufenthaltsrecht von drei Monaten einzuräumen.
Wir haben es hierbei mit einem fraktionsübergreifenden Dissens zwischen den Sozial- und den Innenpolitikern zu tun. Die einen haben vor allem den Opferschutz im Auge, die anderen die Strafverfolgung, die aber - das nehme ich für mich in Anspruch - durch ihre spezial- und generalpräventive Wirkung mittelbar auch dem Opferschutz dient.
Wir haben uns im Innenausschuss mit unserer Beschlussempfehlung über das Votum des Sozialausschusses also nicht leichtfertig hinweggesetzt. Wir sind einfach im Ergebnis der Anhörung zu einer anderen Einschätzung gelangt als die Sozialpolitiker.
Ich darf einige Äußerungen aus dem Protokoll der Anhörung, die ja öffentlich war, wiedergeben. Der Generalstaatsanwalt Herr Konrad hat auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in Haftsachen verwiesen. Er sagte:
„Da sich die eines schweren Menschenhandels und einer Zwangsprostitution Verdächtigen in der Regel in Untersuchungshaft befinden, dürfte angesichts der geltenden strafprozessualen Rechtslage ein Zuwarten auf eine Aussagebereitschaft der potenziellen Zeugen von mehr als vier Wochen, so sehr das aus humanitären Gründen wünschenswert wäre, von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Haftsachen kaum hingenommen werden.“
Auf eine Nachfrage der Kollegin Bull hat der Generalstaatsanwalt bekräftigt, die Bedenkfrist solle höchstens vier Wochen betragen.
Der Vertreter des Landeskriminalamtes, Kriminaldirektor Knöppler, hat in der Anhörung gesagt, eine generelle Bedenkzeit bezüglich der Aussagebereitschaft solle nicht zu lang bemessen sein. Die derzeit geltende Frist von vier Wochen sei in den meisten Fällen ausreichend. Bei einer längeren Bedenkzeit könnten die Strafverfahren, die sich beweisseitig hauptsächlich auf die Aussagen der Opfer stützten, unangemessen verzögert werden.
Ich darf hinzufügen: Es gibt die strafprozessuale Beschleunigungsmaxime, um auch zu verwertbaren Ermittlungsergebnissen zu kommen. Diese hierbei zu sehr aufzuweichen, würde den Erfolg der Ermittlungen sehr gefährden.
Es gab in der Tat in der Anhörung auch Stimmen zugunsten einer längeren Bedenkzeit. Der Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen hat argumentiert, die Einräumung einer dreimonatigen Bedenkzeit erleichtere auch den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit, da die Chance der Identifizierung eines Opfers von Menschenhandel und damit die Möglichkeit der Gewinnung der Zeugenaussage erhöht wird. Auch der Deutsche Frauenrat hat eine Bedenkzeit von mindestens drei Monaten gefordert.