Protocol of the Session on January 25, 2007

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Unser Staatsminister hat in einer Ausschussberatung einmal gesagt, dass sich das Partizipieren Sachsen-Anhalts leider in geringen Ausmaßen hält. Twinning-Projekte sind gut und richtig. Aber bei der wirtschaftlichen Aktivität darf ich nicht nur die Bundesrepublik sehen; denn das Thema ist: Chancen für Sachsen-Anhalt.

Wir hätten das Know-how, wenn ich einmal an die landwirtschaftliche Urproduktion denke, wenn ich an die toll aufgestellte Ernährungswirtschaft denke, die wir gerade erst am Sachsen-Anhalt-Tag am Montag gesehen haben. Auf diesem Gebiet könnten wir Know-how transferieren.

(Zuruf von Herrn Schulz, CDU)

Mir ist bei meinem ersten Besuch in Litauen gesagt worden - auch wenn die mittlerweile seit längerer Zeit Mitglied der EU sind -, wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe. Wir wollen nicht - so waren ihre Ausführungen damals - 25 Jahre lang mit eurem deutschen Joghurt versorgt werden, sondern wir wollen die Molkerei hier; wir wollen unsere Menschen in Arbeit bringen. - Das ist ja völlig okay.

Die Erweiterung ist vielmehr ein politisches Mittel, um ökonomische Verwertung rechtlich abzusichern. Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens schließt die Europäische Union ihre Erweiterung nach Osten vorerst ab.

Im Mai 2004 - hierzu möchte ich anmahnen, es liegt noch keine Veröffentlichung der Erfolge der Erweiterung vor - sind zehn vorwiegend osteuropäische Staaten der Union beigetreten. Schon diese Beitrittsrunde hat die Spannungen und Ungleichheiten innerhalb der EU verschärft. Die Landwirte wissen, wovon ich hier spreche. Die Aufnahme der beiden neuen Mitglieder wird diesen Prozess verstärken, sind doch beide Länder die ärmsten der EU-Mitgliedstaaten.

(Herr Tullner, CDU: Noch!)

Im Mai 2004 wurde unter der irischen Ratspräsidentschaft noch ein Gipfeltreffen und ein opulentes Fest für die „Neuen“ ausgerichtet. Diesmal gab es nicht einmal das. Für die Nato sind Rumänien und Bulgarien gut genug. Die Mitgliedschaft im EU-Klub wird da schon zaghafter begrüßt, obwohl es immerhin schon seit dem Jahr 1993 Assoziierungsabkommen mit der EG gab.

Eine Mitgliedschaft Rumäniens in der EU liegt jedoch nicht nur in dessen innenpolitischem Interesse. Das Land ist mit seinen bedeutenden materiellen und menschlichen Ressourcen nicht nur ein großer potenzieller Absatzmarkt. Rumänien ist auch ein wichtiger geostrategischer Faktor an der Donaumündung und am Schwarzen Meer. Es ist aus unserer Sicht ein unverzichtbarer Anker der Stabilität in der Nachbarschaft angesichts akuter Krisenherde auf dem Balkan und im Kaukasus.

Das Ziel der Europäischen Union war es, ihren Einfluss auch an den Grenzen der ehemaligen UdSSR und in der Balkanregion zu vertiefen. Mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens wird die Europäische Union Anrainerin des Schwarzen Meeres. Sie hat damit auf dem Seeweg direkten Zugang zum Kaukasus und über Georgien zu den lukrativen Öl- und Gasvorkommen des Kaspischen Beckens.

Rumänien und Bulgarien bieten zudem ein riesiges Heer billiger Arbeitskräfte, das durchaus nicht nur von europäischen Konzernen eingesetzt und ausgebeutet sowie als Druckmittel eingesetzt werden kann,

(Herr Tullner, CDU: Aber die wollen doch freiwillig in die EU, oder?)

um die Löhne in den Stammländern der EU weiter zu senken.

Viele Bulgaren leben von einem durchschnittlichen Monatslohn von 120 €. Die Arbeitslosenquote liegt bei durchschnittlich 20 %. Das ist mit Sachsen-Anhalt vergleichbar.

(Herr Tullner, CDU: 17 %!)

Alle seit dem Jahr 2004 beigetretenen Staaten sind Mitglieder zweiter Klasse. Sie bekommen weit weniger Mittel aus den EU-Strukturfonds. Die Agrarbeihilfen betragen nur einen Bruchteil dessen, was die alten EU-Länder beziehen.

(Herr Tullner, CDU: Sind Sie dafür oder dage- gen?)

Die Übergangsfristen für Industrieanpassungen waren sehr kurz. Die Menschen aus den Mitgliedstaaten der letzten beiden Erweiterungsrunden haben noch immer nicht dieselben Rechte wie alle anderen EU-Bürger, zum Beispiel was die Arbeitnehmerfreizügigkeit angeht. Kollege Schulz sprach davon.

Zugleich trifft vieles, was wir an der Politik der EU und der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten kritisieren, auf neue und alte Mitglieder gleichermaßen zu: die mehrheitliche Orientierung auf die Liberalisierung im EUBinnenmarkt zugunsten von transnationalen Großunternehmen und zuungunsten von Arbeitnehmerrechten, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und nachhaltiger regionaler Entwicklung. „Solidarisch“ nimmt gleich keiner in den Mund, geschweige denn, es wird praktiziert.

Mit der Osterweiterung verschafft sich die EU wirtschaftlich einen geschützten Absatzmarkt

(Herr Tullner, CDU: Das ist eine Unverschämt- heit!)

und abhängige Staaten aufgrund der Beitrittsbedingungen, eine konvertierbare Währung und ein Rechtssystem, das die Dominanz des Geldes der EU dauerhaft schützt.

(Herr Tullner, CDU: Unglaublich!)

Die beiden EU-Kommissare aus den neuen Mitgliedsländern werden mit relativ unbedeutenden Ämtern abgespeist.

(Oh! bei der CDU)

Die Kollegin aus Bulgarien erhält zwar den Verbraucherschutz, der aber von dem Gesundheitsressort abgekoppelt wird. Ich will damit nicht sagen, dass der Verbraucherschutz unbedeutend ist.

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Um die Kritiker des Beitritts etwas zu besänftigen, wurden in den Bereichen Wirtschaft, Justiz und Inneres Schutzklauseln aufgenommen. Damit soll auch nach dem Beitritt der nötige Druck auf die Regierungen in Bukarest und Sofia ausgeübt werden können.

(Oh! bei der CDU)

Lediglich zehn alte Mitgliedsstaaten erklärten sich bereit, ihren Arbeitsmarkt für Bulgaren und Rumänen zu öffnen.

Wohlgemerkt: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt in Rumänien bei 3 700 € im Jahr, in Deutschland und Österreich liegt sie derzeit bei über 30 000 €. Der durchschnittliche Bruttostundenlohn liegt in Rumänien bei 1 € und in Bulgarien bei 0,88 €. Weswegen, denken Sie, bauen die Riesen der Reisebranche am Schwarzen Meer jetzt neue Hotels?

(Herr Tullner, CDU: Wer baut die?)

Entgegen der von der Politik und den Medien regelmäßig zu hörenden Ansage, wonach die Osterweiterung die Alt-EU viel Gelt kosten würde - das kommt mir als Bürger der neuen Bundesländer gut bekannt vor -, fließt Kapital konstant von Ost nach West.

Im Gegensatz dazu lassen die Regierungen zu, dass EU-Fördergelder in den neuen EU-Mitgliedsländern im Haushalt dieser Länder für die Gegenfinanzierung von Steuergeschenken für Unternehmen aus den alten EUMitgliedsländern eingesetzt werden, um diese zu Produktionsverlagerungen in Richtung Osten zu veranlassen, auch wenn es noch nicht zu einem Megatrend geworden ist, sodass uns alle verlassen.

So werden praktisch Steuern der Bürger der alten EULänder dafür eingesetzt, die Arbeitsplätze aus dem eigenen Land wegzurationalisieren.

Wir sind doch hier in Magdeburg, der ehemaligen Stadt des Schwermaschinenbaus. Ich brauche Ihnen nicht die Schicksale des Schwermaschinenkombinats Ernst Thälmann oder des Magdeburger Armaturenwerkes in Erinnerung zu rufen.

(Herr Tullner, CDU: Wer ist daran schuld?)

Die jüngsten beiden Erweiterungsrunden sind eine Krisenlösungsstrategie und ein geniales Konzept, um den

Konkurrenzdruck in sämtlichen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen aufrechtzuerhalten.

(Herr Tullner, CDU: Also ist die EU menschen- verachtend!)

Auch die Folgen der Erweiterung für die Kernzonen im Westen sind bereits klar abzusehen. Der neoliberale Druck kommt spätestens seit dem 1. Mai 2004 aus dem Osten.

Sie haben vorsichtig nach den Auswirkungen und den Chancen für Sachsen-Anhalt gefragt, nicht aber die Risiken beleuchtet. Daher fällt uns die Antwort an dieser Stelle sicherlich schwer. Globaler betrachtet liegt in dieser Erweiterungsrunde die Chance, dass die Minderheitenrechte in Rumänien tatsächlich gestärkt werden können.

Außerdem könnte technisch und politisch - das würden wir uns ja wünschen - der Druck auf die EU-Institutionen wachsen, mehr demokratische Teilhabe der Menschen und mehr Transparenz zu schaffen. Allerdings ist Letzteres nicht erkennbar.

Die Risiken der EU-Erweiterung sind umso größer, je mehr sie auf der Grundlage einer neoliberalen Strategie erfolgt und einseitig den Wirkungen des Marktes überlassen bleibt - und Sie haben Ihre Rede mit diesem Schwerpunkt versehen. Die EU-Erweiterung muss unserer Meinung nach auch hinsichtlich der Gestaltung auf einer demokratischen Mitwirkung der Bevölkerung und auf Transparenz beruhen

(Herr Tullner, CDU: Und das tut sie nicht, oder was?)

sowie auf eine wirtschaftlich, sozial, ökologisch und kulturell nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden.

Sehen wir uns einmal die Presse der letzten Tage an. In der Berichterstattung der ZMP, der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle Bonn, vom 13. Januar 2007 wurde in Bezug auf die EU-Erweiterung im Jahr 2007 Folgendes geschrieben - ich zitiere -:

„Die Erweiterung bringt 30 Millionen neue Verbraucher und 5 Millionen t mehr Milch in die EU. Von den zusätzlichen Milchmengen ist ein relativ hoher Anteil ohnehin nur im jeweiligen Binnenmarkt verkehrsfähig. Zudem ist das Verbrauchsniveau in den beiden neuen Mitgliedstaaten deutlich niedriger. Es handelt sich also um Märkte, die im Grunde nur wachsen können und damit zusätzliche Absatzmöglichkeiten bieten.“

Es geht also nur um den Markt.

Die „Zuckerrübenzeitung“ schreibt im Januar 2007 - wir wissen auch, wie sich die Strukturen bei uns in den neuen Bundesländern verändert haben -, dass Rumänien zehn Zuckerfabriken und Bulgarien sechs Zuckerfabriken hat. Bei der Anbaufläche und der anstehenden Zuckermarktordnung sowie bei einem Beschäftigtenanteil in der Landwirtschaft der beiden Staaten von rund 30 % scheint eine Verschärfung der Lage vorprogrammiert zu sein.