Protocol of the Session on January 25, 2007

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/495

Folgende Reihenfolge der Redner wurde vorgeschlagen: CDU, Linkspartei.PDS, SPD und FDP. Zunächst erteile ich dem Antragsteller, der CDU, das Wort. Herr Schulz, bitte schön, ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1 600 km sind es von Magdeburg nach Bulgarien, 1 100 km bis nach Rumänien. Das ist genauso weit wie zu den baltischen Staaten. Dies sind seit wenigen Tagen zwei neue Mitglieder unserer Europäischen Union. Welche Möglichkeiten ergeben sich für unser Land durch diese beiden neuen Mitgliedstaaten? Welche Chancen bieten sich uns und was könnten wir vielleicht verpassen?

Ich möchte mich zunächst bei allen Beteiligten dafür bedanken, dass wir dieses Thema heute als Aktuelle Debatte auf die Tagesordnung genommen haben. Damit haben wir die Chance, das Interesse der sachsen-anhal

tischen Öffentlichkeit auf unsere neuen Partner zu lenken. Beide Länder sind im EU-Vergleich relativ bevölkerungsreich - Bulgarien mit 7,7 Millionen Einwohnern und Rumänien mit 21,5 Millionen Einwohnern. Die Flächengröße Bulgariens beträgt ca. 111 000 km², die Rumäniens ist doppelt so groß, nämlich 238 000 km².

Im Vergleich zur großen Erweiterung im Jahr 2004 um zehn neue Mitgliedstaaten, bei der ca. 74 Millionen Menschen neue EU-Bürger wurden, entspricht die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien mit ca. 30 Millionen Menschen fast der Hälfte. Würde man bei der Erweiterung im Jahr 2004 Polen herausrechnen, dann hätte die jetzige Erweiterung hinsichtlich der Bevölkerungszahl dasselbe Ausmaß wie die große Erweiterung im Jahr 2004.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nenne Ihnen diese Zahlen nicht umsonst. Sie machen deutlich, dass wir mit Bulgarien und Rumänien einen zusätzlichen Markt aufgenommen haben, der eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung hat.

Aber wie sieht dieser Markt nun aus? Beide Länder haben derzeit noch eine geringe volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit, aber sie unterliegen einer großen wirtschaftlichen Dynamik. In Bulgarien betrug das Wirtschaftswachstum seit dem Jahr 2001 jährlich zwischen 4 % und 6 %. Die höchsten Werte erzielte man dabei im industriellen Sektor. Die Produktionszuwächse im letzten Jahr lagen im Bekleidungssektor bei 10 %, bei den elektrischen Geräten bei 21 %, bei den Büromaschinen bei 28 %, bei den Metallerzeugnissen bei 30 %.

Die Hauptlieferländer Bulgariens sind Russland mit einem Anteil von 16 %, an zweiter und dritter Stelle folgen Deutschland mit 14 % und Italien mit 9 %. Haupteinfuhrgüter sind Maschinen mit 31 %, Halbfabrikate mit 20 % und Brenn- und Schmierstoffe mit 20 %.

Für Rumänien sieht es ähnlich aus, allerdings ist das Wirtschaftswachstum ein bisschen höher als in Bulgarien. Seit dem Jahr 2001 liegt es jährlich zwischen 4 % und 8 %. Dabei sind im Unterschied zu Bulgarien die höchsten Werte im Bausektor zu verzeichnen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich würde darum bitten, den Schallpegel ein wenig zu senken. Man kann hier vorn sehr schlecht verstehen, was der Redner sagt.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Produktionszuwächse lagen in Rumänien im letzten Jahr bei den elektrischen Maschinen bei 17 %, bei den Straßenfahrzeugen und Verkehrsmitteln bei 18 % und in der Möbelindustrie bei 21 %.

Auch in Rumänien steht Deutschland unter den Hauptlieferländern an zweiter Stelle, nämlich mit einem Anteil von 14 %. Die Haupteinfuhrgüter sind Konsumgüter mit einem Anteil von 13 %, Brenn- und Schmierstoffe mit 14 % und Zulieferprodukte für die Industrie mit 30 %.

Liebe Kollegen, diese Zahlen zeigen ganz deutlich, dass diese beiden Länder ihren Motor angeworfen haben. Mit dem EU-Beitritt werden sie nun aber richtig Gas geben können. Allein für Rumänien zahlt die EU zwischen 2007 und 2013 21,7 Milliarden € netto. Wir in Sachsen-Anhalt

stehen vor der Wahl, entweder mitzufahren oder hinterherzuschauen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich plädiere energisch für das Mitfahren.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU)

Dass wir von dieser Dynamik auf dem Balkan profitieren können, zeigt sich mit Blick auf die zehn neuen Mitgliedsländer aus dem Jahr 2004. Hierzu hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Erweiterung auf Deutschland ausgewertet hat. Das Ergebnis ist mehr als positiv und positiver als ursprünglich gedacht. Besonders die Bereiche Außenhandel und Direktinvestitionen haben große Zuwächse erfahren.

Der Außenhandel zu den zehn neuen Beitrittsländern aus dem Jahr 2004 hat sich im Vergleich zu 1992 versechsfacht. Diese zehn neuen Mitgliedsländer zusammengenommen sind mittlerweile der größte Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland. Das Gute für uns: Der Export ist weit größer als der Import. Die Direktinvestitionen steigen stetig, aber an dieser Stelle ist, wenn man sich die gesamten Direktinvestitionen Deutschlands ansieht, noch ein großes Potenzial vorhanden; denn nur 6 % aller deutschen Direktinvestitionen gehen in diese zehn neuen Mitgliedsländer der EU, die im Jahr 2004 zu uns gestoßen sind.

Zu guter Letzt: Es ist keine allgemeine Tendenz hinsichtlich der Verlagerung von Betriebsstätten zu erkennen. Natürlich gibt es vereinzelt solche Vorgänge, und natürlich sind das auch spektakuläre Verlagerungen gewesen, die durch die Medien publik gemacht wurden, aber im Großen und Ganzen ist es keine allgemeine Tendenz.

Aufgrund der Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, für die sich Deutschland zum Glück entschieden hat, war die Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt gering. Befürchtungen bezüglich einer negativen Lohn- und Beschäftigungsentwicklung in Deutschland aufgrund der Erweiterung im Jahr 2004 haben sich nicht bewahrheitet.

Zu Bulgarien und Rumänien sagt diese Studie aus, dass der deutsche Außenhandel und die Direktinvestitionen nach Osteuropa in diesen beiden Ländern noch unbedeutend sind. Sie sagt aber leider für uns auch aus, dass die neuen Bundesländer und auch Sachsen-Anhalt bisher nicht in dem Maße von der EU-Erweiterung profitiert haben, wie es beispielsweise Süddeutschland und der Großraum Hamburg/Hannover getan haben.

Wenn wir von der Osterweiterung profitieren wollen und uns die Märkte ansehen, dann haben wir dort die größten Chancen, wo a) ein großer Absatzmarkt besteht, wo b) eine große wirtschaftliche Dynamik festzustellen ist und wo c) vor allem nicht schon alles durch deutsche Unternehmen aus anderen Bundesländern vereinnahmt worden ist. Deshalb sollten wir - dafür plädiere ich - die Möglichkeit nutzen, auf den Zug in Richtung Bulgarien aufzuspringen und mitzufahren.

Die rumänische Regierung misst dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland besondere Bedeutung bei. Sie hat wiederholt und nachdrücklich ihr großes Interesse an einem verstärkten Engagement deutscher Investoren in Rumänien zum Ausdruck gebracht. Besonderes Interesse besteht an deutschen Investitionen in den Bereichen der Verkehrsinfrastruktur, der Energie, des Umweltschutzes und der Bauwirtschaft. Auch in Bulgarien sind deutsche Unternehmen gern gesehene Gäste.

Umgekehrt schätzen deutsche Investoren die Geschäftsbedingungen in Bulgarien als attraktiv ein. Die Gründe dafür sind ein hohes Bildungsniveau, niedrige Geschäftskosten, Marktattraktivität und politische Stabilität. Eine gute Perspektive für künftige Investitionen bieten sich dort in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung, Kohleförderung, Kommunalwirtschaft, Autoindustrie sowie Maschinenbau.

Welche Aktivitäten waren bisher vonseiten des Landes Sachsen-Anhalt im Hinblick auf Bulgarien und Rumänien zu verzeichnen? Es gab mehrere Aktivitäten des Landwirtschaftsministeriums hinsichtlich Twinning-Projekten. Es gab Wirtschaftsberatungen durch Kammern und Verbände, die Durchführung von Messen, die Ernennung eines Honorarkonsuls für Bulgarien. Es gibt sehr gute Kontakte zu der Region Iaşi im Nordosten Rumäniens; dort wurde eine gemeinsame Erklärung zu der Zusammenarbeit dieser Region mit unserem Landwirtschaftsministerium unterzeichnet. Die Ministerin war zu Besuchen in Rumänien vor Ort, es gab Gegenbesuche im Land Sachsen-Anhalt. In Bulgarien ist die Begegnungsstätte in Plovdiv bekannt.

In dem Bericht der Landesregierung wird in einem Ausblick zum Ausdruck gebracht, dass die Landesregierung an einer Fortführung der Zusammenarbeit mit Rumänien und Bulgarien großes Interesse zeigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein Anfang. Ich denke aber, es reicht noch nicht. Unser sehr geehrter Landtagspräsident - ich denke, ich darf das erwähnen - hat in der letzten Legislaturperiode eine Kleine Anfrage zu den Handelsbeziehungen Sachsen-Anhalts mit den osteuropäischen Staaten gestellt. Die Antwort zeigt deutlich, dass wir im Handel mit Bulgarien und Rumänien noch einen erheblichen Nachholbedarf haben.

Der Anteil der Ausfuhren nach Rumänien beträgt nur 0,5 % der Gesamtausfuhren Sachsen-Anhalts. Der Anteil der Einfuhren aus Rumänien beträgt ebenfalls 0,5 %.

Bei Bulgarien sieht es noch schlechter aus. Bei den Ausfuhren beträgt der Anteil Bulgariens nur 0,3 %, bei den Einfuhren nur 0,1 % aller Ein- und Ausfuhraktivitäten unseres Landes.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt aber Zeichen einer positiven Entwicklung. Ich habe bereits die Kontakte zu der Region Iaşi in Rumänien angesprochen. Hier scheint sich wirklich eine intensive Zusammenarbeit zu entwickeln. Im vergangenen Dezember waren Unternehmen aus Sachsen-Anhalt in Iaşi. Aus diesem Besuch entwickelten sich zwei wirtschaftlich motivierte Gegenbesuche in Sachsen-Anhalt mit dem Ziel, sich über regenerative Energien und auch über das Thema Spezialfahrzeugbau zu informieren. Bei diesen Besuchen stellte sich heraus, dass wir sehr gute Chancen haben, im Rahmen von Know-how-Transfer die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft dort unter Beweis zu stellen.

In Rumänien sind insbesondere der Energiesektor und auch die Automobilbranche gefragt. Es gibt in Rumänien zum Beispiel nicht ein einziges Unternehmen, das den spezifischen Nutzfahrzeugbau betreibt.

Was macht die Region Iaşi für uns so interessant? - Als Erstes ist zu sagen, dass die Regionen in Rumänien im Gegensatz zu Bulgarien sehr eigenständig sind. Mit ihrer Lage an der Außengrenze der EU liegt die Region Iaşi vor allem auch in Rufweite zu Moldawien und der Ukraine. Iaşi, die alte Hauptstadt, hat einen der wenigen inter

nationalen Flughäfen des Landes. Man steigt morgens in den Flieger und kann dort am Nachmittag an einer Besprechung teilnehmen.

Mit 1,2 Millionen Einwohnern ist die Region auch groß genug, um sich mit ihr zu beschäftigen. In der Stadt gibt es neun Universitäten. Es besteht in der Region Iaşi ein Investitionsbedarf in Höhe von 700 Millionen €. Hierzu zählen: Flughafen, Wasserversorgung, Kanalisation, Abwasserbeseitigung und das gesamte Straßennetz. Zu den insgesamt 2 300 km Straßennetz gehören zum Beispiel auch 800 km ungepflasterte Straßen.

Meine Damen und Herren! Die müssen alle gebaut werden. Es wäre doch schön, wenn wir es schaffen würden, dass sich auch deutsche Firmen daran beteiligen können.

(Zustimmung bei der CDU)

Liebe Kollegen! In der Wirtschaft fressen nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Im Rennen um die neuen EU-Staaten sollten wir tunlichst alles machen, um schnell genug zu sein, um unseren Anteil daran zu bekommen.

Ich freue mich deshalb, dass in dieser Legislaturperiode viele Ausschüsse des Landtages ihre Reiseziele nach Bulgarien und Rumänien gelegt haben. Auch der Europaausschuss wird im nächsten Jahr mit allen Mitgliedern eine Ausschussreise nach Rumänien unternehmen.

Minister Haseloff bitte ich - er ist jetzt leider nicht da; aber ich reiche die Bitte weiter -, dass er sein Augenmerk verstärkt auf die neuen EU-Beitrittsländer richtet; denn es gibt großen Koordinierungsbedarf und viel zu tun. Wenn wir auf den Zug aufspringen, haben wir alle davon Nutzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Redezeit ist zu Ende. Sie entschuldigen, dass das eine sehr stark wirtschaftlich orientierte Rede war. Ich denke, die anderen Redner werden vielleicht andere Schwerpunkte setzen. Für mich ist aber gerade dieses Thema eines der wichtigsten Themen. Auf diesem Gebiet haben wir im Land Sachsen-Anhalt noch enormen Nachholbedarf. Wenn wir aufgrund des Beitritts neuer Länder in die EU Chancen haben, dann sollten wir sie auch nutzen. - Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Abgeordneter Schulz, es gibt eine Nachfrage von Frau Dr. Klein. Möchten Sie diese beantworten?

Herr Schulz, Sie haben eben betont, dass es eine wirtschaftliche Rede war. Nun wissen wir, dass in Bulgarien und auch in Rumänien die Standards, gerade was das Sozial- und Arbeitsrecht betrifft, aber auch die Umweltstandards relativ niedrig sind. Sehen Sie das als einen Vorteil für die deutschen Unternehmer an?

Frau Dr. Klein, ich könnte hierzu eine zweite Rede halten. Ich habe betont, dass ich mich auf die wirtschaft

lichen Belange konzentriere. Sie wissen, dass beide Länder von der EU aufgefordert worden sind, die noch bestehenden Probleme nicht nur in diesen Bereichen, sondern auch im Bereich der Justiz schnellstmöglich zu lösen. In drei Monaten wird es noch einmal eine erweiterte Kontrolle geben. Wir hoffen alle, dass Bulgarien und Rumänien ihre Probleme - auch zu unserem Vorteil - schnell lösen werden. - Danke.

Herzlichen Dank, Herr Schulz, für die Beantwortung der Frage.

Die Landesregierung hat gebeten, am Ende der Debatte zu reden. Das bedeutet, dass die Debatte wieder eröffnet wird. Das ist so. - Für die Fraktion der Linkspartei.PDS erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Herrn Czeke das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ebenso wenig wie aus meiner Sicht die deutsche Einheit eine karitative Veranstaltung der Altbundesrepublik war, ist die EU-Osterweiterung ein Hilfsprojekt Brüssels für die darbenden Brüder und Schwestern im Osten. Herr Schulz, Ihre Rede könnte ich auch mit dem Märchen vom Hasen und dem Igel vergleichen. Der Schnellere sagt dann immer: „Ick bün all hier!“

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)