Protocol of the Session on October 11, 2002

Auch ein Wort zu den Kosten und den Folgen.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

- Ganz ruhig. - Die Gymnasien müssen für die ihnen neu zugeordneten Klassenstufen 5 und 6 Lern- und Arbeitsmittel anschaffen. Die Haushaltsmittel reichen jetzt schon nicht aus, um damit alle Schüler auszustatten, und wenn - das ist meines Wissens vorgesehen - daran

gekürzt werden sollte, dann verschärft sich das Problem. Über die Kosten der Schülerbeförderung möchte ich gar nicht reden.

Meine Damen und Herren! Daher - das scheint jetzt Usus zu werden - ist es einfach unredlich, zu den Folgekosten des Gesetzes lapidar zu formulieren, dass eine genaue Quantifizierung nicht möglich ist. Die Schulträger benötigen das. Sie müssen es wissen; denn angesichts der angedrohten Kürzungen bei den Kommunalfinanzen brauchen sie klare Aussagen, und es ist eher unwahrscheinlich, dass das aus den Einsparungen aufgrund der zurückgehenden Schülerzahlen aufgefangen wird. Das ist nicht nachvollziehbar.

Meine Damen und Herren! Wir haben über eines überhaupt noch nicht richtig gesprochen, es geschah nur andeutungsweise, nämlich über die inhaltlichen Konsequenzen für die Sekundarschulen und die Konsequenzen für die Schulentwicklungsplanung für die Sekundarschulen. Das ist ein Fass ohne Boden.

Meine Damen und Herren! Ich habe meinen Redebeitrag mit der Frage begonnen, was der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Qualität der schulischen Arbeit leistet. Die Frage müsste eigentlich lauten: Was müsste er leisten und über welche Art von Gesetzentwürfen und Reformen müssten wir hier vor dem Hintergrund von Pisa eigentlich debattieren?

Erlauben Sie mir dazu einen kurzen historischen Exkurs. Deutschland hat sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Reformen. Die Stein- und Hardenberg‘schen Reformen in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren wohl einige der einschneidendsten und der Ausgangpunkt für grundsätzliche Umstrukturierungen in der Organisation des Staatswesens. Der Wille zur Erneuerung entwickelte sich aber aus der Erkenntnis, dass die Ursachen der Probleme auszuräumen sind und dass es so nicht weitergehen könne.

Meine Damen und Herren! Die gegenwärtige Bildungsdebatte in Deutschland zeigt Ähnliches. Wir sind so zerstritten und mitunter regiert wie in kleinen Fürstentümern. Deshalb muss ich in diesem Zusammenhang doch noch einmal einige übergreifende Gesichtspunkte aufgreifen.

Frau Mittendorf, möchten Sie zunächst eine Frage von Frau Feußner beantworten?

Nein, ich möchte nicht. - Deutschland braucht gut ausgebildete Menschen als Grundlage für seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung.

Meine Damen und Herren! Unser Humankapital ist die Ressource der Zukunft. Eigentlich hätte schon die Greencarddiskussion ein Signal zum Wachwerden sein müssen; denn das war schon ein Ergebnis der verfehlten Bildungspolitik.

Ich glaube, alle Parteien sind sich darin einig, dass zukünftige Anforderungen in der Arbeitswelt andere Ausbildungszuschnitte erforderlich machen. Wir schaffen es eben nicht, in allen Ländern ausreichend Schülerinnen und Schüler zu Abschlüssen zu bringen, die es ihnen ermöglichen, in dem Prozentsatz akademische Abschlüs

se zu erreichen, wie ihn die Arbeitswelt zukünftig abfordern wird.

Es ist, glaube ich, auch ein Fehler, dabei davon auszugehen, dass nur die gegliederten Schulsysteme die Eliten voranbringen und die Gesamtschulsysteme das nicht tun. Die Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen es deutlich. Ich glaube zum Beispiel auch, dass ein Land wie Bayern, in dem zurzeit gerade einmal 18 % der Schüler eines Altersjahrganges das Abitur machen,

(Frau Feußner, CDU: Die Quote stimmt über- haupt nicht!)

erheblich mehr abiturfähige Schüler hat. Damit, meine Damen und Herren, schöpft das Bundesland Bayern sein Humankapital nicht aus und stützt sich auf die Bildungsressourcen anderer Länder.

Meine Damen und Herren! Wir schaffen es nicht, die soziale Ungleichheit zu kompensieren, und wir verschenken Ressourcen der Zukunft, was sich weder die Gesellschaft noch der Einzelne leisten kann. Diese Argumente sind Punkte, die in eine moderne und aktuelle Bildungsdebatte gehören, und nicht die Rückkehr zu Strukturen, die im Jahr 1991 eingeführt wurden und die sich letztendlich als nicht zukunftsfähig erwiesen haben. Wir werden uns deshalb bei der Überweisung in den Ausschuss der Stimme enthalten. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Möchten Sie jetzt noch eine Frage von Frau Feußner beantworten?

Das möchte ich gern, Frau Feußner.

Bitte schön, Frau Feußner.

Frau Mittendorf, man bekommt, während Sie das Thema hier vortragen, das Gefühl, bevor wir die Regierung hier im Land übernommen haben, war die Welt im Bereich Schule in Sachsen-Anhalt total in Ordnung, es lief alles bestens, es gab keinen Unterrichtsausfall, die Lehrer waren alle zufrieden, die Sekundarschule funktionierte einwandfrei, auf dem Gymnasium waren alle Kinder zufrieden, dass sie 13 Schuljahre zur Schule gehen konnten und so weiter.

Frau Mittendorf, sind Sie nicht selbst auch der Auffassung, dass wir gerade auch in Auswertung der PisaStudie, die Sie eben immer wieder genannt haben, schon einen Schritt weiter gewesen sind? Sie ideologisieren ständig die Ergebnisse der Pisa-Studie. Ich glaube, das bringt uns hier im Land und gerade unsere Schüler keinen Schritt weiter.

Ich habe noch eine zweite Frage. Ich habe immer gedacht, Sie sind eine Verfechterin - das haben Sie ja eben wieder gezeigt - der Gesamtschule. Erklären Sie mir bitte einmal den integrativen Ansatz einer Gesamtschule und sagen Sie mir bitte, inwieweit wir diese, wenn wir den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung be

halten, benachteiligen, wenn wir sagen, sie brauchen eine dreijährige gymnasiale Oberstufe und die kann nur nach Klasse 10 erfolgen.

Wenn Sie uns hier vorwerfen, dass wir die Gesamtschulen totmachen wollten, dann, glaube ich, haben Sie den integrativen Ansatz der Gesamtschule nicht verstanden.

Recht vielen Dank für die Nachfragen. Daraus ergibt sich für mich die Möglichkeit, mich noch einmal etwas präziser zu äußern. Wenn ich der etwas unklaren letzten Fragestellung folgen soll, dann muss ich dazu sagen, dass es wohl keine hier im Parlament auszudiskutierende Frage ist,

(Frau Feußner, CDU: Können wir gern im Aus- schuss machen!)

in welcher Form die integrierte Gesamtschule durch Ihren Gesetzentwurf infrage gestellt wird bzw. dass sie durch die von Ihnen beabsichtigte Nichtverkürzung der Schulzeit bis zum Abitur ausgetrocknet wird.

Meine Damen und Herren! Frau Feußner, machen Sie sich da nichts vor. Das Leben ist nicht so, wie wir uns das vorstellen, sondern wie es tatsächlich ist.

(Frau Feußner, CDU: Das stimmt!)

Wenn wir in den Gymnasien das Abitur nach zwölf Jahren möglich machen, gibt es einen rein ökonomischen Weg, bei dem uns die Eltern fragen, wieso das jetzt hier ein Jahr länger dauert. Dem steht überhaupt nichts entgegen zu sagen, die integrierten Gesamtschulen haben bisher mit ihrem integrierten Ansatz das Abitur anerkannt vergeben und sie können es auch heute noch. Wenn Sie sich mit den Rektoren unterhalten haben, dann wissen Sie, welche Vorlagen sie haben und welche Möglichkeiten es gibt.

(Frau Feußner, CDU: Sie haben sie doch als Re- gelschule eingeführt, damit geht es nicht mehr!)

Aber ich denke, darüber sollten wir im Ausschuss reden.

Meine Damen und Herren! Frau Feußner, ich ideologisiere überhaupt nicht. Wir haben einfach unterschiedliche bildungspolitische Vorstellungen. Ich bin auch der Meinung, dass es natürlich verschiedene Schlussfolgerungen aus der Pisa-Studie gibt. Aber ich denke schon, dass das, was ich angeführt habe, richtig war. Wenn Sie glauben, dass irgendjemand in meiner Fraktion, bei der PDS oder wo auch immer der Meinung ist, dass die Welt vor Ihrer Landesregierung in Ordnung war, was Schule betrifft, dann haben Sie eine falsche Wahrnehmung.

(Frau Feußner, CDU: Sie haben doch die falsche Wahrnehmung!)

Wir haben uns in den eigenen Reihen und in den Reihen der PDS immer mit den Betroffenen aktiv auseinander gesetzt, weil es in der Schule viele Mängel gibt und weil jetzt erst einmal die innere Schulreform im Vordergrund stehen muss, womit wir genug zu tun hätten,

(Zustimmung bei der PDS)

statt in den nächsten Jahren diese formalistischen Dinge wieder zurückzubringen.

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Nun spricht für die FDPFraktion Herr Dr. Volk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem von der Landesregierung eingebrachten Entwurf des Achten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes von Sachsen-Anhalt handeln wir als Koalition für die Schülerinnen und Schüler von Sachsen-Anhalt und in Konsequenz auf Pisa. Es wird ein Gesetzentwurf in die parlamentarische Diskussion eingebracht, der den späten Feldversuch der westdeutschen 68er-Bewegung in Sachsen-Anhalt beendet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Einführung des Abiturs nach 13 Schuljahren in Sachsen-Anhalt seitens der SPD-geführten Landesregierung war von Anfang an ideologisch geprägt und hatte nie eine wirkliche Begründung im Bildungsziel.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich darf hierzu an einen Kabinettsbeschluss erinnern. Er wurde am 6. Dezember 1994 in Sachsen-Anhalt gefasst. Darin heißt es wörtlich - ich zitiere -:

„Der Kultusminister wird beauftragt, sich innerhalb der Kultusministerkonferenz für die bundesweite Einführung des 13. Schuljahres nach Ablauf des KMK-Moratoriums im Jahr 2000 einzusetzen.“

(Herr Gürth, CDU: Und hinterher haben sie ge- tan, als ob die KMK schuld sei, und haben noch nicht einmal zu diesem falschen Beschluss ge- standen!)

- Ja. - Der Standortvorteil, den die Abiturienten in Sachsen-Anhalt aufgrund der DDR-Historie hatten, wurde negiert. Es bestand kein politischer Wille, diesen doch erheblichen Qualifizierungsvorteil zu verteidigen und sich der inhaltlichen Diskussion - ja, der inhaltlichen Diskussion - von gymnasialer Bildung zu widmen.

Stattdessen hat man in den Folgejahren mit Begründungen an Überführungs- und Substitutionsmodellen eine strukturelle Debatte geführt und Inhalte aufgegeben. Der Deckmantel einer höchst kritikwürdigen Vorgabe der Kultusministerkonferenz wurde dankend aufgenommen.

Heute, fast zehn Jahre später, müssen wir feststellen: Das Land Sachsen-Anhalt hat ideologisch geradlinig gehandelt und das 13. Schuljahr eingeführt. Die Länder Thüringen und Sachsen haben ihren Standortvorteil nicht aufgegeben und das Abitur nach zwölf Schuljahren trotz des Kabinettsbeschlusses in Sachsen-Anhalt bewahrt. Länder wie das Saarland, Hamburg, BadenWürttemberg und auch wieder das neue Bundesland Mecklenburg-Vorpommern haben sich auf den Weg begeben, das Regelabitur nach zwölf Schuljahren einzuführen.