Protocol of the Session on February 17, 2006

Im Zentrum der Debatte soll das Thema einerseits deshalb stehen, weil das Thema der Konzentration der Wirtschaftsförderung auf wenige Zentren in der jüngsten Vergangenheit in den Medien einen breiten Raum einge

nommen hat, und andererseits, weil zukünftig die Wirtschaftsförderung in der bisherigen für Unternehmen attraktiven Form erhalten bleiben soll.

Lassen Sie uns doch diese beiden Sachverhalte etwas näher anschauen. Was war denn die mediale Widerspiegelung der letzten Wochen, etwas vereinfacht gesagt? FDP: Überall dort fördern, wo interessante Investoren ins Land gezogen werden können. SPD: Nur Cluster und Leuchttürme mit Höchstförderung, auf wenige Standorte konzentrieren. Industrie- und Handelskammern: Nur Wachstumspole bedienen und die, die an der Autobahn liegen.

Die Linkspartei.PDS nimmt der klassischen Wirtschaftsförderung gleich alle Gelder ab und von der CDU hörte man eine ganze Weile gar nichts. Gestern brachte es Herr Scharf noch einmal auf den Punkt: Man wolle schließlich den ländlichen Raum nicht abhängen.

Nicht gut gesonnene Journalisten könnten jetzt schreiben: Er will die Gießkanne wiederhaben. Aber so einfach wie die mediale Darstellung scheinbar war, so haben es die hier im Landtag vertretenen Parteien offensichtlich nicht beschlossen. Es wäre hilfreich gewesen, wir hätten unsere Papiere alle etwas gründlicher analysiert. Dann wäre mehr Klarheit gewesen und die heutige Debatte über die Konzentration auf Zentren, ja oder nein, wäre nicht notwendig gewesen. Aber somit ist uns die Gelegenheit gegeben, nochmals Herrn Minister Rehberger zu hören, und mir ist es möglich, erneut unsere grundsätzlichen Standpunkte darzulegen. - Dies sind die Ausgangsbedingungen.

In der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung ist vieles gesagt worden. Zwei wesentliche Punkte waren dabei: Erstens. Von einer selbsttragenden Wirtschaftsentwicklung sind wir noch weit entfernt. Zweitens. Parallel dazu hat die Transformation in die wissensbasierte Gesellschaft längst begonnen.

Das Problem, das wir mit dem Motto „Weiter so!“ der jetzigen Koalition haben, ist die hemdsärmlige Vorgehensweise mit den Konzepten der klassischen Industrieförderung aus dem vorigen Jahrhundert, bei der neue Herauforderungen zu wenig aufgegriffen werden. Wie es gestern Kollege Gallert bereits sagte, ist die Debatte um die Leuchttürme oder Cluster eine Scheindebatte. Denn regionale Schwerpunkte bilden sich genauso wie Cluster Gott sei dank inzwischen weitestgehend ohne politische Lenkung.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Sehr wahr!)

In den letzten Jahren hat die Idee der regionalen Cluster mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Die Wirtschaftspolitik und -förderung setze auf Netzwerke von Produzenten, Zulieferern, Forschungseinrichtungen und Dienstleistern in räumlicher Nähe. Sie sollten durch Austauschbeziehungen entlang einer Wertschöpfungskette verbunden werden, eine kritische Masse von Firmen erreichen, die dann ähnliche Wirkungen wie die großen industriellen Kerne erzielen und zugleich Wettbewerbsvorteile für beteiligte Firmen schaffen sollten.

Jetzt aber werden die Anzeichen größer, dass derzeit Umbrüche vorhanden sind, die von diesen regionalen Clusterstrukturen abweichen, wobei sich diese kritische Masse auf eine neue Art überregional organisiert. So gesehen stellen sich neuartige Fragen in der regionalen Einbettung überregional orientierter Unternehmen, die nach Antworten suchen, will man nicht letztlich nur Illusionen hegen oder gar Entwicklungen blockieren.

Vor diesem Hintergrund sehen wir als Linkspartei als strategischen Handlungsansatz das Konzept so genannter innovativer Räume als einen Ausgangspunkt der Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsförderung. Dieser Ansatz beschränkt sich nicht auf die Stärkung einzelner Wachstumskerne oder industrieller Cluster. Die Politik innovativer Räume ist darauf gerichtet, nicht nur einzelne innovative Aktivitäten, Branchen und Netzwerke zu stärken, sondern die regionalen Rahmenbedingungen solcher Räume in ihrer Gesamtheit neu zu gestalten.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Die gab es schon im- mer!)

Wo und wie setzt das Konzept innovativer Räume an? Es wird künftig gerade auch vor dem Hintergrund zunehmend knapper werdender Mittel nicht mehr darum gehen, immer wieder einzelne Innovationen anzustoßen und zu unterstützen. So geht es ab einem Zeitpunkt eben nicht mehr allein oder in erster Linie um die Förderung der Gründung von Unternehmen, sondern um deren Übergang zu professionell und arbeitsteilig wirkenden Unternehmen. Es geht auch um das kulturelle und soziale Klima in den Städten und ländlichen Regionen und nicht zuletzt um eine entsprechende Neuausrichtung der Strukturpolitik.

Aufgrund der vorhandenen Kleinteiligkeit der Unternehmensstruktur in Sachsen-Anhalt bietet sich nach unserer Auffassung somit eine gute Möglichkeit, die sich abzeichnenden neuen Trends der Herausbildung von Wertschöpfungsketten als Chance der eigenen Entwicklung zu begreifen und sich in lokal existierende, aber global wirkende Unternehmensnetzwerke einzubringen.

Unsere Ansatzpunkte für die künftige Wirtschaftsförderung sind daher:

Erstens. Mittelfristig besteht die zentrale Anforderung staatlicher Wirtschaftsförderung darin, sich auf den Menschen als Träger dieser Entwicklung und weniger auf Sachinvestitionen zu konzentrieren. Die typische Variante der Unternehmenssubventionen als klassische Ansiedlungspolitik sollte definitiv der Vergangenheit angehören. Nach unserer Auffassung beginnt die Wirtschaftsförderung in der frühkindlichen Bildung und dauert in der schulischen, der beruflichen, der berufsbegleitenden und der Hochschulbildung an. Diesen grundsätzlichen Ansatz sollten wir in unsere Überlegung immer wieder einbeziehen. Jeder Euro, der in diesem Bereich investiert wird, vermehrt sich um ein Vielfaches in der wirtschaftlichen Tätigkeit.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Zweitens. Unser Ansatz ist auch darauf gerichtet, nicht nur einzelne innovative Aktivitäten, Branchencluster oder kleine Netzwerke zu stärken, sondern vor allem die regionalen Rahmenbedingungen in ihrer Gesamtheit für innovative Räume neu zu gestalten. Dies ist durchaus ein anderer Ansatz als der der Landesregierung, nur punktuelle Investitionen von Arneburg bis Zeitz oder von Wernigerode bis Wittenberg zu unterstützen.

Drittens. Der Weg für die Einbringung von Forschungsleistungen aus Sachsen-Anhalt in die regionale Wirtschaft oder für Ausgründungen junger Wissenschaftler muss erleichtert und effizienter gefördert werden. Das zentrale Problem in Sachsen-Anhalt besteht darin, dass wir eine viel zu geringe Dichte an Forschung im Bereich des produzierenden Gewerbes haben und viele Unternehmen in Sachsen-Anhalt keine Kraft haben, mittel- und langfristige Innovationen anzubahnen, weil ihnen

buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht und sie alle Kraft darauf verwenden müssen, die nächsten Monate zu überleben. Wenn wir aber vor dem Hindergrund des Umstieges auf eine wissensbasierende Produktion und auf einen globalen Wettbewerb eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung haben wollen, ist es notwendig, dieses substanzielle Problem zu überwinden.

Viertens. Staatliche Wirtschaftsförderung kann und darf nach unserer Auffassung nur ein Katalysator sein, also ein Mittel, das Prozesse in Gang setzt, ohne sich selbst zu verbrauchen. Das heißt, in wachsendem Maße mehr Darlehensvergabe als Zuschuss, mehr revolvierende Fonds einzusetzen, damit der Wirtschaftsförderfonds des Landes konstant bleiben kann.

Fünftens halten wir es für dringend erforderlich, den Fragen des Controllings über den Einsatz und die Wirksamkeit von Fördermitteln eine größere Bedeutung beizumessen. Dabei geht es nicht nur um die Wirksamkeit einzelner Förderprogramme, sondern auch um mehr Transparenz in der Verwendung der Mittel. Hierbei wiederhole ich unsere Position immer wieder gern: Wer mit öffentlichen Geldern arbeitet, soll auch öffentlich über die Verwendung dieser Mittel Rechenschaft ablegen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Auch gilt es, die Praktiken der Innovationsförderung im Land genauer anzuschauen. Anfang des Jahres war zu lesen, dass die Firma Icon Genetics aus Halle vom Bayer-Konzern Leverkusen vollständig übernommen wird. Die Hallenser Firma war mithilfe von Risikokapital der IGB-Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt aufgebaut worden und besaß auf dem Gebiet der Herstellung therapeutisch wirksamer Substanzen mehr als 40 angemeldete und erteilte Patente. Als sie also eine lukrative Position am Markt erkämpft hatte, fand sich die Firma auf der Verkaufsliste wieder. Meine Frage: Ist das das Ziel der Innovationsförderung in Sachsen-Anhalt?

Aber es gibt auch Beispiele, bei denen mit Landesmitteln innovativen Unternehmern unter die Arme gegriffen wird, denen kurz vor dem Ziel, nämlich der Einführung der Produkte auf dem Markt, die Puste ausging. Dann war auf einmal das Förderprogramm nicht mehr passend, Fördermittel blieben aus und schließlich fanden sich Ideen und Patente in anderen Firmen wieder.

Es bleibt also eine Menge zu tun, um den Dschungel in der Wirtschaftsförderung zu lichten, und damit ist nicht nur die Vielzahl der Förderprogramme gemeint.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen überall dort fördern, so meint Minister Rehberger, wo wir interessante Investoren in das Land ziehen. Was sind für ihn interessante Investoren? Ich würde mich über eine Antwort auf diese Frage heute sehr freuen.

Herr Minister, Sie verweisen immer wieder auf die guten Rahmenbedingungen bei uns. So wäre das Lohnniveau für Investoren attraktiver als in anderen Regionen. Es ist aber offenbar wenig attraktiv für gut ausgebildete und hochmotivierte Fachkräfte, die für ihre Leistung auch eine ordentliche Bezahlung haben wollen.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Da haben wir die stärkste Zuwachsrate!)

Ein attraktives Lohnniveau für Investoren ist keine hinreichende Bedingung für innovative Entwicklungen.

Die Pipeline ist übrigens mit Anträgen voll, so hören wir immer wieder aus dem Wirtschaftsministerium. Welcher

Art diese sind und nach welchen Kriterien bei der Auswahl verfahren wird, ist schwer zu erfahren. Man kann doch nicht stets wie ein Känguru durchs Land hüpfen und den Fördermittelbeutel vorzeigen, aber keiner darf sehen, was eigentlich drin ist.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Im Gegensatz zur Forderung der Kollegen der FDP nach dem Motto „Keine Abkehr von der erfolgreichen Wirtschaftsförderung“ sind wir der Meinung, dass es an der Zeit ist, im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit einen Kassensturz zu machen, und damit sind beileibe nicht nur die finanziellen Mittel gemeint. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke sehr, Herr Dr. Thiel. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gürth. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Debatte bietet die Chance, Bilanz zu ziehen und zu schauen

(Herr Bullerjahn, SPD: Vorsicht!)

welche Wirtschaftspolitik am effektivsten und am erfolgreichsten ist.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Das ist Wahlkampf! Das dürfen Sie hier nicht! - Zuruf von Herrn Dr. Thiel, Linkspartei.PDS)

Wir haben eine gute Bilanz, denn diese Landesregierung ist gerade in Sachen Wirtschaftspolitik und der Schaffung von Arbeitsplätzen die erfolgreichste in der Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Jawohl! - Minister Herr Dr. Daehre: Das muss einmal gesagt werden!)

Wir alle kennen und lieben unseren Ministerpräsidenten und wir schätzen ihn.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD und von der Linkspartei.PDS)

Wir freuen uns auf die Fortsetzung seiner Politik. Weil er so ist, wie er ist - wir wissen, er mag es nicht so gern, dass man sich selbst lobt -, ist man als Redner einer der Koalitionsfraktionen natürlich gehalten, sich nicht auf Zahlenmaterial zu stützen, das man sich selbst erarbeitet hat, sondern möglichst Zahlen und Fakten unverdächtiger Dritter zu zitieren. Wer bietet sich dabei besser an als die Opposition?

Wir haben im Zusammenhang mit der Regierungserklärung ausführlich über die Wirtschaftspolitik debattiert. Ich will als Einstieg in die Einschätzung der Wirtschaftspolitik dieser Regierung mit einem Zitat meines geschätzten Kollegen von der Fraktion der Linkspartei.PDS, dem Vorredner Herrn Dr. Thiel, beginnen. Er hat im wichtigsten Punkt, den Investitionen, die Wirtschaftspolitik der Landesregierung wie folgt beschrieben - ich zitiere -:

„Investition in Höhe von 7,2 Milliarden € in drei Jahren mit 18 000 Arbeitsplätzen“

- hierbei hat er etwas untertrieben; es sind mehr, aber immerhin -

„sind ohne Zweifel ein beachtenswertes Ergebnis.“

Wo er Recht, hat er Recht.

(Beifall bei der CDU)