Protocol of the Session on February 17, 2006

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/2644

Einbringerin für die Linkspartei.PDS ist die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte sehr, Frau Tiedge, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Friedman, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, hat Folgendes gesagt:

„Man muss in Deutschland nicht Angst vor menschlicher Vielfalt haben. Man muss allenfalls Angst vor menschlicher Einfalt haben.“

Insgesamt 129 Angriffe mit rechtem oder rassistischem Hintergrund hat die mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt im Jahr 2005 in Sachsen-Anhalt registriert. Damit ist die Anzahl der bekannt gewordenen Gewalttaten mit rechter oder rassistischer Motivation im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Fünftel gestiegen. Unter 192 direkt Betroffenen befanden sich 108 Jugendliche sowie 52 Migranten und Asylbewerber. Statistisch gesehen wurde damit an jedem dritten Tag eine rechte oder rassistisch motivierte Gewalttat in Sachsen-Anhalt registriert.

Doch die registrierten Angriffe sind nur ein Ausschnitt rechter und fremdenfeindlicher Gewalt in Sachsen-Anhalt. Die Dunkelziffer in diesem Bereich ist nach wie vor hoch. Das macht nachdenklich und betroffen, ist besorgniserregend und erschreckend zugleich.

Auch in den ersten elf Tagen dieses Jahres wurden bereits acht brutale Gewalttaten mit rechtem Hintergrund festgestellt. Dabei ist der Angriff von fünf Rechtsextremen auf den zwölfjährigen Jungen in Pömmelte der sichtbarste Ausdruck der zunehmend entgrenzten Brutalität von Neonazis in Sachsen-Anhalt. Dem kann und darf nicht tatenlos zugesehen werden. Dem müssen Zivilcourage, ziviles Engagement und demokratisches Verhalten, Toleranz und Weltoffenheit entgegengesetzt werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es gibt zahlreiche Einzelbeispiele couragierten Verhaltens. Es gibt die ermutigende Arbeit unmittelbar vor Ort. Es gibt Projekte und Vereine. Hierbei möchte ich insbesondere an die mobilen Opferberatungsstellen und an den Verein „Miteinander“ erinnern, für die diese Wertmaßstäbe und Ziele im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus höchste

Priorität haben. Ihnen gilt an dieser Stelle unser uneingeschränkter Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Das alles wurde erreicht, obwohl die finanziellen Mittel in diesem Bereich durch die schwarz-gelbe Koalition drastisch gekürzt worden sind - eine Entscheidung, die angesichts der jetzigen besorgniserregenden Entwicklung nicht nachzuvollziehen war und ist.

Zivilcourage heißt zuerst nicht wegsehen; denn das Wegsehen des Einzelnen, das Wegsehen in der Öffentlichkeit bewirkt, dass sich die Täter sowohl in der konkreten Situation als auch im Nachhinein legitimiert fühlen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass Rechtsextremismus und Gewalt nicht ausschließlich mit dem sicherheitspolitischen Auge betrachtet werden dürfen. Das politische und gesellschaftliche Klima vor Ort spielen eine entscheidende Rolle. Rechter Alltagskultur darf kein Raum gelassen werden, rechtes Gedankengut darf nicht hoffähig werden.

Es läuft etwas falsch, wenn das menschenverachtende, ausländerfeindliche und nationalistische Gedankengut der Rechten als normale Meinungsäußerung in einer pluralistischen Demokratie gewertet wird. Eine öffentliche Sensibilisierung sowie entsprechende gesellschaftliche Rahmenbedingungen müssen geschaffen und unterstützt werden; denn noch zu oft fehlt die genügende und kontinuierliche Rückendeckung durch die Politik. Darin eingeschlossen ist eine ausreichende personelle, finanzielle und sächliche Ausstattung. Soziale Arbeit und Projekte wie die Schulsozialarbeit oder alternative Jugendzentren müssen mit Kontinuität und auf Dauer gefördert werden.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren! Im Jahr 2001 wurde das bundesweite Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ ins Leben gerufen. Es setzt sich aus den folgenden drei Teilprogrammen zusammen: „Civitas - initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“, „Entimon - gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ und „Xenos - Leben und Arbeiten in Vielfalt“, die bundesweit zum Einsatz kommen.

Das Aktionsprogramm leistete und leistet einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen den Rechtsextremismus, insbesondere in der Jugendpolitik. Demokratisches Verhalten, ziviles Engagement, Toleranz und Weltoffenheit wurden gefördert.

Die bisher durchgeführten Projekte sind äußert erfolgreich verlaufen. Sie sind unverzichtbar für die Stärkung von Toleranz und Demokratie vor Ort. Mehr als 3 600 Projekte und Maßnahmen für ein friedliches und gewaltfreies Zusammenleben sind in dem Zeitraum von 2001 bis Ende 2004 gefördert worden.

Im Teilbereich Civitas erfolgte die Förderung bislang zum Beispiel in folgenden Bereichen:

- In der mobilen Beratung durch mobile Beratungsteams. Diese begleiten und beraten kommunale Akteure, wie zum Beispiel Vereine und Verbände, die sich für demokratische Grundwerte engagieren und gegen Rechtsextremismus aktiv handeln.

- Beratung von Opfern rechtsextremer Gewalttaten. Hierbei wurden rechtliche und psychosoziale Hilfen und Beratung sowie Unterstützung in verschiedenen Lebenssituationen für von rechten Gewalttaten Betroffene angeboten.

- Die Opferberatungsstellen setzen sich für die Integration gesellschaftlicher Minderheiten ein, indem sie lokale Sensibilisierungs- und Solidarisierungsprozesse anregen.

- Vernetzung des zivilgesellschaftlichen Engagements im Gemeinwesen: Seit dem Jahr 2002 fördert Civitas Netzwerke, welche die Zusammenarbeit und Kooperationsbeziehungen von lokalen Akteuren wie Schule, Jugendhilfe, Kirche und Gemeinwesen initiieren.

All dies sind Aufgaben, die in der gegenwärtigen politischen Situation unverzichtbar sind. Leider sind für diese Programme aber schon für das Jahr 2006 Antragstellungen für eine Förderung nicht mehr möglich. Am 31. Dezember 2006 endet die Förderung für das gesamte Aktionsprogramm auf Bundesebene - angesichts des Anstiegs von Straftaten mit rechtsextremistischem, rassistischem oder antisemitischem Hintergrund sowie einer zu unterstützenden verstärkten öffentlichen Sensibilisierung für dieses Problem ein verheerendes Signal, ja geradezu ein Skandal.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es kann nicht sein, dass wir im nächsten Jahr in eine Situation geraten, in der alle, die politische Verantwortung tragen, darauf hinweisen werden, wie notwendig, sinnvoll und wichtig das Engagement gegen Rechtsextremismus sei, aber zugleich ein erfolgreiches und sinnvolles Projekt aus der finanziellen Unterstützung herausfällt.

Es muss uns deshalb neben der politischen, parlamentarischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus insbesondere auch um die nachhaltige zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung, den gesamtgesellschaftlichen Dialog und um deren Förderung gehen. Chancen der demokratischen Mitgestaltung müssen aufgezeigt, Alternativen angeboten und eine solidarische Zivilgesellschaft aufgebaut werden.

Dazu gehört unbedingt eine langfristig, auf Dauer angelegte finanzielle Unterstützung von Strukturen und Projekten. Nur durch die Kombination langfristiger politischer und zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung kann es gelingen, wirklich wirkungsvoll der rechtsextremen Kultur den Boden zu entziehen und eine demokratische Kultur tragfähig zu machen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Damit all dies nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, fordern wir die Landesregierung auf - solange sie es noch ist -, im Bundesrat entsprechende Initiativen zur Fortführung des Programms noch vor der Verabschiedung des Bundeshaushalts auf den Weg zu bringen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns von hier aus und heute ein deutliches Zeichen setzen für Demokratie und Toleranz, gegen Gewalt und gegen die drohende Gefahr des Rechtsextremismus. Unterstützen wir ein Bündnis all derer, die in Initiativen und Projekten außerhalb der Politik tätig sind und mit Zivilcourage ihren Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, auch wenn schon Wahlkampf ist: Was wäre ei

gentlich so schlimm daran, wenn heute ein Antrag der Linkspartei mit Mehrheit beschlossen werden würde? Ihr Änderungsantrag sagt inhaltlich nichts anderes als unser Antrag aus, außer dass unserer inhaltsreicher ist und wir Bewertungen hineingeschrieben haben. Ich frage: Warum haben Sie diese Bewertungen herausgelassen?

Da uns dieses Thema aber viel zu wichtig ist, als dass wir es dem Wahlkampf opfern würden, werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Änderungsantrag der Stimme enthalten, weil uns gerade die Bewertungen wichtig sind. Bei der Endabstimmung werden wir dem Antrag aber zustimmen. Das zeugt aus unserer Sicht von politischer Größe. Es würde Ihnen gut zu Gesicht stehen, wenn auch Sie das einmal täten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung von Frau Fischer, Naumburg, SPD)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung Herr Staatsminister Robra um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 im Rahmen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ die drei im Antrag genannten Förderprogramme für Modellprojekte aufgelegt. Das Programm hat mit seinen unterschiedlichen Schwerpunkten im Grundsatz richtige Antworten auf die bundesweite und auch international geführte Diskussion in Bezug auf Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in den neuen Ländern gegeben. Dabei wurden bestehende Initiativen aufgegriffen und um neue modellhafte Projekte ergänzt.

Alle drei Programme haben mit unterschiedlichen Schwerpunkten wesentlich zu einer Stärkung der Bildungsarbeit und der Vernetzung von Akteuren im Kontext der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt beigetragen. Dabei ist die gesonderte Förderung der neuen Länder im Rahmen von Civitas für SachsenAnhalt von besonderer Bedeutung. Der fremdenfeindliche Übergriff in Pömmelte hat einmal mehr gezeigt, wie notwendig ein solches Angebot ist.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung befürwortet eine Weiterentwicklung der bestehenden Programme über das Jahr 2006 hinaus, mit dessen Ablauf dieses modellhafte Aktionsprogramm bislang planmäßig enden würde.

Die Bekämpfung von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, die den Bund, die Länder und die Kommunen aus politischen und ethischen Erwägungen gleichermaßen betrifft. Hierbei muss es neben der konsequenten Verfolgung von Straftaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund um die Stärkung von Initiativen aus der Gesellschaft heraus gehen.

Der Staat kann und muss Demokratie und Menschenrechte auch und gerade gegen extremistische Bestrebungen schützen. Doch die Verwirklichung dieser Werte im Sinne einer demokratischen und toleranten Lebenskultur ist Sache der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Selbstorganisation. Diese zu stärken, muss das Ziel aller staatlichen Unterstützung in diesem Kontext sein.

In diesem Sinne haben wir gemeinsam mit Ihnen allen im zurückliegenden Jahr das Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt ins Leben gerufen, das inzwischen sehr erfolgreich arbeitet.

Allerdings sollten wir nach den Erfahrungen der Landeszentrale für politische Bildung im Falle einer Fortsetzung des Bundesprogramms, für das wir uns im Sinne des Änderungsantrages gern einsetzen werden, die Ergebnisse der Evaluation, die ohnehin ansteht, kritisch würdigen und zum Beispiel darüber nachdenken, wie die Projekte und die Strukturen der Bundesprogramme insgesamt noch stärker mit denen von Ländern und Kommunen verzahnt werden können.

Die neuen Länder sind gut beraten, frühzeitig zur Gestaltung der Konzeptionen zur Fortführung der Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte durch den Bund Stellung zu beziehen, da sich bei der Entscheidung über eine Neukonzeption abermals die Frage stellen wird, ob es auch weiterhin eine spezielle Förderung von Projekten in den neuen Ländern geben wird. Das ist gerade für die Träger bei uns im - wenn man es so sagen darf - Wettbewerb mit den Trägern in den alten Ländern von großer Bedeutung.

Eben dies war bisher durch das Programm Civitas gegeben. Zwischen 2000 und 2005 hat der Bund im Rahmen dieses Programms allein in Sachsen-Anhalt 167 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von 4,3 Millionen € gefördert. Dies betraf Projekte zum Aufbau und zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen für Beratung, Qualifizierung und Vernetzung ebenso wie zahlreiche zeitlich begrenzte Einzelprojekte zum Beispiel in den Bereichen der Jugendarbeit, der politischen Bildung und auch der Gedenkstättenarbeit.

In diesem Sinne wird die Landesregierung von SachsenAnhalt geeignete Schritte unternehmen, um die Interessen des Landes geltend zu machen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Meine Damen und Herren! Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Zunächst erhält für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Herr Droese das Wort. Herr Droese wird heute, in der letzten Plenarsitzung der Legislaturperiode, zum vorletzten Tagesordnungspunkt seine Jungfernrede halten.

(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke für die einführenden Worte. Das bringt meine Nervosität auf den richtigen Level. Ich finde es aber schön, dass ich als neuer, junger Abgeordneter hier einmal von allen Abgeordneten des Hauses Beifall bekomme.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Sie sind neu, aber nicht jung! - Frau Budde, SPD: Das ist relativ!)