Protocol of the Session on January 20, 2006

Im Kampf gegen Rechts müssen alle demokratischen Parteien zusammenstehen.

(Zustimmung von Frau Mittendorf, SPD)

Das gilt auch für den bevorstehenden Wahlkampf.

(Zuruf von der FDP)

- Das ist doch kein Vorwurf. Sie müssen doch nicht gleich wieder - -

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Aber ich betone es noch einmal: Bei allem Streit unter Demokraten ist es das, was uns im Wahlkampf auch zusammenhalten muss. Wir werden uns noch trefflich streiten und uns immer wieder auch treffen und uns über Konzepte auseinander setzen und darüber, was uns trennt und was uns eint. Aber bei all diesem Streit - das meine ich zutiefst ehrlich - muss es den Grundkonsens geben, dass wir eine Sache gemeinsam bekämpfen: Die Rechten dürfen nie wieder in diesen Landtag kommen. Das muss uns wiederum einen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Bullerjahn. - Zunächst hat Herr Ministerpräsident Professor Böhmer um das Wort gebeten. Bitte, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesem Auftakt der Diskussion fällt es mir ausgesprochen leicht zu sagen, dass sich auch die Landeregierung dem Anliegen, ein gemeinsames Zeichen

zu setzten, vollinhaltlich anschließt und wir bereit sind, dieses gemeinsame Zeichen mit Ihnen zusammen zu setzen.

Aber ich bitte auch um Verständnis dafür, dass die Exekutive natürlich etwas mehr tun muss, als Erklärungen abzugeben. Deswegen würde ich gern auch etwas zu den anderen Problemen sagen, ohne diesen Grundkonsens dadurch in irgendeiner Weise infrage zu stellen.

Die Taten und vor allem die letzte Tat an einem zwölfjährigen Schüler in Pömmelte sind Ihnen bekannt. Fünf Tatverdächtige, die man in der Zwischenzeit schon als Täter bezeichnen kann, haben auf brutalste Weise einen zwölfjährigen Schüler zusammengeschlagen. Ich denke, es ist selbstverständlich, dass wir diese furchtbare Tat nicht nur auf das Schärfste verurteilen, sondern dass wir auch diesem Jungen von uns aus die besten Wünsche für seine Genesung übermitteln und für ihn ein Zeichen setzen, damit er sich in unserer Gemeinschaft trotz dieses Vorfalles wohl fühlen kann.

(Beifall bei allen Fraktionen und von der Regie- rungsbank)

Aber dieser Vorfall eigentlich unter Kindern - ich sage das bewusst; denn der älteste Täter war, wie ich gelesen habe, 19 Jahre alt - hat uns allen einmal drastisch vor Augen geführt, dass wir in unseren Bemühungen im Kampf gegen rechte Gesinnung und gegen Gewalt jeder Art nicht nachlassen dürfen. In letzter Zeit bekannt gewordene Fälle zeigen, dass das Vorgehen von Tätern immer rücksichtsloser, immer brutaler und immer menschenverachtender wird.

Meine Damen und Herren! Die schnelle und umsichtige Arbeit der Polizei in dem konkreten Fall hat zur vorläufigen Festnahme der bekannten Täter geführt. Gegen zwei von ihnen ist Haftbefehl erlassen worden.

Eine Analyse ähnlicher Ereignisse zeigt, dass bei dem weit überwiegenden Teil der Gewaltstraftaten nach unseren Erkenntnissen bisher kein organisierter Hintergrund besteht, sondern dass sie eher spontan erfolgt sind. Die Gewalt geht oft von Gruppen oder Einzelpersonen aus, die meist aus einer Situation heraus handeln. Aber auch dies muss uns besorgt machen. Die eigentlichen Ursachen sind nämlich vielschichtiger und auch von der Polizei allein nicht zu verhindern. Deswegen sind gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, insbesondere Maßnahmen zur Bildung und Erziehung zu gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Wertvorstellungen in besonderem Maße wichtig. Auch die Landesregierung wird dies weiterhin begleiten.

Das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten im Land Sachsen-Anhalt belief sich nach ersten Auswertungen des Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr auf ca. 650 Personen. Es muss festgestellt werden, dass es im letzten Jahr einen erkennbaren Anstieg der Straftaten mit extremistischem Hintergrund gegeben hat. Das ist uns nicht entgangen.

Eine mögliche Ursache für den Anstieg der politisch motivierten Straftaten ist unter anderem in den zahlreichen Aktivitäten im rechten, aber auch im linken Bereich zu sehen, die zu einer Vielzahl von Gegenreaktionen der jeweils anderen Seite geführt haben. Verbunden waren damit oftmals Straftaten im Rahmen von Veranstaltungen bzw. Demonstrationen sowie in deren Umfeld. Der Schwerpunkt der politisch motivierten Kriminalität liegt nach wie vor eindeutig im Phänomenbereich Rechts.

Nahezu drei Viertel der Delikte in diesem Bereich sind reine Propagandadelikte. Die Zahl fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen, und zwar um jeweils ca. 20 Fälle. Die Anzahl der Gewaltdelikte im rechten Bereich liegt bei ca. 100 Straftaten und im linken Bereich bei etwa 60 Straftaten. Die Zunahme betrug in beiden Bereichen jeweils etwa 40 Delikte und war etwa gleich.

Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass in einer demokratischen Gesellschaft Gewalt niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein darf und Gewalt niemals politische Argumente ersetzen kann.

(Beifall im ganzen Hause)

Gleiches gilt für verbale Gewalt. Ich füge heute hinzu: Niemand hat das Recht, andere - aus welchem Grund auch immer - zu schlagen, zu misshandeln oder zu demütigen - weder mit Worten noch mit Taten.

Vor der körperlichen Gewaltanwendung steht häufig eine erschreckende geistige Verrohung. Das ist das eigentliche Problem, dem wir uns widmen müssen. Ich sage - ich denke, darin sind wir völlig einer Meinung -: Auch wir Politiker sind daran nicht immer völlig ohne Schuld und geben nicht immer das Beispiel ab, das die Öffentlichkeit eigentlich von uns erwartet.

Polizei und Verfassungsschutz sind angehalten, konsequent gegen Straftaten und andere Aktivitäten im Bereich der politischen Kriminalität vorzugehen. Dass dies gelingt, wird auch an den zahlreichen Einsätzen der Polizei im vergangenen Jahr deutlich.

Die kontinuierliche und intensive Befassung mit dem Thema Rechtsextremismus sowie die in diesem Zusammenhang initiierten vielfältigen Aufklärungskampagnen haben zusätzlich zu einer großen Sensibilisierung sowohl bei der Bevölkerung als auch bei der Polizei beigetragen. Es werden mehr Straftaten angezeigt und es werden mehr Straftaten durch die Polizei aufgedeckt.

Konkret bedeutet dies, dass auch das Dunkelfeld aufgehellt wird. Dies ist gewollt; denn nur so können Strukturen frühzeitig erkannt und Täter ermittelt werden. So liegt die Aufklärungsquote bei rechten Straftaten bei über 60 % und bei Gewaltdelikten im rechten Bereich sogar bei über 90 %. Langfristige Konzepte, die Bildung von Ermittlungsgruppen, eine täterorientierte Ermittlungsarbeit und verstärkte Szenenaufklärung zeigen deutliche Wirkung.

Die Landesregierung sieht - und das nicht erst seit heute - in der Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität links und rechts einen deutlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zum einen, dass der Verfolgungsdruck durch Polizei und Verfassungsschutz weiter punktuell intensiviert und auf hohem Niveau gehalten wird. Zum anderen bedarf es aber auch - dies wird von mir nachdrücklich unterstützt - zusätzlicher verstärkter Anstrengungen bei präventiven Aktivitäten; denn nur so ist es möglich, Entstehungsprozessen frühzeitig entgegenzuwirken.

So nehmen zum Beispiel Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde an Diskussionsveranstaltungen teil, halten selbst Vorträge und informieren die Medien über aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in der rechten Szene. Darüber hinaus wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Ausstellungen zu diesem Thema mit und klärt über die Gefahren des Rechtsextremismus auf.

Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hat eine Informationsreihe zur Kriminalprävention speziell im Kinder- und Jugendbereich herausgegeben. Diese Hefte befassen sich mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit und thematisieren gewalttätige Handlungen an oder im Umfeld von Schulen. Dies scheint aus meiner Sicht gegenwärtig besonders wichtig zu sein; denn die Täter werden leider im jünger.

Mit finanzieller Unterstützung des Kultusministeriums hat das Landeskriminalamt zum Beispiel ein Heft aufgelegt, dessen Zielgruppe Kinder im Grundschulalter sind. Das Heft behandelt das Thema verbale Gewalt. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, Meinungsverschiedenheiten untereinander konstruktiv und ohne Demütigung und gegenseitige Beleidigungen auszutragen. Für Kinder in Tagesstätten und in Grundschulen wird das Thema Fremdenfeindlichkeit auf altersgerechte Weise thematisiert.

Ich bin mir sicher, dass das, was uns Kinder gelegentlich vormachen, nicht spontan entstanden ist, sondern dass wir uns auch die jeweiligen Elternhäuser und das Umfeld genau anschauen müssen und auch beobachten müssen, wie dort unter Erwachsenen Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden; denn das meiste haben die Kinder irgendwie aufgeschnappt und nicht selbst erfunden.

Von der Innenministerkonferenz ist nach den Erfahrungen aus den letzten Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg im Jahr 2004 eine Informations- und Aufklärungskampagne über neue Erscheinungsformen des Rechtsextremismus beschlossen worden. Die Kampagne läuft unter der Bezeichnung „Wölfe im Schafspelz“. Ein erster Baustein der Kampagne ist ein soeben fertig gestelltes Medienpaket. Bestandteile des Medienpaketes sind unter anderem ein Spielfilm für Schülerinnen und Schüler ab 13 Jahren sowie eine Dokumentation über die aktuellen Entwicklungen des Rechtsextremismus in Deutschland. Die Dokumentation ist für Lehrer und ältere Schüler ab der Klassenstufe 9 konzipiert.

Diese Ansätze sind ein wichtiger Baustein bei den erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt und politischem Extremismus. Ich sage deutlich - ich habe das vor wenigen Tagen auch an anderer Stelle gesagt; denn wenn ich jetzt durch das Land fahre, sehe ich schon wieder die ersten Wahlplakate, von denen mich manche an welche aus dem Jahr 1998 erinnern -: Ich hoffe, dass die Wählerinnen und Wähler Sachsen-Anhalts noch nicht vergessen haben, was uns dies eingebrockt hat.

(Beifall im ganzen Hause)

Auch Sie haben mit Ihrem Beschluss am 3. März 2005 in der 55. Sitzung des Landtages in die gleiche Richtung gezielt und diese Aktivitäten mitgetragen. Mit dem Netzwerk für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt sind frühzeitig die notwendigen Schritte unternommen worden, um eine Bündelung aller maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes zu erreichen und ein möglichst breites zivilgesellschaftliches Fundament gegen Extremismus und Gewalt zu schaffen. Dabei steht der Gedanke einer kontinuierlichen Vernetzung und nicht die Schaffung neuer Strukturen, eventuell mit der Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel verbunden, im Vordergrund. Im Zuge der Verbreiterung dieses Netzwerkes sind bis zum Januar 2006 insgesamt 170 Institutionen, Verbände und Einzelpersonen als Mitwirkende gewonnen worden.

Insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Landtagswahl hat das Netzwerk für Demokratie und Toleranz frühzeitig Aktivitäten zur Aufklärung über die Planungen rechtsextremistischer Parteien in Angriff genommen. Daneben wird mit der Initiative „Kommunale Kriminalprävention“ von der Landesregierung eine noch wirksamere Verzahnung aller mit Sicherheitsaufgaben betrauten staatlichen und kommunalen Verantwortungsträger angestrebt, die ebenfalls vorrangig die präventive Bekämpfung der politisch motivierten Straftaten berührt.

In diesem Zusammenhang - auch darauf will ich gern eingehen - wird das Innenministerium mehr als bisher - obwohl dies alles schon geschehen ist - vor allen Dingen einzelne Taten, bei denen Zivilcourage gezeigt wurde, in besonderer Weise öffentlich hervorheben und loben, damit wir diese Haltung in der Bevölkerung unterstützen, öffentlich anerkennen und würdigen; denn sie muss sich wirklich noch in stärkerem Maße als bisher verbreiten. Wir brauchen mehr Einzelpersonen, die den Mut haben, nicht einfach wegzusehen.

(Beifall im ganzen Hause)

Diese Konzepte sind auf Dauer und Kontinuität angelegt. Der Landtag, das heißt Sie, hat sich mehrfach - an dieser Stelle darf ich zitieren - „insbesondere vor dem Hintergrund jüngster fremdenfeindlicher Aktivitäten und gestiegener Zahlen der politisch motivierten Kriminalität links und rechts für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen.“ Wir, die Exekutive, sind bereit, dies auch ganz konkret umzusetzen.

Sowohl vor dem Hintergrund des Vorfalls in Pömmelte als auch im Vorfeld der nächsten Landtagswahl haben diese Beschlüsse - darin kann ich Ihnen völlig zustimmen - eine uneingeschränkte und sogar größere Bedeutung.

Die Landesregierung hat ihrerseits deutliche Zeichen nicht nur gegen Rechts, sondern gegen jede Form von Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit in Sachsen-Anhalt gesetzt. Ganz wichtig wird es dabei sein, wie wir auch hier mit diesem Thema umgehen. Ich war schon sehr aufmerksam und habe darauf geachtet, mit welchem Stil Sie in dieses Thema eingeführt haben. Auch im Wahlkampf sollte es nicht zur parteipolitischen Profilierung genutzt werden.

Wenn ein so genannter Experte einer anderen politischen Gruppierung dem Innenminister öffentlich vorwirft, es reiche nicht - jetzt zitiere ich aus der Presse -, sich öffentlichkeitswirksam am Krankenbett fotografieren zu lassen, so ist das nicht nur völlig unnötig, sondern gewollt polemisch.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Der Innenminister war bewusst ohne Medienbegleitung am Krankenbett und hat genau das von sich aus abgelehnt. Es wäre aus unserer Sicht nämlich menschlich schäbig, sich selbst mit dem Schicksal eines Kindes parteipolitisch profilieren zu wollen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich hätte mir auch denken können, dass Sie in der Begründung für diese Aktuelle Debatte einige Formulierungen anders gewählt hätten. Die Landesregierung aufzufordern, endlich etwas zu tun und endlich diesem Thema oberste Priorität einzuräumen, war von der Sache her

nicht unbedingt nötig. Die Einladung zur nächsten Arbeitskonferenz des Netzwerkes, die am 30. Januar 2006 stattfinden wird, wurde bereits am 4. Januar 2006 versandt, also vor dem Ereignis, das zu dieser Aktuellen Debatte geführt hat.

Diese Konferenz wird seit September des letzten Jahres vorbereitet. In regionalen Arbeitskonferenzen Ende September 2005 und während einer landesweiten Tagung mit 150 Teilnehmern Mitte Oktober 2005 wurde das Thema auch und gerade im Hinblick auf die Landtagswahl inhaltlich vorbereitet.

Mit einer größeren Zahl von thematischen Einzelprojekten und Veranstaltungen der inzwischen 170 Verbände und Institutionen des Netzwerkes wurde die nächste geplante landesweite Konferenz vorbereitet, die mit einem im Vorfeld gemeinsam abgesprochenen und zurzeit in der Abstimmung befindlichen Appell enden soll. Mir ist wichtig, dass diese Aktivitäten von möglichst vielen gesellschaftlichen Institutionen und Gruppen mitgetragen werden. Sie eignen sich aus meiner Sicht wirklich nicht für den parteipolitischen Wahlkampf.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)