Derzeit haben wir in Deutschland ein sehr liberales Gewerbe- und Wettbewerbsrecht. Dies ermöglicht es ausländischen Dienstleistern, mit einer Vielzahl von Dienstleistungen auf dem deutschen Markt tätig zu werden und in einen Wettbewerb zu deutschen Unternehmen und Freiberuflern zu treten. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass sich deutsche Dienstleister trotz des Binnenmarktes auch innerhalb der Europäischen Union zahlreichen bürokratischen und anderen nationalen Hemmnissen gegenübersehen, die sie daran hindern, auf anderen Märken tätig zu werden und somit entsprechend Arbeitplätze in Deutschland zu sichern.
Wir stehen vor der Frage: Was machen wir mit den vielen hoch qualifizierten Dienstleistern? - Ich denke an die ingenieurtechnischen Unternehmen, die über viele Jahre unglaublich viel Know-how angesammelt haben, zum Beispiel beim Infrastrukturausbau in Ostdeutschland. Sie können ihr Know-how auch innerhalb der Europäischen Union und außerhalb der Grenzen Deutschlands anbieten, haben aber wenig Chancen, weil die bürokratischen
Voraussetzungen, um dort tätig zu werden, so hoch sind, dass nur Großunternehmen diese Chancen nutzen können, nicht aber mittelständische Dienstleister.
Das will heißen, wir brauchen eine EU-Dienstleistungsrichtlinie, die den europäischen Markt liberalisiert, aber nicht in einer Art und Weise, wie es ursprünglich von der EU-Kommission vorgesehen war.
Der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments hat sich am 21. und 22. November 2005 in seiner Beratung mehrheitlich für eine weitere Öffnung im Dienstleistungsbereich ausgesprochen. Dies ist vom Prinzip her - im Namen der CDU gesprochen - richtig.
Die wichtigsten Ergebnisse sind, dass Dienste von einem allgemeinen Interesse - nach der Definition der Mitgliedstaaten - und Dienstleistungen mit sektorspezifischen Regelungen, die auf der Gemeinschaftsebene liegen, nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden. Dies betrifft insbesondere das Gesundheitswesen, audiovisuelle Dienste, das Glückspiel sowie Berufe und Tätigkeiten unter Anwendung öffentlicher Gewalt.
Meine Damen und Herren! In Sachen Dienstleistung und Europäische Union sei abschließend bemerkt, dass wir, die Union, hoffen, dass der Diskussionsprozess weitergeht und dazu führt, dass wir innerhalb der Europäischen Union ein Recht bekommen, das für einen fairen Wettbewerb eintritt, sodass deutsche Dienstleister in absehbarer Zeit einen fairen Wettbewerb innerhalb der EUMitgliedstaaten erwarten können, und dass dies nicht zur Zielrichtung hat, einen Wettbewerb auf niedrigstem Niveau und mit den niedrigsten Standards, durch Lohn- und Sozialdumping oder durch Standards im Bereich des Umweltschutzes, die wir als Deutsche nicht akzeptieren können, zu erreichen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das Verfahren nicht unnötig in die Länge ziehen; denn es hat sich, seit wir das letzte Mal über das Thema diskutiert haben, nichts Wesentliches verändert. Ich will gleich vorab sagen, dass die SPD-Fraktion der Beschlussempfehlung zustimmen wird, den Antrag der PDS für erledigt zu erklären.
Unabhängig davon ist uns allen klar, dass die Dienstleistungsrichtlinie ein wichtiges Element der Lissabon-Strategie ist. Die Frage, ob die Dienstleistungsrichtlinie dazu dienen kann, zweifelhafte Regeln in den Mitgliedstaaten zum Schutz heimischer Märkte abzuschaffen, oder ob sie zur Aushöhlung sozialer Standards dient, bleibt bisher unbeantwortet und offen. Wir können diese Frage hier auch nicht klären.
Wir haben es schon gehört und jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß aus den Medien, dass der Binnenmarktausschuss Empfehlungen verabschiedet hat. Es scheint sich also abzuzeichnen, dass eine Mehrheit im Europäischen Parlament gegen diese Dienstleistungs
Wir werden sehen, welchen neuen Vorschlag die Kompromissverhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission hervorbringen werden und ob wir mit diesem leben können oder nicht leben können. Die Forderung der Linkspartei.PDS-Fraktion, - das habe ich schon beim letzten Mal gesagt - dass die Kommission den Entwurf der Richtlinie aus einem parlamentarischen Verfahren - dort war er bereits - zurückziehen und überarbeiten soll, halte ich persönlich vom Ablauf her für falsch.
Wir sollten sehen, wie der Kompromiss nun aussehen wird und uns zu gegebener Zeit noch einmal damit beschäftigen und unsere Meinung dazu äußern. In diesem Sinne möchte ich auch unsere Zustimmung zu der Beschlussempfehlung verstanden wissen. Wir können die Bedenken vom Grundsatz her teilen. Aber das Verfahren halten wir für problematisch. Deswegen würde ich auch die anderen bitten, der Beschlussempfehlung zuzustimmen. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vor einem Jahr recht heiß geführte Diskussion über die europäische Dienstleistungsrichtlinie ist mit den gescheiterten Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden zum Erliegen gekommen und sie ist erst am Ende des vergangenen Jahres, als der erste Entwurf einer neuen Richtlinie vorlag, wieder ein wenig auferstanden.
Die europäische Dienstleistungsrichtlinie ist aus der Sicht der Liberalen notwendig. Wir sehen einer Verabschiedung möglichst noch in diesem Jahr - sofern das machbar ist - erwartungsvoll entgegen.
Der Dienstleistungssektor hat in der deutschen Volkswirtschaft eine enorme Bedeutung. Etwa 70 % des Bruttoinlandsprodukts werden in diesem Bereich erwirtschaft. Der Anteil der Erwerbstätigen liegt bei etwa zwei Dritteln.
Der Export an Dienstleistungen ins Ausland ist allerdings sehr gering, der Import dagegen relativ hoch. Also haben wir einen negativen Saldo. Gemäß dem Gutachten eines dänischen Wirtschaftsforschungsinstitutes, das durch ein weiteres Gutachten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit bestätigt wurde, dürfte die Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland etwa 100 000 Arbeitsplätze schaffen. In welchem Umfang diese Arbeitsplätze aber auf deutsche Arbeitnehmer oder auf ausländische Arbeitsnehmer entfallen werden - das ist der Knackpunkt -, ist kaum abschätzbar.
Man kann zu der Vermutung kommen - dazu neige ich auch -, dass in den wissensintensiven Branchen in Deutschland, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung, in der EDV, in der Umwelt- und Ingenieurtechnik, deutsche Arbeitnehmer von einer Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes profitieren werden, dass aber die deutschen Unternehmen in arbeitsintensiven Bereichen
eher unter Wettbewerbsdruck geraten werden. Hier ist die Herausforderung der kommenden Zeit zu sehen, nämlich dass die deutschen Unternehmen die Chancen der Dienstleistungsliberalisierung begreifen und diese auch entsprechend nutzen.
Den vielfach in den Medien verbreiteten Befürchtungen ist auch entgegenzuhalten, dass der Zugang zum deutschen Dienstleistungsmarkt schon weitgehend geöffnet ist. Es fällt ausländischen Unternehmen sehr leicht, in Deutschland zu arbeiten. Umgekehrt haben andere europäische Staaten ihren Markt sehr stark abgeschottet. Mit einer Dienstleistungsrichtlinie würden diese Marktbeschränkungen der anderen Staaten angebaut werden und es würden sich auch Chancen für deutsche Unternehmen eröffnen. Diese gilt es in Zukunft zu nutzen.
Der veränderte Richtlinienentwurf - das wurde von Herrn Gürth schon gesagt - trägt vielen Bedenken Rechnung, die im vergangenen Jahr vorgebracht wurden. Das Herkunftslandprinzip wird eingeschränkt. Das Prinzip der Herkunftslandkontrolle soll nicht mehr so gehalten werden. Das heißt, der Staat, in dem die Dienstleistung ausgeübt wird, darf kontrollieren, ob das Unternehmen das in einer ordnungsgemäßen und rechtmäßigen Art und Weise tut. Das sind Veränderungen, die wir sehr begrüßen.
Wie gesagt, wir sehen dem ersten Entwurf, der im Februar im Europäischen Parlament verabschiedet werden soll, hoffnungsvoll entgegen, und wir empfehlen dem Landtag der kommenden Legislaturperiode, sich zu gegebener Zeit noch einmal mit dem Thema zu befassen.
Vielen Dank, Frau Röder. - Zum Schluss der Debatte hören wir Frau Dr. Klein für die Linkspartei.PDS. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt immer Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich einem nicht unbedingt erschließen. Dazu gehört für mich die vorliegende Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses. Danach hat sich das Thema für uns erledigt, da es noch keine Beschlüsse auf Bundesebene gibt.
Zum einen war ich bisher davon ausgegangen, dass wir als Landtag auch Beschlüsse fassen dürfen, ohne dass es einen Beschluss auf Bundesebene gibt.
Aber scheinbar ist irgendetwas an mir vorbeigegangen. Zum anderen kenne ich jedenfalls mindestens drei Beschlüsse des Bundesrates zur EU-Dienstleistungsrichtlinie aus dem Jahr 2005, in denen diese Dienstleistungsrichtlinie grundlegend kritisiert wird. Ein vierter Beschluss steht noch aus, nämlich ein Antrag aus Hessen, mit dem wir uns in den entsprechenden Ausschüssen durchaus hätten befassen und zu dem wir unserer Landesregierung entsprechende Empfehlungen mit auf den Weg hätten geben können.
Es gibt dazu Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom März 2005 zur Bearbeitung des Kommissionsvorschlags unter Berücksichtigung des europäischen Sozialmodells und zu dessen Harmonisierung sowie vom
Juni 2005 mit der kompletten Ablehnung des so genannten Herkunftslandprinzips samt Behandlungsauftrag für die Bundesregierung zur grundsätzlichen Überarbeitung des Richtlinienentwurfs.
Eine Diskussion zum Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie wurde eigentlich auf allen Ebenen der Gesellschaft geführt. Da gab es vor Kurzem noch einen Kanzler, der sagte, dass Deutschland diesem Richtlinienvorschlag nicht zustimmen werde. Aber das ist Schnee von gestern. Inzwischen haben wir eine Kanzlerin. Die seht das etwas anders. Sie sagt, die Auseinandersetzungen um die Dienstleistungsrichtlinie seien übertrieben.
Ein Bundesarbeitsminister Müntefering hat heute die große Nähe zur Haltung Österreichs in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie betont. Österreich will die Dienstleistungsrichtlinie zurückweisen. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD heißt es: Das Herkunftslandprinzip in der bisherigen Ausgestaltung führt uns nicht in geeigneter Weise zu diesem Ziel; deshalb muss die Dienstleistungsrichtlinie überarbeitet werden.
Aber zumindest bei der Beschlussfassung am 22. November 2005 im federführenden Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments ist klar geworden, dass die konservativ-liberale Mehrheit im EU-Parlament keine grundlegende Änderung der EU-Dienstleistungsrichtlinie will. Damit haben Sie völlig Recht, Frau Röder: Es soll alles nach Möglichkeit so bleiben, wie es jetzt ist. - Aber sie ist ja gar nicht mehr da.
Am 14. Februar 2006 wird die erste Lesung im Europäischen Parlament stattfinden. Es wäre schon ganz gut gewesen, wenn zumindest die Europaparlamentarier aus Sachsen-Anhalt auch die Position des Landtages und nicht nur die der Landesregierung kennen würden. Ich halte es für außerordentlich bedauerlich, dass sich der Landtag einer klaren Position hinsichtlich der EUDienstleistungsrichtlinie enthalten hat und die Befassung damit den neu zu wählenden Landtagsabgeordneten überhelfen will.
Es gab zumindest einmal die Situation, dass alle Fraktionen der Dienstleistungsrichtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung ablehnend gegenüberstanden; so zumindest habe ich es aus der Berichterstattung entnommen.
Die vom Binnenmarktausschuss vorgenommenen Änderungen haben die grundsätzlichen Kritikpunkte an dem Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht aufgenommen. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen: Der heiß umstrittene Artikel 16, das Herkunftslandprinzip, bleibt erhalten. Aus dem Herkunftsland wird lediglich der Mitgliedstaat der Niederlassung. Das Herkunftslandprinzip gilt nicht nur für die Zulassungsvorschriften, sondern auch für die Ausübung der Dienstleistung.
Es gibt zwar eine gewisse Aufweichung; Mitgliedstaaten dürfen von Unternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit die Einhaltung ihrer jeweiligen nationalen Vorschriften verlangen, aber nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, der Volksgesundheit und der Umwelt und auch nur dann, wenn diese als unerlässlich gelten, was auch immer das heißt. Hierbei gibt es einen beliebig großen Auslegungsspielraum und Rechtsstreitigkeiten sind schon vorprogrammiert. Andere Gründe, wie der Ver
braucherschutz oder kommunale Vorschriften, sind nicht zulässig. Es gelten die Gesetze jenes Landes, aus dem der Dienstleister kommt.
Selbst die erweiterten Kontrollmöglichkeiten, die für den Binnenmarkt beschlossen worden sind, sind eigentlich nur Papiertiger. Es gibt weder eine Meldepflicht für die im Ausland zu erbringenden Dienstleistungen, noch muss das Unternehmen im Herkunftsland die Dienstleistung selbst erbringen. Es genügt ein steuerndes Hauptquartier; also der Briefkasten ist durch ein Büro ersetzt worden.
Es gibt auch keine Strafmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen. Bisher gibt es kein europäisches Verwaltungsvollstreckungsabkommen. Die Kombination des Herkunftslandprinzips mit faktisch nicht durchsetzbaren Kontrollen wird letztlich zu einer Abwärtsspirale bei Lohn-, Sozial-, Qualitäts-, Umwelt- und Verbraucherstandards führen.
Unser Antrag, dass die EU-Dienstleistungsrichtlinie zurückgezogen und grundlegend überarbeitet werden soll, ist nach wie vor aktuell. Insofern kann ich nur sagen, werte Kolleginnen und Kollegen: Keine Aussage ist auch eine Aussage.