Protocol of the Session on December 9, 2005

Über 50 % der noch nicht vermittelten Altbewerberinnen und -bewerber verfügen über einen mittleren Abschluss, 4 % der Altbewerberinnen und -bewerber besitzen die Fachhochschulreife bzw. Hochschulreife. Deshalb wirkt die Debatte über die Ausbildungsfähigkeit immer wie eine Ausrede dafür, dass Unternehmen ausbilden wollen, aber die Voraussetzungen der Bewerberinnen und Bewerber einfach nicht ausreichen.

Das Bundesinstitut für Berufsausbildung ist der umstrittenen Frage nach den Voraussetzungen für eine Ausbildung nachgegangen, welche Reife von den Bewerbern um Ausbildungsstellen tatsächlich verlangt werden kann. Dieses Institut hat festgestellt, dass sich das Profil der Bewerber in den vergangenen 15 Jahren gewandelt hat und dass keineswegs alles schlechter geworden ist.

Die Team- und Kommunikationsfähigkeit schätzen gut 40 % der Experten heute höher ein als noch vor 15 Jahren. Auch in Englisch und mit IT-Kenntnissen können Jugendliche heute glänzen. In einigen wichtigen Bereichen machen die Fachleute hingegen Leistungseinbußen aus, und zwar gerade bei Fähigkeiten, die in der Schule vermittelt werden, zum Beispiel die korrekte Rechtschreibung, einfaches Kopfrechnen und Dreisatzrechnung. Auch die Konzentrationsfähigkeit habe abgenommen. In der Summe sehen die Experten die Entwicklung skeptisch.

Auch das soziale Umfeld wird dabei nicht außer Acht gelassen. In großer Einmütigkeit fordern 90 % der Experten von den Eltern, mehr für die Ausbildungsreife ihrer Kinder zu tun, beispielsweise als Rollenvorbild, als Vermittler von Werten und durch Hilfe bei der Berufswahl. - Das sind Tatsachen, meine Damen und Herren.

Sich die Ergebnisse aus wahltaktischen Gründen schönzureden, hilft keinem, uns hier nicht und den Jugendlichen, die keine Ausbildung mit einer Perspektive erhalten, schon gar nicht. Deshalb sind Praktika, Einstiegsqualifikationen oder berufsvorbereitende Maßnahmen keine Alternative zu einer anerkannten Berufsausbildung

und einem nahtlosen Übergang von der Schule in die Berufswelt. Wir benötigen eine bessere Qualität in der Schul- und Berufsausbildung und wir benötigen mehr betriebliche Ausbildungsplätze.

Seit Jahren fordert die Linkspartei.PDS gemeinsam mit den Gewerkschaften die Ausbildungsplatzumlage. Als diese Umlagefinanzierung bei der letzten Regierung Gestalt annahm, wurden Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft, den Kammern und der Politik aktiv und versuchten, diese durch einen Pakt für Ausbildung zu verhindern. Eine solidarische Finanzierung zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze als Möglichkeit, die Ausbildungsplatzbilanz zu verbessern, wurde rigoros abgelehnt.

Die oben genannten Zahlen belegen, dass der Ausbildungspakt ein guter Ansatz ist, aber ich finde, die wirkliche Verantwortung der Wirtschaft und der Unternehmen wird nicht ausreichend deutlich, wenn wir feststellen müssen, dass die betrieblichen Ausbildungsplätze trotz sinkender Nachfrage rückläufig sind. Wo bleiben dabei die Ergebnisse der vollmundigen Erklärung - ich zitiere -:

„Die Partner setzen sich das Ziel, jedem Jugendlichen, der es wünscht und seine Berufsausbildungsfähigkeit unter Beweis stellt, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.“

Tatsache ist, dass gerade große und potente Unternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Post AG, ihre Ausbildung im Osten und auch in Sachsen-Anhalt für dieses Jahr eingestellt haben. Das Ziel des Ausbildungspaktes war es - ich erinnere daran -, bundesweit 30 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Realität jedoch ist: 52 000 Ausbildungsplätze wurden abgebaut.

Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass hier in Sachsen-Anhalt ausgebildet wird, und wir legen unser Augenmerk auf die duale betriebliche Ausbildung, natürlich in dem Wissen, dass auch andere Maßnahmen und Möglichkeiten der Ausbildung vorübergehend notwendig und gewünscht sind. Wir wollen keine kurzfristigen oder vorübergehenden spontan geförderten Maßnahmen, sondern eine auf Qualität ausgerichtete Ausbildung, die für junge Menschen berufliche Perspektiven bietet und in der Wirtschaft auch über unsere Landesgrenzen hinaus anerkannt wird.

Deshalb halten wir auch an unserer Forderung zur Einführung einer Ausbildungsplatzumlage fest, um dem zu erwartenden Facharbeitermangel strategisch entgegenzuwirken.

In dem Antrag der Linkspartei wird eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die ich hier nicht noch einmal benennen möchte, die aber aus meiner Sicht bei der Auswertung des abgelaufenen Ausbildungsjahres für eine weitere Lösungssuche beantwortet werden müssen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und um die Überweisung in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport und in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft. - Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke sehr, Frau Rogée, für die Einbringung. - Die Landesregierung hat um das Wort gebeten. Herr Minister Dr. Rehberger, bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, das in dem Antrag angesprochen ist, nämlich die Berufsperspektiven junger Menschen in Sachsen-Anhalt, ist ein sehr wichtiges. Deswegen ist es für die Landesregierung gar keine Frage, dass wir in den Ausschüssen intensiv darüber diskutieren werden. Insofern wird es sicher eine breite oder eine geschlossene Mehrheit für diesen Antrag geben. Trotzdem möchte ich, nachdem Frau Rogée eben einige Punkte angesprochen hat, aus meiner Sicht das eine oder andere erwähnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Qualifikation der jungen Generation ist ein sehr komplexes Thema. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Reformen, die die jetzige Landesregierung im Schulbereich in Angriff genommen hat, mit dazu beitragen werden, dass es auch für diejenigen, die bisher große Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, in Zukunft besser werden wird,

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

meine Damen und Herren, weil wir sie durch unsere Schule möglichst optimal qualifizieren müssen. Sie werden einräumen müssen, dass der Umstand, dass bisher, dass in der Vergangenheit mehr als 10 % der jungen Leute noch nicht einmal einen ordentlichen Schulabschluss hatten, keine gute Voraussetzung für die weitere Ausbildung ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Insofern, glaube ich, haben wir etwas Wichtiges getan. Nebenbei gesagt, Frau Rogée, - das ist gar keine Frage - je mehr in diesem Lande investiert wird, umso besser sind auch die Chancen der jungen Leute auf dem Arbeitsmarkt. Deswegen hätte ich eigentlich auch erwartet, dass Sie dem Dritten Investitionserleichterungsgesetz, das soeben behandelt wurde, zustimmen. Damit hätten Sie auch etwas für die junge Generation tun können.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Was die Zahlen betrifft, teile ich die Auffassung von Frau Rogée, dass man sich nicht gesund rechnen sollte. Das machen wir nicht. Aber man sollte das, was erreicht worden ist, auch nicht kleinreden. Tatsache ist nun einmal, dass Sachsen-Anhalt im Jahr 2005, wie in den Jahren zuvor, die relativ beste Zahl aufzuweisen hat, was die Versorgung der jungen Leute mit Ausbildungsplätzen betrifft. Ich finde, dass man das auch vonseiten der Opposition durchaus anerkennen sollte,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

zumal, verehrte Frau Rogée, in den beiden Bundesländern, in denen die PDS die Regierung mitträgt, nämlich in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, die Zahlen deutlich schlechter sind als bei uns. Wir hatten zum 30. September 2005 bis auf 2,8 % der Bewerber alle mit einem Ausbildungsplatz oder mit einer adäquaten Ausbildungsmöglichkeit versorgt - 2,8 % der Bewerber. Berlin hatte noch ein Defizit von 11,6 % und MecklenburgVorpommern eines von 4,4 %. Solange die PDS dort, wo sie regiert, deutlich schlechtere Zahlen präsentiert, sollte sie sich, so meine ich, hier im Lande Sachsen-Anhalt mit Kritik ein bisschen zurückhalten.

(Zustimmung bei der FDP - Frau Dr. Klein, Links- partei.PDS: Ach nee! - Zuruf von Frau Dirlich, Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren! Im Übrigen - das ist sehr erfreulich - haben wir in der Zwischenzeit, Gott sei Dank, weitere junge Leute unterbringen können. Am 15. November waren es noch 285 Jugendliche, die nicht vermittelt waren, also deutlich weniger als am 30. September. Ich bin mir ganz sicher, dass wir für die wenigen, die jetzt noch nicht vermittelt worden sind, eine Lösung finden werden. Das ist wichtig. Das ist für die junge Generation eine entscheidende Perspektive.

Ich füge aber hinzu: So sehr wir bereit sind zu diskutieren, in einem Punkt werden Sie bei uns keinen Erfolg haben. Wer glaubt, die Situation über eine Ausbildungsplatzabgabe, über ein bürokratisches Zwangssystem verbessern zu können, der ist auf dem Holzweg, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Insofern möchte ich Ihnen sagen: In diesem einen Punkt werden wir mit Sicherheit keinen Konsens finden.

Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass die Ausbildungsfrage eine wichtige ist, die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarktes aber natürlich nicht weniger wichtig ist. Da haben wir inzwischen auch erfreuliche Zahlen vorzuweisen.

Ich meine, es ist bundesweit nicht selbstverständlich, dass ein Land im Jahr 2005 an Zahlen aus dem Jahr 1996 anknüpfen kann. Sie sollten sich einmal in den Bundesländern umschauen. Wir haben das fertig gebracht. Wir belegen insbesondere bei der Vermittlung von Jugendlichen unter 25 Jahren in Arbeit unter den ostdeutschen Ländern inzwischen den zweiten Platz. Auch das spricht eigentlich dafür, dass wir auf dem richtigen Wege sind.

Die Jugendarbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt ist gegenüber dem Vorjahr um 2 654 Personen auf 16,1 % zurückgegangen. Der Rückgang der Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren beläuft sich auf insgesamt 3 021 Personen. Wie gesagt, das sind nicht die Zahlen, die wir letztlich wollen. Aber wenn man die Entwicklung der letzten zehn Jahre betrachtet, meine Damen und Herren, dann kann man nicht bestreiten, dass auch die Politik der Landesregierung dazu beigetragen hat, dass es in diesem Lande vorangeht und dass die junge Generation heute bessere Perspektiven hat, als es etwa im Jahr 2001 der Fall war. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Dr. Pol- te, SPD: Sie klopfen noch den ganzen Tisch kaputt! - Herr Tullner, CDU: Wir zerhacken ihn!)

Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Fischer. Würden Sie die beantworten?

Selbstverständlich.

Herr Minister, ich habe eine Frage zur Jugendberufshilfe. Ich weiß sehr wohl, dass es eine Schnittstelle zwischen dem Bildungsministerium, dem Jugendministerium und dem Arbeitsministerium betrifft. Aber nach der Einführung des SGB II, nach der Veränderung der Strukturen im Land und nach der Übernahme von Aufgaben durch die Kommunen bzw. durch die Arbeitsgemein

schaften und die Agenturen für Arbeit sind gerade benachteiligte junge Menschen sehr auf sich allein gestellt. Genau dort fehlt im Moment eine koordinierende Stelle.

Nun hat der Landesjugendhilfeausschuss im September zum dritten Mal beschlossen, eine landesweite Koordinierungsstelle einzurichten, die genau dort steuernd eingreift. Wir haben ein Netz im Land, das genau für diese jungen Leute Ausbildung anbieten wird. Können Sie mir sagen, wie der Stand innerhalb der Landesregierung ist, wie die Abstimmung unter den Ministerien vorangekommen ist, um so eine koordinierende Stelle einzurichten?

Ich kann Ihnen den allerneuesten Stand nicht sagen. Aber wir sind selbstverständlich bereit, Ihnen bei den in Kürze erfolgenden Ausschussberatungen ein hoffentlich abschließendes Ergebnis vorzulegen. Ich bin mit Ihnen der Auffassung, dass wir in diesem Bereich die Dinge optimieren müssen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gürth.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Land, das seiner Jugend keine Perspektive bietet, wird selbst keine Perspektive haben, die hoffnungsfroh ist. Wer den jungen Leuten in einer Gesellschaft nicht die Möglichkeit gibt, in der Zukunft mit eigener Hände Arbeit selbstbestimmt ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihr Leben zu gestalten, der wird die ganze Gesellschaft nicht zukunftsfähig machen können.

Deswegen ist die Debatte über die berufliche Ausbildung und über Ausbildungs- und Berufschancen junger Leute eine wichtige Debatte. Sie kann nicht verkürzt werden auf Regierungshandeln; denn den jungen Leuten berufliche Perspektiven zu bieten, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht die Aufgabe Einzelner.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Wir haben in Deutschland als Berufsausbildungssystem das duale System. Das wird von vielen Ländern kopiert und weltweit als ein hervorragendes System der Ausbildung von Facharbeitern und von jungen Leuten angesehen.

Da ist zunächst die Wirtschaft zu nennen. Sie handelt aus Eigeninteresse. Denn kein Unternehmen kann im Wettbewerb ohne ausreichend qualifizierte Leute bestehen. Wer keinen hoch qualifizierten und guten Nachwuchs ausbildet, der wird später im Wettbewerb mit Unternehmen in anderen Regionen, die dies tun, das Nachsehen haben.

In Deutschland beträgt das Verhältnis von ausbildenden Betrieben zu nicht ausbildenden Betrieben 29 : 71. Dazu gehört aber eben auch, dass nur knapp die Hälfte der Betriebe überhaupt ausbildungsberechtigt ist. Zirka 23 % der ausbildungsberechtigten Betriebe bilden nicht aus. Da ist anzusetzen mit der Frage: Warum? - Die Gründe dafür sind vielschichtig. Sie sind nicht einzig und allein auf die Ausbildungsvergütung zurückzuführen, obwohl

dies vielerorts immer wieder angesprochen wird, zum Teil zu Recht.

Ich will erstens den Bereich des Handwerks als beispielhaft hervorheben. Was wir mit der letzten Novelle zur Handwerksordnung erlebt haben, führt nicht zu einer erhöhten Ausbildungsbereitschaft, sondern eher zu einer Atomisierung der Betriebe. Große Betriebe verschwinden vom Markt und als Alternative entstehen Ich-AGs und Existenzgründungen mit ein oder zwei Beschäftigten, die keine Ausbildungsberechtigung besitzen. Also ist die Frage auch darauf auszurichten, was wir in der Wirtschaftspolitik besser oder anders machen sollten, um diesen Trend zu verhindern.

Das Zweite ist die wirtschaftliche Lage. Wenn wir uns die Unternehmen in Sachsen-Anhalt oder in anderen Bundesländern, nicht nur in den neuen Bundesländern, anschauen, dann müssen wir feststellen, dass eine extrem angespannte wirtschaftliche Lage die Verantwortlichen selbst bei grundsätzlicher Ausbildungsbereitschaft arg überlegen lässt, welche Ausbildung zu finanzieren und durchzusetzen ist.