Protocol of the Session on October 10, 2002

denn mit diesen Maßnahmen doktern wir nur an den Symptomen der Umweltprobleme herum. - Wenn Sie jetzt fragen, was wir in den letzten acht Jahren gemacht haben, sage ich Ihnen: Fragen Sie bitte mal den Staatssekretär im Finanzministerium, der war früher zuständig für solche Fragen und hat hier nicht das Beste geleistet.

(Lachen bei der CDU)

Wir werden auch, was Raumordnung und Klimapolitik angeht, konsequenterweise auf einen Ausgleich von Ökonomie und Ökologie zu achten haben. Das Hochwasser zeigt zweierlei: Erstens müssen wir die Versiegelung der Landschaft und die Flussbegradigung stoppen. Und zweitens müssen wir uns eingestehen, dass wir jetzt Auswirkungen des von Menschen gemachten Klimawandels zu spüren bekommen. Die Flüsse zu begradigen war ein großer Fehler. Nicht nur das jetzige Hochwasser hat gezeigt, dass sich die Flüsse ihre alten Wege wieder suchen.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Ich habe als Bürgermeister von Etgersleben ganz ähnliche Erfahrungen mit dem Jahrhunderthochwasser 1994 an der Bode gemacht. In der Gemeinde Neuendorf bei Staßfurt wurde Anfang der 90er-Jahre ein Wohngebiet mit 100 Häusern gebaut, und zwar auf einer Fläche mit dem bedeutungsvollen Namen „Gänseanger“. „Gänseanger“ deshalb, weil dieses Bauland über Jahrhunderte hinweg Überflutungsgebiet der Bode war. Die stolzen Eigenheimbesitzer, die in den Jahren 1992/93 eingezogen sind, mussten die Unvernunft von Kommunalpolitikern und Planern beim Jahrhunderthochwasser der Bode teuer bezahlen.

Ähnliches hat sich nun wiederholt. Genauso war es jetzt wieder in den flussnahen Gebieten. Manch einer, der direkt hinter dem Deich gebaut hat, war stolz auf die schöne Lage. Er war sich aber dessen nicht bewusst, wie gefährdet sein Grundstück eigentlich ist.

Wir werden also in Zukunft bei raumordnerischen Entscheidungen verstärkt darauf achten müssen, die flussnahe Bebauung zurückzudrängen und den Flüssen wieder natürliche Überflutungsräume zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Alte Chroniken - ich nenne nur das Beispiel Aken - zeigen: Hochwasser gab es immer, allerdings standen die Häuser früher nicht direkt in den Überschwemmungsgebieten. In Sachsen ist derzeit ein Gesetz in Vorbereitung, welches für die Zukunft eine falsche Nutzung solcher Flächen verhindern soll.

Meine Damen und Herren! Weiterhin gilt wohl die Frage gemeinhin als beantwortet, ob diese Flut ein einmaliges Ereignis war oder ob sie auch durch Klimaveränderungen mit verursacht wurde. Wenn man auch keinen monokausalen Zusammenhang feststellen kann, so leistet doch der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt zweifellos seinen Beitrag zur Erhöhung der Gefährdung. Auch deshalb braucht es eine Politik, die ökonomische Gesichtspunkte und ökologische Sensibilität zusammenbringt.

Es ist daher richtig, wenn die Bundesregierung an der letzten Stufe der Ökosteuer festhält und mit Nachdruck an der Umsetzung des Zieles von Kyoto arbeitet, den Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2012 um 21 % zu senken. Wir brauchen eine Politik ohne Einseitigkeit mit einem nachhaltigen und ganzheitlichen Verständnis für ökonomische und ökologische Entwicklungen, eine Politik, welche auf den Ausbau von regenerativen Energien und Energieträgern setzt und generell den sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen forciert. Dies ist auch eine Lehre, die wir aus der Flutkatastrophe ziehen müssen - auch für konkrete Entscheidungen vor Ort in Sachsen-Anhalt, in den Landkreisen, Städten und Gemeinden.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Aufgabe für die Zukunft lautet: Fürsorge für die Flutopfer und Vorsorge vor neuen Hochwassern.

Fürsorge für die Flutopfer bedeutet für uns: Wir müssen dafür sorgen, dass die Solidarität mit ihnen anhält, dass ihnen weiter geholfen wird. Wir müssen unseren Beitrag leisten, Unternehmen und Arbeitsplätze zu retten. Die Gelder müssen weiterhin fließen.

Vorsorge heißt für uns: Wir müssen aus der Flutkatastrophe die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wir müssen Fehler, die gemacht worden sind, aufarbeiten, um Ähnliches für die Zukunft zu verhindern. Wir müssen im Land unsere Hausaufgaben machen und den Hochwasserschutz durch Sanierung der Deiche konsequenter als bisher verbessern. Wir müssen bei all unseren Entscheidungen darum ringen, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Besten Dank, Herr Dr. Püchel. - Meine Damen und Herren! Sie haben bemerkt, auf der Tribüne haben die Zu

schauer gewechselt. Begrüßen Sie jetzt mit mir Seniorinnen und Senioren der Gewerkschaft der Eisenbahner.

(Beifall im ganzen Hause)

Als Nächstem erteile ich für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Scharf das Wort. Bitte sehr, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Regen kam die Flut und diese nimmt unsere Gedanken und Gefühle bis heute in Beschlag. Es waren ungewöhnlich starke Regenfälle aus Tiefdruckgebieten, die auf südlichen Bahnen ziehend über dem Mittelmeer sich vollsogen und Südeuropa erreichten und sich schließlich auch über Norditalien, Österreich, Böhmen und dem Erzgebirge abregneten.

Meine Damen und Herren! War dies nun einfach nur ein Wetter, ein Unwetter oder waren das Vorzeichen eines sich verändernden Klimas? Diese Frage ist heute nicht beantwortbar und deshalb sind nach meiner Auffassung auch vorschnelle Antworten auf diese Frage unzulässig.

Naturkatastrophen, speziell Hochwasserkatastrophen hat es im Bereich Mitteldeutschlands und im Bereich des Elbeurstromtales schon seit vielen Jahrhunderten nachweislich gegeben. In der Lutherstadt Wittenberg wurde die 6-Meter-Marke im Frühjahr des Jahres 1845 und im Jahr 1862 mit 6,26 m bzw. 6,28 m deutlich überschritten. In Dessau wurde am 25. Juli 1954 ein Pegelhöchststand von 6,62 m erreicht. In Barby wurde der Höchststand vom August dieses Jahres mit genau 7 m im Jahr 1876 erreicht und im Jahr 1845 um 30 cm überschritten. In Magdeburg wurden am 18. Februar 1941 7,01 m gemessen und im August 2002 betrug der Höchststand 6,72 m.

An drei Pegeln entlang der Elbe wurde der bisherige Rekordwert überschritten. Das bedeutet jedoch, dass die anderen Pegel im August 2002 Höchstwerte verzeichneten, die dort bereits zuvor erreicht oder gar überschritten worden waren. Wir haben also im Urstromtal durchaus über längere Perioden mit Hochwasserkatastrophen zu kämpfen gehabt.

Bevor ich zur ersten Auswertung dieser Katastrophe komme, möchte ich jedoch auch im Namen der CDUFraktion Dank sagen, Dank sagen den Zehntausenden, die gespendet haben, den Zehntausenden, die geholfen haben, den Privatpersonen und den Unternehmern,

(Beifall bei allen Fraktionen)

den Tausenden, die aus anderen Bundesländern zu uns gekommen sind, um zu helfen. Manche sind noch immer da. Und aus der Katastrophenhilfe ist so manche Freundschaft entstanden, von der ich hoffe und annehme, dass sie über viele Jahre halten wird.

13 500 Helfer von Feuerwehr, THW, Polizei, BGS und Bundeswehr. 12 000 Angehörige der freiwilligen Feuerwehren in Sachsen-Anhalt haben den längsten Einsatz ihrer Laufbahn erlebt und oft über ihre physischen Grenzen hinaus ein übergroßes Aufgabenpensum bewältigt. Sachsen-Anhalter, die selbst oft nur knapp der Katastrophe entgangen sind, haben umso engagierter mit angefasst. Deutsche Hilfsorganisationen haben den größten Katastropheneinsatz im eigenen Land durchgeführt. Besonderer Dank gilt den Katastrophenleitstellen in den

Städten und Landkreisen, in den Behörden und insbesondere im Innenministerium.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich danke an dieser Stelle ganz ausdrücklich sowohl dem Innenminister als auch der Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt, die sicherlich in diesen Wochen niemand um ihr Amt beneidet hat. Sie haben nach meiner Auffassung konsequent und überzeugend gehandelt.

Der Innenminister ist auch böswilligen Gerüchten über angebliche Deichsprengungen sehr schnell und sehr energisch entgegengetreten. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass mancher Fernsehsender, obwohl die eindeutigen Dementis aus dem Innenministerium vorlagen, immer noch mit Kommentaren die vage Einschätzung hoch hielt, es könnte ja sein oder nicht sein, man wisse es nicht. Damit wurde die Bevölkerung in meinen Augen verunsichert. Hiermit ist in einigen Punkten der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag nicht gerecht geworden. Das möchte ich ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Kommen wir nun zur ersten Auswertung der Katastrophe. Erlauben Sie mir zunächst, dass ich auf der Basis des bisherigen Standes der Erkenntnisse einige Versuche einer Auswertung durchführe.

Inwiefern können wir uns auf Naturkatastrophen dieses Ausmaßes überhaupt vorbereiten? Wie ist es um die baulichen Schutzmaßnahmen bestellt?

In einem Gutachten der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe vom 31. Januar 2001 werden 86 % der 361 Deichkilometer entlang der Elbe als sanierungsbedürftig eingeschätzt. Im Juni 2002 wurden 92 Schwachstellen ausgewiesen, die die Sicherheit der Deiche gefährden. Unter Einbeziehung der Rückstaudeiche entsprechen 271 von 589 km Elbdeichen nicht der DIN „Flussdeiche“ und sind somit sanierungsbedürftig.

Insgesamt muss den hochwasserbaulichen Schutzvorkehrungen im Land Sachsen-Anhalt also ein schlechter Zustand attestiert werden. Das Land war durch das Oderhochwasser von 1997 gewarnt. Getan hat sich seitdem jedoch nur wenig.

Immerhin, sowohl das Pretziener Wehr als auch das Neuwerbener Wehr wurden 1995/96 bzw. 1998/99 grundlegend saniert. Es gab Überlegungen, entlang der Mulde Retentionsflächen zu erweitern, Schwachstellen an den Deichen auszubessern und ehemalige Auenstandorte zu reaktivieren. Diese Maßnahmen wurden bisher aber noch nicht voll umgesetzt.

Herr Minister Dr. Püchel, wenn Sie sich in Ihrer Regierungszeit an Ihre Rede von 1994 erinnert hätten, die Sie vorhin zitiert haben, dann hätte wahrscheinlich die letzte Landesregierung in ihren acht Jahren Regierungszeit beim Hochwasserschutz auf einiges mehr geachtet.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, dass das soeben von mir zitierte Gutachten dem Landtag in Ihrer Regierungszeit einmal als offizielles Arbeitsmaterial zur Kenntnis gegeben wurde,

(Herr Gürth, CDU: Das wurde verheimlicht!)

sodass die Abgeordneten auf die Schwierigkeiten und auf die Schwachstellen im Land Sachsen-Anhalt rechtzeitig hingewiesen worden wären. So ein Material gehört nicht nur in die Ministeriumsstuben.

Meine Damen und Herren! Welche Möglichkeiten der Vorhersage von Katastrophen haben wir? - Die derzeit verwendeten Prognosen basieren auf mathematischen Modellen, die aber offensichtlich bei dieser Katastrophenlage teilweise versagt haben. Das ist in meinen Augen erstaunlich; aber wir müssen am Anfang des dritten Jahrtausends zur Kenntnis nehmen, dass hierbei deutlich nachgebessert werden muss. Allerdings muss man auch anerkennen, dass Sommerhochwasser seltener als Winterhochwasser sind und dass deshalb auch eine sichere Prognose für ein Sommerhochwasser durchaus schwieriger zu treffen ist.

Welche Maßnahmen, meine Damen und Herren, können nun ergriffen werden, um den Hochwasserschutz zu verbessern? - Bedeutende Potenziale sind insbesondere im Bereich der Rückhalteflächen auch in Sachsen-Anhalt weiterhin zu erschließen. Gezielte oder spontane Flutungen haben während des Jahrhunderthochwassers vielerorts Entlastungen gebracht. Durch Deichrückverlegungen, Umwandlung von Ackerland in Grünland, Wiederherstellung bzw. Anschluss abgetrennter Flussauen sowie durch die gezielte Einrichtung von Flutungspoltern sind Fortschritte im Hochwasserschutz durchaus möglich.

Wie steht es um den Zustand der Hilfskräfte wie THW, Feuerwehr und Bundeswehr? - Dort bin ich mit meiner abschließenden Bewertung noch nicht so weit. Ich denke, es wird eine wichtige Aufgabe des zeitweiligen Ausschusses sein, genau nachzuschauen, wo im materiellen Sinne geholfen werden muss.

Die Jahrhundertflut hat uns jedoch auch vor Augen geführt, wo sich Hochwasserschutz und Naturschutz entgegenstehen. Wir haben schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass im Biosphärenreservat Mittlere Elbe hochwassergefährdete Bereiche teilweise unbefahrbar gewesen sind. Mäuse und Biber haben mit ihren Gängen die Standfestigkeit der Deiche geschwächt.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe einen solchen Deich in Dessau gesehen. Es war für mich erschreckend, in welchem Ausmaß dieser durchlöchert war. Ähnliches gilt für das Wurzelwerk von Bäumen und Sträuchern.

Teilweise, meine Damen und Herren, hat der Bewuchs von überschwemmten Flächen ein zügiges Ablaufen des Wassers bei sinkenden Pegeln verhindert. Dass, meine Damen und Herren, darf, denke ich, nicht sein. Wenn jetzt darüber philosophiert wird, dass offensichtlich der Hochwasserschutzbetrieb an manchen Orten in vorauseilendem Gehorsam angesichts des Ärgers mit der unteren Naturschutzbehörde schon gar nicht mehr daranging, die Bäume in den Überflutungsgebieten zu fällen, dann, meine Damen und Herren, stimmt etwas nicht in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Und wenn hier etwas nicht stimmt, dann muss es durch den zeitweiligen Ausschuss auf den Punkt gebracht werden, und wir müssen den Mut haben, Naturschutz, Umweltschutz und Hochwasserschutz so miteinander in