Protocol of the Session on October 10, 2002

Meine Damen und Herren! Die beschlossenen Hilfeprogramme sind umfassend und in ihrer Vielfalt auf die jeweiligen Gruppen von Betroffenen zugeschnitten. Die seitens des Bundes und der anderen Länder bereitgestellten Mittel werden wir zur Kofinanzierung der mit dem Bund vereinbarten Aufbauprogramme benötigen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten - diese sind gering, das wissen Sie - haben wir darüber hinaus aber auch einige Landesprogramme beschlossen. Diese Mittel sind strukturiert und stehen uns auch nur strukturiert zur Verfügung. Ein zusätzliches Ausgleichsgesetz des Landes würde deshalb wahrscheinlich ins Leere greifen und erscheint überflüssig, zumal zusätzliche Leistungen von uns nicht finanzierbar wären.

Wir müssen tun, worauf es jetzt ankommt: entschlossen, schnell und umsichtig an die Umsetzung der gemeinsam mit dem Bund beschlossenen Wiederaufbauprogramme herangehen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle auch meinen ausdrücklichen Dank für die europäische Solidarität bekunden. Viele Länder Europas haben sich mit unterschiedlichsten Hilfsinitiativen engagiert. Die Kommission und das Europäische Parlament haben bereits kurze Zeit nach der Flutkatastrophe ihre Bereitschaft signalisiert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um flexibel und schnell zu helfen. Der Besuch von Kommissar Barnier am 16. und 17. September in Sachsen-Anhalt und der Besuch von Kommissionspräsident Prodi am 25. August in Sachsen sowie die Gespräche mit den Regierungschefs der betroffenen Länder waren wichtige Zeichen der Solidarität und Anteilnahme Europas für die Menschen in den Katastrophengebieten.

Die Kommission hat ihre in Berlin gemachten Zusagen in der Zwischenzeit untersetzt und die europäischen Hilfeprogramme umrissen. Für Sachsen-Anhalt sind dabei die folgenden drei Punkte von einer besonderen Bedeutung:

Erstens. Die EU ermöglicht es uns, kurzfristig Änderungen des operationellen Programms für den Einsatz der EU-Strukturfonds in Sachsen-Anhalt zur Beseitigung der Hochwasserschäden vorzunehmen. Wir werden die Förderkulisse so anpassen und ergänzen, dass eine möglichst rasche Unterstützung für die Bewältigung der Hochwasserschäden geleistet werden kann. Die Änderungsvorschläge werden frühzeitig mit den Dienststellen

der Kommission abgestimmt, damit das Änderungsverfahren für das operationelle Programm noch in diesem Jahr vonstatten gehen kann.

Zweitens. Aufgrund der Hochwasserkatastrophe müssen kurzfristig beträchtlich mehr Projekte als geplant umgesetzt werden. Die Kofinanzierung dieser Projekte wäre aufgrund unserer Haushaltssituation nicht möglich. Wir werden daher das Angebot der Kommission aufgreifen, die EU-Beteiligungssätze an den öffentlichen Ausgaben für die Projekte auf 75 % zu erhöhen. Dies wird gleichfalls ein Teil des Änderungsantrages sein. Ich will aber auch sagen: Mehr Geld, als uns insgesamt zustünde, gibt es dadurch natürlich nicht.

Drittens. Ich begrüße die Initiative der Kommission zur Wiederauflage des Katastrophenfonds. Die Flutkatastrophe hat gezeigt, dass Hilfe nur dann geleistet werden kann, wenn geeignete Instrumente und entsprechende Mittel schnell zur Verfügung stehen. Das Land SachsenAnhalt wird parallel zur Beschleunigung des Abflusses vorhandener Strukturfondsmittel auch die Frage nach einer Refinanzierung bereits eingeleiteter Maßnahmen aus dem neuen Katastrophenfonds stellen und in die Diskussion einbringen.

Zur Wiederherstellung der Infrastruktur gehört in Sachsen-Anhalt eben nicht nur die Reparatur von 35 offenen Deichbruchstellen und die Sanierung von mehreren hundert Kilometern aufgeweichter Deiche an Elbe und Mulde. Aber das ist jetzt natürlich unsere wichtigste Aufgabe. Bereits am 13. September wurde damit an zwei Orten begonnen.

Zur Unterstützung des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft wurden 21 Ingenieurbüros gebunden, davon zehn aus Sachsen-Anhalt und elf aus den benachbarten neuen Bundesländern. Zwischenzeitlich wird bereits an vielen Deichabschnitten gearbeitet. Dafür wurden bisher 55 Baubetriebe gebunden, davon 48 aus Sachsen-Anhalt und sechs aus den benachbarten neuen Bundesländern sowie ein Baubetrieb aus einem alten Bundesland. Ich nenne diese Zahlen, meine Damen und Herren, nur für diejenigen Kritiker des Vergabeverfahrens - das habe ich auch schon gehört -, die bisher schon kritisiert haben, ohne diese Zahlen überhaupt kennen zu können.

Bei der Wiederherstellung des Status quo können wir es aber nicht belassen. Von den 589 km Elbdeichen, und zwar einschließlich der Rückstaudeiche an Schwarzer Elster, Mulde, Saale und Havel, entsprechen derzeit 271 km nicht den Forderungen der DIN für Flussdeiche. Es muss daher zukünftig dringend in die Hochwassersicherheit investiert werden.

Die Kosten dafür, alle Hauptdeiche in einen solch guten Ausbauzustand zu bringen, um auf ein solches Jahrhunderthochwasser vorbereitet zu sein, werden sich nach gegenwärtigen Schätzungen auf mindestens 135 Millionen € belaufen.

Soweit uns die Mittel zur Verfügung stehen, werden sie unverzüglich ausgezahlt. Nach dem Kabinettsbeschluss am 16. August über das erste Soforthilfeprogramm sind am ersten Auszahlungstag - das war der 20. August - bereits 1,2 Millionen € verteilt worden. Aus dem Bundessoforthilfeprogramm sind bis Anfang September 10,2 Millionen € in Sachsen-Anhalt ausgezahlt worden.

Wir haben für die Kreise Verwaltungshilfe zur Schadenserfassung organisiert und sind mit den Bundesministerien in ständigem Gesprächskontakt über die Definition des Schadensbegriffes und die Umsetzung der Hilfeprogramme.

Vor dem Bundestag, vor dem Bundesrat und vor der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments habe ich die Folgeprobleme der Hochwasserkatastrophe und die verwaltungstechnischen Einzelheiten der Hilfeprogramme erläutert. Die Gesamtsumme der bisher in diesem Zusammenhang ausgezahlten Landes- und Bundesmittel betrug im Land Sachsen-Anhalt Anfang Oktober 158,9 Millionen €.

Meine Damen und Herren! Das Leben in unserem Land hat sich weitgehend wieder normalisiert, die Menschen in den betroffenen Regionen werden aber noch längere Zeit mit der Beseitigung der Schäden zu tun haben. Wir werden ihnen auch dabei weiter helfen. Dazu gehört auch, dass die geschädigten Betriebe so schnell wie möglich wieder arbeiten können und nicht aus den Wirtschaftskreisläufen verdrängt werden.

Die in den Hochwassertagen erlebte Solidarität gibt uns die Gewissheit, dass wir auch mit den Folgeschäden fertig werden können. - Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Besten Dank, Herr Ministerpräsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir in die Aussprache zur Regierungserklärung eintreten, begrüßen Sie mit mir Damen und Herren vom Verein „Kontakte - Hilfe - Perspektive“ aus Wernigerode.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1 b:

Aussprache zur Regierungserklärung

Der Ältestenrat schlägt eine Debattendauer von 90 Minuten in der Reihenfolge SPD, CDU, PDS und FDP mit folgenden Redezeiten vor: SPD 20 Minuten, CDU 38 Minuten, PDS 20 Minuten und FDP 13 Minuten.

Als Erstem erteile ich dem Abgeordneten der SPDFraktion Herrn Dr. Püchel das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Püchel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Katastrophe hat uns allen klar gezeigt, dass wir von der Natur abhängig sind. Richten wir uns danach und handeln wir in Zukunft entsprechend!

Das gerade überstandene Hochwasser war kein unabwendbares Naturereignis, jedenfalls nicht in diesen Ausmaßen. Viele Schäden sind entstanden, weil der Mensch aus wirtschaftlichem Streben heraus zu stark in die Natur eingegriffen hat. Verhindern wir das weitere Zubetonieren der Landschaft, erhalten wir die Auengebiete, sichern wir das Rückhaltevermögen unserer Überschwemmungsgebiete! Staustufen mit ihren Deichbaumaßnahmen engen das Flussbett weiter ein, zerstören

die Auen. Durch die Versiegelung unserer Landschaft kommt es zu einem schnellen Abfluss von Regenwasser, was zu Hochwasserspitzen führen kann.

Die Fehler der Vergangenheit sind bekannt. Lassen Sie uns die Lehren daraus ziehen, damit wir nicht in einigen Jahren über die Folgen der nächsten Hochwasserkatastrophe diskutieren müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Diese Sätze beziehen sich nicht auf die Ereignisse der letzten Woche, sondern stammen aus meiner Erwiderung auf die Regierungserklärung von Herrn Dr. Bergner im Jahr 1994 zum Jahrhunderthochwasser an der Bode.

Acht Jahre später haben wir uns mit den Folgen einer noch verheerenderen Hochwasserkatastrophe auseinander zu setzen. Menschen verloren ihr Haus, ihre Wohnung, ihren Betrieb, ihre Arbeitsstätte, Felder wurden verwüstet, Ernten vernichtet, Gebäude, Straßen und Brücken wurden beschädigt. Schäden in unermesslicher Höhe sind entstanden; deren Beseitigung wird jahrelang dauern.

Der Ministerpräsident hat dies ausführlich dargestellt. Die direkten Hochwasserschäden wurden von ihm auf einen Betrag von 2 Milliarden € beziffert. Hinter diesen abstrakten, in der Dimension kaum fassbaren Zahlen stehen zahllose Einzelschicksale. Jeder von uns hat die bedrückenden Bilder der letzten Monate vor Augen.

Meine Damen und Herren! Den von der Flut Betroffenen gilt unser Mitgefühl, unsere Solidarität.

Die Folgen wären noch viel schlimmer gewesen, hätte es nicht eine beeindruckende Solidarität und Hilfsbereitschaft über die Ländergrenzen hinaus gegeben. Bei der Bewältigung der Flutkatastrophe wurde überdeutlich, dass es sich lohnt, auf eine Politik der gesamtstaatlichen Solidarität zu setzen. Die überwältigende Hilfsbereitschaft in Ost und West, die während der Flut sichtbar wurde, das schnelle und umfassende staatliche Handeln haben Vertrauen geschaffen, dass das gelingt, was Willy Brandt 1989 gesagt hat, nämlich dass zusammenwächst, was zusammengehört. Kanzler Schröder sprach von der Einheit der Herzen; der Ministerpräsident von den Tagen der deutschen Einheit.

Meine Damen und Herren! Am Beginn meiner Ausführungen geht der Dank an die zahllosen Menschen, die Tag und Nacht, häufig bis zur letzten Erschöpfung gegen die Flut gekämpft haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Im Namen meiner Fraktion danke ich den eingesetzten Kräften der Polizei, der Bundeswehr, des BGS, der Feuerwehren und des THW. Sie waren das Rückgrat des Katastrophenschutzes. Nicht zuletzt haben sie mit ihrem beispiellosen Einsatz dafür gesorgt, dass in SachsenAnhalt kein Verlust von Menschenleben zu beklagen war. Darüber können wir alle froh und glücklich sein.

Aus den Feuerwehren wurden im wahrsten Sinne des Wortes Wasserwehren. Wieder einmal wurde von ihnen unter Beweis gestellt, was es für unser Gemeinwesen bedeutet, mit den freiwilligen Feuerwehren ein flächendeckendes Hilfeleistungssystem in unserem Lande zu haben.

Unser Dank geht natürlich auch an die anderen Hilfsorganisationen, die personell nicht so stark besetzt sind, die jedoch einen ebenso überragenden Einsatz geleistet haben.

Die Bekämpfung der Flut hat allen das Letzte abverlangt. Mein Respekt gilt auch den Kommunalpolitikern und den anderen Verantwortlichen vor Ort, die oft ebenso Übermenschliches geleistet haben wie die Helferinnen und Helfer am Deich.

Besonders danken will ich den zahllosen freiwilligen Helfern und Helferinnen, die Sandsäcke geschleppt und gefüllt haben oder auch sonst mit angepackt haben, um die Flut zu bekämpfen.

Die Nachbarschaftshilfe im weitesten Sinne hat sich, glaube ich, noch nie so bewährt wie in den Tagen der Flut. Nicht nur mir ist aufgefallen, dass gerade junge Menschen besonders hilfsbereit waren. Hierdurch wurde manches Vorurteil gegenüber der Jugend von heute eindrucksvoll widerlegt.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich begrüße die Einführung der Hochwassermedaille und hoffe, dass viele Jugendliche unter den Geehrten sein werden.

Meine Damen und Herren! Dass zusammenwächst, was zusammengehört, zeigen nicht zuletzt auch die Geld- und Sachspenden in einem ungeahnten Umfang. Zu den elementaren Erfahrungen der Flutkatastrophe gehört es, dass es für viele ein gutes Gefühl, eine innere Befriedigung war, helfen zu können und Solidarität zu zeigen.

Mit privater Initiative allein werden die Folgen der Hochwasserkatastrophe natürlich nicht bewältigt werden können. Hierbei ist der Staat, sind Bund und Land gefordert, die Politik der gesamtstaatlichen Solidarität mit dem Ziel der Bewältigung der Folgen der Flut konsequent fortzuführen.

Herr Professor Böhmer hat das Ausmaß der Schäden und die Maßnahmen der Landesregierung ausführlich dargestellt. Der Umfang der Schäden war lange nicht wirklich absehbar. Anfangs hantierte die Landesregierung mit viel höheren Zahlen. Mittlerweile relativieren sich die Schätzungen wenigstens teilweise, wobei der Betrag von 2 Milliarden € noch immer unermesslich hoch ist. Die Schäden bleiben damit hoch genug.

Viel Wiederaufbauarbeit wird zu leisten sein. Die SPDLandtagsfraktion wünscht den Landes- und Kommunalverwaltungen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zur Überwindung der Flut eine glückliche Hand.

Ich will an dieser Stelle der Rückschau noch einmal ausdrücklich die Arbeit der Bundesregierung und des Bundeskanzlers würdigen. Der Bundeskanzler hat die nationale Dimension der Herausforderung sofort erkannt und schnell gehandelt. Schon am 14. August 2002, zwei Tage nachdem der erste Katastrophenfall festgestellt worden war, war er in Grimma und informierte sich vor Ort. Das Bundeskabinett beschloss am gleichen Tage ein Zwölfpunkteprogramm, das unter anderem den Einsatz von Hilfskräften, einen Spendenaufruf an die Bevölkerung und Soforthilfen in Höhe von 100 Millionen € beinhaltete.

Am 16. August 2002 überwies der Bundesinnenminister die erste Rate der Soforthilfe in Höhe von 50 Millionen €

an die vom Hochwasser betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte. Zwei Tage später traf sich Gerhard Schröder mit seinen Amtskollegen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei sowie mit dem EU-Kommissionspräsidenten Prodi zu einem internationalen Hochwassergipfel.